Herr Tolan, lassen Sie uns über die Physik der Langeweile reden.
Ich würde sagen, das ist eher ein soziologisches Thema als eines der Physik.
Sie füllen große Hallen mit Ihren Vorträgen über die Physik bei Star Trek oder in den James-Bond-Filmen. Können Sie da keine Kurve ausrechnen, mit der Sie ermitteln können, ab dem wievielten Vortrag Ihnen das Thema allmählich langweilig wird?
(lacht) Für mich ist das ein Hobby, ich bin ein großer Fan von Star Trek und James Bond – und da wird es einem nicht so schnell langweilig. Aber im Ernst: Ich habe eine Strichliste angefangen, wie oft ich diese Vorträge halte, die nicht unmittelbar mit meiner Forschung zu tun haben. Seit 2010 komme ich da auf etwa 1.000 Vorträge. Aber jedes Mal bin ich gespannt auf neue Rückmeldungen, neue Fragen – das macht es tatsächlich immer wieder interessant.
Wissenschaftskommunikation
„In meinen Vorlesungen darf man auch lachen“

Sie nutzen solche Filmsequenzen aber nicht nur in Ihren Uni-Vorlesungen, sondern auch bei Auftritten vor einem Laienpublikum. Können Sie damit wirklich Leute für die Physik begeistern oder ist das ein reines Unterhaltungsprogramm?
Ich will vor allem das Nachdenken anregen und zeigen, dass Physik eine ganz wesentliche Rolle spielt – in Filmen, aber natürlich auch im Leben. Dass das, was um uns herum passiert, Physik ist. Interessant ist übrigens, dass ich in meinem Wikipedia-Eintrag als „Wissenschaftskabarettist“ bezeichnet werde. Kein Buchstabe aus diesem Eintrag stammt von mir, aber offenbar nehmen mich manche so wahr. Dabei bin ich Professor für experimentelle Physik – aber Tatsache ist wohl, dass dieses Wort „Kabarettist“ dort reingekommen ist, weil man bei mir tatsächlich während eines Vortrags auch mal lachen darf.
Sie haben auch ein Buch geschrieben, das sich mit der Physik im Fußball beschäftigt. Mit Ihrem eigentlichen Fachgebiet, der experimentellen Physik, hat das aber ja tatsächlich nur am Rande zu tun.
Ach, es gibt aber auch dafür Beispiele aus Filmen. Eines meiner Leib-und-Magen-Themen ist der Untergang der Titanic – schauen Sie, ein Modell der Titanic steht sogar hier auf meinem Schreibtisch. Und das ist ein zutiefst materialwissenschaftliches Thema. Wir untersuchen zum Beispiel mithilfe von Synchrotronstrahlen die Eigenschaften von Stählen. Das lässt sich in der Vorlesung natürlich gut auf die Titanic herunterbrechen: Hätte also ein anderer Stahl dem Eisberg standgehalten?
„Ich will vor allem das Nachdenken anregen und zeigen, dass Physik eine ganz wesentliche Rolle spielt – in Filmen, aber natürlich auch im Leben. Dass das, was um uns herum passiert, Physik ist. “
Wie reagieren Ihre Kollegen darauf?
Ich erinnere mich, dass ich einmal bei unserem Uni-Förderverein einen Festvortrag halten sollte über die Physik des Fußballs. Da ist einer meiner Kollegen, der sich jetzt schon lange im Ruhestand befindet, unter Protest aus dem Verein ausgetreten. Die Älteren heben also manchmal die Augenbrauen bei dieser Art von Vorträgen, aber in meiner Generation ist das kein Problem.
Über diese Serie
20 Jahre Communicator-Preis – Grund genug für MERTON, die bisherigen 20 Preisträger in einer besonderen Bild- und Artikelserie zu würdigen. Nicht nur der Fotograf Christian Bohnenkamp setzt die Protagonisten in stimmungsvolles Licht, auch der Autor Kilian Kirchgeßner bringt sie in seinen Texten zum Leuchten. Wer die ausdrucksstarke Bilder einmal aus der Nähe sehen will: Das Wissenschaftszentrum Bonn präsentiert die Werke voraussichtich im Sommer 2021 in einer kleinen Retrospektive.
Alle Folgen dieser Serie 20 Jahre Communicator-Preis
