Geist und Eigentum

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Illustration Jens Bonnke
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Die Begierde, anerkannt, ja berühmt zu werden, ließ seit der griechischen Antike viele nie recht zur Ruhe kommen. Wer es verstand, seine Zeitgenossen mit ungewohnten geistigen, künstlerischen oder handwerklich-technischen Leistungen zu überraschen, wurde bald allgemein beachtet und galt als Zierde seiner Stadt, ja der gesamten Kulturgemeinschaft der Hellenen. Erstaunlicherweise kamen aber weder Wissenschaftler noch Künstler, die meist sehr genau ihre Originalität einzuschätzen wussten, auf den Gedanken, ihre Werke oder Schriften eifersüchtig als ein besonders schützenwertes Eigentum auszugeben, an dem sich keiner vergreifen dürfe. Auch war es gar nicht ihr Ziel, mehr als die ihnen gebührende Anerkennung zu erhalten und etwa aufgrund ihrer Fähigkeiten reich werden zu wollen. 

Der allseits bewunderte Mathematiker und Physiker Archimedes von Syrakus, 212 vor Christus gestorben, lehnte es nicht ab, für seine Stadt auch als Ingenieur tätig zu werden, aber er ließ sich nicht dazu herbei, schriftlich zu hinterlassen, wie die von ihm ersonnenen Kriegsmaschinen auch ohne seine Anleitung und Kontrolle hergestellt werden könnten. Die Wissenschaft des Erfindens und Bauens von Geräten, wie der Historiker Plutarch berichtete, also jede praktische Verwertung seiner Erkenntnisse in der Absicht, ein gutes Geschäft mit ihr zu machen, verurteilte er als krämerhaft und unwürdig. „Er verwandte seinen Geist und sein Forschen einzig zum Schreiben über Dinge, deren Schönheit und Feinheit in keiner Weise mit dem Notwendigen vermengt war.“ Diese für die heutige Zeit völlig unverständliche und gar skandalöse Einstellung, weil ein Wissenschaftler sich dem Fortschritt verweigert und sein Tun und Treiben gar nicht als mögliches Arbeitsbeschaffungsprogramm verstehen möchte, war damals gang und gäbe. Ein anderes Verhalten hätte einen freien Mann und freien Geist um seine Ehre und sein Ansehen gebracht. 

Philosophen, die auch Naturwissenschaftler waren, überhaupt in allen Wissenschaften zu Hause, Dichter und Künstler, auch solche, die sich vornehmlich als Redekünstler darum bemühten, anderen beizubringen, sich zierlich und effektvoll auszudrücken, statt mit rohen Informationen Wissensbestände und Datensammlungen zu vermehren, mussten auf Eleganz und formale Zucht achten. Denn alles Geistige hing mit dem Göttlichen zusammen, das sich wiederum im Schönen offenbart und dem Menschen zur Freiheit verhilft, sein Leben unabhängig von den Zwängen der Berufstätigkeit zu führen und ohne Druck, seine Karriere und Gehaltserhöhungen fest im Auge zu behalten. Die griechische Polis und später das wachsende Römische Reich kannten keine Bildungspolitik. Beide kamen sehr gut ohne Experten aus. Sie verließen sich auf ihre Bürger und deren Lebenserfahrung wie Weltklugheit, erworben im öffentlichen Dienst mit seinen mannigfachen Aufgaben.

Als alles Geistige noch mit dem Göttlichen zusammenhing: Formen, Bilden und Denken als Spiel mit göttlicher Inspiration.
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Illustration: Jens Bonnke
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Das bewahrte den Staat vor einer Verschulung und Verwissenschaftlichung praktischer Zwecke und erlaubte der Wissenschaft eine nahezu vollständige Unabhängigkeit von politischem Einfluss. Bedeutende Gelehrte betonten ihre Distanz zur Politik und zum gesellschaftlichen Betrieb. Sie waren keine Angestellten oder Beamten und brauchten, weil ganz auf sich gestellt, auf keine systemrelevanten Einrichtungen Rücksicht zu nehmen, weshalb sie auch keine Förderungen und Auszeichnungen erwarteten. Künstler mussten sich bestimmten Konventionen fügen, vor allem in Verbindung mit dem religiösen Kult, der ein Staatskult war, doch wurde es sofort bemerkt, wenn sie in die herkömmliche Überlieferung geistreich eingriffen. Sie alle waren davon überzeugt, dass ihr Formen, Bilden und Denken, geistige Tätigkeit überhaupt, gar keine Arbeit sei, sondern ein freies Spiel, das reine Freude verschafft und unbezahlbar ist, weil es mit unschätzbaren Gütern zusammenhängt, wie der Fantasie und der Erfindungsgabe, mit denen sie sich den göttlichen Schöpfern annähern. Philosophen und Künstler beschenken andere, die ihnen höchstens ebenfalls mit einem Geschenk danken können, das ihren Ruhm vermehrt und den Neid anderer erweckt, unvermeidlich in einer Gesellschaft, in der jeder dazu angehalten wird, immer der Erste und Beste zu sein.

„Die griechische Polis und später das Römische Reich kannten keine Bildungspolitik. Beide kamen sehr gut ohne Experten aus. Sie verließen sich auf ihre Bürger und deren Lebenserfahrung wie Weltklugheit, erworben im öffentlichen Dienst mit seinen mannigfachen Aufgaben.“

Eberhard Straub
Historiker

Es sind uns zahllose Namen von Koryphäen erhalten, die davon künden, wie jeder um Beifall warb und wie sehr individuelle Leistungen geschätzt und gewürdigt wurden. Philosophen und  Wissenschaftler lebten von der Gastfreundschaft und den diskreten Zuwendungen ihrer Schüler in der Bildungsgemeinschaft, die nicht ohne ritualisierte Gastmähler und die durch sie gelockerte und gehobene Stimmung auskamen. In der Regel bestand ihr Unterricht aus dem, womit sie sich staunend beschäftigten und wohin ihre Gedanken sie leiteten, um sich Klarheit zu verschaffen. Sie verließen sich weitgehend auf sich und ihre geistige Fragelust und ermunterten ihre Zuhörer zum Mit- und Selbstdenken. Erst nach und nach bildeten sich feste Schulrichtungen, die sich darauf beschränkten, ihr besonderes Lehrgut zu vermitteln und bestimmte Traditionen lebendig zu erhalten. Die Originalität begnügte sich dann oft damit, einst originelle Ideen zu variieren und vorsichtig zu modifizieren. Obschon sich in dieser respektvollen Haltung eine Vorstellung von geistigen Urhebern und ihrem Eigentum bekundete, wurde sie nie als Theorie und Rechtssatz formuliert, trotz aller Eitelkeiten und des unverhohlenen Selbstbewusstseins der anerkannten und gefeierten Autoritäten.

Geistreiche Scherze mit Anspielungen und Zitaten

Römer griffen gerne, um den öffentlichen Frieden auf soliden Fundamenten zu errichten, mit Gesetzen und Regeln in das gesellschaftliche Leben ordnend ein, sie hüteten sich aber davor, das freie Reich des freien Geistes mit Paragrafen zu durchdringen. Sie sammelten Kunst, errichteten Bibliotheken und sorgten sich mit Ehrenstatuen oder Büsten um den Nachruhm der Weltweisen und Dichter, der Klassiker, die bis heute solche geblieben sind. Aber dieser pietätvolle Eifer überredete sie nicht dazu, das Lesen zu überschätzen und mit Zitaten und Verweisen eigene Texte schwerfällig und umständlich zu machen. Die meisten hielten sich an den probaten Rat, nicht was man gelesen hat, ausführlich zu behandeln, sondern über das zu schreiben, was sie zum Nachdenken anregte und zum Schreiben veranlasste. Insgesamt wandte sich jeder an Kenner, die sich gerade auch daran erfreuten, längst Bekanntes anders und vielleicht besser formuliert vorgetragen zu bekommen. Literarische Anspielungen, die zu Denksport mit Lesefrüchten in ungewöhnlicher Umgebung einluden, bereiteten eine gute Unterhaltung und schmeichelten dem Publikum, weil ein Autor ihm unterstellte, Bezüge herstellen und scheinbare Rätsel lösen zu können.

Von Plagiat war unter solchen Umständen gar nicht die Rede. Wenn jemand ausschließlich mit Vergilzitaten ein neues Gedicht schuf, das des Dichters erhabenes Pathos für pornografische Inhalte verfremdete, fühlte sich niemand dazu angehalten, einen Plagiator zu entlarven. Denn solche virtuosen Kapriolen entzückten die Kenner, die geistreiche Scherze stets willkommen hießen. Sie waren keine Pedanten und wollten auch in ernsten Zusammenhängen zuweilen amüsiert werden. Gelehrte schrieben für vornehme Weltleute. Viele unter den großen Römern, von Cicero, Cäsar über Seneca und Tacitus bis hin zu Kaisern wie Nero, Hadrian, Marc Aurel und Julian Apostata, gehörten ihrerseits zu den großen Schriftstellern, die nicht mit dem Vorwurf gelangweilt werden wollten, Stellen von anderen für ihre Zwecke verwandt zu haben. Verborgene Zitate bewiesen ja, mit den Schätzen der allgemeinen Bildung vertraut zu sein.

„Römer griffen gerne, um den öffentlichen Frieden auf soliden Fundamenten zu errichten, mit Gesetzen und Regeln in das gesellschaftliche Leben ordnend ein, sie hüteten sich aber davor, das freie Reich des freien Geistes mit Paragrafen zu durchdringen.“

Eberhard Straub
Historiker

Das Christentum änderte daran nichts. Die Kirche richtete allerdings Schulen und Universitäten ein, institutionalisierte den Unterricht und die Fortbildung. Mönche, zur materiellen Bescheidenheit verpflichtet, übernahmen die Rolle des Lehrers, des Philosophen und Wissenschaftlers, aber auch des Romanciers, der die Herzen von Damen und Herren mit Geschichten von Liebesglück und Liebesleid zu rühren vermochte. Klöster übernahmen die Rolle von ehedem philosophischen Hainen mit ihren Pavillons für unendliche Gespräche und würdigen Zeitvertreib. Die gelehrten Professoren und Schöngeister im Mönchsgewand wurden zwar gemahnt, sich weltlicher Üppigkeiten zu enthalten, aber eine geistige Selbstverleugnung konnte von ihnen gar nicht verlangt werden, wenn Christus jeden dazu aufforderte, sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Außerdem trieb die Devise: Alles Neue regt dazu an, sich nicht allzu bequem auf Wissensbeständen auszuruhen. Ist es das Neue, das aufregt und anregt, dann darf der Geist sich nicht damit begnügen, die allseits geteilten Schulweisheiten zu wiederholen, sondern muss unbetretene Pfade suchen, um in der geistigen Welt Entdeckungen zu machen und mit seiner Kühnheit und Überlegenheit andere zu ermutigen, seinem Vorbild zu folgen.  

Klöster, Orden und Universitäten wurden daher zu Stätten der Streitlust, in denen die Temperamente aufeinanderprallten und gar keinen Frieden zuließen, der als geistiger Stillstand einer besseren Annäherung an Ideen und deren Wahrheit nur im Wege gestanden hätte. Die Originalitätssucht fand immer weitere Räume, um sich dort auszuleben, aber sie wahrte den Zusammenhang mit der kulturellen Tradition. Auch der eigenwilligste Gelehrte begriff sich als Zwerg, der auf den Schultern von Riesen, den antiken Vorbildern und Autoritäten, steht. Er sieht zwar weiter als jene, aber nur, weil sie ihm Hilfestellung leisteten. Ganz abgesehen davon, dass das ingenium, die schöpferische Fantasie, von Gott gegeben wird und geistiges Eigentum trotz aller Mitwirkung des Einzelnen eine Gnade, ein Geschenk ist. Gerade Künstler, vor allem Maler und Architekten, erinnerten eindringlich daran, dass sie mit ihren Schöpfungen den göttlichen Künstler und Weltbaumeister nachahmten und mit ihrer Genialität von seiner Wahrheit und Schönheit Zeugnis ablegten. Aus diesem Grunde könnten ihre Kunstwerke gar nicht wie Arbeiten bewertet und entlohnt werden, weil unschätzbar wegen der göttlichen Funken, die ihren Geist erleuchteten.

Genialität mit Markenzeichen: Albrecht Dürer versah seine Werke mit seiner Signatur.
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Illustration: Jens Bonnke
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Der Künstler arbeitet nicht, er schafft und wirkt, wie der Schöpfer Gott, Einmaliges und Unvergleichliches. Nur Gnadengeschenke werden ihm gerecht, aber kein Lohn. Albrecht Dürer, der seine Signatur wie ein Markenzeichen einsetzte und sich, weil er wusste, wie einzigartig er ist, um kaiserliche Privilegien bemühte, die seine Werke vor Nachahmung schützen sollten – der also schon einen Begriff von geistigem Eigentum besaß –, verstand dennoch seine Genialität als Gottesgabe, die ihn von jedem Handwerker und Arbeiter unterschied. Mäzene, Fürsten, Könige achteten in diesem Sinne die Ehre und den hohen Rang ihrer Maler. Manche wurden geadelt, andere erhielten Landsitze oder Stadthäuser, einzelne wurden sogar als Diplomaten eingesetzt, um ihren Scharfsinn auch auf die Staatskunst und den Staat als Kunstwerk zu lenken.

Seltsamerweise fanden Musiker nie eine solche Anerkennung, obwohl gerade die Musik als ganz eigene Sprache Gottes galt, um den im Himmel ununterbrochen musiziert wird, da Freude und alle unaussprechlichen Seligkeiten der Töne bedürfen. Auch Monarchen betätigten sich als Komponisten oder Virtuosen, was aber nichts daran änderte, Musiker wie Handwerker und Techniker zu behandeln, deren Kunstfertigkeit erlernbar ist und deren Meisterschaft sich nicht von der anderer Handwerker unterscheidet. Unter solchen Voraussetzungen lag es nicht am Staat, wenn Urheberrecht und geistiges Eigentum zu keinen gesicherten Begriffen wurden. Die großen Künstler verstanden sich als so außerordentlich, dass rechtliche Ordnungen ihrer Bedeutung gar nicht gerecht werden konnten. Für die meisten Gelehrten, Schriftsteller, Maler oder Baumeister gab es im Übrigen genug zu tun, je mehr der Staat mit der Kirche konkurrierte und eine Fülle von Einrichtungen unterhielt – Opernhäuser, Theater, Universitäten, Akademien, Museen, Bibliotheken – die auf Personal angewiesen waren. Seit der Erfindung des Buchdrucks gab es einen Buchmarkt, der immer mehr an Bedeutung gewann, auf ihm übernahmen Zeitungen und Journale eine zunehmend wichtigere Funktion.

„Von seiner Bedeutung vollkommen durchdrungen, hielt Goethe es für eine ehrenrührige Zumutung, nicht auf exorbitante Honorare für seine ungewöhnlichen Arbeiten und Leistungen zu bestehen. Bescheiden sind nur die Lumpen.“

Eberhard Straub
Historiker

Gundlings Kampf gegen die Nachdrucke

Vornehme Herren waren auf Honorare nicht angewiesen, sofern sie sich auch als Schriftsteller betätigten. Professoren hatten ihr Auskommen. Die meisten Schriftsteller, ob als Dichter, Wissenschaftler oder als historisch geschulter Beobachter von Staat und Gesellschaft, fanden irgendwo als Beamter eine Anstellung, die sie freilich oft davon abhielt, ihrer eigentlichen Bestimmung, wie sie unzufrieden beobachteten, voll und ganz zu genügen. Die Kirche bot weiterhin allerlei geistigen Abenteurern einen Unterschlupf, ohne allzu streng auf die Rechtgläubigkeit zu achten, sofern sich ein Talent nicht allzu stürmisch auslebte und den guten Ton vernachlässigte. Kurzum, geistige Arbeit wurde seit dem 18. Jahrhundert als Arbeit entdeckt, die möglichst den Geistesarbeiter in Stand setzen sollte, von den Erträgen seiner Mühen anständig zu leben und gleichzeitig als Geist andere zu begeistern und in ihnen Gefährten zu finden, die auch daran interessiert waren, die Kultur als allgemeine Lebenskraft zu verbreitern und alle Menschen in gewissen Abstufungen zu kultivieren und dem Gemeinwohl auf diese Art zu dienen.

Werden Kultur und kulturelle Tätigkeit als nützlich begriffen, dann liegt es nahe, auch die bislang verpönte geistige Arbeit als würdig und ehrenvoll zu begreifen, ihr einen Adel zuzusprechen, da der Geistesarbeiter seinen Seelenadel bewährt, wenn er den Geist trainiert, wach und leistungsfähig hält, um erfolgreich im öffentlichen Dienst zu wirken. Der Erfolg, auch der materielle, verdrängt den Ruhm, um den sich ohnehin der Erfolgreiche nicht sorgen muss. Das führte allerdings sofort zu den Schwierigkeiten, wie sich Geist und Geld, Seele und Ware miteinander verbinden lassen. Denn Arbeit verdient angemessenen Lohn. Doch was ist bei geistiger Arbeit überhaupt angemessen? Ein geduldeter Missbrauch und damit ein anerkannter Brauch war das unerlaubte Nachdrucken von Büchern, ob gelehrten oder belletristischen, zum Nachteil der Verleger und ihrer Autoren. Wobei der Schaden für die Schriftsteller erheblicher war. Denn der Nachdrucker griff oft willkürlich in den Text ein und konnte ihn auf diese Weise entstellen und verfälschen. Deshalb unternahm der Jurist, Professor und Schriftsteller Nikodemus Hieronymus Gundling 1726 einen energischen Angriff auf die Nachdrucke, die er als schändlich und damit als unsittlich und rechtswidrig verwarf.

Der gänzlich unbescheidene Copyright-Kämpfer Goethe dachte beim Schreiben immer auch an den Broterwerb.
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Illustration: Jens Bonnke
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Verleger bemühten sich gegen Ende des Jahrhunderts die immer noch verbreiteten Hemmungen abzuschwächen, es sei unanständig beim Schreiben an den Broterwerb zu denken. Ihr Geschäft sahen sie in engster Verbindung mit der Souveränität des Autors, über seine Werke zu verfügen und in diesem Recht nicht geschmälert zu werden. Aus einer Verbindung, die bislang vornehmlich auf Vertrauen beruhte, entwickelte sich ein Rechtsverhältnis, das – wie stets unvermeidlich bei Recht und Gesetz – sofort Deutungen und Missverständnisse verursachte und damit Unverträglichkeiten schuf. Immerhin wurde nun in Zeiten, denen das Eigentum als heilig galt, geistiges Eigentum als unverletzlich anerkannt. Das ist nicht zuletzt ein Verdienst Goethes. Er lebte als gut situierter Bürger und Staatsminister sorgenfreier als die meisten anderen Schriftsteller. Ganz bürgerlich-geschäftsmäßig sprach er von seinen „Arbeiten“ und verstand sich als Geistesarbeiter. Von seiner Bedeutung vollkommen durchdrungen, hielt er es für eine ehrenrührige Zumutung, nicht auf exorbitante Honorare für seine ungewöhnlichen Arbeiten und Leistungen zu bestehen. Bescheiden sind nur die Lumpen.

Gemäß dieser Devise erhob er die Ausgabe letzter Hand seiner sämtlichen Werke zu einer Staatsangelegenheit. Sein Verleger Johann Friedrich von Cotta erklärte dies Unternehmen zum „Nationaldenkmal“. In diesem Sinne wandte sich Goethe 1825 an den Bundestag in Frankfurt und an alle Staaten des Deutschen Bundes, jeden unerlaubten Nachdruck seiner Werke bei Strafe zu verbieten. Diese Ausgabe sollte auch die Grundlage für alle Übersetzungen sein und für die wissenschaftliche Beschäftigung mit seinen Arbeiten. Er wünschte eine möglichst unbefristete Dauer oder wenigstens eine fünfzigjährige Gültigkeit dieses Privilegs als Gesetz. Bei den jeweiligen Verhandlungen zur Verlängerung des Vertrages mit dem Verlag behielt er sich und seinen Erben das Recht vor, neue Honorare zu vereinbaren oder den Verlag zu wechseln. Ihm ging es darum, sich „einen anerkannten geistigen Besitz“ zu sichern und „für so mannigfache Arbeit proportionierten Vorteil und Belohnung zu erhalten“. Er erhielt, was er verlangte.

Seine Zeitgenossen reagierten recht verstimmt auf seinen unverhohlenen „Materialismus“. Erst allmählich begriffen sie, dass, was recht für Goethe war, billig für alle anderen sein müsse, nicht nur für Schriftsteller, sondern auch für Gelehrte, Techniker, Musiker und Künstler. Die Souveränität des Autors oder Urhebers hatte Anerkennung gefunden. Damit verbunden war nun aber auch das Eindringen von Urheberrecht, Verlagsrecht, Patentrecht, Aufführungsrecht und weitere Rechte und Unrechtserklärungen wie etwa des Plagiates in das freie Reich des Geistes. Es waren soziale Sicherheiten gewonnen worden, aber zugleich ergaben sich Unsicherheiten über die Grenzen der Meinungs- und Lehrfreiheit sowie der künstlerischen Freiheit. Auf einmal waren es Gesetze und Richter, die über die Freiheit wachten oder systemrelevante Kräfte, die vom flatterhaften Geist bewegte „Kulturschaffende“ mahnten, sich stets ihrer Verpflichtungen in der „Verantwortungsgemeinschaft“ bewusst zu bleiben. Die Verrechtlichung schuf neue Spannungen, die immer weitere Rechtssetzungen erforderten, die das geistige Eigentum in der immer raffinierteren technischen Verwertungswelt allerdings wieder verdunkeln oder gar zum sozialen Ärgernis machen können.

Eberhard Straub ist Historiker und Publizist. Seine bekanntesten Werke beschäftigen sich mit den Wittelsbachern, dem Hamburger Reeder Albert Ballin oder der Geschichte Preußens. Von 1991 bis 1997 war Straub Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des Stifterverbandes. 

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