Open Elfenbeinturm

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Illustration: Irene Sackmann
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Wissenschaft soll offen sein! Die Wissenschaftler sollen gemeinsam forschen und für die Menschheit nützlich sein! Große Ideen, das haben Ausschusspolitiker erkannt, lassen sich nur mit weltweit verteilten Teams und Forschern aus verschiedenen Wissenschaftsgebieten verfolgen! Projekte sollen länderübergreifend abgewickelt werden, damit die ganze Welt in die Forschung eingebunden ist. Daten sollen allen Menschen zur Verfügung stehen. Frauen sollen einen größeren Anteil haben und die Zentren der Aktivitäten müssen in Wahlkreisen von Ministern liegen.

So weit der Forderungskatalog, der mit den Jahren immer neue Punkte enthält, die ganz bestimmt noch zusätzlich erfüllt werden müssen. Eine weltweite „Scientific Community“ soll alles richten! Diese Idee gibt es schon lange unter dem Begriff der „Gelehrtenrepublik“, die in ihrer Gesamtheit als eine Art Elite das Volk in Ethik- und Vernunftfragen anführt. Ich stelle einmal meinen eigenen Eindruck in den Raum: Es tut sich nicht so viel. 

Wissenschaftler sind zu stark ihrem Fach verhaftet, weil sie sonst keine Karriere machen: Man macht sich in einem Kernfach einen Namen, nicht diffus zwischen mehreren Fächern – und die Fakultäten sind eben Fakultäten für einen einzigen Fachkomplex. Daten werden kaum ausgetauscht, Vorlesungsskripte erscheinen selten im Netz. Denn: „Was sagen meine Kollegen, was sagt die Scientific Community, wenn nicht alles perfekt ist?“ Länderübergreifend? Warum? Soll man Sprachbarrieren überwinden und Reisekosten aus eigener Tasche bezahlen – wozu?

Was also tun? Ich stelle hier kurz zwei Konzepte gegeneinander:

  • Push-Konzept: „Die Regierung“ (was immer das ist) erarbeitet ein Zielbild, plant Maßnahmen zur Umsetzung und beeinflusst die Scientific Community entsprechend. Unternehmen denken sich analog ein Produkt aus und drücken es durch Marketing und Vertrieb in den Markt. 
  • Pull-Konzept: „Die Regierung“ stellt Infrastrukturen bereit, die der Scientific Community die Forschung erleichtern (Daten-Clouds, IT und Software, Anerkennungssysteme für interdisziplinäre Forschung etc.), und „lockt“ damit die Scientific Community, sich dieser Infrastrukturen zu bedienen. 
Gunter Dueck (Illustration: Irene Sackmann)
Gunter Dueck (Illustration: Irene Sackmann)
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Direct Dueck

Gunter Dueck besitzt die Gabe, einen in innere Jubelstürme ausbrechen zu lassen. Das gelingt ihm, wenn man ihn als Vortragenden auf der Bühne erlebt, aber auch mit seinen Texten und Büchern, mit seinen Interviews. Er schafft es auf ganz außergewöhnliche Weise die Dinge auf den Punkt zu bringen: Oft schleicht er sich erst an ein Thema heran, um dann umso hartnäckiger ein Problem herauszuarbeiten. Seine Thesen trägt er zumeist ruhig und gelassen vor, und doch sind sie oft – das merkt man manchmal erst später – messerscharfe Fallbeile. Dann erheben sich – siehe oben – die inneren Jubelstürme. Und oft jubeln ihm die Menschen nicht nur innerlich zu: Auf großen Tagungen wie der re:publica ist er ein unumstrittener Star. Umso schöner, dass er das MERTON-Magazin mit einer regelmäßigen Kolumne bereichert. Er nennt sie „Direct Dueck“, was auf ein paar schöne scharfe Fallbeile in Textform hoffen lässt. 

Alle MERTON-Kolumnen von Gunter Dueck

„Wissenschaftler sind zu stark ihrem Fach verhaftet, weil sie sonst keine Karriere machen.“

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Gunter Dueck (Foto: Michael Herdlein)
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Gunter Dueck
Autor und Mathematiker

Zwischen Himmel und Hölle

Ein Push-Konzept erzwingt eher, ein Pull-Konzept „lockt“; Ersteres droht mit der Hölle, Letzteres verheißt den Himmel. 

Wenn Unternehmensbosse und Minister mit neuen Förderkonzepten oder Innovationsmanagementvorgaben drohen, ereilt sie fast immer die Kritik, den Kunden nicht zu verstehen, hier: den konkreten Wissenschaftler zu ignorieren. Der Wissenschaftler soll interdisziplinär forschen, aber wie? Mit wem? Woher bekommt er Kontakte außerhalb seines Fachs? Warum soll er zum Beispiel unbedingt paritätisch Nord- und Südeuropäer im Team haben? Warum soll er bei Megaprojekten ein klitzekleines Teil-Teil-Teil-Projektchen einreichen, das zwar finanziell gefördert wird, ihm aber keine Meriten für eine Lebenszeitstelle einbringt? Warum darf er sich nur brennend für etwas interessieren, was in jährlich wechselnden Förderrichtlinien erfunden wurde? Soll er tatsächlich Teil einer Scientific Community sein, wie sie sich ein paar fachfremde Politiker ausgedacht haben? Das will er nicht. Deshalb zwingt man ihn (zwingen wie „push“): Es gibt nur Fördermittel, wenn und wenn und wenn. Er muss Antragslyriker werden und Exzellenzwissenschaftler im Sinne des Antrags – er hat immer weniger Zeit zum Forschen an sich. Die besten Forscher haben so viel Projektmanagement um die Ohren, dass sie die Forschung an zweitklassige Assistenten übergeben ... 

Ich überzeichne das alles, ja. Aber schauen Sie doch auf dieses Jammertal, das die Push-Konzepte der letzten Jahrzehnte über die Wissenschaft gebracht haben, ohne irgendein Ziel zu erreichen. Dummheit ist, immer dasselbe zu tun … Wir alle wissen das. Warum nicht „pull“? Ich skizziere kurz drei Pull-Möglichkeiten:

  • forschungsfördernde Infrastrukturen statt Zwang-Förderrichtlinien,
  • Neuerfindung der Bewertung von Forschungen,
  • Offene Menschen braucht das Land!

​Notwendigkeit von Infrastrukturen: Onlineunis brauchen Vorlesungen in der Cloud, Contentmanagement, Media-Creation-Teams, Zeichner, Grafiker etc. „Online“ bedeutet nicht einfach, eine Kamera vor einen mittelmäßigen Professor zu halten. Warum hat die Universität keine Großabteilung für Medienerstellung neben den Fakultäten? Warum keine wirkliche Star-Softwareentwicklungsdivision? Wissenschaftler brauchen Daten. Woher nehmen, wenn zum Beispiel Patientendaten so gut wie geheim sind? (Das behindert so sehr, dass es implizit viele Menschen tötet.) 

Innosci - Forum offene Innovationskultur

innOsci ist das neu gegründete Forum für offene Innovationskultur. Es wird vom Stifterverband mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) organisiert. Das Forum versteht sich als Plattform, Think Tank und Experimentierraum für eine neue, offene Innovationskultur und will die Diskurse dazu bündeln. 

innOsci unterstützt die strategische Öffnung von Forschung und Innovation in Deutschland. Dies gelingt durch Dialog und Umsetzungsimpulse, gemeinsam und sektorenübergreifend entwickelt mit Experten und Praktikern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik.

Zur innOsci-Website

„Warum hat die Universität keine Großabteilung für Medienerstellung neben den Fakultäten? Warum keine wirkliche Star-Softwareentwicklungsdivision? “

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Gunter Dueck (Foto: Michael Herdlein)
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Gunter Dueck
MERTON-Kolumnist

Ich will sagen: Für größer angelegte Wissenschaft und „neue Lehre“ braucht es große Prozente professioneller Mitarbeiter außerhalb der Forschung, die sich mit Datenpflege, Softwareentwicklung, Medienerstellung, Problemaufarbeitung, Maschinenbau, Verbindung zur Industrie und zu „Kunden“ etc. beschäftigen. Diese Jobs sind von vorneherein keine Wissenschaftlerjobs, diese Mitarbeiter werden nicht Professor. Wissenschaft höherer Größenordnung braucht Infrastrukturen und hochprofessionellen Service … 

Ratingagenturen für Wissenschaft: Heute werden Forschungsleistungen daran gemessen, dass sie in angesehenen Fachzeitschriften publiziert werden. Das Ansehen einer Fachzeitschrift misst man durch einen „Impact Factor“ (IF). Man bewertet also eigentlich die Fachzeitschriften nach der durchschnittlichen Qualität ihrer Publikationen. Das führt dazu, dass der opportunistische Forscher nach etwas sucht, was zu einer Fachzeitschrift passt. Das fördert einen fachengen Tunnelblick. Interdisziplinäre Anwendungsforschung „passt nicht“ in ein Spezial-Journal. Vorschlag: Wir gründen Ratingagenturen, die eine Bewertung übernehmen. Ich weiß, was dazu die Fachverlage sagen, aber wir müssen aus der Enge heraus. 

Offene Menschen für offene Forschung: Push-Konzepte fördern Fachidioten, Spezialisten, Stromlinienförmige, Linientreue, Fördergeldexperten. In der Wissenschaft nennt man diese Tendenz Elfenbeinturm, in der Wirtschaft „leistet man sich“ ein paar Forscher zum Vorzeigen, macht aber alles wirklich Neue durch rigoroses Push-Innovationsmanagement platt. All das erstickt alle Tendenzen zur Offenheit. Raus! Raus!

Push-Konzepte verteilen nur Geld, um zu zwingen statt zu fördern. Die Chefetagen dieser Tage stehen ebenso unter Beschuss. Sie betreiben „command and control“; sie zwingen, aber sie fördern nicht. Diese Problematik kann man als Wurzel der Innovationsschwäche hierzulande sehen. Bosse von Konzernen reiben sich die Augen, was Start-ups an der Börse wert sind. Die Börse wirkt als Ratingagentur der Innovatoren. Was ist viel wert? Das wirklich Neue, das die Konzernchefs nicht würdigen können. So ist das in der Wissenschaft auch, die zu sehr auf das Fachenge schaut. Sie sieht am wirklich Wichtigen vorbei.

Pull! Pull!

 

 

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