Politisch korrekte Sprache

Peter Eisenberg
Peter Eisenberg (Illustration: Irene Sackmann)
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Politisch korrekte Sprache meint ursprünglich (in den USA etwa seit Mitte der 80er-Jahre) eine Reduzierung des zur Verfügung stehenden Wortschatzes. Unter der Voraussetzung, dass Wortgebrauch auf die eine oder andere Weise Denken und Wahrnehmung von Sprechern anzeigt oder gar ändert, verfolgt eine Reduzierung des Wortschatzes Vermeidungsstrategien: Wer ein diskriminierendes Wort nicht verwendet, diskriminiert auch nicht. Gegenwärtig stehen in diesem Zusammenhang Rassismus, Sexismus, Antiislamismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Umgang mit Behinderungen im Fokus. Bei Letzteren geht es neben Wörtern auch um Grammatik. Vermeidung von Diskriminierung war als Ziel politisch korrekter Sprache lange Zeit hindurch dominant entsprechend der Maxime, jeder solle nach seiner Fasson leben und glücklich werden können.

Der Ansatz hat während der vergangenen etwa 20 Jahre grundlegende Veränderungen erlebt, vor allem durch die Forderung, betroffene Personengruppen müssten nicht lediglich das Recht haben, ohne Diskriminierung zu leben, sondern sie müssten gleichzeitig als Mitglieder der jeweiligen Gruppe sichtbar sein. Für den Wortschatz bedeutet das nicht allein eine Reduzierung des Vokabulars um diskriminierende Wörter, sondern es bedeutet ebenso die Einführung von neuen Wörtern, die geeignet sind, betroffene Personengruppen in allen erwünschten Hinsichten angemessen zu bezeichnen. So sind die Kampagnen zu politisch korrekter Sprache inzwischen breit gestreut und haben aus mehreren Gründen zu heftigen Auseinandersetzungen geführt.

  • Viele Kampagnen werden nicht oder nicht in erster Linie von Betroffenen, sondern von außenstehenden Personen betrieben, die behaupten müssen, ihnen sei bekannt, wer in welcher Hinsicht diskriminiert sei. Wer dieser ihrer Einsicht nicht folgt, wird als konservativ und häufig als reaktionär bezeichnet. Wer ihr folgt, gilt nicht selten als Befürworter von Sprachzensur.  
  • Eine große Rolle in Debatten über sprachliche Diskriminierung spielt die Frage, wer diskriminiert ist und wer sich tatsächlich oder vermeintlich diskriminiert fühlt. Mit Betonung der subjektiven Seite von Diskriminierung zieht einerseits der Anspruch in die Debatte ein, man wolle über Diskriminierung aufklären, aber andererseits der Vorwurf, hier werde Diskriminierung manipulativ behauptet. 
  • Regelmäßig gibt es Streit über die Verbindlichkeit von Sprachleitfäden für Behörden, Universitäten, Stadtverwaltungen und so weiter, die selbstverständlich als reine Empfehlungen ausgewiesen sind. Bei näherem Hinsehen erweisen sie sich jedoch fast immer als durchaus mit Sanktionen und sozialem Druck bewehrt. Dann ist von Sprachzwang oder eben von Zensur die Rede. 
  • Zu beklagen ist immer wieder, dass professionelle Sprachnormierer (etwa in der Position von Gleichstellungsbeauftragten) über wenig Sprachwissen verfügen und Dinge festlegen, die sprachimmanent unhaltbar sind. So teilt die Broschüre der Stadtverwaltung Hannover mit, ihr Ziel sei die Abschaffung von Maskulina, führt aber aus Unkenntnis mehr Maskulina ein, als vorher vorhanden waren.
Peter Eisenberg
Peter Eisenberg (Illustration: Irene Sackmann)
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Spracharbeit

Dem Sprachwissenschaftler Peter Eisenberg geht es seiner Kolumne Spracharbeit weniger um die eigene Behauptung im Diskurs, sondern eher um die Sprache selbst. Bevor gewertet wird, geht es erst einmal um das, was man heute über diese Gegenstände weiß, also um Tatsachen. In diesem Sinn möchte die Kolumne zur Aufklärung über den Zustand des Deutschen beitragen. Im Großen und Ganzen wird sich zeigen, dass diese Sprache sich in hervorragender Verfassung befindet. Was nicht heißt, dass es nichts an ihrem Gebrauch zu kritisieren gäbe. Immer bitten wir die Leserschaft um etwas Geduld. Die Sprache ist nun einmal kein ganz einfaches Gebilde, erschließt sich aber doch viel eher, als die verbreitete Furcht vor ein wenig Grammatik erwarten lässt. Und dann geht von ihr eine Faszination aus, die ihresgleichen sucht.

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  • Aus sprachwissenschaftlicher Sicht leidet die Debatte aber vor allem darunter, dass es im Deutschen wie in natürlichen Sprachen überhaupt im Prinzip keine diskriminierenden Wörter, sondern nur einen diskriminierenden Wortgebrauch gibt. Dieses Faktum überschreibt alle anderen Gesichtspunkte, kann aber an dieser Stelle mit einigen wenigen Beispielen plausibel gemacht werden.

 

„Wer einer Sprache Wörter nimmt oder aufzwingt, vergreift sich autoritär an ihrer Ausdruckskraft.“

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Peter Eisenberg (Foto: Jürgen Christ)
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Peter Eisenberg
Linguist

Nehmen wir uns etwas Zeit und Raum für eines der ganz bekannten und besonders betroffenen Wörter, nämlich Ausländer. Sein Stamm Ausland wird manchmal in Zusammenhang gebracht mit Elend. Beide haben etymologisch nichts miteinander zu tun, wohl aber in der Bedeutung, denn, so schreibt der „Grimm“ über Elend, „urbedeutung dieses schönen, vom heimweh eingegebnen wortes ist das wohnen im ausland“. Das Ausland ist die Fremde, gesehen aus dem Herkunftsland des Ausländers. 

Das Wohnen im Ausland kannte man laut Grimmschem Wörterbuch als „Elend“. Eine kleine Gemeinde im Harz heißt so.
Ortsschild Elend
Ortsschild von Elend im Ostharz (Foto: Michael Sonnabend)
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Von dieser semantischen Aufladung ist das Wort seit Langem getrennt. Es wird alltäglich und etwa in einschlägigen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB), Ausländerzentralregister (AZR), Statistisches Bundesamt) in zahlreichen Varianten und Zusammensetzungen ohne Nebensinn verwendet. Ausländerfeindliche Parolen gibt es seit Langem, wirklich auf das Wort abgefärbt haben sie aber erst mit Aktionen wie der des Berliner Anglisten Anatol Stefanowitsch aus dem Jahr 2016, die dazu aufrief, die Parole „Ausländer raus“ durch „Refugees welcome“ zu ersetzen. Im Glossar der Neuen Deutschen Medienmacher (NdM), einer von der Bundesregierung finanziell unterstützten Gruppe von Journalisten, die sich insbesondere der politisch korrekten Sprache im Umgang mit Migranten widmet, heißt es dann, das Wort bezeichne „Einwohner*innen ohne deutsche Staatsbürgerschaft“, es klinge jedoch nicht nach jemandem, „der […] den Lebensmittelpunkt in Deutschland hat“. Das Wort wird so aus der Warte politischer Korrektheit stigmatisiert und der Leitfaden für Mitarbeitende der Berliner Verwaltung zum diversitysensiblen Sprachgebrauch vom September 2020 ersetzt es genau in diesem Sinn durch Einwohnende ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Es soll vom Gebrauch ausgeschlossen werden, weil man die ihm innewohnende Perspektive auf das Herkunftsland nicht dulden möchte. 

Auf die beschriebene Weise wird ein Wort als solches angegriffen, egal, wo es auftaucht. Viele Presseberichte über den Leitfaden des Justizsenators haben Überschriften wie „Sage nie wieder Ausländer“. Die Stigmatisierung zeigt Wirkung. Irgendwann werden wir das Wort verlieren.

Vor der Sprache sind alle Sprecher gleich

Zur Illustration ein weiteres, ganz beliebiges Beispiel. Ein Germanistikprofessor streitet mit einem Bauingenieur darüber, wann einem Sterbenden Organe entnommen werden dürfen. Der Ingenieur sagt, das sei nach dem Hirntod möglich. Man brauche eine klare Regelung und Hirntod sei feststellbar. Der Professor spricht lange über Aspekte der Bedeutung von Leben und meint dann, was sein Gesprächspartner sage, sei typisch für Ingenieursdenken. Diese Leute seien gar nicht in der Lage, mit der Komplexität eines Sterbevorgangs sprachlich umzugehen. Nach zehn Minuten Zuhören meint der Ingenieur, sein Gesprächspartner rede lange, sage aber nicht viel. Das sei er wohl gewohnt, denn es sei typisch für einen Professor. Innerhalb kurzer Zeit haben die beiden es geschafft, die Wörter Ingenieur und Professor diskriminierend zu verwenden.

Fazit: Nicht Wörter sind diskriminierend, sondern ihr Gebrauch kann es sein. Das führt zu einem Dilemma, das uns bei politisch korrekter Sprache immer wieder begegnet: Wer einer Sprache Wörter nimmt oder aufzwingt, vergreift sich autoritär an ihrer Ausdruckskraft. Das gilt sogar und ausdrücklich auch für Wörter wie Endlösung, Sonderbehandlung, Gleichschaltung oder Ermächtigung. Und Rasse wird gerade mit guten Gründen aus dem Grundgesetz gestrichen, bleibt aber ein Wort unserer Sprache, obwohl es Rassen des Homo sapiens gar nicht gibt. Ganz entgegen diesem Befund haben wir ja Rassismus zu einem Schlüsselwort im Kampf gegen sprachliche Diskriminierung gemacht. 

Die Folgerungen für einen bewussten und angemessenen Sprachgebrauch sind ebenso einfach wie unhintergehbar: Alle, wirklich alle Sprecher sind vor der Sprache gleich und haben ein Recht auf die volle Ausdruckskraft ihrer Sprache. Man wäre einen Schritt weiter, könnten wir uns für den öffentlichen Diskurs auf diese Wahrheit verständigen. 

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