Im Deutschen gibt es Dutzende von Verben, die kognitive oder psychische Tätigkeiten und Zustände bezeichnen, zum Beispiel vermuten, zweifeln, staunen, sich wundern, wissen, sich erinnern und vergessen. Wenn man über den Gesamtbestand von allgemein gebräuchlichen Verben dieser Art und ein sinnvolles System zu ihrer Klassifizierung verfügt, lassen sich interessante Aussagen über den Benennungsbedarf in unserer Sprache machen. Was wollen wir mit einem einfachen Wort benennen, wo müssen wir andere sprachliche Mittel verwenden? Auch die Beschreibung einzelner Verben oder ein genauer Vergleich von Paaren wie glauben und zweifeln oder staunen und sich wundern ist höchst interessant.
Zu den Eigenheiten solcher Verben gehört, dass sich viele Seiten ihrer Bedeutung unmittelbar in den Feinheiten ihrer Grammatik spiegeln und dass man dabei durchaus überraschende Dinge sieht, die man eigentlich nicht vermutet. Wir betrachten unter dieser Perspektive das Verb vergessen, ein Verb der Alltagssprache, das aber ebenso in zahlreichen anderen Varietäten des Deutschen vorkommt, eingeschlossen Fachwortschätze etwa der Psychologie und der Kognitionswissenschaft. Dem Wortkörper lässt sich nicht viel über die Bedeutung entnehmen. Das Präfix ver- passt zwar gut zu Verben wie versinken, vergehen, verlassen oder vermeiden, aber der Stamm -gessen ist isoliert. Ähnlich wie bei verlieren, verletzen, versehren und verdauen hat die Gegenwartssprache den Stamm als selbstständigen verloren, ihn jeweils nur im komplexen Wort bewahrt. Eine morphologische Analyse ist möglich, sie führt aber nicht dazu, dass die Bedeutung des komplexen Stammes aus den Bedeutungen seiner Bestandteile hergeleitet werden kann.