Wissen zugänglich machen
Müsste man ein Mantra für die Aufklärung formulieren, könnte es beispielsweise so lauten:
Müsste man ein Mantra für die Aufklärung formulieren, könnte es beispielsweise so lauten:
„Wir glauben nicht, wir forschen, um zu wissen.“
Das Ergebnis der Forschung ist die Erkenntnis. Jede gewonnene Erkenntnis soll fortan nicht irgendwo in Klöstern, Silos oder Servern versteckt werden, sondern bestmöglich dezentral, für alle zugänglich und sichtbar zur Verfügung gestellt werden. Zum Beispiel in einer ersten analogen Form der Wikipedia, der 1728 vom englischen Schriftsteller Ephraim Chambers veröffentlichten Cyclopaedia. Somit sind für mich Forschung und Wissensvermittlung untrennbare Bestandteile der Wissenschaft. Wissen schaffen bedeutet, Wissen zu teilen. Egal ob auf Papier oder strombetriebenen Siliziumkristallen.
Ich bin dem Phänomen Fake News auf eine kleine Art und Weise sehr dankbar. Es lässt uns über Manipulation nachdenken und reden. Wir öffnen uns dem Themenfeld der Desinformation und Propaganda. Einen derartig breiten und intensiven Diskurs hätte ich mir beispielsweise schon nach der unsäglichen Fake-Infografik-Show von Colin Powell vor der Uno gewünscht. Die derzeitige aktuelle Omnipräsenz von Fake News weckt, bei all dem Ärger, zugleich auch immer einen Bedarf an Aufklärung – von der es, von mir aus, gar nicht genug geben kann.
Egal ob man Fake News nun als Gerüchte, Hoaxes, Falschmeldungen, Ideologien, Dogmen, Legenden, Mythen oder Propaganda bezeichnet, der inhaltliche abstrakte Kern bleibt dabei stets konstant. Informationen beeinflussen unser Denken. Unser Denken bestimmt unser Handeln. Wenn dem so ist, dann sind Informationen wirkmächtiger als reine Worte. Sie schaffen Realität – und sind natürlich auch immer ein potenzielles Herrschaftsinstrument. Fake News sind ein Werkzeug der Herrschaft, das es zu durchschauen, zu begreifen und handzuhaben gilt.
Ein Mensch, der den Zusammenhang von Desinformation und Macht sehr früh erkannt hat, heißt Roger Stone. Mr. Stone ist ein US-amerikanischer Wahlkampfstratege und Machiavelli-Fanboy. Er wird in den USA als der Erfinder von Schmutzkampagnen und professionellem Lobbyismus gehandelt, worauf Stone selbst unfassbar stolz ist. Die sehenswerte Netflix-Dokumentation „Get me Roger Stone“ porträtiert schonungslos offen einen zynischen alten Mann, der bereits als junger Student tief in den Wahlkampf von Richard Nixon involviert war (Fun Fact: Er hat sich später sogar Nixons Konterfei auf den Rücken tätowieren lassen). Er gilt als Präsidentenmacher, sowohl von Ronald Reagan als auch von Donald Trump. Beides gelang ihm übrigens mit dem gleichen strategischen Ansatz, einer ähnlichen Wahlkampftaktik und einem völlig identischen Slogan: „Make America great again.“
Es geht für Akteure wie Stone nur noch darum, zu gewinnen, bestehende Gesetze zu biegen oder zu umgehen und stets die Deutungshoheit und den Diskurs zu erobern und das Beste für sich und sein Netzwerk herauszuholen. The winner takes it all. Keine Gnade für die Kontrahenten. Kein Mitleid für die Verlierer in diesem Spiel.
Dokumentationen wie diese sind ebenfalls ein Teil der Aufklärung rund um das Thema Fake News. Zuschauer lernen viel Meta über die Mechanismen von Fake News und nebenbei lernen sie noch die Akteure kennen. Sie lernen zu verstehen, wie Informationen eingesetzt werden, um Macht zu erlangen, sie zu sichern und entsprechend auszuschöpfen.
An dem Punkt also, wo sich ein gesellschaftlicher Diskurs intensiv über die Wirkweise von Information und Desinformation Gedanken macht, wird Forschung begonnen, werden wichtige neue Hypothesen formuliert, Denkanstöße gegeben, Erkenntnisse geteilt und diskutiert. Man könnte das Phänomen Fake News also als aktivierenden, weil ernst zu nehmenden Stresstest für eine offene und aufgeklärte Gesellschaft betrachten. Man (oder natürlich auch immer frau) könnte diese Krise als Chance begreifen und Wissenschaft und Journalismus wieder zurück zu ihren ursprünglichen Wurzeln der Aufklärung führen – jenseits der rein ökonomischen Interessen in Form von Drittmitteln oder Werbegeldern.
Die Auseinandersetzung mit Fake News hält heute viele Journalisten und Wissenschaftler dazu an, etwas gründlicher zu arbeiten und sich selbst auch mal mutig kritisch zu reflektieren. Auf der anderen Seite sollten Wissenschaftler und Journalisten nun die Stimme erheben, um mehr Zeit und Geld für ihre gründliche Arbeit, welche zu mehr Vertrauen führt, zu verlangen.
„Das einzig gangbare Antidot gegen Desinformation ist seit vielen Jahrhunderten die Haltung der Aufklärung an sich: Neugier, Skepsis, Forschung und Wissensvermittlung.“
Die Beschäftigung mit Fake News hält Regierungen auf Trab, die sich der Demokratie verschrieben haben. Sie sind vielleicht nun bemühter darin, ihre Bevölkerung, den Demos, sorgfältiger und transparenter zu informieren und komplexe politische Prozesse genauer und einfacher zu erklären. Also in einer aufklärerischen Haltung das vorzuleben, was man sich eigentlich wünscht: Klarheit. Und in logischer Konsequenz führt das Phänomen Fake News uns allen vor Augen, dass die Welt aus vielen verschiedenen Perspektiven betrachtet werden muss und wir dann immer noch nicht die absolute und objektive Wahrheit vor Augen haben.
Und da ich ein großer Fan von Karl Poppers kritischem Realismus bin, betrachte ich den Falsifikationismus, also die Bestrebung, eine Behauptung zu widerlegen und nicht zu beweisen, als wichtigstes Werkzeug, um Desinformation entgegenzuwirken. Wissenschaft und Journalismus sollten sich demnach weniger darauf konzentrieren, die Welt zu beschreiben, wie sie ist (denn das wird ihr nie gelingen), sondern vielmehr aufzeigen, wie sie eben ganz bestimmt NICHT ist.
Zum Schluss bleibt mir wie immer nur der Appell an die Wissenschaft, sich den gegenwärtigen und neuen Medien stärker zu öffnen. Die Wissenschaftskommunikation ist heute mehr denn je dazu aufgefordert, ein Gegengewicht zum Unsinn in den sozialen Medien zu bilden. Wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse rund um Fake-News-Themenfelder wie Impfdebatte, Migration oder historische Zusammenhänge müssen anschlussfähig vermittelt werden. Auf allen Kanälen. In allen Sprachen und in vielfältiger Ästhetik.
Und pst, lieber Leser: Wenn schon vom Zeitalter der Ich-Medien die Rede ist, so besteht bei mir immer noch die Hoffnung, dass auch die Eigenverantwortung der Social-Media-User auf den Plan gerufen wird. Aus meiner Sicht sind nämlich alle Aktivitäten in den öffentlichen sozialen Netzwerken von publizistischer Natur. Jeder Like, jeder Share, jeder Retweet ist in meinem Verständnis bereits ein publizistischer Akt und unterliegt damit einer gewissen Verantwortung. Der Konsument wird zum Prosument. Die Grenzen zwischen Journalismus und Meinung verschwimmen. Das Trendthema Fake News trägt am Ende vielleicht auch dazu bei, Medienkompetenz zu entwickeln. Teile ich unhinterfragt Informationen? Ist diese Meldung oder Quelle glaubwürdig? All das mündet hoffentlich durch Aufklärung in einen mündigeren Bürger. Also, wie sieht es aus? Teilst du noch oder denkst du schon?