Ausbildungsqualität
verbessern

Masterplan: Lehrkräftebildung neu gestalten

 

Die Ausbildung von Lehrkräften entspricht in mehrfacher Hinsicht nicht den gebotenen Professionalisierungserfordernissen. So gelingt es bisher kaum, die Studieninhalte zu einem kohärenten und professionsorientierten Curriculum zu verbinden. Die Bedeutung der Fachwissenschaften, die quantitativ den größten Anteil des Lehramtsstudiums darstellen, ist zwar unter Expertinnen und Expertenunbestritten; für Lehramtsstudierende ist deren Sinnhaftigkeit jedoch häufig nicht immer ersichtlich. Obwohl die Praxisanteile des Studiums in den vergangenen 20 Jahren stark ausgebaut wurden, hat sich die Klage der Lehramtsstudierenden über unzureichende Praxisbezüge kaum abgeschwächt.

Die Erstausbildung (Studium und Referendariat) ist im internationalen Vergleich recht lang, da dort nahezu alle Kompetenzen erworben werden sollen, mit denen Lehrkräfte im Laufe ihres Berufslebens konfrontiert werden. Dennoch werden wichtige Future Skills bisher nicht systematisch vermittelt; und auch zentrale neue fachliche und pädagogische Inhalte (zum Beispiel Inklusion, Multiprofessionalität) finden zu langsam Einzug in die Lehrkräftebildung.

Eine Stärkung der Kohärenz von erster und zweiter Phase, die Ermöglichung individueller Studienprofile und verstärkte wechselseitige Theorie-Praxis-Bezüge würden die Professionalisierung des Lehramtsstudiums  steigern und könnten vermutlich auch den hohen Schwundquoten im Lehramtsstudium entgegenwirken.

 

Professionsrelevanz der Studieninhalte stärken

Der starke Wissenschaftsbezug im Lehramtsstudium ist eine der Stärken der Lehrkräftebildung in Deutschland, die nicht grundsätzlich zur Disposition gestellt werden sollte. Allerdings werden die fachwissenschaftlichen Veranstaltungen aus einer forschungsorientierten Perspektive angeboten. Der schulische Kontext wird dabei zu wenig beachtet und die professionellen Bedürfnisse der zukünftigen Lehrkräfte vernachlässigt. Dies gilt insbesondere für fortgeschrittene fachwissenschaftliche Lehrveranstaltungen in den MINT-Fächern, in denen Lehrkräfte eine andere Wissenschaftlichkeit entwickelt müssen als für zukünftige Forschende.

Studierende können schon früh im Studium ein ausgeprägtes Professionsbewusstsein entwickeln, wenn die Fachwissenschaften einen deutlichen Professionsbezug aufweisen, die Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften gestärkt sind und alle drei Bezugswissenschaften in einem kohärenten Verhältnis zueinanderstehen. Auch die Schwundquoten im Studium könnten dadurch reduziert werden.
 

Folgende Maßnahmen sind dafür geeignet:

verantwortlich für die Umsetzung:

15. Spezifische fachwissenschaftliche Lehrveranstaltungen für Lehramtsstudierende anbieten 
Die Schere der verschiedenen Professionen öffnet sich vor allem in fortgeschrittenen theoretischen Veranstaltungen und ist in den MINT-Fächern besonders ausgeprägt. Hier sollte daher zuerst angesetzt werden. 

Studiengangsleitungen

16. Integrierte fachdidaktische und fachwissenschaftliche Lehrveranstaltungen/Module konzipieren

Studiengangsleitungen

17. Professuren für alle Fachdidaktiken einrichten
Jede Fachdidaktik soll mit mindestens einer Professur pro Hochschule vertreten sein. Dies sollte eine zwingende Voraussetzung dafür sein, Lehramtsstudiengänge in dem betreffenden Fach anbieten zu können, und bei der Akkreditierung überprüft werden.

Wissenschaftsministerien der Länder,
Universitäten

18. Lehrende in der Fachdidaktik zu einer parallelen Tätigkeit an Schulen verpflichten
In der Medizin sind Lehrende, die klinische Fächer unterrichten, gleichzeitig auch klinisch (also in der kurativen Medizin) tätig. Dieses Prinzip sollte auf die Lehrenden in den Fachdidaktiken übertragen werden: Sie sollten eine Unterrichtsverpflichtung von drei bis sechs Stunden haben (die Unterrichtsverpflichtung ist so zu bemessen, dass die Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker den Fachunterricht in einer Schulklasse erteilen können).

Bildungs- und Wissenschaftsministerien, 
Universitäten und PH,
Schulträger

Theorie-Praxis-Bezüge verstärken

Unzureichende wechselseitige Bezüge zwischen theoretischen und praktischen Teilen der Lehrkräftebildung sind ein seit Jahrzehnten moniertes Problem. Eine reine Ausweitung der Praxisphasen und ihre frühere Verortung im Studium hat nur bedingt Verbesserungen bewirkt. Gründe hierfür sind vermutlich in der fehlenden Abstimmung der jeweiligen Inhalte, Erwartungen und Formate zu suchen. Während des Studiums fehlt häufig die Abstimmung zwischen Fachwissenschaften, Fachdidaktiken und den Bildungswissenschaften, die insbesondere für ein fruchtbares Langzeitpraktikum wie das Praxissemester nötig wäre. Hinzu kommen oftmals nur sporadische und nicht langfristig angelegte Kontakte zwischen Hochschulen und Schulen, die keine gleichbleibende Qualität der Begleitung durch die Hochschulen während der Praxisphasen ermöglichen.

Noch fehlt es an einer institutionellen Abstimmung zwischen der ersten und zweiten Phase. Kooperationen zwischen Hochschulen und Studienseminaren sind systematisch nicht angelegt und die jeweiligen Curricula kaum aufeinander abgestimmt. Für Referendarinnen und Referendare bedeutet dies häufig, dass sie mit als gegensätzlich wahrgenommenen Habitus (Praktisches versus Wissenschaftliches Arbeiten) konfrontiert sind und sich selbstständig und in einer Belastungssituation umfassende Kompetenzbereiche neu erschließen müssen.  

In beiden Phasen – Studium und Vorbereitungsdienst – sind die ausbildenden Lehrkräfte an den Schulen essenziell beteiligt. Ihre Bedeutung für gelingende Praxisphasen und ein nicht als Gegensatz empfundenes Verhältnis von Theorie und Praxis ist bislang bei weitem nicht ausreichend anerkannt. Bisher werden sie nicht systematisch auf die Ausbildungstätigkeit vorbereitet. Ebenso gibt es zu wenig systematische Qualifizierungsprogramme für Fach- und Seminarleitungen.

Während für die Langzeitpraktika inzwischen erste umfassende Evaluationen vorliegen, fehlt ein systematisches Monitoring der zweiten Phase, das für ein professionelles Qualitätsmanagement erforderlich wäre.
 

Folgende Maßnahmen sind dafür geeignet:

verantwortlich für die Umsetzung:

19. Phasenübergreifende Curricula für Studium und Vorbereitungsdienst entwickeln

Bildungsministerien der Länder, 
lehrkräftebildende Hochschulen, 
Studienseminare 

20. Kooperationen zwischen Hochschulen und Studienseminaren institutionalisieren

Bildungsministerien der Länder, 
lehrkräftebildende Hochschulen, 
Studienseminare 

21. Fachbereichsübergreifende Arbeitsgruppen an den Universitäten und Pädagogischen Hochschulen unter schulischer Beteiligung aufbauen
Eine inhaltliche Kohärenz der fachwissenschaftlichen Inhalte, Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften kann nur durch intensiven Austausch der beteiligten Institutionen gewährleitet werden. Dies gilt insbesondere im Kontext der Vor- und Nachbereitung der Langzeitpraktika, an denen neben den Hochschulen auch Schulen und teilweise auch Studienseminare beteiligt sind.

Entsprechende Arbeitsgruppen – "Sozietäten" – gibt es an der Universität Hamburg. Dabei handelt es sich um institutionenübergreifende Arbeitsgruppen (Vertreterinnen und Vertreter der lehrkräftebildenden Hochschulen, des Landesinstituts und der Schulbehörde sowie Studierende und Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst), in denen inhaltliche Themen zwischen den Phasen der Lehrkräftebildung fachspezifisch abgestimmt werden. Auch wenn es eine kürzere Praxisphase betrifft, ist das Projekt "Schule machen" der Universität Greifswald ein weiteres Beispiel für gelungene Kooperation. Hier kooperieren mehrere Fachdidaktiken, die Bildungswissenschaften und eine Schule gemeinsam im Rahmen eines intensiven Praktikums.

Zentren für Lehrkräftebildung (ZfL)/
Schools of Education, 
Fakultätsleitungen

22. Universitätsschulen errichten
Die praktische Ausbildung angehender Medizinerinnen und Mediziner erfolgt im Wesentlichen an Universitätskliniken, die für eine Hochleistungsmedizin stehen, beziehungsweise an Akademischen Lehrkrankenhäusern, die dafür bestimmte Qualitätsstandards erfüllen müssen. Analog dazu sollten auch für angehende Lehrkräfte Universitätsschulen errichtet werden, die pädagogische und didaktische Innovationen entwickeln und dafür sorgen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse möglichst schnell in der Praxis ankommen. Universitätsschulen bieten der Wissenschaft umgekehrt ein "Reallabor" für die Forschung. Beispiele hierfür sind die Laborschule Bielefeld, die Universitätsschule Dresden oder die Heliosschule in Köln.

Universitäten und PH, 
Bildungs- und Wissenschaftsministerien der Länder

23. Ausgewählte Schulen zu Akademischen Ausbildungsschulen machen
Selbst wenn an jeder Hochschule, die Lehramtsstudiengänge anbietet, eine Universitätsschule gemäß Maßnahme Nr. 22 errichtet wird, würden die Kapazitäten dort nicht ausreichen, um alle angehenden Lehrkräfte ausschließlich an diesen Schulen praktisch auszubilden. Deshalb braucht es darüber hinaus spezielle "Ausbildungsschulen", mit denen die Hochschulen entsprechende Kooperationsverträge abschließen. Diese Schulen müssen mit angemessenen Ressourcen (insbesondere personell und räumlich) ausgestattet werden und bestimmte Qualitätsstandards erfüllen. Praktische Bildungsphasen sollten ausschließlich an diesen Schulen absolviert werden.

Bildungsministerien der Länder, 
lehrkräftebildende Hochschulen

24. Qualitätsstandards/Mindestanforderungen für Akademische Ausbildungsschulen definieren
Wünschenswert wäre, dass die Bildungsministerien der Länder die Mindestanforderungen in den jeweiligen Rechtsgrundlagen für die Lehrkräftebildung definieren. Die Hochschulen können für ihre Verträge ergänzende Qualitätsstandards vorsehen.

Bildungsministerien der Länder, 
ZfL/Professional Schools

Profilbildung und individuelle Schwerpunktsetzungen im Studium ermöglichen

Die Curricula der Lehramtsstudiengänge sehen aktuell für alle Studierenden ein weitgehend identisches Qualifikationsprofil vor; eine Spezialisierung ist lediglich innerhalb der Fachwissenschaften und in noch deutlich geringerem Umfang innerhalb der Didaktiken möglich. Diese starke Vorstrukturierung kann abschreckend wirken auf Studierende, die nach individuellen Entwicklungs- und Spezialisierungsmöglichkeiten streben – dabei wären gerade solche Personen für die Schulentwicklung besonders interessant. Darüber hinaus wird die Ausbildung durch die Berücksichtigung zu vieler Kompetenzbereiche einerseits überfrachtet, andererseits können viele Kompetenzbereiche im Studium nur angerissen und nicht so vertieft werden, wie es professionelles Handeln als Lehrkraft erfordern würde.

Der Arbeitsplatz Schule weist zudem zahlreiche Tätigkeitsbereiche auf, die typischerweise von Lehrkräften wahrgenommen werden, die jedoch eigentlich einer ergänzenden fachlichen Expertise bedürfen, die auch erfahrene Lehrkräfte nicht unbedingt mitbringen (zum Beispiel im Bereich der Leistungsdiagnostik, der Schulentwicklung, der Schulinspektion). Angehenden Lehrkräften sollte deshalb die Möglichkeit gegeben werden, sich bereits im Studium auf solche nicht-unterrichtlichen speziellen schulischen Tätigkeitsfelder durch entsprechende Profile vorzubereiten. Solche Studienprofile könnten außerdem eine Grundlage für verschiedene berufliche Entwicklungspfade für Lehrkräfte legen.
 

Folgende Maßnahmen sind dafür geeignet:

verantwortlich für die Umsetzung:

25. Schulbezogene Profile ermöglichen wie Umgang mit Heterogenität oder Schulmanagement als Äquivalent zu den Unterrichtsfächern in den Rahmenvereinbarungen über die Ausbildung und Prüfung für ein Lehramt zulassen

Kultusministerkonferenz (KMK)

26. Schulbezogene Profile als Äquivalent zu den Unterrichtsfächern im jeweiligen Landesrecht für die Lehrkräftebildung zulassen 

Bildungsministerien der Länder

27. Studienangebote für schulbezogene Profile entwickeln 
In die Entwicklung sollten externe Partner wie die Landesinstitute, Schulträger und Schulaufsicht eingebunden werden. Beispiele für solche Profile, die aber bisher nur zusätzlich zum regulären Studium studiert werden können, finden sich etwa an der Leuphana Universität oder an der Universität Paderborn.

Lehrerbildende Universitäten, 
pädagogische Hochschulen

Vermittlung von Future Skills zuverlässig in der Lehrkräftebildung verankern

In der heutigen Zeit, die von disruptiven digitalen und gesellschaftlichen Veränderungen geprägt ist, ist es unerlässlich, die inhaltlichen Anforderungen an die Lehrkräftebildung zu überprüfen und anzupassen. Neben dem klassischem Kompetenzkanon der Lehrkräftebildung sollten auch Future Skills in allen Phasen der Ausbildung vermittelt werden.

Trotz der Anerkennung der Relevanz digitaler Kompetenzen durch die Kultusministerkonferenz zeigt die Realität, dass viele Lehramtsstudierende ihr Studium noch heute abschließen können, ohne entsprechende Kompetenzen erworben zu haben. Nur in etwa einem Drittel der Studiengänge für das Grundschullehramt und etwa der Hälfte der Studiengänge für das Lehramt der gymnasialen Oberstufe sind Studierende zum Erwerb digitaler Kompetenzen verpflichtet.

Neben den digitalen Kompetenzen ist die Fähigkeit, viele Menschen hinter einem gemeinsamen Ziel zu vereinen, in den letzten Jahren im Schulalltag immer wichtiger geworden. Die Lehrkraft als Einzelkämpferin oder Einzelkämpfer hat ausgedient. In den Kollegien sind zunehmend weitere Professionen vertreten – vor allem pädagogische Professionen, beispielsweise aus den Bereichen Sozialarbeit, Psychologie, Sonderpädagogik, Inklusionshilfe oder auch Verwaltungsassistentinnen und Verwaltungsassistenten. Diese Personen gestalten den Alltag gemeinsam mit den Lehrkräften. Dies hat Auswirkungen auf das Berufsbild und das Qualifikationsprofil von Lehrkräften: Für einen Teil der Aufgaben, die sie früher selbst wahrgenommen haben, haben nun andere Personen die Verantwortung – Lehrkräfte können nur erfolgreich sein, wenn sie sich als Teamplayer verstehen. Das bedeutet allerdings auch, dass Lehrkräfte andere Kompetenzen benötigen und bereits im Studium auf die Arbeit in multiprofessionellen Teams vorbereitet, werden müssen. Dies ist bisher nicht durchgängig der Fall.
 

Folgende Maßnahmen sind dafür geeignet:

verantwortlich für die Umsetzung:

28. Ländergemeinsame inhaltliche Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung hinsichtlich einer angemessenen Berücksichtigung von Kompetenzen für die digitale Welt in allen Fächern überprüfen 
Entsprechend der Akkreditierungsordnungen der Länder müssen Lehramtsstudiengänge die Ländergemeinsamen Vorgaben berücksichtigen. Eine zuverlässige und flächendeckende Integration kann auf diesem Weg gelingen. 
 

Kultusministerkonferenz (KMK)

29. Module zum Erwerb digitaler Kompetenzen für die Fachwissenschaften, die Fachdidaktiken und die Bildungswissenschaften entwickeln und in die Lehramtsstudiengänge implementieren
Auch ohne eine entsprechende Verpflichtung seitens der Länder können die Hochschulen geeignete Module in ihre Curricula integrieren. 
 

Studiendekaninnen und Studiendekane 
der Fachbereiche/Fakultäten

30. Kompetenzen für eine digitale Welt als Pflichtbestandteile in die Kerncurricula und Rahmenverordnungen für den Vorbereitungsdienst integrieren

Bildungsministerien der Länder,
Studienseminare

31. Fachleiter der Studienseminare systematisch fortbilden, damit sie angehende Lehrkräfte angemessen für eine Lehre für die digitale Welt qualifizieren können

Landesinstitute,
lehrkräftebildende Hochschulen

32. Einsatz innovativer Lernformen und Lernorte, um projekt-, problem- und forschungsorientiert gezielt Querschnitts- und Zukunftskompetenzen zu adressieren, verstärken

Lehrende an lehrkräftebildenden Hochschulen

33. Gemeinsame Lehrveranstaltungen für angehende Lehrkräfte und weitere an Schule beteiligte Professionen entwickeln und anbieten
In derartigen Lehrveranstaltungen können Studierende bereits auf die Zusammenarbeit in multiprofessionellen Kollegien herangeführt werden.

Lehrende an lehrkräftebildenden Hochschulen

Die zweite Phase funktionaler und attraktiver gestalten

Das Referendariat stellt einen zentralen Bestandteil der Lehrkräftebildung in Deutschland dar. Im europäischen Vergleich sticht es als klar geregelte und curricularisierte Ausbildungsphase mit eigenen Ausbildungsorganisationen (Studienseminare) hervor und bietet daher großes Potenzial. Allerdings wird bisher nicht systematisch evaluiert, wie funktional der Vorbereitungsdienst den Professionalisierungsprozess unterstützt. Die fehlende Verpflichtung der Akteurinnen und Akteure der ersten und zweiten Phase, sich abzustimmen und zu kooperieren, führt dazu, dass Referendarinnen und Referendare mit teils widersprüchlichen Organisationskulturen und Erwartungshaltungen konfrontiert werden – ein wissenschaftlich geprägter Habitus hier und Handlungssouveränität in komplexen und nur bedingt steuerbaren Unterrichtssituationen dort. Es gelingt bisher nicht zuverlässig, die im Studium ausgeprägte wissenschaftlich-forschende Perspektive in den Habitus eines "reflective practitioners" zu übersetzen.

Inwieweit dieses Ziel erreicht wird, hängt weitgehend von den Seminar- und Fachleiterinnen und Fachleitern sowie den ausbildenden Lehrkräften in den Schulen ab. Fehlende Qualifikationsstandards für diese Personen, unzureichende Weiterbildungsverpflichtungen sowie zu geringe zeitliche Ressourcen für die Ausbildungslehrkräfte haben jedoch zur Folge, dass die Ausbildungsqualität zwischen den einzelnen Standorten stark schwankt.

Im europäischen Vergleich kommt dem Mentoring eine deutlich geringere Bedeutung als dem Prüfen und Bewerten der Referendarinnen und Referendare zu (vgl. Eurydice 2013). Dadurch werden Fehlanreize zugunsten konventioneller und vermeintlich "sicherer" Unterrichtsmethoden gesetzt; das Innovationspotenzial junger Lehrkräfte wird kaum gefördert. Der hohe Arbeits- und Prüfungsdruck verstärkt die ohnehin erheblichen psychischen Belastungen angehender Lehrkräfte, die sich aus dem schulischen Umfeld ergeben. Auch wenn es keine belastbaren Zahlen dazu gibt, ist davon auszugehen, dass Entscheidungen gegen den Beruf als Lehrkraft durch die Rahmenbedingungen des Referendariates negativ beeinflusst werden.
 

Folgende Maßnahmen sind dafür geeignet:

verantwortlich für die Umsetzung:

34. Begleitung und Mentoring fokussieren
Statt einer Benotung der Unterrichtsbesuche sollte eine kollegiale Beratung im Vordergrund stehen, die Raum für Selbstreflexion und Exploration bietet. Dazu müssen die Anzahl der benoteten Unterrichtsbesuche reduziert und die den ausbildenden Lehrkräften zur Verfügung stehende Zeit erhöht werden.

Bildungsministerien der Länder, 
Studienseminare

35. Einen fließenden Übergang in die Berufseingangsphase gestalten
Der Berufseingangsphase soll "ein besonderer Stellenwert" zukommen. Tatsächlich nehmen insbesondere junge Lehrkräfte wegen ihrer hohen Arbeitsbelastung eher selten an Fortbildungen teil. Ein fließender Übergang vom Vorbereitungs- in den Regeldienst mit sukzessive steigendem Unterrichtsdeputat und gleichzeitig abnehmender Begleitungsintensität kann hier Abhilfe schaffen. Lehrkräfte können so zudem einen Habitus bilden, in dem Fortbildungen wertgeschätzt werden.

Bildungsministerien der Länder

36. Ausbildungskoordinatorinnen und -koordinatoren etablieren
Zum jetzigen Zeitpunkt sind die schulischen Mentorinnen und Mentoren im Vorbereitungsdienst an der Benotung der angehenden Lehrkräfte beteiligt. Dies belastet das Vertrauensverhältnis zwischen diesen beiden Gruppen. Persönliche Konflikte können sich auf die Benotung auswirken, während die Angst vor diesen Auswirkungen einen offenen Austausch verhindern kann. Ausbildungskoordinatorinnen und Ausbildungskoordinatoren haben ein ähnliches Potenzial wie Vertrauenslehrkräfte und können als zentrale Ansprechpersonen für Referendarinnen und Referendare oder als Schlichtungsstelle dienen.

Bildungsministerien der Länder,
Schulträger

37. Vorbereitungsdienst systematisch evaluieren 
Durch eine regelmäßige Evaluation würden die Studienseminare eines Bundeslandes, ähnlich wie Hochschulen, in einen transparenten Qualitätswettbewerb kommen. Hieraus ergäben sich auch zusätzliche politisch-administrative Steuerungsmöglichkeiten. Während im europäischen Kontext die dem Referendariat äquivalenten Ausbildungsphasen typischerweise durch unabhängige Qualitätssicherungsagenturen evaluiert werden, gibt es eine solche unabhängige Evaluationspraxis in Deutschland nicht. Mit der Einrichtung vergleichbarer Agenturen könnte eine höhere Transparenz über die Qualität der zweiten Phase erzeugt werden.

Bildungsministerien der Länder,
Studienseminare

38. Duale Promotion während des Vorbereitungsdienstes ermöglichen
Die Möglichkeit einer dualen Promotion macht das Referendariat für Personen attraktiv, die nach dem Referendariat eventuell eine akademische Karriere anstreben. Zugleich werden sie optimal für eine wissenschaftlich fundierte Schul- und Unterrichtsentwicklung qualifiziert. Zurzeit müssen sich Interessierte in der Regel entweder für das Referendariat oder eine Promotion entscheiden. Um duale Promotionen anbieten zu können, müssen Universitäten beziehungsweise Pädagogische Hochschulen, Studienseminare und Ausbildungsschulen eng kooperieren und würden auf diese Weise einer institutionellen Verschränkung Vorschub leisten.

Die duale Promotion wird derzeit in Kooperation der Universität Bremen, dem Landesinstitut Bremen und einiger Kooperationsschulen sowie im Rahmen eines Promotionskollegs an der Universität Kassel angeboten.

Bildungs- und Wissenschaftsministerien der Länder, 
Universitäten und PH,
Studienseminare

Innovationen in der Lehrkräftebildung initiieren und fördern

Mit der Qualitätsoffensive Lehrerbildung (QLB) legten Bund und Länder 2015 den Grundstein für die Förderung von Innovationen in der Lehrkräftebildung. Bis Ende 2023 wurden insgesamt 92 Einzel- und Verbundvorhaben an 69 Hochschulen gefördert, um die Qualität der Lehrkräftebildung zu verbessern. 43 der Projekte beschäftigten sich mit der "Digitalisierung in der Lehrerbildung" oder der "Lehrerbildung für die beruflichen Schulen". Die QLB hat sehr viel bewirkt; insbesondere hat sie Koordinationsstrukturen gestärkt, der Lehrkräftebildung innerhalb der Hochschulen größere Sichtbarkeit verschafft und ihr einen höheren strategischen Stellenwert gegeben. Nach dem Auslaufen der Qualitätsoffensive stellt sich jedoch die Frage, wie diese Erfolge nachhaltig gesichert und die Lehrkräftebildung künftig weiterentwickelt werden kann. Neben Förderprogrammen können auch rechtliche Freiräume die Entwicklung und Erprobung von Modellprojekten unterstützen.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie neue/veränderte inhaltliche Anforderungen an Lehrkräfte, die häufig quer zu den Unterrichtsfächern und ihren Didaktiken liegen (zum Beispiel KI, Bildung für nachhaltige Entwicklung) schneller als in der Vergangenheit Eingang in die Lehrkräftebildung finden.
 

Folgende Maßnahmen sind dafür geeignet:

verantwortlich für die Umsetzung:

39. KMK-Rahmenvereinbarungen über die Ausbildung und Prüfung für ein Lehramt um eine Experimentierklausel nach dem Vorbild der Ärztlichen Approbationsordnung ergänzen
Anders als derzeit würde damit eine verlässliche Rechtsgrundlage für Modellstudiengänge geschaffen, die vom üblichen Studienmodell abweichen (wie beispielsweise Ein-Fach-Studiengänge oder duale Studienmodelle), und die Anerkennung der Studienabschlüsse und Freizügigkeit der Absolventinnen und Absolventen gewährleistet. Die Experimentierklausel sollte die Zulassung von Modellstudiengängen an folgende Voraussetzungen knüpfen:

  • Beschreibung des Reformziels und der erwarteten qualitativen Verbesserungen
  • Sicherstellung, dass der Studiengang den inhaltlichen Anforderungen an Lehramtsstudiengänge entspricht und die in den Standards für die Bildungswissenschaften sowie den Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und die Fachdidaktiken festgelegten Kompetenzen vermittelt werden
  • begleitende und abschließende Evaluation des Modellstudiengangs
  • Festlegung der Mindest- und Höchstdauer der Laufzeit des Modellstudiengangs
  • Gewährleistung der Freiwilligkeit der Teilnahme und ein dem Regelstudiengang entsprechender gleichberechtigter Zugang zum Modellstudiengang
  • Benennung der Voraussetzungen, unter denen die Hochschule den Modellstudiengang abbrechen kann
  • Regelungen wie beim Übergang vom Modellstudiengang in den Regelstudiengang hinsichtlich des Weiterstudiums, der Anrechnung von Studienzeiten und Prüfungen und anderen Studienleistungen verfahren wird.

Kultusministerkonferenz (KMK)

40. Rechtsgrundlagen für die Lehrkräftebildung in den Ländern um eine Experimentierklausel ergänzen 
Die Rechtsgrundlagen in vier Bundesländer (Bayern, Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern) enthalten bereits entsprechende Klauseln, die allerdings hinsichtlich der Konkretisierung und Verbindlichkeit hinter der Ärztlichen Approbationsordnung zurückbleiben.

Bildungsministerien der Länder

41. Innovationsprojekte grundsätzlich wissenschaftlich evaluieren und bei positiven Ergebnissen verstetigen und skalieren

Öffentliche und private Förderer

42. Anschlussförderung für QLB-geförderte Projekte bereitstellen mit dem Ziel der Verstetigung und Skalierung 

Bildungsministerien der Länder

43. Austausch- und Vernetzungsaktivitäten der QLB dauerhaft fortführen 

BMBF und KMK

44. Bundesweite Plattform für die Dokumentation von Innovationen in der Lehrkräftebildung schaffen

BMBF und KMK

45. Regelmäßige Curriculumswerkstätten zur inhaltlichen Weiterentwicklung der Lehrkräftebildung durchführen
Hieran sollten sich Personen aus allen drei Phasen der Lehrkräftebildung  beteiligen.

BMBF und KMK

46. Politisch und wissenschaftlich hochrangige Jahrestagung zur Lehrkräftebildung durchführen

Kultusministerkonferenz (KMK),
Stiftungen