Durch Kooperation zum Standortprofil
Fallbeispiel Lübeck

Biomedtec Wissenschaftscampus

Lübeck

 
Die Universität zu Lübeck und die Fachhochschule Lübeck verfolgen auf ihrem gemeinsamen Campus eine strategische Partnerschaft, die der Entwicklung gemeinsamer wissenschaftlicher Schwerpunkte dient. Die beiden Hochschulen kooperieren, auch unter Einbezug weiterer Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft, in den Bereichen Forschung, Lehre, wissenschaftliche Weiterbildung, Technologietransfer und Ausgründungen. In Formaten wie dem BioMedTec Wissenschaftscampus wird die Zusammenarbeit der beiden Hochschulen mit Leben gefüllt.

 

Ausgangssituation und Genese

Der Campus Lübeck bildet das Herzstück des sogenannten Hochschulstadtteils Lübeck und vereint auf einem weitläufigen Gelände die Universität zu Lübeck, die Fachhochschule Lübeck sowie weitere Wissenschafts- und Technologieeinrichtungen. Diese örtliche Nähe fördert die Vernetzung der Lübecker Wissenschaft. Besonders intensiviert wurde sie zusätzlich durch zwei Ereignisse: im Jahr 2010 der – schließlich abgewendete – Versuch der Landesregierung Schleswig-Holsteins, die medizinische Fakultät der Universität zu schließen, sowie im Jahr 2012 die Auszeichnung von Lübeck als Stadt der Wissenschaft durch den Stifterverband. Während der Versuch der Schließung der medizinischen Fakultät die Verbindungen der Universität zu den anderen Wissenschaftseinrichtungen in der Stadt, aber auch ihren Bürgern und Unternehmen verstärkte, wurde die Auszeichnung zur Stadt der Wissenschaft genutzt, um mit einer umfangreichen Kooperationsvereinbarung die Zusammenarbeit von Universität und Fachhochschule Lübeck auf ein solides Fundament zu stellen. Diese Vereinbarung bildet auch die Grundlage für die weitreichende Zusammenarbeit in dem für beide Hochschulen profilbildenden Bereich der Medizintechnik. Die Vernetzung der Kooperationspartner basiert auf räumlicher Nähe, auf fachlichen Überschneidungen und nicht zuletzt auch auf guten persönlichen Beziehungen zwischen den handelnden Personen.

Die Universität zu Lübeck ist seit dem 1. Januar 2015 Stiftungsuniversität. Mit diesem Schritt entstaatlicht sich die Universität ein Stück weit, schafft mehr Flexibilität in ihrem Handlungsvermögen und steht noch einmal näher im Dialog mit Wissenschaft, Wirtschaft, Stiftungen und der Öffentlichkeit. Mit dem Fokus auf Life Science prägt die Medizin an der Universität die Forschung und Lehre; darüber hinaus reicht das Fächerspektrum von Informatik über Naturwissenschaften bis zu Technik.

Die Fachhochschule legt einen Schwerpunkt auf anwendungsorientierte, auf die Wirtschaft gerichtete Forschung und Technologie- und Wissenstransfer. Sie setzt ihre fachlichen Schwerpunkte in den Bereichen Technik, Naturwissenschaften, Wirtschaft und Architektur. Mit Partnern und Unternehmen aus der Region arbeitet sie eng bei Lehraufträgen, Praxissemestern, Abschlussarbeiten, Forschungskooperationen und Auftragsforschung zusammen.

 

Beschreibung der Kooperation

Mit dem sogenannten BioMedTec Wissenschaftscampus formiert sich die strategische Zusammenarbeit von Lübecker Wissenschaftseinrichtungen auf den Feldern Biotechnologie, Informatik und Medizintechnik. Beteiligt sind der UKSH Campus Lübeck (Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck), inklusive der Universitätsmedizin, die Fachhochschule Lübeck, die Fraunhofer Einrichtung für Marine Biotechnologie (EMB), das Fraunhofer-Institut für Bildgestützte Medizin (MEVIS) sowie das Leibniz-Zentrum Borstel als Gründungs- und Leitungsmitglieder sowie weitere Forschungseinrichtungen, Unternehmen mit eigener Forschung auf dem Campus und eine Reihe von kooptierten Partnern, wie zum Beispiel die IHK zu Lübeck, die WTSH GmbH und das Technikzentrum Lübeck, mit Serviceangeboten zu Forschung, Transfer und Vernetzung. Die Felder der Zusammenarbeit liegen quer zu den Kernbereichen der Hochschulen, zu Forschung und zu Lehre, und betreffen darüber hinaus profilbildende Bereiche wie die Themen Gründung und Transfer.
 

Forschung
Unter dem Dach des BioMedTech Wissenschaftscampus werden zahlreiche kooperative Forschungsprojekte eingeworben und durchgeführt. Im Rahmen der BMBF-Forschungskolleg-Förderung konnten in einer Graduiertenschule zehn Forschungsprojekte in zehn Instituten und Laboren der Universität und Fachhochschule umgesetzt werden. Auch das Betreuungskonzept ist kooperativ aufgebaut. Universität, Fachhochschule, Mentoren aus Industrie und Klinik begleiten die Forschungsprojekte. Daneben wurden über EFRE-Mittel im Rahmen des sogenannten TANDEM-Programms die strukturelle Zusammenarbeit beider Hochschulen im Wissenschaftscampus weiter gestärkt und wirtschaftsnahe Forschungs- und Transferprojekte, kofinanziert durch Unternehmen, durchgeführt.

Die außeruniversitären Forschungseinrichtungen (AuF) auf dem Campus in Lübeck sind punktuell in die Lehre der beiden Hochschulen vor Ort eingebunden: Studierende von Universität und Fachhochschule erhalten über Projektarbeiten, Seminarbetreuungen, Praktika direkten Einblick in die Arbeit der Forschungseinrichtungen. Sie beteiligen sich mit Bachelor-, Master- und Promotionsarbeiten am Geschäft der AuFs und bereichern damit deren Arbeit.

Darüber hinaus gewinnen die Kooperationsmöglichkeiten für die Forschungseinrichtungen an Breite. Ihr drittmittelwirksames Angebot wird durch Vernetzung mit Partnern größer. Dinge, die allein nicht realisiert werden könnten, werden durch Kooperation nun Teil des Portfolios der Forschung zwischen den Partnern auf dem Campus. Formal erhalten Fraunhofer-Professoren in Lübeck zwar ihren Ruf über die Universität, auf dem Campus sind jedoch mehr und mehr auch Fraunhofer-Einrichtungen und die Fachhochschule füreinander relevante Partner: Beide sind vermehrt auf gleichen Feldern aktiv und nahe der anwendungsorientierten Industrieforschung angesiedelt. Dies hebt einerseits das Kooperationspotenzial für mehr Zusammenarbeit, bedarf andererseits gut abgestimmter Themen- und Aufgabenfelder hinsichtlich der Abgrenzung der Akteure – um sich in überschneidenden Handlungsfeldern keine Konkurrenz zu machen. Auch aus der Zentrale selbst, der Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e. V., wird zu mehr Kooperation mit Fachhochschulen aufgerufen. Fokus der Fraunhofer-Einrichtungen ist dabei nicht die Kooperation mit einem bestimmten Hochschultyp, sondern die fachlich entsprechende Ausrichtung an der Industrieforschung.
 

Lehre
An der Universität und der Fachhochschule wurden komplementäre Studiengänge in den Bereichen Biowissenschaften, Medizin, Technik und Wirtschaftswissenschaften eingerichtet. Im Rahmen der Kooperationsvereinbarung zum BioMedTec Wissenschaftscampus verständigen sich die Hochschulen hierzu auf ein abgestimmtes, gemeinsam zu entwickelndes Studienangebot, insbesondere in den sich überschneidenden Bereichen Informatik und Medizintechnik, sowie auf mehr Durchlässigkeit und wechselseitige Anerkennung von Lehrleistungen. Die Kooperationsvereinbarung beinhaltet neben der gemeinsamen Entwicklung von Studienangeboten die gemeinsame Etablierung von Gremien und Ausschüssen sowie gemeinsam betreute Abschlussarbeiten.
 

Gründungsunterstützung
Das Institut für Entrepreneurship und Business Development ist als Brückeninstitut zwischen den Hochschulen konzipiert und fasst die Gründungsförderung beider Hochschulen zusammen. Alle Strukturen, Prozesse und Einzelaktivitäten zur campusweiten Gründungsberatung, -unterstützung und -lehre beider Hochschulen werden im sogenannten GründerCube zusammengeführt. Er ist die zentrale Anlauf-, Koordinierungs- und Beratungsstelle rund um das Thema Gründungen. Die beiden leitenden Professoren, ein Professor der Universität und einer der Fachhochschule, führen die gründungsbezogene Lehre und Forschung durch, stimmen ihre Aktivitäten eng miteinander ab und verzahnen diese. Im Rahmen der Arbeit des Brückeninstituts werden nicht mehr die beiden Hochschulen separat, sondern das Thema Gründungsförderung am Standort Lübeck unter einem gemeinsamen Label kommuniziert und praktiziert. Inhaltlich orientiert sich die Gründungsunterstützung am Profil der Hochschulkooperation: Der Branchenfokus orientiert sich an den Forschungsschwerpunkten der beiden Hochschulen, liegt damit in der Querschnittsdisziplin Biomedizintechnik und zielt auf die fachlich komplementären Kompetenzen der Partner ab – Medizin und Life Science an der Universität, Maschinenbau, Elektrotechnik und Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule, Informatik und Medizintechnik an beiden Hochschulen.

Die Brückenprofessuren im zentralen Institut ermöglichen die Vermittlung von unternehmerischen Themen in den beiden Spezialstudiengängen Entrepreneurship in digitalen Technologien an der Universität zu Lübeck und Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Entrepreneurship an der Fachhochschule und darüber hinaus in fast allen Studiengängen beider Hochschulen und damit die Nutzung von Synergien gemeinsamer Lehrressourcen und -kompetenzen. Das gemeinsame Auftreten im Brückeninstitut nach dem Vorbild des BioMedTec Wissenschaftscampus beförderte darüber hinaus maßgeblich die Förderung der Hochschulen durch die EXIST-Auszeichnung des Bundeswirtschaftsministeriums, die Einrichtung einer Stiftungsprofessur für Entrepreneurship und die Finanzierung des GründerCubes durch eingeworbene Stiftungsmittel.

 

Organisationsstrukturen

Universität, Fachhochschule, MEVIS, EMB sowie das Forschungszentrum Borstel sind die Gründerväter und bilden das Leitungsgremium des BioMedTec Wissenschaftscampus. Die Geschäftsstelle, die sogenannte BioMedTec Management GmbH, ist formal die zentrale Kontaktstelle des Kooperationsprojektes.
 

Informelle Strukturen

  • Auf eine besondere Rechtsform wurde für den Wissenschaftscampus verzichtet. Damit sind allein die Vorgaben des gemeinsamen Kooperationsvertrages relevant, der die Struktur mit Vorstand und möglichen Arbeitsgruppen vorgibt. Der BioMedTec Wissenschaftscampus arbeitet in rechtlicher Hinsicht damit zwar nur als Kooperation (und somit als GbR), dennoch spielt sich hier die inhaltliche Arbeit ab. Der Vorsitz des BioMedTec Wissenschaftscampus wird gemäß Kooperationsvertrag alle zwei Jahre neu gewählt. Die Mitglieder des BioMedTec
  • Wissenschaftscampus organisieren sich in regelmäßigen Treffen zum Austausch über aktuell laufende Themen. In der  Kooperationsvereinbarung ist geregelt, dass in einem Jahresbericht und einer mindestens einmal jährlich stattfindenden Mitgliederversammlung der Campusvorstand alle Mitglieder und Partner über die Aktivitäten des BioMedTec Wissenschaftscampus informiert.
  • In Strategiemeetings kommt das Leitungsgremium zusammen, um nicht nur Kooperationspotenziale zu heben, sondern auch Abgrenzungen vor dem Hintergrund verstärkter Konvergenzen zu diskutieren. In operativen Arbeitstreffen kommen Partner auf Projektebene zusammen, um voneinander zu lernen, Ressourcen in Form von Infrastrukturen und Kompetenzen auszutauschen.
  • Die Austauschtreffen bieten den beteiligten Partnern eine Plattform zum Austausch von Gedanken, Visionen und Agenden. Der thematische Austausch zu beispielsweise neuen Inhalten, Studiengängen oder Forschungsarbeiten gibt allen Partnern einen Gesamtüberblick, verzahnt Bestehendes, schafft Synergien, vermeidet Parallelstrukturen und hilft somit, Kooperationspotenziale zu heben. Auf Grundlage verschiedener Stärken (Kompetenzen, Ressourcen) innerhalb des Netzwerks wird die themenbezogene Zusammenarbeit der beteiligten Partner in den Bereichen Forschung, Lehre, wissenschaftliche Weiterbildung, Technologietransfer, Ausgründung und Bewirtschaftung forciert. Der Austausch zu unterschiedlichen Handlungsfeldern der Kooperationen befruchtet die Arbeit aller und schafft neue Ausgangspunkte für weitere Kooperationen.

 
BioMedTec Management GmbH

  • Die Entscheidung zu der formalen Gründung einer GmbH basiert auf der Flexibilität und Rechtsfähigkeit dieser Organisationsform, von der alle Beteiligten gleichermaßen profitieren können. Die Management GmbH, als Institution übernommen aus einem ebenso kooperativ angelegten Vorgängerprojekt (das Kompetenzzentrum für Medizintechnik), bündelt eine Reihe von Aufgaben, die auf die Arbeit des gesamten Partnernetzwerks abzielen. Sie ist Ideenschmiede und Single Point of Contact des Netzwerks, sondiert, akquiriert und führt Projekte durch, organisiert Veranstaltungen, ist erster Ansprechpartner, Plattform und Initiator für den internen Austausch und verantwortlich für übergreifendes Marketing. Die BioMedTec Management GmbH ist auch aufgrund ihrer Rechtsform ein fixes Format, das je nach Bedarf, zum Beispiel bei der Neugestaltung von Profilthemen oder neuen Förderanträgen, als koordinierende Stelle fungiert. Für die Hochschulen wird die GmbH als wichtiger Nukleus für weitere zukünftige kooperative Projekte angesehen.
     

Ressourcen und Vertrag

Universität, Fachhochschule, MEVIS, EMB und das Forschungszentrum Borstel, die Gründer des BioMedTec Wissenschaftscampus, verständigten sich mittels einer umfangreichen Kooperationsvereinbarung auf ihre Zusammenarbeit. Sie legt die Felder der Kooperation fest, und zwar Forschung, Lehre, wissenschaftliche Weiterbildung, Technologietransfer, Ausgründung und Bewirtschaftung, ohne dabei ins Detail zu gehen. Sie kann als eine Art Rahmenvertrag verstanden werden. Konkrete Regelungen der einzelnen Kooperationsfelder erfolgen in separaten Vereinbarungen und Verträgen. Prämisse der Kooperation ist der Erhalt der Eigenständigkeit jedes einzelnen Partners.

Die Finanzierung der Aktivitäten im BioMedTec Wissenschaftscampus erfolgt handlungsfeldbezogen, beispielsweise akquiriert aus öffentlichen und privaten Fördermitteln für Forschung, Hochschulmitteln für Lehre oder Projektmitteln für beispielsweise Transfer (EXIST). Die finanzielle Grundausstattung für die Management GmbH wird anteilig durch die Hochschulen eingebracht.

 

Nutzen

  • Identitätsbildung nach innen: Die organisierte Vernetzung der Partner unter einem gemeinsamen Namen fördert das innere Zugehörigkeitsgefühl und die Verbindlichkeit abgestimmter Handlungsfelder.
  • Das gemeinsame Verständnis über Profile und Themen aller beteiligten Partner untereinander befördert die inhaltlich koordinierte Arbeit.
  • Die Kooperation erweitert das gemeinsame Aktionsfeld. Die Breite der Kooperationsmöglichkeiten für die Forschungseinrichtungen hat positiven Einfluss auf die wissenschaftliche Qualität und Profilbildung.
  • Sichtbarkeit nach außen und Markenbildung: Die hochschulübergreifende Außendarstellung gemeinsamer Aktivitäten soll die Wahrnehmung im wissenschaftlichen Raum stärken, einzelne Partner, den Standort und die Wissenschaftsregion sichtbarer machen und diese strategisch vermarkten.
  • Zugang: Die gebündelte Kommunikation des Verbundprojektes, der Themen und Zielstellungen erleichtert Interessierten das Verständnis und weiteren potenziellen Partnern den Einstieg in den Verbund.
  • Finanzierung: Durch ein breit aufgestelltes Netzwerk werden die Möglichkeiten der Fördermittelakquise gesteigert. Es bietet die beste Ausgangslage für neue Förderprogramme, die nicht nur thematische Schwerpunkte berücksichtigen, sondern auch innovative Strukturen finanzieren. Das drittmittelwirksame Angebot wird durch Vernetzung mit Partnern größer.
  • Effizienz: Die Bündelung von Aufgaben vermeidet ressourcenintensive Doppelarbeiten.
  • Organisation: Eine gemeinsame Geschäftsstelle (die BioMedTec Management GmbH) ist erster Ansprechpartner, organisiert übergreifend Veranstaltungen und hält die Fäden aller beteiligten Partner zusammen.
  • Der Hochschulstandort Lübeck hat mit dem BioMedTec Wissenschaftscampus den Transfergedanken bereits fest verankert. Der Campus Lübeck will daher mit einem Antrag im Rahmen der Förderrichtlinie Innovative Hochschule die Umsetzung seines Konzeptes zum Ideen-, Wissens- und Technologietransfer weiter voranbringen, um den Standort noch attraktiver zu gestalten und langfristig zu festigen.