Pascal Hetze: Bei Innovationen mit einer Stimme sprechen

"Wir brauchen mehr Innovationsorientierung in der Wissenschaft. Das schließt Transfer ein, bedeutet aber nicht nur mehr Wissen, was vermittelt wird, sondern es bedeutet auch einen Kulturwandel."

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Pascal Hetze: Bei Innovationen mit einer Stimme sprechen (Video)
Pascal Hetze: Bei Innovationen mit einer Stimme sprechen (Video)
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Deutschland steht vor großen Herausforderungen, wenn es um Innovation, Forschung und Technologieentwicklung geht. Pascal Hetze, Leiter des Handlungsfelds "Kollaborative Forschung & Innovation" beim Stifterverband, skizziert im Video-Interview zentrale Probleme und mögliche Lösungsansätze. Dabei fordert er ein Umdenken in der Art, wie Innovationen gefördert und umgesetzt werden, und plädiert für systemische Ansätze, eine stärkere Zusammenarbeit und eine Kultur der Offenheit.  

Als promovierter Volkswirt befasst sich Pascal Hetze mit den zentralen Herausforderungen des Forschungs- und Innovationssystems an den Schnittstellen von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik.

Videoproduktion: Corina Niebuhr, Webclip Medien Berlin

 

Transkript des Videos

Acht der Bundesländer haben eigene KI-Strategien. Und was wir in einer kurzen Analyse im Nachgang des Gipfels festgestellt haben, die unterscheiden sich dann sehr stark. Und keine dieser Strategien bezieht sich auf eine Strategie eines anderen Bundeslandes. Wir brauchen mehr Agilität. Wir brauchen mehr Zusammenführen. Wir brauchen Institutionen, die auch Verantwortung übernehmen. Nicht aus einem Eigeninteresse heraus, sondern mit dem Blick für das Ganze.

Also, Innovation heute ist viel komplexer als das vor 10, 20, 50 Jahren der Fall war. Also, wenn wir an die großen Themen heute denken, Mobilitätswende, Energiewende, da geht es nicht nur darum, einzelne Technologien zu verbessern, wie das vielleicht früher der Fall war. Da konnte sich ein Automobilhersteller darauf konzentrieren, den Antrieb besser zu machen oder das Auto komfortabler und sicherer zu machen. Heute geht es darum, vielfältige Aspekte mitzudenken. Wir brauchen ein ganzes Mobilitätskonzept, vernetzte Mobilität, autonome Mobilität. Da spielen aber auch andere Dinge wie Ladeinfrastrukturen, Verkehrsinfrastrukturen, Vernetzung auch mit anderen Verkehrsteilnehmern eine Rolle. Und das kann auch kein Akteur mehr alleine regeln, also kein Unternehmen alleine, aber auch nicht der Staat alleine, sondern wir müssen hier systemisch denken, also alle Akteure, alle Teile des Innovationssystems zusammen. Also man kann sich das vergleichend auch vorstellen wie ein Körper. Ich kann nicht nur einen Muskel trainieren, sondern ich brauche den gesunden ganzen Körper. Da sind viele Organe wichtig, da ist der Blutkreislauf, da ist das Nervensystem, und nur wenn alle Dinge zusammen gut funktionieren, dann klappt es auch mit der Innovation.

Die Gefahr ist natürlich, dass wir uns verzetteln, dass wir zu kleinteilig werden. Wir sehen das an vielen Stellen, wo wir in eine Richtung wollen und etwas tun, was genau kontraproduktiv ist. Ein Beispiel dafür die Mission der Bundesregierung. Wir haben sechs wichtige zentrale Ziele für die Forschungs- und Innovationsstrategie festgelegt. Klimaneutraler werden, ressourceneffizient zu werden. Gleichzeitig werden bestimmte Forschungsförderprogramme gekürzt, wie die Batterieforschung, die ganz wesentlich sind, auch im Sinne einer Roadmap, diese Ziele zu erreichen. Hier konsistent zu werden, dass die die Akteure auch die Ziele der jeweiligen anderen Beteiligten mit berücksichtigen. Das ist wichtig.

Wir wollen eine starke Stimme sein für das Forschungs- und Innovationssystem. Und da war sicherlich ein Highlight, dass der Bundeskanzler auf seiner Rede beim Gipfel für Forschung und Innovation auch sehr deutlich gemacht hat, wie wichtig dieses Themenfeld für die Zukunft des Landes ist. Er hat versprochen, Forschung und Innovation besser zu fördern in der Zukunft, und gleichzeitig sehen wir natürlich viele Fallstricke, die es gerade auch in einem Mehrebenensystem gibt, wo die EU eine Rolle spielt, wo der Bund eine Rolle spielt. Das Gleiche gilt für die Bundesländer. Alle wollen Leuchttürme für KI werden, für Hightech werden, für Deep-Tech-Entwicklungen im Energiebereich beispielsweise. Das kann nicht gelingen. Wir müssen hier Kräfte bündeln, und wir müssen die Stärken bestimmter Regionen hervorheben und differenzieren, so dass wir in der einen Region unseren KI-Leuchtturm haben, in einer anderen Region den Leuchtturm beispielsweise für die Mobilitätswende. Wir brauchen Orte, die auch international Strahlkraft haben, um die besten Köpfe, die besten Talente auch zu gewinnen.

Die große Gefahr ist, dass wir uns bei diesen Themen verzetteln, weil es so viele sind, weil sie so komplex sind, weil es so viele Akteure gibt, die gleichzeitig handeln. Und diese Vielstimmigkeit auch ein Stück weit zusammenzuführen, das ist etwas, woran der Stifterverband in Zukunft nochmal deutlich intensiver arbeiten möchte. Um gerade die Brücken zu stärken zwischen der Bundespolitik und der Landespolitik, aber auch zwischen den Bundesländern. Alle sind Akteure, die im Forschungs- und Innovationssystem eine unglaublich wichtige Rolle spielen, aber leider ziehen noch nicht alle am gleichen Strang aktuell.

Und wir haben diskutiert auf dem Gipfel für Forschung und Innovation, der das Thema KI in den Mittelpunkt gestellt hat: Was bedeutet es eigentlich, wenn wir so viele KI- Strategien haben? Wir haben auf der europäischen Ebene Strategien, wir haben auf der Bundesebene Strategien, und wir haben auf der Bundesländerebene Strategien. Hier zu mehr Gemeinsamkeiten zu kommen, um Leuchttürme auch zu schaffen, die wir dringend brauchen, auch im Vergleich zu den anderen Ländern, auch im Vergleich zu den USA, hier stärker Kräfte zu bündeln, mit einer Stimme zu sprechen, auch die öffentlichen Investitionen und die privaten Investitionen zusammenzuführen. Das sind die großen Ziele, die der Stifterverband auch für die Zukunft hat.

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir neben der öffentlichen Hand auch viele private Akteure haben, sei es Stiftungen, sei es Verbände, die in diesem Themenfeld Dinge vorantreiben. Unabhängigkeit ist natürlich ein wichtiger Vorteil für den Stifterverband. Wir sind nicht abhängig von einer Institution oder von einem Bereich. Wir arbeiten mit der Politik zusammen, wir arbeiten mit der Wirtschaft zusammen, wir arbeiten mit der Wissenschaft zusammen, und wir verstehen uns tatsächlich als Netzwerk, die jede Perspektive gleichrangig und gleichwertig hört und mit in die Diskussion und in die Debatten mit einbringt. Und werden deswegen auch gerne von diesen Akteuren als vertrauenswürdiger Mittler in die Debatte mit aufgenommen und können diese vertrauensvollen Orte schaffen, wo die Perspektiven, die ja teilweise auch unterschiedlich sind aus der Wissenschaft oder aus der Wirtschaft zusammenbringen und zusammenfügen können zu einer gemeinsamen Perspektive. Also wir schaffen die Räume beispielsweise mit dem Gipfel für Forschung und Innovation oder mit der Data-Group Business 2 Science oder mit einem Länder-Roundtable, in dem wir alle Bundesländer zusammenbringen, um über Innovations- und Forschungsstrategien zu sprechen.

Es gibt so viele Baustellen, so viele Themen, die gleichzeitig eigentlich angegangen werden müssen. Das eine ist, wir brauchen mehr Innovationsorientierung in der Wissenschaft. Das schließt Transfer ein, bedeutet aber nicht nur mehr Wissen, was vermittelt wird, auch an andere Gruppen, sondern es bedeutet auch einen Kulturwandel, es bedeutet einen Organisationswandel. Wir müssen die Hochschulen sicherlich auch ein Stück weit in der Governance oder in der Struktur in der Organisation anders aufstellen. Das ist eine ganz wesentliche Zutat.

Eine zweite Zutat ist sicherlich: Kräfte bündeln zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und öffentlichen Investitionen. Wir haben viele gute, große, wichtige Unternehmen. Wir haben einen tollen Mittelstand. Wir haben auch starke öffentliche Förderung. Aber es gelingt noch zu selten, dass beide Seiten ein gemeinsames Projekt haben und sagen, wir investieren hier zum Beispiel in eine große Forschungsinfrastruktur. Zur Hälfte der Staat, zur Hälfte die privaten Mittel. Auch dort sind die USA beispielsweise viel weiter als wir das sind. Und ein drittes Element ist sicherlich auch, eine Innovationskultur zu stärken. Wir brauchen ein Risikobewusstsein, wir brauchen eine Offenheit für neue Technologien. Das betrifft die gesamte Gesellschaft, aber es betrifft natürlich auch die Politik, die überlegen muss, ob sie nicht dem Innovationsprinzip den gleichen Stellenrang gibt, wie sie aktuell dem Vorsorgeprinzip gibt. Also, das heißt, nicht nur zu schauen, welche Risiken liegen in neuen Technologien und in neuen Entwicklungen, sondern auch, welche Chancen liegen darin. Und dann die Abwägung zu treffen: Ist das eine gute Entwicklung, wollen wir sie weiter fördern, wollen wir sie unterstützen oder eben nicht?