Robert Lepenies: Future Capabilities
"Ich glaube, jeder, der in der Wissenschaft arbeitet, merkt, dass generative KI überall ist, auch dort, wo sie eigentlich nicht sein sollte. Und besonders interessant, wenn Leute nicht merken, dass andere Leute merken, dass KI benutzt wurde."
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Robert Lepenies, Präsident der Karlshochschule International University, spricht darüber, wie generative KI Bildung und Arbeitsmarkt revolutioniert. Der Einsatz Künstlicher Intelligenz erfordere neue Lernansätze und kritische Distanz. Hochschulen sollten soziale Lernprozesse fördern, um Future Capabilities zu entwickeln, die über reine Kompetenzen hinausgehen. Praktische Erfahrungen und kritisches Hinterfragen von Projekten fördern transformatives Lernen. Studierende und Lehrende sollten sich als Lernende betrachten, um die Hochschule gemeinsam weiterzuentwickeln.
Das Video wurde im Rahmen des University: Future Festivals 2025 aufgezeichnet.
Interview und Videoproduktion: Corina Niebuhr, Webclip Medien Berlin
Ich liebe Irritation, denn man kann auch eine gewisse Irritationsdidaktik verfolgen, die es, glaube ich, braucht in dieser Zeit. Sprich, in der Hochschule nicht einfach nur Wissen konsumieren, also es wird nicht mehr vorgelesen, sondern es geht darum, Erfahrungen zu machen, die man vielleicht sogar gleich anwendet. Generative KI verändert unglaublich viel auf dem Arbeitsmarkt, in der Bildung. Sie stellt vollkommen auf den Kopf, was der Wert von Texten und von Schreiben und von Lesen ist. Das alles auf einmal. Also ich glaube, es gibt wenige, die überhaupt fassen können, was das in allen Dimensionen bedeutet. Insofern ist natürlich eine kritische Distanz wichtig, aber keine zu große Distanz, weil einfach die Lebensrealität schon voll von KI oder durch KI geprägt ist.
Also, ich glaube, jeder, der in der Wissenschaft arbeitet, merkt, dass generative KI überall ist, auch dort, wo sie eigentlich nicht sein sollte, also in Gutachten oder Reports oder Social-Media-Posts oder wo auch immer. Und besonders interessant, wenn Leute nicht merken, dass andere Leute merken, dass KI benutzt wurde. Und die Frage ist, wie man diese Urteilskompetenzen stärkt. Und das geht nur, indem man Erfahrung macht, wie es denn ist, tatsächlich mal einen Text alleine zu schreiben und alleine einen Text zu durchdringen und alleine einen Text zu verargumentieren. Und erst, wenn man diese Basiskompetenzen wirklich drauf hat, dann kann man auch wirklich andere KI-Kompetenzen entwickeln. Also das ist schon wichtig, beides immer gleichzeitig zu denken. Generative KI stellt die Vertrauensfrage.
Können wir dem Gegenüber noch vertrauen, dass er oder sie wirklich geschrieben hat, was sie dann eingereicht hat oder nicht? Ob die Präsentation wirklich von ihnen stand, ob die Ergebnisse wirklich echt sind oder nur simuliert? Und wir sehen, dass das schon jetzt Beziehungen erodiert.
Wir haben Glück. Wir sind eine kleine Hochschule. Das bedeutet, wir kennen die Studierenden. Wir haben natürlich wie jede Hochschule auch Probleme mit Plagiaten oder KI-generierten Texten. Aber wenn man Studierende kennt und weiß, wie sie schreiben, dann ist, wenn noch ein weiterer Bot im Zimmer ist, dann fällt das schon relativ auf. Und ja, das bedeutet eigentlich für uns, wir müssen noch mehr in den Austausch kommen. Am besten ist es, man vollzieht diese Prozesse gemeinsam nach.
Also, man schaut sich gegenseitig zu, wie man wissenschaftlich arbeitet, wie man Texte schreibt, wie man Texte liest und prüft das dann, ob das noch der Wissenschaft beispielsweise standhält oder nicht. Ich finde, die Future Skills beschreiben eigentlich schon ganz gut, was die Anforderungen für Individuen sind in einer Gesellschaft, die sich stetig wandelt. Aber es gibt da einen Aspekt, der noch unterbeleuchtet ist, finde ich oder finden wir, und das ist die soziale Dimension von Lernprozessen. Und ich glaube, Hochschulen sind im besten Fall Orte, an denen bestimmte soziale Lernformen emergieren, die nicht emergieren, wenn man allein am Computer die Sachen lernt. Und ich denke, dass Hochschulen genau diesen Aspekt stärken müssten. Und das kommt mir in dem Future Skills-Ansatz auch noch ein bisschen zu kurz. Wir nennen das Future Capabilities.
Also es geht um die Befähigung, tatsächlich den Wandel in der Welt zu deuten und zu gestalten. Also nicht nur Kompetenzen, KI-Kompetenz, Kooperationskompetenz, Ambiguitätskompetenz, das sind alles wichtige Dinge. Uns geht es ein bisschen darüber gelagert, um die Frage, wie habe ich denn eigentlich eine Persönlichkeit, die sich die richtigen Kompetenzen auswählen kann. Mir ist besonders wichtig, dass man nicht mit einer Checkliste durch das Studium geht und sagt, okay, Ambiguitätskompetenz, zehn von zehn Punkten, habe ich erfüllt. Ich kann es vielleicht mal mit einem Beispiel erklären. Wir haben in den Studiengängen in Karlsruhe ein verpflichtendes Auslandssemester. Das bedeutet, die Studierenden gehen ins Ausland, meistens auch internationale Studierende, die dann noch eine weitere Auslandserfahrung haben, zusammen mit Fremdsprachen, zusammen mit Regionalwissenschaften, die gleichzeitig gelehrt werden.
Und so schaffen wir eigentlich eine gewollte Irritation, die einer bestimmten Dramaturgie folgt. Also wir irritieren immer weiter, sodass am Ende nicht der Kulturstock steht, sondern der Reverse-Culture-Schock. Also zu merken, dass eigentlich die Normalität das ist, was aus den Fugen geraten ist. Und diese Dramaturgie, das ist das, was wir verfolgen in den Studiengängen. Und das ist ein bisschen mehr als nur eine Ambiguitätskompetenz, die gelehrt wird, sondern das muss man verstehen in einer didaktischen Dramaturgie, wo einzelne Module aufeinander abfolgen. Es ist viel schwieriger geworden, für Hochschulen zu irritieren oder auch Reibungsräume zu schaffen. Zum einen, weil wir durch die Corona-Krise gelernt haben, dass es einfach eine Selbstselektion gibt, dass bestimmte Studis einfach nicht kommen und das Vielfach Wissen als ein weiteres Konsumgut aufgefasst wird.
Ich glaube, hier müssten auch Hochschulen dagegenhalten und Reibungsräume wieder schaffen. Räume, in denen man sich auch mal nicht einer Meinung ist. Und das gilt gleich zum Beispiel auch für das Auslandssemester. Ein Auslandssemester heute ist etwas ganz anderes als noch vor zehn Jahren. Wer heute eine internationale Erfahrung macht, hat ja trotzdem immer die Möglichkeit, sekundengleich mit der Heimgemeinschaft sich auszutauschen. Und das ändert tatsächlich auch die Erfahrungen, die einem dann verloren gehen. Ich glaube, die Hochschule muss sich überlegen, wie sie diese Erfahrungen dann trotzdem bereitstellt oder hilft, hervorzubringen.
So sind beispielsweise auch Schüleraustausche qualitativ momentan etwas ganz anderes als diese interkulturellen Erfahrungen, die wir halt noch vor einigen Jahren hatten. Insofern muss sich auch hier Hochschule und in Bezug auf internationale Mobilität anders einstellen. Dieser Praxisgedanke, den müssen wir tatsächlich überdenken. Und wir müssen ins Handeln kommen in der Hochschule. Und ich finde, auch hier muss man zum Beispiel bei Service Learning, also bei den Unternehmensprojekten oder Community-Projekten, neu denken. Und nicht einfach nur als Beispiel das strategische Ziel des Auftraggebers erfüllen, sondern gleich von vorne herein überlegen, okay, ist das überhaupt ein gutes Ziel? Oder auch in der Bewertung dann dieser Praxisprojekte nicht überlegen, ist das dann ein gutes Outcome, sondern wie ist eigentlich die Reflexion über den Prozess?
Und die dann bewerten und die anschauen. Also quasi noch mal zu überlegen, was sind denn eigentlich normale Praktiken? Welche Praktiken wünschen wir uns? Und es ist auf einer etwas vielleicht abstrakter, komplizierteren Ebene, aber wir denken, dass dadurch ein transformativerer Erfolg sich einstellen kann. Ein Beispiel, ein Restaurant bei uns um die Ecke, ist ein veganes Restaurant, will einen CO2-Fußabdruck haben. Unsere Studis kommen rein und sagen, Moment mal, das reicht nicht. Wir haben doch die Sustainable Development Goals.
Wir haben doch verschiedene Formen der Nachhaltigkeit, die berücksichtigt werden müssen. Wollen wir uns das nicht mal ganzheitlicher anschauen? Und daraus entstand dann tatsächlich erstmal eine Diskussion und erstmal Widerstand und erstmal die Frage, ja, warum geht das denn eigentlich nicht? Und vielleicht müsste man sich dann auf bestimmte Aspekte der Nachhaltigkeit verständigen erstmal. Das hat einen Diskussionsprozess angefacht, aber hat am Ende auch zur Folge, dass das Restaurant quasi die ganzen Daten und Informationen, die eigentlich gar nicht vorgesehen waren für die Studis, am Ende doch geöffnet haben und gesagt, na gut, dann schaut euch das mal an und legt mal los. Also quasi dieses durch Widerstände gehen, Sachen hinterfragen, integral an Projekte rangehen, das wird dann besonders gut benotet. Und ich glaube, eine Sache ist besonders wichtig, nämlich, dass sich alle an der Hochschule als Lernende begreifen.
Also, ob das Studis sind oder ProfessorInnen. Keiner hat 20 Jahre Erfahrung mit generativer KI. Keiner hat die Erfahrung, wie es ist, in einer Welt zu leben, in der planetare Grenzen überschritten werden. Deswegen ist, glaube ich, die erste Voraussetzung, dass wir uns alle als Lernende erstmal begreifen und dann gemeinsam Hochschule ko-kreieren. Das wäre meine Hoffnung für die Transformation der Hochschule.