Unternehmenskultur als Resilienzfaktor?

Forschen und Entwickeln in der Pandemie

Unternehmenskultur als Resilienzfaktor? (Cover)

Wie keine Krise der Nachkriegszeit zuvor fordert die COVID-19-Pandemie die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen heraus und wie keine Krise zuvor wird eine effektive Forschung und Entwicklung (FuE) zur Bewältigung der Krise benötigt. Doch können Unternehmen in der Pandemie tatsächlich effektiv forschen und entwickeln?

Ziel der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Studie von Stifterverband und ZEW war es, den potenziellen Beitrag einer innovativen Unternehmenskultur zur Krisenresilienz von Unternehmen in Zeiten der Pandemie herauszuarbeiten. Hierfür wurden mit Unternehmen aus verschiedenen Branchen und Technologiefeldern qualitative, leitfadengestützte Interviews durchgeführt.

Die Publikation ist im August 2021 erschienen.

Die zentralen Erkenntnisse der Untersuchung sind:

  • Die Herausforderungen, welche sich durch die Pandemie für die Unternehmen ergeben, ähneln teilweise denen einer Wirtschaftskrise. Dies sind zum Beispiel geringer werdende finanzielle Spielräume oder auch die ökonomische Unsicherheit. Der negative Effekt der Krise auf FuE erscheint allerdings in den qualitativen Interviews abhängig von der Branche zu sein und trifft keineswegs homogen alle Unternehmen zugleich. Neben diesen Schwierigkeiten ergeben sich aber auch zahlreiche neue Herausforderungen. Diese erstrecken sich beispielsweise von der Verschiebung der Büroarbeit in das Homeoffice, über persönliche Belastungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis hin zu reduzierten Laborkapazitäten. Auch scheint es bei den Unternehmen in der Krise tendenziell einen Konzentrationseffekt der FuE-Tätigkeit auf priorisierte anwendungsnahe Projekte zu geben.
     
  • Kann eine innovative Unternehmenskultur die Auswirkungen der Krise auf die FuE-Tätigkeit abmildern? Die Studie beantwortet diese Frage mit "ja". Insbesondere die Flexibilität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Veränderung von Arbeitsprozessen als auch das Engagement innerhalb der Belegschaft sind als Resilienzfaktoren aufgrund der Besonderheiten einer pandemischen Krise hervorzuheben, da die Anpassungsfähigkeit des Unternehmens und der Mitarbeitenden auf einem überdurchschnittlich hohen Niveau herausgefordert wird. Die Studie bestätigt damit zentrale Überlegungen aus der Literatur zur Unternehmenskultur. Kulturelle Elemente wirken aufgrund ihrer Gestaltungskraft des Beziehungs- oder Sozialkapitals auf die Funktionsfähigkeit von Innovationssystemen insgesamt ein.

Johannes Schmitt, Gero Stenke, Josefine Diekhof,
Bastian Krieger, Georg Licht, Christian Rammer:
Unternehmenskultur als Resilienzfaktor?
Forschen und Entwickeln in der Pandemie

Edition Stifterverband: Essen 2021
ISBN: 978-3-922275-992
37 Seiten

Die Studie ist ausschließlich als Online-Publikation verfügbar.

 

Diskussion und Handlungsempfehlungen 

Die Studie ist explorativ angelegt und offenbart vor allem den Bedarf für weitere, tiefergehende Forschung zu der Wechselwirkung zwischen Pandemie, Unternehmenskultur und FuE. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den Zusammenhängen sind also keineswegs gesichert. Trotzdem kann auf Basis der Untersuchung, welche Indizien liefert, bereits Anregungen für potenziellen Handlungsbedarf herausgearbeitet werden. Dies ist insbesondere möglich, wenn die Erkenntnislage aus der Literatur mit den Resultaten dieser Untersuchung kombiniert werden. Es werden im Folgenden auch Maßnahmen in Bezug auf KMUs diskutiert, obwohl diese explizit nicht Teil der Untersuchung waren. Dabei soll versucht werden, die Erkenntnislage aus den Interviews auf KMUs zu projizieren. Eine gesicherte Evidenz gibt es hierzu auf Basis der Studie allerdings nicht. Die Vorschläge sollen vielmehr zu einer Diskussion anregen, welche Maßnahmen zur Stärkung der Krisenresilienz von Unternehmen sinnvoll erscheinen. Hier ist die politische Ebene mutmaßlich nur ein Adressat von mehreren. Die Etablierung einer innovations- und resilienzfördernden Kultur liegt letztlich im Verantwortungsbereich der Führungskräfte. Im Folgenden werden Potenziale für verschiedene Handlungsoptionen erörtert.

Risikobereitschaft erhöhen

Insbesondere resiliente Organisationen zeichnen sich dadurch aus, dass im Fall von Unsicherheiten nicht nur mögliche negative, sondern auch positive Entwicklungen berücksichtigt werden. Risiken bergen nicht nur Gefahren, sondern auch Chancen. Hierfür ist eine umfassende, systemische Sicht entscheidend. Für die Beurteilung von Risiken sollten daher Modelle zum Einsatz kommen, die neben technologischen und ökonomischen Faktoren auch psychologische und soziale Aspekte bei den Mitarbeitenden einbeziehen. Eine erhebliche Bedeutung, gerade bei der Beurteilung komplexer Risiken besitzt die Psychologie: Individuen verarbeiten Informationen, Eindrücke und Wahrscheinlichkeiten höchst unterschiedlich, was zu einer erheblichen Bandbreite an Reaktionen in Risikoentscheidungen führt. Subjektivität spielt eine entscheidende Rolle, gerade bei hoher Unsicherheit und Wirkungskomplexität. Mit Blick auf die Pandemie erscheint es sinnvoll in Krisenzeiten risikoaffine FuE, welche potenziell aktiv zur Bekämpfung der Krise beiträgt, in der notwendigen Breite und – soweit möglich – unbürokratisch zu unterstützen. Darüber hinaus sollte in den Unternehmen systematisch das Wissen über adäquate Risiko-Governance-Modelle vorhanden oder mithilfe staatlich finanzierter oder bereitgestellter Beraterinnen und Berater etabliert werden.

Digitale Infrastruktur weiter ausbauen

Generell ist die Bereitstellung einer leistungsstarken, digitalen Infrastruktur eine Grundvoraussetzung, damit Innovationsprozesse über digitale Schnittstellen organisiert werden können. Im Fall der Corona-Krise war dies ein erfolgskritischer Faktor, denn etablierte physische Wertschöpfungsketten im Forschungsbereich mussten vollständig in den digitalen Raum verlegt werden. Unternehmen, die über keine ausreichend leistungsfähige Digitalinfrastruktur verfügten, mussten zwangsläufig im Wettbewerb zurückfallen. Hier sind Staat und Netzbetreiber massiv in der Pflicht, den Breitbandausbau zu forcieren und die Nutzung von 5G-Technologie zu ermöglichen. Dazu gehört auch, die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und in der Verwaltung selbst, verstärkt digitale Technologien zu nutzen.

Digitalcoaches einsetzen

Die schnelle Neuorganisation von FuE-Prozessen und Wertschöpfungsketten, insbesondere mithilfe digitaler Technologien und Schnittstellen braucht zudem profundes Fach- und Anwenderwissen. Doch Fachkräfte, die über aktuelle und FuE-relevante digitale Kompetenzen verfügen, sind knapp und entsprechend teuer. Dies wird vor allem für kleine Unternehmen häufig ein Problem. Hier kann die Politik durch die Ausbildung und Entsendung von Digitalcoaches insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen bei Bedarf unterstützen. Diese Coaches sind temporär in Unternehmen beschäftigt, werden vom Staat finanziert und sind dafür verantwortlich, die Digitalisierung in Innovationsprozessen gemeinsam mit den Unternehmensleitungen voranzutreiben. Um den Pool potenzieller Coaches zu vergrößern, könnten etwa staatliche Hochschulen anwendungsnahe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder Studierende in fortgeschrittenen Qualifizierungsphasen zeitweilig in Unternehmen entsenden. Als Anreiz könnten eine zusätzliche finanzielle Gratifikation an die Scouts gezahlt und ein entsprechendes Qualifizierungslabel vergeben werden.

Team- und Kulturcoaches etablieren

Die gezielte Förderung team- und personenzentrierter Coachings zur Stärkung der Resilienz und zum Aufbau einer wertegetragenen Innovationskultur wird dringend angeraten. Hier geht es in erster Linie darum, kleinen und mittleren Unternehmen Mechanismen und Instrumente an die Hand zu geben, mit denen externe Herausforderungen und Ungewissheiten angenommen und konstruktiv genutzt werden können. Risiken, Probleme und Ängste dürfen benannt und akzeptiert werden. Letzten Endes müssen die Personen, wie auch die gesamte Organisation bereit sein, mit sich selbst konfrontiert zu werden und notwendige Veränderungen nicht nur zuzulassen, sondern aktiv voranzutreiben. Die Coachings greifen somit stark psychologische Elemente, Achtsamkeitsübungen, organisationale Aspekte und strukturelle Gegebenheiten auf und geben Anregung, wie diese moderiert werden können. Hierdurch kann das so wichtige Vertrauen und Sozialkapital
innerhalb der Teams, wie auch externen Kooperationspartnern gegenüber verbessert werden.

Divers strukturierte Innovationskooperationen stärken

Ein Problem während der Pandemie war es, neue Netzwerke und Partnerschaften für die Unternehmen zu etablieren. Es gilt also stärker als bisher, FuE- und Innovationsprojekte zu fördern, die in Kooperation mit Partnern aus unterschiedlichen Fachdisziplinen und Sektoren durchgeführt werden – wenn dies möglich ist. Auf dieser Basis können Unternehmen dann in Krisenzeiten auf ein etabliertes Netzwerk zurückgreifen. Gerade Krisen und Innovationen mit hohem Neuheitsgrad verlangen nach Wissen unterschiedlicher Fachgebiete und nach Erfahrungen aus unterschiedlichen Kontexten. Die Verbindung zwischen diesen Wissensgebern und -quellen sollten explizit unterstützt werden. Ansatzpunkte bieten die Identifikation möglicher Partner, die Anbahnung, vertragliche Gestaltung und professionelle Abwicklung von Projekten sowie die Skalierung von FuE-Ergebnissen. Auch Hilfestellung im Fall von Konflikten aufgrund unterschiedlicher Erfahrungswelten oder Ziele erscheint sinnvoll. In Förderprogramme könnten etwa Förderquoten für neue Kooperationspartnerschaften erhöht werden, um die Transaktionskosten neuer Netzwerke abzumildern. Somit könnten wechselnde Partnerschaftskonstellationen in Verbundprojekten attraktiver für die Geförderten werden. Auf diese Weise zeigen Unternehmen Offenheit und erlangen Kompetenzen in der Abwicklung von Multi-Akteurs-Konstellationen.

Abschließend ist klar festzustellen: Durch staatliches Eingreifen sollten Markt- und damit Wettbewerbsmechanismen nicht außer Kraft gesetzt werden. Unternehmen, die sich aufgrund anhaltender mangelnder Innovationsfähigkeit nicht im Markt halten können, sollten nicht durch staatliche Förderung künstlich am Leben gehalten werden. Staatliche Gelder sind zielgerichtet und effektiv einzusetzen. Insbesondere die hier beschriebenen kulturellen Aspekte liegen primär im Verantwortungsbereich der Führungskräfte eines Unternehmens. Der Staat kann allerdings eine Vorbildfunktion erfüllen, indem er selbst verstärkt risikobereit handelt. Experimentelle Ansätze der Förderpolitik, die auch eine risikoreichere Vergabe von Fördermitteln bietet, gepaart mit zunehmend agilen Managementmethoden sind bis heute deutlich unterrepräsentiert bei staatlichen Akteuren. Sie müssen dringend ausgebaut werden. Zusätzlich ist eine konsequente Digitalisierung unabdingbar – im Bereich der öffentlichen Infrastruktur, im eigenen E-Government-Sektor und in der Ausstattung des Bildungswesens. Hier haben COVID-19 und die Digitalisierungsstrategie des Bundes bereits viel Positives bewirkt.

Schließlich: Eine im gesamten Innovationssystem stärker risikobereite, agile und offene Innovationskultur ist mit einem zeitgleichen Strukturkonservatismus nicht erreichbar. Es gilt somit, weniger das Etablierte zu konservieren, sondern vielmehr die notwendige Transformation des Systems klug zu begleiten und zu forcieren. Dazu zählt, Unternehmensgründungen weiter zu unterstützen, auch durch den Zugang zu Fachkräften und Wissen. Verbindungen in andere leistungsstarke Innovationssysteme sind weiter voranzutreiben und moderne kollektive Lernprozesse zwischen Unternehmen zu ermöglichen. Dies ist eine langfristige Aufgabe, die bereits im Schulsystem ansetzt. Denn Offenheit, interkulturelle Fähigkeiten, Data-Literacy-Kompetenzen und fachübergreifende Problemlösungskompetenz muss zwingend bereits in den Schulen vermittelt werden. Sie sind der Ort, an dem das Fundament für eine neue Innovationskultur und eine stärkere Resilienz gelegt wird.

 

Kontakt

Gero Stenke (Foto: Damian Gorczany)

Dr. Gero Stenke

ist Leiter und Geschäftsführer der Wissenschaftsstatistik im Stifterverband.

T 0201 8401-426

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Johannes Schmitt (Foto: Damian Gorczany)

Dr. Johannes Schmitt

ist Mitglied des Leitungsteams der FuE-Erhebung und hier insbesondere für Methoden und Prozesse verantwortlich.

T 0201 8401-412

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