Jede sechste Vorlesung an deutschen Hochschulen wird momentan auf Englisch gehalten – im Jahr 2017 war es noch jede neunte. Und in den letzten fünf Jahren hat sich die Anzahl der Kurse zu unternehmerischem Denken an deutschen Hochschulen verzehnfacht: von einem Kurs in 10.000 Kursen auf einen in 1.000. Woher wissen wir das? Gemeinsam mit der Heinz Nixdorf Stiftung hat der Stifterverband den Higher Education Explorer (HEX) entwickelt – eine wegweisende Datenbank, die die Hochschullehre transparent und vergleichbar macht.
Auf Grundlage von zwei Millionen Daten aus den Vorlesungsverzeichnissen von 22 Universitäten bietet der HEX erstmals tiefe Einblicke in das Lehrangebot und ermöglicht datenbasierte Entscheidungen. Volker Meyer-Guckel, Generalsekretär des Stifterverbandes, hat dazu mit Dr. Mathias Winde, Leiter des Handlungsfelds "Bildung & Kompetenzen", gesprochen. Er hat die Entwicklung dieses Tools mit seinem Team begleitet. Im Fokus standen die Fragen: Was ist der Higher Education Explorer und was kann er? Welche neuen Erkenntnisse lassen sich gewinnen? Was ist die Vision für den HEX und wie soll er sich weiterentwickeln?
Der HEX bietet Hochschulen die Möglichkeit, ihr Lehrangebot datenbasiert zu reflektieren und gezielt auszubauen. Hochschulmanagerinnen und -manager, Forschende und alle Interessierten sind eingeladen, gemeinsam mit dem Stifterverband dieses Tool weiterzuentwickeln.
(Volker Meyer-Guckel)
Hex! Hex! Jeder kennt noch diesen Spruch von Bibi Blocksberg aus Jugendtagen. Heute aber möchte ich über ein anderes "Hex" sprechen, den Higher Education Explorer. Und ich tue das mit Mathias Winde, den Bereichsleiter Bildung & Kompetenzen im Stifterverband. Mathias, wir haben mit der Heinz Nixdorf Stiftung etwas Neues entwickelt im Stifterverband, ein Instrument zur Erforschung von Hochschuldaten. Stell ihn noch bitte mal vor!
(Mathias Winde)
Ja, der Higher Education Explorer ist unsere Antwort auf die Frage: Wie sieht das Studienangebot eigentlich für deutsche Studierende aus? Wir uns lange überlegt: Wie kann man eigentlich herausfinden, wie an deutschen Hochschulen gelehrt wird, was an deutschen Hochschulen gelehrt wird? Und da sind wir ziemlich schnell auf die Vorlesungsverzeichnisse gekommen. In den Vorlesungsverzeichnissen steht drin: der Titel der Vorlesung. Es steht drin, wer die Vorlesung hält, an welchem Institut sie angesiedelt ist, und dann ist auch meistens eine kleine Beschreibung der Inhalte da drin. Diese ganzen Daten haben wir gescraped, das heißt, aus dem Internet zusammengeführt in eine Datenbank, und diese Datenbank können wir jetzt analysieren.
(Volker Meyer-Guckel)
Das klingt vielversprechend, aber hatten wir vorher keinen Überblick über das, was an deutschen Hochschulen gelehrt wurde?
(Mathias Winde)
Naja, vielfach hat man gearbeitet mit dem Kompass mit dem Studienkompass der Hochschulrektorenkonferenz, aber da sind natürlich nur die Studiengänge drin und nur die Namen der Studiengänge, das heißt, so tief wie jetzt sind wir noch niemals in das Angebot von Hochschulen reingekommen.
(Volker Meyer-Guckel)
Das heißt, wir können auch in die Modulbeschreibungen und in die Kompetenzen, die dort vermittelt werden sollen, hineingehen?
(Mathias Winde)
Naja, wir gehen in die Beschreibung der Vorlesung drin, also eher in die Inhalte als in die Kompetenzen. Es gibt tatsächlich andere Forschungsprojekte, die sich die Modulbeschreibung anschauen und dann eher auf Kompetenzebene arbeiten. Wir schauen uns die Vorlesungsverzeichnisse an und können dann eher noch mal die Themen herausbekommen.
(Volker Meyer-Guckel)
Wem würde das helfen, wem würde das nützen, wer kann damit arbeiten?
(Mathias Winde)
Also, unsere erste Zielgruppe sind die Hochschulen selbst. Wir haben zwei Millionen Daten über Vorlesungen jetzt von 22 Universitäten, davon die 15 größten. Wir können teilweise bis zum Jahr 1995 zurückgehen, aber die meisten Vorlesungsverzeichnisse reichen so bis ja 2017.
(Volker Meyer-Guckel)
Wie viele Studierende sind an diesen Universitäten eingeschrieben?
(Mathias Winde)
Ja, das sind rund 25 Prozent der Studierenden in Deutschland, weil es eben die ganz großen Universitäten mit ihrem Studienangebot gibt. Also, das können wir das können wir abbilden. Und was jetzt natürlich interessant ist, wenn man so eine homogene Gruppe an Universitäten hat, die kann man relativ gut vergleichen. Wir haben das Angebot jetzt ja von jeder einzelnen Universität, und was wir jetzt als nächstes machen, ist, den beteiligten Universitäten ihre Profile zuzusenden, und dann das ganze abzugleichen mit einer Gruppe an Universitäten, die so ähnlich sind mit dem Profil wie sie. Und dadurch hat man so ein Benchmark zu den anderen Hochschulen. Ich glaube, was das unterstützen kann, ist so eine datengestützte Hochschulentwicklung. Wo stehe ich eigentlich mit meiner Hochschule? Wo stehen die anderen Hochschulen? Und wo will ich eigentlich hin? Suche ich mir eine Nische oder gehe ich auch dahin, wo viele andere Hochschulen sind? Das sind ja so Fragen der Hochschulentwicklung, die man mit dem Higher Education Explorer jetzt beantworten kann.
(Volker Meyer-Guckel)
Das wäre jetzt sozusagen der Nutzen für die einzelne Hochschule. Gibt's auch einen Nutzen für Hochschulforschung oder für politische Entscheidungsprozesse?
Der erste Schritt ist jetzt tatsächlich in die Hochschulforschung rein. Wir stellen Daten nicht nur den einzelnen Hochschulen anonymisiert zur Verfügung, sondern wir haben auch eine ganze Reihe an Daten jetzt auf unserer Internetseite "Higher Education Explorer" dargestellt. Das sind zunächst mal Grunddaten, die wir erhoben haben, das finde ich auch ganz interessant. Also, es gibt beispielsweise diese Frage: Auf welcher Sprache basiert der Kurs? Wird auf Deutsch gelehrt oder auf Englisch oder einer anderen Sprache? Und was sich dort zeigt, ist, dass die Anzahl der englischsprachigen Kurse von zwölf Prozent auf 16 Prozent an den großen Universitäten gestiegen ist in den letzten fünf Jahren, also ein deutlicher Anstieg in Hinwendung zu den internationalen Studierenden lässt sich dort deutlich absehen. Und da sieht man aber auch große Unterschiede zwischen den einzelnen Universitäten. Universitäten, die stark auf Internationalisierung setzen und welche, die dort noch ganz am Anfang sind.
(Volker Meyer-Guckel)
Kannst du noch andere Beispiele geben – welche welche Fragen habt ihr eingegeben in dieses Untersuchungsinstrument?
(Mathias Winde)
Genau, also, eine Frage war die nach den nach den Sprachen. Die zweite Frage, die wir uns gestellt haben, ist: Ändern sich eigentlich Formate, wie heute gelehrt wird an den Hochschulen? Es wird immer so ein bisschen gesprochen: Der Tod der Vorlesung steht vor der Tür. Wenn man sich jetzt mal diese zwei Millionen Datensätze ansieht in den letzten fünf Jahren: Fast 20 Prozent der Kurse ist im Vorlesungsstil gehalten. Ja, also, wir sehen da überhaupt keine Entwicklung. Die Vorlesung ist ein Bollwerk. Das ist so eine Frage. Dann kann man aber natürlich ins Inhaltliche reinsteigen. Uns interessiert ja im Stifterverband auch die Frage beispielsweise nach unternehmerischem Denken und Handeln. Wie wird das an den Hochschulen vermittelt? Wir haben dazu eine Charta gemacht, wir haben den Gründungsradar, und was uns wirklich gefreut hat, ist, dass man sehen kann, dass die Anzahl der Kurse die Entrepreneurial Skills vermitteln, in den letzten fünf Jahren deutlich angestiegen ist, also ganz kontinuierlich im Durchschnitt angestiegen an den deutschen Hochschulen. Das freut uns natürlich und kann vielleicht auch die Bundesregierung freuen, die ja mit dem Exist-Programm gerade so etwas an Universitäten auch ...
(Volker Meyer-Guckel)
Das heißt, man kann schon auf einer aggregierten Ebene sowas wie ein Kompetenzmonitoring auch betreiben für bestimmte Zukunftskompetenzen, die man vielleicht braucht und die erst noch entwickelt werden.
(Mathias Winde)
Genau, das sind Fragen, die uns umtreiben, und die wir jetzt auch mit Forschern gemeinsam behandeln möchten. Das heißt, wenn es jetzt interessierte Forscher gibt, die mit uns an Forschungsfragen arbeiten wollen, dann können sie gerne auf uns zukommen.
(Volker Meyer-Guckel)
Genau, wir haben ja das Interesse, dieses Erhebungsinstrument weiterzuentwickeln. Wer würde sich eingeladen fühlen, daran mitzuarbeiten? Wo wollen wir eigentlich hin? Wir haben jetzt, du hast gesagt 22 Universitäten, was ist das Ausbauziel und und welche methodischen Fragen könnte man vielleicht noch weiterentwickeln?
(Mathias Winde)
Also, das Ausbauziel mittelfristig ist schon, den Großteil der Universitäten in unserer Datenbank zu haben. Das richtet sich jetzt nicht gegen die Hochschulen für angewandte Wissenschaften, aber tatsächlich ist es auch technisch schwieriger, die Vorlesungsverzeichnisse von HAWs in der Datenbank zu integrieren. Deswegen ist unser erster Fokus jetzt für die nächsten Jahre einmal die Universitäten, die man dann auch besser vergleichen kann. Und die beiden Zielgruppen, die wir jetzt ansprechen, sind tatsächlich Hochschulentwickler, vielleicht auch Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten für Lehre an den Hochschulen, mit denen wir darüber sprechen möchten: Was sind es eigentlich für Daten, die sie weiterbringen in der Hochschulentwicklung? Was interessiert sie? Und das zweite, Hochschulforschung und Hochschulforscher an den einzelnen Universitäten, die sich mit Wissenschaftsforschung beschäftigen und mit denen wir dann unterschiedliche Fragen klären möchten.
(Volker Meyer-Guckel)
Ja, das war gewissermaßen eine Einladung an diejenigen, die mit uns den Hochschulexplorer weiterentwickeln können, durch Fragen oder durch Antworten, die man sucht, und wir werden in verschiedenen Runden unterschiedliche Stakeholder-Kreise einladen, um dieses Instrument weiterzuentwickeln. Dankeschön.
(Mathias Winde)
Sehr gerne.