Irgendwo in diesem Garten muss es passiert sein, dass Jürgen Tautz seine lebenslange Leidenschaft entdeckte. Idyllisch eingewachsen, umgibt er ein früheres Bauernhaus, in dem Tautz mit seiner Familie wohnt, eingebettet in die fränkischen Hügel in der Nähe von Würzburg. „Dort vorne stand mein erstes Bienenvolk“, sagt Tautz und deutet in eine Ecke des Gartens. 40 Jahre alt war der Biologe damals, ein Kollege hatte ihm die Bienen geschenkt: „Dabei wusste ich über Bienen nur zweierlei, nämlich dass sie erstens stechen und zweitens Honig machen.“
Wissenschaftskommunikation
Ein Leben für die Biene

„Drei Stunden habe ich erzählt und man hätte eine Stecknadel fallen gehört. “

Als das Wort „Bienensterben“ in die Schlagzeilen kam, schrieb Jürgen Tautz das erste populärwissenschaftliche Buch über Bienen. „Bis dahin gab es zwar jede Menge Literatur, aber das waren alles Fachtitel für Imker.“ Er hielt Vorlesungen für seine Studenten, er gab Interviews, trat auf Tagungen auf und irgendwann auch vor Automanagern. Jürgen Tautz schmunzelt, wenn er daran denkt: „300 wichtige Leute aus den Konzernen hatten einen Kongress hier in Würzburg, und ich sollte für die Abendunterhaltung sorgen und etwas über Bienen erzählen.“ Seinen Vortrag nannte er „Die Honigbiene – der heimliche Helfer der Automobilindustrie“.
Als er auf die Bühne kam, erinnert er sich, seien die Zuhörer müde gewesen nach einem langen Tag, „aber aus Höflichkeit sind sie noch sitzen geblieben“. Und dann legte Jürgen Tautz los: Er erzählte über die Wabenstrukturen und die Parallelen zur Leichtbauweise bei Autos. Er erzählte vom U-Bahn-Netz in Tokio, in dem automatisiert ständig Züge kreuz und quer fahren, aber nie zusammenstoßen. „Und jetzt schauen Sie sich einmal den Verkehr vor Bienenstöcken an, vor diesem kleinen Eingangsloch. Da herrscht Gewimmel, aber es gibt keine Rempler“, sagte Tautz. Er zeigte Zeitlupenaufnahmen aus seiner Forschung. „Wie machen das die Bienen – und was können wir daraus für den Verkehr lernen?“ Die Automanager hörten gebannt zu. Oder, ein Vortrag bei anderer Gelegenheit: Tautz referierte im Waldkindergarten, den seine Enkel besuchen. 20 Minuten würden reichen, sagte ihm die Erzieherin vorher, länger könnten sich die Kleinen sowieso nicht konzentrieren. „Drei Stunden habe ich erzählt“, ruft Jürgen Tautz triumphierend, „und man hätte eine Stecknadel fallen gehört!“
Wenn eine Biene eine neue Höhle entdeckt, vermisst sie sie zunächst, indem sie ihre Schritte zählt, und sofern die Höhle geeignet ist als neue Behausung für den Stamm, holt sie die anderen Bienen nach. Frisch geschlüpfte Bienen sind die ersten drei Tage ihres Lebens nicht in der Lage zu stechen, danach schon. Er erzählt, dass der Biene im Koran eine eigene Sure gewidmet ist und sie in allen Weltreligionen eine Rolle spielt. Dass die amerikanischen Ureinwohner keine Bienen kannten, aber die europäischen Siedler sie als Nutztier mitbrachten; „die Fliege des weißen Mannes“ wurde sie deshalb von den Ureinwohnern genannt.
Digitaler Bienenstock
Wer mit Jürgen Tautz von seinem Haus in den fränkischen Hügeln zum Gebäude seines Instituts in Würzburg fährt, sieht dort ein Projekt, auf das er besonders stolz ist. Ihre Büros haben Tautz und seine Mitarbeiter in einem früheren Kasernengebäude; ein dreigeschossiges, lang gestrecktes Haus ist es, das einstmals amerikanischen Offizieren als Unterkunft diente. Tautz ist im Erdgeschoss untergebracht, aus seinem Fenster führt ein Kabelstrang nach draußen – hin zu einem Bienenstock, den er dort vor dem Fenster platziert hat. Er gehört zu dem besagten Projekt: HOBOS heißt es, HOneyBee Online Studies. Dessen Nachfolgeprojekt we4bee richtet sich gezielt an Schulen. Sie können über das Internet das Leben der Bienen verfolgen: Der Bienenstock ist mit Sensoren ausgestattet, dazu gibt es etliche Messwerte aus der Umwelt, wie Wetter und Feinstaub. Derzeit sind, gesponsert durch die Audi Stiftung für Umwelt, 100 Schulen an dem Projekt beteiligt, alle mit eigenen Bienenvölkern. Die Bienen, so hat Jürgen Tautz beobachtet, sind ein ideales Vehikel, um Schüler für die Biologie und generell für die Naturwissenschaften zu begeistern. Mit seinem neuesten Buch Honigbienen – geheimnisvolle Waldbewohner, für das er mit Ingo Arndt, einem der weltweit renommiertesten Naturfotografen, an Bienenstöcken auf der Lauer gelegen hatte, will er weiter für die Bienen trommeln.
Seinen Studenten, die sich mit Bienen beschäftigen wollen, gibt Tautz immer den gleichen Rat: „Setzt euch am Anfang einfach mal vor einen Bienenstock, stundenlang, und beobachtet die Bienen“, sagt er ihnen. „Und mit der Fachliteratur fangt ihr am besten erst danach an. Verlasst euch drauf: Jeder findet seinen ganz eigenen Zugang zu den Bienen!“
Dieses Selbstbeobachten, das Sich-faszinieren-Lassen ist genau der gleiche Weg, den Jürgen Tautz gegangen ist, damals vor 30 Jahren mit dem ersten Bienenstock, den ihm der Kollege geschenkt hatte.
ÜBER DIESE SERIE
20 Jahre Communicator-Preis - Grund genug für MERTON, die bisherigen 20 Preisträger in einer besonderen Bild- und Artikelserie zu würdigen. Nicht nur der Fotograf Christian Bohnenkamp setzt die Protagonisten in stimmungsvolles Licht, auch der Autor Kilian Kirchgeßner bringt sie in seinen Texten zum Leuchten. Wer die ausdrucksstarke Bilder einmal aus der Nähe sehen will: Das Wissenschaftszentrum Bonn präsentiert die Werke voraussichtich im Sommer 2021 in einer kleinen Retrospektive.
