Wissenschaftskommunikation

Die kosmische Rampensau

Harald Lesch (Foto: Christian Bohnenkamp)
Harald Lesch (Foto: Christian Bohnenkamp)
©

Die ersten Autogramme seines Lebens holte sich Harald Lesch im Jahr 1999. Es war der 30. Jahrestag der Mondlandung, er moderierte im WDR eine Sendung dazu und hatte Günter Siefarth und Hans Heine im Studio. Als die Sendung zu Ende war, bat er sie um eine Unterschrift – jene beiden Männer, die 1969 im deutschen Fernsehen die Übertragungen von der Apollo-Mission kommentierten und für Harald Lesch zu den Helden seiner Kindheit wurden. In diesem Moment im Juli des Jahres 1999 treffen zum ersten Mal die beiden Linien aufeinander, die prägend sind für Harald Lesch: zum einen die Mondlandung, die ihn als kleinen Jungen so fasziniert hatte, dass er viele Jahre später Astrophysik studierte, und zum anderen moderierte er an jenem Jahrestag die erste Live-Sendung seines Lebens.

Wenn er an diesen Tag zurückdenkt, redet sich Harald Lesch noch heute in Hochstimmung. „Nach der Sendung sagten die beiden zu mir: ‚Das haben Sie formidabel gemacht!‘ Ich war so stolz auf das Lob von diesen beiden Helden.“ Dass die Mondlandungsveteranen mit ihrer spontanen Einschätzung richtig lagen, hat sich längst erwiesen: Harald Lesch ist zum prominentesten Wissenschaftler im deutschen Fernsehen aufgestiegen, er moderiert und erklärt, er zeigt und experimentiert auf etlichen Kanälen. Und er schafft es, selbst den Urknall, die Neutrinos und die Quantenmechanik so zu erklären, dass es kein Spartenprogramm für Physik-Nerds wird, sondern unterhaltsames Fernsehen für alle.

Wie er so tickt, dieser Forscher, der zum Promi geworden ist, merkt man an der Musik. Ein kurzer Moment ist es nur: Eigentlich ist er unterwegs zu einem Besprechungsraum in der Verwaltung des Deutschen Museums in München, er hat ohnehin in der Stadt zu tun, und auf einmal klingt über den langen Flur ein Klavier. Ein paar Takte aus einer Beethoven-Sinfonie, gespielt von Fingern, denen man ihre regelmäßige Übung anmerkt. „Das Klavier stand da so verlockend“, sagt Harald Lesch entschuldigend, als er vom Hocker wieder aufsteht und seine Jacke aufhebt, die er kurzerhand auf den Boden gelegt hatte, um schnell ein bisschen zu spielen. Er trägt einen blauen Pullover, einen gepflegten Vollbart und dazu die rahmenlose Brille, die längst zum Markenzeichen geworden ist, und strahlt Gelassenheit aus. 

image
Illustration: Lisa Syniawa
©

Diese Forscher sind Stars. Denn sie arbeiten nicht nur in Labors, sitzen nicht nur in Bibliotheken. Stattdessen stehen sie als Medienprofis sehr oft auf den großen Bühnen des Landes. Sie können meisterhaft über Forschung reden, sie begeistern für das, was vielen Bürgern sonst nicht zugänglich wäre. Solche begnadeten Wissenschaftskommunikatoren als Vorbilder zu adeln und ihr außergewöhnliches Engagement zu belohnen, war im Jahr 2000 die Idee des Stifterverbandes und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Seitdem vergeben sie gemeinsam jährlich den „Communicator-Preis – Wissenschaftspreis des Stifterverbandes“. Der Stifterverband steuert das Preisgeld bei (50.000 Euro), die DFG sucht die Preisträger aus. Harald Lesch erhielt den Communicator-Preis im Jahr 2005.

„Wenn an einem Tag mehr als 100 Mails gekommen sind, dann lösche ich sie alle. Bei dem, was ich mache, geht es ja nicht um Leben oder Tod.“

Harald Lesch (Foto: Gerald von Foris)
Harald Lesch (Foto: Gerald von Foris)
©
Harald Lesch
Wissenschaftskommunikator

Sein Handy, das er auf den Tisch legt („ich erwarte noch einen dringenden Anruf!“), ist ein uraltes Gerät und es spricht Bände über die Art, wie er kommuniziert: Er redet mit Lust und Begeisterung, aber die häppchenweise Informationsberieselung auf sozialen Medien und anderen Kanälen kann er nicht leiden. Um der vielen E-Mails, die ihn erreichen, Herr zu werden, hat er eine bestechend einfache Strategie erdacht: „Wenn an einem Tag mehr als 100 Mails gekommen sind“, sagt er, „dann lösche ich sie alle. Bei dem, was ich mache, geht es ja nicht um Leben oder Tod.“

Das, was er macht – er selbst nennt es „das Bermudadreieck, in dem ich mich wohlfühle“ –, ist erstens die Professur für Astrophysik an der Ludwig-Maximilians-Universität München, zweitens sein Lehrauftrag für Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie und drittens seine Fernsehsendungen.

Den Schlüssel zu allen diesen Aktivitäten muss man hinter einer Theke suchen, hinter der Theke einer Dorfkneipe im Hessischen. Dort wuchs Harald Lesch als Kind der Wirtsfamilie auf. Schon als Grundschüler half er mit und spitzte die Ohren, wovon die Leute so reden. Und als einer der örtlichen Skatbrüder starb, musste er ran, damit sich die Runde weiter treffen konnte. So eine Sozialisierung schützt vor dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm, und genau davon profitiert Harald Lesch bei seinen Fernsehsendungen und bei seinen Vorträgen.

Als das Universum größer wurde

Wenn er heute durch die Astronomie-Ausstellung im Deutschen Museum schlendert mit allen ihren historischen Apparaten zur Sternenbeobachtung, mit den immer ausgefeilteren optischen Gerätschaften, dann ist das wie eine Entdeckungsreise zurück in die fast 40 Jahre, die Harald Lesch schon in diesem Bereich forscht. Es war genau die Zeit der großen Durchbrüche, in die er mit seinem Studium hineingestartet ist: „1969, bei der Mondlandung, waren schon mehr als zehn Jahre vergangen, seit man angefangen hatte, mehr als nur das sichtbare Licht und die Radiostrahlen zu verwenden, um zum Beispiel die Milchstraße zu untersuchen. 1963 wurden die Quasare entdeckt, damit wurden zum ersten Mal die Schwarzen Löcher bestätigt. 1967 wurden die Pulsare entdeckt, damit wurden die Neutronensterne bestätigt. Das heißt, zu diesem Zeitpunkt wurde das Universum immer größer, aber das steckte alles noch so in den Kinderschuhen, dass danach eine unglaubliche goldene Zeit in der Astronomie entstand.“ 

image
Foto: Christian Bohnenkamp
©

Immer mehr Fragen ließen sich beantworten: Wie entstehen eigentlich Planeten? Welches Material befindet sich zwischen verschiedenen Sternen? Was liegt im Weltall hinter den Bereichen, die nicht für Teleskope oder Satelliten zugänglich sind? „Die Astronomie scharrte mit den Hufen und wartete darauf, ganz große Schritte nach vorn zu machen“, erinnert sich Harald Lesch, und bald stieg er als junger Mann selbst ein in diese Zeit der Aufbruchstimmung.

1978 begann er sein Studium in Gießen und Bonn. Nebenbei nahm er Schauspielunterricht und trat hier und da mit Kabarettprogrammen auf. „Ich bin eine Rampensau“, sagt er lachend, „ich fühle mich auf der Bühne pudelwohl!“ Er promovierte am Max-Planck-Institut für Radioastronomie, war Gastprofessor an der University of Toronto, habilitierte in Bonn und trat dann 1995 seine Professur für Astrophysik an der Universitäts-Sternwarte München an. Eines Tages kam ein Kollege zu ihm ins Büro und erzählte von einer Anfrage des Bayerischen Rundfunks. Es war die Zeit, als die Voyager-Sonden das Sonnensystem verließen und weiter hinaus in den Weltraum reisten, an Bord die zwei sogenannten Pioneer-Plaketten. Eingraviert in Gold befinden sich auf ihnen Informationen für Außerirdische über das Leben auf der Erde und die Fernsehleute suchten einen Wissenschaftler, der das erklären konnte. „Ich habe Angst, mich da vor der Kamera zu blamieren“, sagte Leschs Kollege zu ihm, „aber du hast ja deine Antrittsvorlesung in Bonn zum Thema gehalten, ob wir alleine sind im Universum. Also habe ich ihnen mal deine Nummer gegeben.“ Und so stand Lesch im Deutschen Museum vor den Teleskopen – ebendort, wo er jetzt wieder steht – und erklärte in die Kameras die Bedeutung der Plaketten. In diesem langen Monolog sagte er auch bei irgendwelchen Zeichen, dass er deren Sinn auch nicht kenne. „Ich dachte, die schneiden das raus, aber die haben das in voller Länge gesendet und die Zuschauer waren begeistert: Ein deutscher Professor, der vor der Kamera sagt, er wisse es nicht.“

„Wenn ich forsche, sollte mir der liebe Gott nicht darin herumfuhrwerken, da verrechne ich mich nur.“

Harald Lesch (Foto: Gerald von Foris)
Harald Lesch (Foto: Gerald von Foris)
©
Harald Lesch
Astrophysiker

Kurz darauf bot ihm der Bayerische Rundfunk eine eigene Sendung an, alpha-Centauri sollte sie heißen, im Wochenrhythmus erscheinen mit einer Viertelstunde Sendezeit über die Sterne. Lesch nahm das Angebot an, die Sendung wurde innerhalb kürzester Zeit so erfolgreich, dass er bald darauf das Angebot bekam, die Livesendung mit den beiden Mondlandungsreportern Günter Siefarth und Hans Heine zu moderieren. Inzwischen hat er etliche eigene Sendungen im Fernsehen und bilanziert trocken: „Dem Kollegen, der damals nicht vor die Kamera wollte, verdanke ich meine ganze Fernsehkarriere!“

Als Wissenschaftler arbeitet Harald Lesch immer noch sehr traditionell, die ganzen modernen Methoden hin oder her. Klar: Dank der Hightechobservatorien kann man inzwischen in Dimensionen vordringen, von denen die Astrophysiker noch vor zehn Jahren nur träumen konnten. „Aber in der Theorie kommt es immer noch auf Gehirnschmalz an. Und ich bin das, was man einen analytischen Theoretiker nennt. Das heißt, ich arbeite mit Bleistift und Papier. Ich bin ein Dinosaurier, eine aussterbende Art!“

Eins aber ist gleich geblieben, allem technischen Fortschritt zum Trotz: die Anziehungskraft des Universums. „Der gestirnte Himmel über uns“, sagt Harald Lesch, und auf einmal klingt eher der Philosoph als der Astrophysiker durch, „ist für jedes Hirn, das in der Lage ist, Fragen zu stellen, eine unglaubliche Herausforderung.“ Seit Menschengedenken ist das so; er selbst war der Faszination spätestens nach der Liveübertragung von der Mondlandung erlegen und seine Studenten von heute wollen auch diesem Unergründlichen, diesem großen Geheimnis auf die Spur kommen. Harald Lesch tut das nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch als gläubiger Christ: Er ist mit vielen Pfarrern befreundet, und immer wieder taucht er tief in theologische Diskussionen ein. 

image
Cover: Sven Sedivy
©

Harald Lesch bei „Forschergeist“

Harald Lesch kann nicht nur Fernsehen, sondern auch Podcast. Wer sich von Harald Leschs unbändigem Erzähltalent überzeugen möchte, sollte sich diese Folge des Stifterverbands-Podcast „Forschergeist“ anhören. Ein rasantes Gespräch über die Wirkung von Wissenschaft auf die Gesellschaft und wie sich unsere Bildung ändern muss. 

Forschergeist 55: Die Kunst des Wissens

Dabei gilt eisern der Grundsatz, den er schmunzelnd so formuliert: „Wenn ich forsche, sollte mir der liebe Gott nicht darin herumfuhrwerken, da verrechne ich mich nur. Aber wie ich mit den Leuten in meiner Umgebung umgehe und mit mir selbst – da habe ich ein ganz klares religiöses Weltbild.“ Andere Physiker, fügt er dann hinzu, wendeten sich der Philosophie erst nach ihrer Pensionierung zu, aber so lange habe er selbst sich dieses Thema nicht vorenthalten wollen.

So ganz hätte er den Fragen nach den großen Dingen der Welt ohnehin nicht ausweichen können. „Es ist selbst heute noch so, dass Astronomen bei ihren Vorträgen häufig nach Gott gefragt werden. Dabei könnte man ja jeden Tankwart, jeden Schuster, jede Verkäuferin nach Gott fragen. Aber trotz aller Rationalität ist der Himmel ein Sehnsuchtsort geblieben, also fragen die Leute eben die Astronomen.“

Das ist ein Ball, den Harald Lesch gern aufnimmt: Auch heute noch, nach vielen Jahrzehnten als Professor und Moderator, geht er mit Leidenschaft auf die Suche nach den Antworten.

Über diese Serie

20 Jahre Communicator-Preis - Grund genug für MERTON, die bisherigen 20 Preisträger in einer besonderen Bild- und Artikelserie zu würdigen. Nicht nur der Fotograf Christian Bohnenkamp setzt die Protagonisten in stimmungsvolles Licht, auch der Autor Kilian Kirchgeßner bringt sie in seinen Texten zum Leuchten. Wer die ausdrucksstarke Bilder einmal aus der Nähe sehen will: Das Wissenschaftszentrum Bonn präsentiert die Werke voraussichtich im Sommer 2021 in einer kleinen Retrospektive. 

Alle Folgen dieser Serie 

 

 

Tauchen Sie tiefer in unsere Insights-Themen ein.
Zu den Insights