Die Zeit ist reif für Public Engagement

 
Mit einer Stärkung der Wissenschaftskommunikation werden längst auch gesellschaftspolitische Ziele verfolgt, sagt Andrea Frank, stellvertretende Generalsekretärin des Stifterverbandes. Es sei daher an der Zeit, dass Wissenschaft nicht nur für Verständnis wirbt, sondern echte Verständigung anstrebt.

Erstveröffentlichung in Table.Research am 2. April 2024

 

Der Bundestag debattierte vor Kurzem über die systematische Stärkung der Wissenschaftskommunikation. Er betonte ihre Bedeutung für demokratische Prozesse und die Bewältigung von Krisen wie der Corona-Pandemie. Das ist wichtig und richtig – dieser parlamentarische Rückenwind für Wissenschaftskommunikation stärkt die Relevanz des Dialoges von Wissenschaft und Gesellschaft. Dennoch habe ich mich gefragt: Welche frische Brise brauchen wir darüber hinaus dafür?

Neu ist das Thema nicht: 1999 – fast auf den Tag genau vor 25 Jahren – verpflichteten sich die Wissenschaftsorganisation in dem sogenannten PUSH-Memorandum (Public Understanding of Science an Humanities) zu einer Stärkung der Wissenschaftskommunikation. Begeisterung, Transparenz und Legitimation von Wissenschaft sowie Wissensvermittlung an eine breite Öffentlichkeit – das waren die wesentlichen Ziele damals. Die #Factory Wisskomm als übergreifender und partizipativer Strategieprozess, initiiert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), eröffnet seit 2020 einen wertvollen Raum zur Auseinandersetzung mit Handlungsnotwendigkeiten und guter Praxis. 

 

Wissenschaftskommunikation nicht überall mehr als PR

Die Forderungen damals und heute ähneln sich: Für eine erfolgreiche Wissenschaftskommunikation braucht es wirkungsvolle Anreize, mehr Professionalisierung, eine bessere Integration in Fördermechanismen und mehr Sichtbarkeit. Aktuell kommt hinzu: die Sicherheit der Forschenden zu garantieren, die sich durch Kommunikation in die Öffentlichkeit wagen. Die Halbzeitkonferenz der #FactoryWisskom Mitte März hat allerdings gezeigt: Das Engagement in Hochschulen und Forschungseinrichtungen ist groß, die Ziele sind vielfältig, aber nicht überall ist Wissenschaftskommunikation mehr als PR.

Was haben wir also in 25 Jahren erreicht? Das Erklären und Feiern hat sich etabliert. Für die Wissensvermittlung über Forschung und ihre Ergebnisse und für die Begeisterung für Wissenschaft wurden viele Formate entwickelt: Wissenschaft finden wir heute auf Marktplätzen, auf Festivals und in Kneipen. Positiv ist auch, dass die Integration in Förderprogramme wie auch die strategische Relevanz in den Leitungen von Hochschulen und Forschungseinrichtungen zunimmt.

Neu ist aber der gesellschaftliche Kontext, in dem Wissenschaftskommunikation stattfindet. In dem im Bundestag diskutierten Antrag wird deutlich: Mit einer Stärkung der Wissenschaftskommunikation werden auch gesellschaftspolitische Ziele verfolgt. "In Zeiten von multiplen Krisen kommuniziert Wissenschaft (...) Lösungswege und Szenarien und unterstützt die Politik bei den Weichenstellungen zur Modernisierung unseres Landes. (...) Gesamtgesellschaftlich fördert sie Resilienz, Zukunftsfähigkeit sowie Innovationsbereitschaft und stärkt das Vertrauen in Wissenschaft."

Es ist an der Zeit, dass Wissenschaft in der Gesellschaft nicht nur für Verständnis wirbt, sondern echte Verständigung anstrebt.

Andrea Frank (Foto: Damian Gorczany)
Foto: Damian Gorczany

Andrea Frank

Stellvertretende Generalsekretärin des Stifterverbandes

Verständigung auch zu kontroversen und polarisierenden Themen

Wenn wir das ernst nehmen, dann muss Wissenschaftskommunikation mehr leisten als informieren und begeistern. Es ist an der Zeit, dass Wissenschaft in der Gesellschaft nicht nur für Verständnis wirbt, sondern echte Verständigung anstrebt. Wir brauchen ein neues Selbstverständnis von Wissenschaft in einer sich immer schneller transformierenden Gesellschaft – wir brauchen nicht Public Understanding, sondern endlich Public Engagement.

Für mich bedeutet Public Engagement, dass sowohl Wissenschaft als auch Gesellschaft vom gegenseitigen Austausch profitieren. Es ist die Verständigung zu kontroversen und polarisierenden Themen und eine kollaborative Entwicklung von Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen. Public Engagement ist eine Form von Wissenschaftsdialog, die angesichts der gewaltigen Herausforderungen durch die Transformation an Relevanz gewinnen sollte.

Warum? Weil Wissenschaft Transformation begleiten kann – mit Erkenntnis, mit Wissen, mit technologischen und sozialen Innovationen. Es braucht aber auch die Auseinandersetzung mit den Treibern und Konsequenzen der großen gesellschaftlichen Veränderungen. Ein Beispiel: Ich kann über Künstliche Intelligenz informieren oder für KI-Anwendungen begeistern. Ich kann aber auch die Anliegen und Vorbehalte der Bürgerinnen und Bürger oder Anforderungen von Unternehmen in den Fokus nehmen. Ich kann diese in meine Forschung und Lehre integrieren und gemeinsam mit den anderen Perspektiven Lösungen entwickeln.

Das muss nicht jede und jeder Forschende tun, aber wir brauchen eine Grundbereitschaft, sich mit der eigenen Expertise in relevante Debatten einzubringen. Wir brauchen die Haltung, sich zu öffnen für Impulse von und für eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Akteuren im eigenen Forschungsfeld – und dies mit einer Neutralität und ohne Aktivismus. Martin Schröder, Soziologe an der Universität des Saarlandes, kommentiert in der ZEIT die potenziellen Folgen fehlender Neutralität für die Sozialwissenschaften in den USA – lesenswert! 

 

Paradigmenwechsel in der Wissenschaftskommunikation

Der Stifterverband fördert deshalb mit dem CRoSS-Fellowship Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Fachdisziplinen, die zu gesellschaftlich relevanten Themen forschen und ihre Arbeit in einem ko-kreativen Prozess für externe Perspektiven, Wissengeberinnen oder Bürger öffnen. Hier können wir diese Grundbereitschaft ausprobieren – einschließlich ihrer Chancen und Grenzen. Wissenschaftliche Exzellenz heißt für mich eben auch, in dieser Weise dialogfähig zu sein.

Die Wissenschaft hat sich mit ersten Initiativen auf den Weg gemacht: Die Berlin University Alliance greift transdisziplinäre Forschungsansätze auf, die Gesellschaft für transdisziplinäre und partizipative Forschung e.V. hat sich 2023 gegründet, und Anfang 2024 gab es eine Neuauflage des Public-Engagement-Kodex. Einzelne Hochschulen legen in ihrem Handlungsfeld "Transfer und Kooperation" einen strategischen Fokus auf Transdisziplinarität sowie das Forschen und Lehren mit und für die Gesellschaft.  

Für mich ist diese Entwicklung ein Paradigmenwechsel in der Wissenschaftskommunikation und die erforderliche frische Brise, die den Dialog mit der Gesellschaft zukunftsfest machen kann.