Deutschland ist Anspruch, ein Top-Innovationsstandort zu werden, erheblich näher gekommen | Weiter große Herausforderungen: Gefragt ist Geschwindigkeit und ein agiler Staat | "Die Welt ist im Aufbruch, sie wartet nicht auf Deutschland" | EFI-Ziele für 2025
Der Vorsitzende der Expertenkommission, Prof. Dietmar Harhoff vom Max-Plack-Institut für Innovation und Wettbewerb, sieht insgesamt "beachtliche Verbesserungen in den Bereichen der öffentlichen und privaten Forschungs- und Entwicklungsausgaben, bei der Positionierung deutscher Forschungseinrichtungen und Hochschulen hinsichtlich Attraktivität und Exzellenz sowie bei der Modernisierung der deutschen Wirtschaft".
Harhoff verweist jedoch zugleich mit einem bekannten Satz von Roman Herzog auf ein anhaltendes Problem: "Die Welt ist im Aufbruch, sie wartet nicht auf Deutschland." Die Herausforderungen zum Beispiel durch neue internationale Wettbewerber seien in den vergangenen Jahren weiter gewachsen: "Die deutsche F&I-Politik muss daher konsequent weiterentwickelt werden."
Die Expertenkommission sieht in Zukunft vor allem folgende Entwicklungen als große Herausforderungen für die deutsche F&I-Politik:
Die Expertenkommission verweist darauf, dass „die deutsche F&I-Politik eine hohe Flexibilität benötigt, um zügig auf diese Entwicklungen reagieren zu können. Die Anpassung von Strukturen und Prozessen durch Digitalisierung und Öffnung der Innovationsprozesse kann vor Ministerien und öffentlicher Verwaltung nicht haltmachen.“ Die EFI betont: "Hier ist in Zukunft ein agiler Staat gefragt."
Trotz allen Lobes für die Fortschritte ist die Expertenkommission zugleich besorgt über die "zu geringe Geschwindigkeit deutscher Forschungs- und Innovationspolitik" in einigen wichtigen Bereichen: beim Abbau von Benachteiligungen für Start-ups, bei der Umsetzung der Digitalen Agenda, der Verbesserung der digitalen Infrastruktur und der Einführung des E-Government. Prof. Harhoff abschließend: "Derartige Schwächen kann sich das Land in der neuen Legislaturperiode nicht leisten. Hier ist mehr Dynamik gefordert."
In ihrem nunmehr zehnten Jahresgutachten identifiziert die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) im Rückblick auf zehn Jahre Politikberatung der Bundesregierung sechs zentrale Handlungsfelder für mehr Innovationen in Deutschland.
Ein Bündel von Politikmaßnahmen hat laut EFI in den letzten zehn Jahren im Hochschulsektor bzw. allgemein im Bereich der öffentlich geförderten Forschung zu deutlich besseren Forschungsbedingungen, zu mehr Drittmittelforschung und Forschungskooperationen sowie zu einem Zuwachs an wissenschaftlichem Nachwuchs geführt. Der Vorsitzende der EFI, Prof. Dietmar Harhoff vom Max-Plack-Institut für Innovation und Wettbewerb, kommt zu einem positiven Resümee: "Die Attraktivität des Wissenschaftsstandorts Deutschland wurde deutlich erhöht."
Der Bund habe deutlich mehr Mittel für die öffentlich geförderte Forschung bereitgestellt und damit einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung des Drei-Prozent-Ziels sowie zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Forschungslandschaft geleistet. Die EFI hält es nun aber angesichts des internationalen Wettbewerbs für notwendig, "ein ehrgeizigeres Ziel" zu verankern. Prof. Uschi Backes-Gellner von der Universität Zürich und Mitglied der EFI fordert: "Wir erneuern unsere bereits 2013 geforderte Erhöhung der Zielquote auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung."
Innovation kommt durch den Austausch und die Neukombination des Wissens zahlreicher Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft zustande, so die EFI. Hochschulen und Einrichtungen der außeruniversitären Forschung könnten hierbei einen wichtigen Beitrag leisten. Prof. Uwe Cantner von der Universität Jena und Mitglied der EFI dazu: "Deutschland kann es sich nicht leisten, auf die gesellschaftliche und ökonomische Nutzung exzellenter Forschungsergebnisse zu verzichten. Als ein Problem sehen wir, dass sich eine Kultur des Wissenstransfers in diesen Einrichtungen aber bisher nicht in ausreichendem Maße hat bilden können. Das Ziel des Erkenntnis- und Technologietransfers sollte einen höheren Stellenwert in den Forschungseinrichtungen und in der F&I-Politik erhalten." Gut entwickelt sei hingegen die Förderung von Clustern, die sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene inzwischen fester Bestandteil der F&I-Politik seien. Allerdings sei davon auszugehen, dass sich die Fördereffekte sukzessive abschwächten, wenn zunehmend nur noch bereits entwickelte Cluster eine Förderung erführen. "Die Expertenkommission empfiehlt daher, die Fortsetzung der Clusterförderung auf Bundesebene kritisch zu überdenken", so Prof. Cantner.
Bei ihrem Rückblick auf Forschung und Entwicklung (FuE) seit 2005 verweist die EFI auf den europäischen Ratsbeschluss von 2002, die FuE-Ausgaben bis 2010 auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu steigern, wobei zwei Drittel davon die Privatwirtschaft leisten sollte. Prof. Schnitzer von der Ludwigs-Maximilians Universität München und stellvertretende Vorsitzende der EFI kann hier einen großen Fortschritt vermelden: "Noch im Jahr 2005 war die Bundesrepublik mit einem Wert von 2,48 Prozent von diesem Ziel weit entfernt. Aber dank einer bemerkenswerten Steigerung zwischen 2005 und 2015 betrug der Anteil interner FuE am Bruttoinlandsprodukt in Deutschland schließlich im Jahr 2015 2,99 Prozent. Das ist ein großer Erfolg der F&I-Politik, nicht zuletzt deswegen, weil fast zwei Drittel der internen FuE-Ausgaben durch private Unternehmen finanziert werden." Der Zuwachs bei letzteren sei ebenfalls groß, falle aber relativ geringer aus als die Zuwächse im öffentlichen Sektor. Daher bleibe "die Stärkung der FuE in deutschen Unternehmen eine zentrale Herausforderung", so Prof. Schnitzer.
Junge Unternehmen (Start-ups) leisten nach Meinung der EFI einen wichtigen Beitrag zum Wirtschaftswachstum und zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Erfolgreiche Gründungen schafften durch lokale Wertschöpfung Arbeitsplätze. Prof. Ingrid Ott vom Karlsruher Institut für Technologie und Mitglied der EFI sieht hier noch großen Handlungsbedarf: "Die Zahl der Unternehmensgründungen in Deutschland ist im internationalen Vergleich gering, speziell in der wissensbasierten Wirtschaft." Das liegt für die Kommission in der nach wie vor mangelhaften Finanzierung begründet. Zwar wurde mittlerweile, wie von der EFI mehrfach angeregt, die restriktive Behandlung von Verlustvorträgen neu geregelt. "Das ist erfreulich", so Prof. Ott, "doch noch immer ist der deutsche Wagniskapitalmarkt weniger gut entwickelt als jener in anderen europäischen Ländern." Um hier Abhilfe zu schaffen, habe die Politik mittlerweile vielfältige Förderprogramme aufgelegt und weitere Maßnahmen angekündigt, wie zum Beispiel die Schaffung von Anreizen, die das finanzielle Engagement privater Akteure stärken. Abgesehen davon werde allerdings das in Deutschland vorhandene Gründungspotenzial noch nicht hinreichend ausgeschöpft: "Neben den fachlichen Kompetenzen muss auch Disziplinen übergreifend ein Gründungsbewusstsein geschaffen werden, damit Selbstständigkeit als eine realistische Option wahrgenommenen wird", bemerkt Ott.
Auch der Staat müsse ständig innovieren, fordert die EFI, und dabei die Entstehung und Verwendung von Wissen fördern. Von der Breite und Komplexität gesellschaftlicher Herausforderungen seien zunehmend unterschiedliche Politikfelder und -ebenen betroffen. Für Prof. Christoph Böhringer von der Universität Oldenburg und Mitglied der EFI "fällt damit der Koordination von F&I-Politik eine wichtige Rolle zu, um negative Überlagerungen beim Regulieren zu vermeiden und positive Synergien zu erschließen". Neben einer effektiven "ressortübergreifenden Innovationsstrategie" und der "Setzung innovationsfreundlicher Rahmenbedingungen" sei der Staat aber auch aktiv "als Motor bei der innovationsorientierten öffentlichen Beschaffung" gefordert. Angesichts des enormen finanziellen Volumens der öffentlichen Beschaffung plädiert die EFI dafür, diese Mittel stärker und koordinierter als bisher für die Förderung von Innovationen zu nutzen. Eine wegweisende staatliche Forschungspolitik beinhalte und bedürfe zudem Innovationen im Sinne von "Experimentieren mit neuen Förderkonzepten". Böhringer abschließend: "Hierfür muss es ausreichend Freiraum bzw. strategische Flexibilität geben."
Digitaler Wandel vollzieht sich schnell und die dafür zentralen Technologien und Geschäftsmodelle gehören nicht zu den Kernstärken des deutschen F&I-Systems, konstatiert die EFI. "Gerade für Deutschland stellt die digitale Transformation eine radikale Innovation dar, die langfristig erarbeitete deutsche Wettbewerbs- und Spezialisierungsvorteile bedroht", so Prof. Harhoff. Aus Sicht der EFI hat die deutsche F&I-Politik die diesem Wandel zugrunde liegende technische und ökonomische Dynamik bisher zu wenig beachtet. Dies spiegele sich auch in einer Unterfinanzierung der FuE-Förderung der Informations- und Kommunikationstechnologien in Deutschland wider – verglichen zum Beispiel mit dem überaus innovationsstarken Sektor rund um die Automobilindustrie. Die Experten fordern: "Deutschland muss in den kommenden Jahren neue technische und ökonomische Stärken aufbauen. Dazu bedarf es konsequenter und zügiger Politikmaßnahmen. Mit deren Umsetzung sollte in der neuen Legislaturperiode unmittelbar begonnen werden."
Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) mit Sitz in Berlin leistet seit zehn Jahren wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt regelmäßig Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor. Wesentliche Aufgabe der EFI ist es dabei, die Stärken und Schwächen des deutschen Innovationssystems im internationalen und zeitlichen Vergleich zu analysieren und die Perspektiven des Forschungs- und Innovationsstandorts Deutschland zu bewerten. Auf dieser Basis entwickelt die EFI Vorschläge für die nationale Forschungs- und Innovationspolitik.
ist Leiter der Geschäftsstelle der Expertenkommission Forschung und Innovation.
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