Zentrale Aufgabe deutscher Europa-Politik
Unübersichtliche Förderlandschaft vereinfachen
Gründung einer "Agentur für radikale Innovationen" außerhalb der EU-Strukturen notwendig
Trotz Brexit: Großbritannien bei F&I eng an EU binden
"Mit einem Fördervolumen von knapp 75 Milliarden Euro für den Zeitraum von 2014 bis 2020 ist das EU-Forschungsrahmenprogramm mit Namen Horizont 2020 das weltweit größte, in sich geschlossene Forschungs- und Innovationsprogramm. Die deutsche Europapolitik muss die Innovationsorientierung der EU-Rahmenprogramme auch in Zukunft entschieden weiterentwickeln", fordert der Vorsitzende der Expertenkommission, Dietmar Harhoff vom Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb.
Die europäische F&I-Politik finanziere und organisiere Forschungs- und Innovations-aktivitäten mittels verschiedener Programme und Instrumente. Horizont 2020 sei primär auf die Förderung von exzellenter Forschung ausgerichtet. Das unterstützt die Kommission nachdrücklich: "Diese Orientierung sollte bei der Gestaltung des 9. Forschungsrahmenprogramms beibehalten und nicht durch Aufnahme zusätzlicher Elemente verwässert werden."
Gleichzeitig müssten die Mittel der Struktur- und Investitionsfonds von den nationalen Regierungen zielgerechter und effektiver als bisher zur Förderung von Forschung und Innovation (F&I) eingesetzt werden. Dafür bedürfe es einer entsprechend starken Steuerung (Governance). So sollte beispielsweise bereits bei der operativen Planung der jeweiligen nationalen Förderung ein EU-Gremium mit einbezogen werden. Harhoff: "Wir wünschen uns, dass hier eine stärkere Kontrolle seitens der EU etabliert wird, um die Mittel zielgerichtet für Innovationen und nicht etwa für Autobahnen einzusetzen."
Die Förderung von F&I zur Überwindung von Entwicklungsrückständen in innovationsschwächeren Regionen, ebenfalls eine EU-Aufgabe, müsse viel stärker auf Beiträge zu Forschung und Innovation fokussiert werden.
Die Expertenkommission verweist zugleich darauf, dass "die F&I-Politik der EU ein noch relativ junger Politikbereich ist, gekennzeichnet durch ausgesprochen ambitionierte Zielformulierungen". Bereits im Jahr 2000 formulierte der Europäische Rat in Lissabon die Absicht, Europa bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. In diesem Zusammenhang äußerte die EU auch das Ziel, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) bis 2010 in allen EU-Ländern auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu steigern. Wenige Jahre später wurde dann das European Institute of Technology (EIT) mit der Absicht gegründet, eine europäische Antwort auf das US-amerikanische Massachusetts Institute of Technology (MIT) zu schaffen. Uwe Cantner von der Universität Jena und Mitglied der Expertenkommission dazu kritisch: "Alle drei Ziele verbindet, dass ihre Realisierung wohl bereits zum Zeitpunkt ihrer Formulierung weit jenseits des Machbaren lag. Die aktuelle Diskussion um das European Innovation Council (EIC) weist hierzu Parallelen auf. Die hier formulierten Erwartungen sind derart ambitioniert und vielfältig, dass sie kaum zu erfüllen sind." Die Expertenkommission ist besorgt, dass das wiederholte deutliche Zurückbleiben hinter selbst gesetzten Zielen die Glaubwürdigkeit der europäischen F&I-Politik untergräbt.
Da die Strukturen der europäischen F&I-Politik sehr komplex seien und die Zuständigkeiten fragmentiert, sieht die Expertenkommission "in der Konsolidierung und Vereinfachung der europäischen F&I-Strukturen eine zentrale Aufgabe nationaler und europäischer Politik", so Cantner. "Diese Aufgabe muss Vorrang vor der Einrichtung neuer Institutionen und der Entwicklung zusätzlicher Förderinstrumente haben."
Die Expertenkommission kritisiert die Einrichtung des European Innovation Council auf Basis des aktuellen Pilotprojektes, da die Einbindung des EIC in das institutionelle Gefüge der europäischen F&I-Politik unklar und die inhaltliche Ausrichtung unzureichend begründet ist. Die Expertenkommission ist zudem "skeptisch, ob die Schaffung einer neuen EU-Institution der beste Weg ist, um radikale Innovationen effektiv zu fördern". Die dafür notwendigen kurzen Entscheidungswege und flexiblen Strukturen seien innerhalb der auf Interessenausgleich und Länderproporz ausgerichteten EU-Strukturen nur schwer zu realisieren. Prof. Cantner: "Die Expertenkommission empfiehlt den Aufbau einer Institution zur Förderung radikaler Innovationen außerhalb der EU-Strukturen. Mit dem Konzept zur Einrichtung einer Agentur für radikale Innovationen in Deutschland sowie der französischen Joint European Disruptive Initiative (JEDI) liegen hierzu zwei inhaltlich unterschiedlich strukturierte Vorschläge bereits auf dem Tisch."
Abschließend verweist Dietmar Harhoff noch auf die Problematik des Brexit in punkto F&I: "Großbritannien hat eines der leistungsfähigsten F&I-Systeme Europas. Wir raten dringend zu einer möglichst engen Anbindung des Landes an die europäischen Strukturen. Idealerweise würde sich die Einbindung am norwegischen Modell orientieren. Ratsam ist also ein sanfter Brexit mit möglichst wenigen Änderungen des Status quo. Die Briten werden hoffentlich die Vorzüge sehen und dieses Modell wählen." In diesem Fall wären die Fortführung bewährter Kooperationen im Rahmenprogramm, die Mobilität von Forscherinnen und Forschern zwischen britischen und kontinentaleuropäischen Einrichtungen sowie der ungehinderte Wissensaustausch weiterhin leicht möglich.
Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) mit Sitz in Berlin leistet seit über zehn Jahren wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt jährlich ein Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands vor. Wesentliche Aufgabe der EFI ist es dabei, die Stärken und Schwächen des deutschen Innovationssystems im internationalen und zeitlichen Vergleich zu analysieren und die Perspektiven des Forschungs- und Innovationsstandorts Deutschland zu bewerten. Auf dieser Basis entwickelt die EFI Vorschläge für die nationale Forschungs- und Innovationspolitik.
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