In diesem Diskussionspapier werden elf Empfehlungen formuliert, um einen zeitgemäßen Unterricht unter Einbeziehung von Quantentechnologien auch mit einer interdisziplinären Perspektive zu ermöglichen. Die Empfehlungen betreffen vier Dimensionen:
Zunächst werden Anpassungen der Rahmenbedingungen empfohlen, die insbesondere die Länder gemeinsam mit den zuständigen Ministerien und Hochschulen vornehmen können, um Hochschulen bei einer hochwertigen Lehrkräfteausbildung zu unterstützen.
Im Anschluss werden ausführlich Anpassungen des angestrebten Kompetenzprofils angehender Lehrkräfte und die dafür notwendige Anpassung von Veranstaltungen des Lehramtsstudiums empfohlen. Diese Empfehlungen richten sich in erster Linie an die Hochschulen, die sie weitgehend selbstständig umsetzen können.
Hierauf aufbauend wird drittens der Bereich der Lehrkräftefortbildungen angesprochen, die anschlussfähig und flächendeckend von verschiedenen Akteuren gestaltet werden sollen – besonders werden hier diejenigen angesprochen, die in der Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte aktiv sind, seien es entsprechende Institute der Länder, Universitäten, Forschungsgesellschaften oder Akteure aus der Zivilgesellschaft.
Den Abschluss bilden Empfehlungen, welche unterstützenden Ressourcen zur Verfügung gestellt werden sollen, um Lehrkräften einen zeitgemäßen Unterricht in der Quantenphysik und Quanteninformatik sowie zu Themen aus benachbarten Fächern zu erleichtern. Diese sind insbesondere an außerschulische Lernorte, die Landesregierungen sowie das Bundesministerium für Bildung und Forschung adressiert.
In den letzten Jahren sind durch Fortschritte in den Quantentechnologien Anwendungsbereiche eröffnet worden, die als disruptiv angesehen werden. Grundlage für all jene Fortschritte ist die Quantenphysik, die ein zentraler Grundpfeiler der modernen Physik ist. Sie hat unser Verständnis der Natur revolutioniert und prägt das heutige Weltbild der Physik. Durch auf quantenphysikalischen Prozessen aufbauende Informatik ergeben sich neue Möglichkeiten und Herausforderungen.
Um die Potenziale und Anwendungsmöglichkeiten von Quantentechnologien richtig zu verstehen, brauchen wir eine reflektierte Auseinandersetzung mit den Konzepten und Anwendungen der ihnen zugrunde liegenden Wissenschaften. Sie sollte sowohl in der Schule als auch in der breiten Öffentlichkeit kompetent geführt werden. Dafür müssen die Lehrkräfte entsprechend gebildet sein und auch nach ihrer Ausbildung qualifiziert unterstützt werden.
Die Voraussetzungen sind günstig: Die neuen Bildungsstandards für die Sekundarstufe II im Fach Physik weisen eine begrüßenswerte Orientierung in Richtung einer modernen Sichtweise der Quantenphysik auf, was sich in der Folge auch in den Lehrplänen der meisten Bundesländer niedergeschlagen hat. Im Gegensatz dazu gibt es in unserer Lebenswelt aktuell noch kaum Berührungspunkte mit quanteninformatischen Phänomenen. In Anbetracht der perspektivisch zu erwartenden technologischen Fortschritte und der daraus folgenden Anwendungsmöglichkeiten sowie deren gesellschaftlichen Auswirkungen wurde auch im Bereich der Informatikdidaktik bereits mit der Erschließung des Themengebiets Quanteninformatik für die informatische Allgemeinbildung begonnen.
Damit ist der Weg bereitet, die Grundlagen der Quantentechnologien in einer zeitgemäßen Weise zu unterrichten: mit Bezug zu technologischen Anwendungen und in einer pragmatischen Perspektive, die die Besonderheiten der Quantenphysik und Quanteninformatik einordnet statt sie als unbegreifbar oder mystisch darzustellen. Dabei ist es wichtig, langfristig bedeutsame Kompetenzen zu identifizieren und nicht kurzfristigen Moden zu folgen. Zudem ermöglicht eine anwendungsbezogene Perspektive interdisziplinäre Bezüge, die einen an konkreten Anwendungskontexten orientierten Unterricht erlauben, der Verbindungen zu Mathematik und Informatik, aber auch zu Chemie, Biologie und Philosophie herstellt.
Gleichzeitig stellt diese inhaltliche Neuausrichtung aktive Lehrkräfte und Lehramtsstudierende vor große Herausforderungen. Nicht nur müssen sie die fachlichen Hintergründe der Quantenphysik und -informatik verstehen, sie müssen zudem in der Lage sein, quantentechnologische Anwendungen zu beurteilen und didaktische Brücken zu schlagen, ohne auf unterkomplexe Sprachbilder zu verfallen und dadurch falsche Vorstellungen zu erzeugen.
Um dies zu gewährleisten, muss das Studium besser an die spezifischen Bedürfnisse angepasst werden, die sich aus der späteren Tätigkeit an den Schulen ergeben. Spezifisch für die Quantenphysik wurde festgestellt, dass sich die Studierenden zwar fachlich, aber nicht fachdidaktisch und schulrelevant auf den Unterricht der Quantenphysik vorbereitet fühlen. Dies wurde auch durch Befragungen bestätigt, wonach zum Beispiel Physiklehrkräfte retrospektiv berichten, dass sie während ihres Studiums nicht adäquat auf die fachlichen Bezüge der Schulphysik vorbereitet wurden und die Fachdidaktik eine zu geringe Rolle gespielt habe. Eine kürzlich erschienene Studie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft konstatiert erneut: Das Lehramtsstudium ist auch aus der Perspektive Studierender nicht die ideale Vorbereitung auf ihre spätere Lehrtätigkeit.
Auch aktive Lehrkräfte, deren Studium schon länger zurückliegt, dürfen mit den Herausforderungen der Vermittlung quantentechnologischer Inhalte nicht alleingelassen werden. Wichtige, für den Unterricht relevante physikalische und informatische Zusammenhänge wurden in ihrem Studium nicht in für die Schule nutzbaren Erklärungszusammenhängen behandelt. Für quantenphysikalische Inhalte in der Schule gilt zudem, dass diese häufig in einem historischen Kontext gelehrt werden. Themen neuer Quantentechnologien der zweiten Generation werden – wenn überhaupt – nur wenig vermittelt. Es gilt, diesen Lehrkräften eine adäquate Unterstützung in Form von Fortbildungen und Unterrichtsmaterialien zukommen zu lassen.
Angesichts des schon bestehenden dramatischen Mangels an ausgebildeten MINT-Lehrkräften droht eine gefährliche Abwärtsspirale: Wie beschrieben ist das Studium wenig geeignet, ausreichend viele Studierende auf einen modernen naturwissenschaftlichen Unterricht in der Schule vorzubereiten. Dies führt zu einem für Schülerinnen und Schüler als nicht relevant erlebten Unterricht und so zu geringem Interesse an einem naturwissenschaftlichen Studium. Daraus resultieren noch weniger (Lehramts-)Studierende, die aus der Schule zudem noch schlechte Voraussetzungen mitbringen – eine Dynamik der stetigen Verschlechterung der Versorgungssituation mit naturwissenschaftlich kompetenten Lehrkräften und Fachkräften ist abzusehen.
Mit seiner Initiative Quantum Skills setzt sich der Stifterverband dafür ein, die Vermittlung von Kompetenzen zu stärken, die in einer Welt wichtig sind, in der Quantentechnologien zunehmend an Bedeutung gewinnen. Quantentechnologien bringen sowohl große zivilgesellschaftliche Chancen als auch Risiken mit sich, die eine informierte öffentliche Debatte verlangen. Gleichzeitig steht dieses Engagement im Kontext eines sich schon jetzt abzeichnenden Fachkräftemangels, welcher Entwicklung vielversprechender Technologien in Bereichen der Quantensensorik, der Quantenkommunikation oder des Quantencomputing im Weg steht. Voraussetzung für eine fundierte Auseinandersetzung mit Quantentechnologien ist ihre Integration in die an den Schulen vermittelte Allgemeinbildung und ihre Entmystifizierung durch die beteiligten Wissenschaften der Quantenphysik und der Quanteninformatik. Denn nur so können Bürgerinnen und Bürger Quantentechnologien zukünftig kompetent nutzen und mit ihnen verbundene Chancen und Risiken bis hin zu falschen Versprechungen einordnen.
Zu diesem Zweck hat eine interdisziplinäre Expertengruppe für Quantenphysik und Quanteninformatik und ihrer jeweiligen Didaktiken unter dem Dach des Stifterverbandes und der Heinz Nixdorf Stiftung, unter anderem mit Mitgliedern der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, Mitgliedern der Gesellschaft für Informatik und Mitgliedern des Deutschen Philologenverbandes das vorliegende Diskussionspapier erarbeitet. Es enthält elf Empfehlungen für eine zeitgemäße Aus- und Fortbildung von Lehrkräften, die den aktuellen Stand der didaktischen Forschung und den interdisziplinären Charakter der Thematik berücksichtigen.
Die Empfehlungen stehen unter folgenden beiden gemeinsam entwickelten Zielvorstellungen:
ist Programmmanager im Bereich "Programm und Förderung" beim Stifterverband.
T 0201 8401-256