Thomas Bachem: Eine Hochschule für digitale Pioniere

"Was uns, glaube ich, als Hochschule besonders auszeichnet, ist nicht nur, dass wir uns eben sehr praxisnah an der Internetbranche orientieren, sondern dass wir vor allem ein ganz neues Lehrkonzept entwickelt haben."

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Thomas Bachem: Eine Hochschule für digitale Pioniere (Video)
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Das Informatik-Studium zu trocken, zu theorielastig, viel zu weit weg von der Projektarbeit, wie sie später im Job gang und gäbe ist? Na gut, hat sich der Internetunternehmer Thomas Bachem gesagt, dann gründe ich doch selbst eine Hochschule! Im Oktober 2017 ist die CODE University in Berlin an den Start gegangen. Und will eine Alternative zur klassischen IT-Ausbildung an deutschen Hochschulen sein. Was macht sie anders?
 

Das Gespräch wurde am Rande der Tech Open Air 2017 in Berlin aufgezeichnet.
 

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Autorin: Corina Niebuhr
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Transkript des Videos

Ich gründe eigentlich gerade die Hochschule, die mir selber gefehlt hat, als ich vor knapp 13 Jahren mein Studium begonnen habe. 

Ich bin seit früher Jugend Software-Entwickler und habe damals etwas gesucht, wo ich wirklich praxisnah Software-Entwicklung studieren kann. Und mir ist das sehr schwer gefallen, mich dann insbesondere für die Informatik-Studiengänge zu entscheiden, weil die mir alle sehr theorielastig, sehr mathelastig erschienen und nicht so viel mit der Anwendung zu tun hatten, die ich schon kannte.

Damals kam mir eben schon der Grundgedanke, ob man nicht selber mal irgendwann so etwas gründen müsste. Nun war ich selbst erstmal Student, und eine eigene Hochschulgründung lag in weiter Ferne. Ich habe dann in den Jahren danach viele Internet-Start-ups gegründet und dort auch als Arbeitgeber gemerkt, dass die Leute, die ich gesucht habe, selten so ausgebildet wurden. Und so ist diese Idee eigentlich immer weiter gereift.

Ich glaube, es ist mittlerweile allen klar, dass wir ganz dringend viel mehr Leute mit digitaler Expertise brauchen in Deutschland. Wir brauchen mehr Software-Entwickler, aber auch Leute, die einfach wissen, wie digitale Geschäftsmodelle funktionieren, Leute, die digitale Produkte gestalten können. Und auf der anderen Seite sehen wir aber, dass ein Informatik-Studium für viele Leute nicht das passende Studium zu sein scheint. Es ist häufig ein eher angewandtes Mathematik-Studium denn ein echtes Produktentwicklungsstudium. Es gibt sehr große Abbruchquoten, sehr geringe Frauenquoten, und das manifestiert sich dort einfach. Und gleichzeitig sehen wir viele private Angebote. In unserem Bereich sind das dann die sogenannten Coding Bootcamps. Die versuchen das irgendwie aufzufangen und was anderes anzubieten, die aber eben natürlich nicht akademisch sind und auch kein volles Studium bieten können, sondern meistens eine etwas ältere Zielgruppe ansprechen.

Es gibt international viele spannende Ansätze, die auch gerade in diesem Bereich Digitales und Coding Education etwas erreichen wollen. Und wir können da von vielen Inspirationen mitnehmen. Aber sie machen es eigentlich alle nie in einem akademischen Kontext. Also, es ist so, dass die meisten Initiativen von Unternehmern gegründet wurden, die, glaube ich, sehr viel Sorge auch davor haben, sich mit dem akademischen System, mit der Akkreditierung, mit der staatlichen Anerkennung auseinander zu setzen. Die Sorge haben, davon gebremst zu werden, und in schwer bürokratische Prozesse einsteigen zu müssen. Diese Sorge ist teilweise berechtigt, aber, glaube ich, häufig auch übertrieben. Und unsere Motivation ist eben, diese beiden Welten zusammenzubringen und zu zeigen: Man kann es schaffen, eine innovative, moderne Hochschule aufzubauen und gleichzeitig staatlich anerkannt und akkreditiert zu sein.

Wir haben festgestellt, als wir uns viel mit Unternehmen unterhalten haben darüber, was die Anforderungen sind, was für Absolventen sie in fünf, sechs, sieben Jahren brauchen, dass eigentlich immer wieder die Aussage kam: Wir wissen es nicht, denn die Technologielandschaft ändert sich so schnell, dass wir einfach heute nicht wissen können, was in diesen Jahren dann gebraucht werden wird. Und deswegen haben wir unser Studium konsequent so ausgerichtet, dass es sich eigentlich jedes Semester selbst erneuert, dass es also kein festes Curriculum gibt, was schon heute definiert, was in Jahr 2 und Jahr 3 gelehrt wird, sondern dass es immer im Kern um Projekte geht und diese Projekte jedes Semester neu ausgearbeitet werden mit unseren Partnerunternehmen und mit Start-ups, mit gemeinnützigen Organisationen, um den Studenten eine möglichst große Vielfalt bieten zu können. Und was wir dadurch erreichen, ist, dass die Studierenden vor allem lernen, wie sie sich selbstständig neue Themen aneignen und wie sie sich in neue Themen reindenken. Das ist etwas, was meiner Erfahrung nach fast jede Hochschule von sich behauptet, also im Grunde das Lernen zu lehren, was aber die wenigsten, glaube ich, wirklich leben, weil es dann eben doch sehr häufig in frontalen Formaten, in frontalen Vorlesungen geschieht.

Was uns, glaube ich, als Hochschule besonders auszeichnet, ist nicht nur, dass wir uns eben sehr praxisnah an der Internetbranche orientieren, sondern dass wir vor allem ein ganz neues Lehrkonzept entwickelt haben. Also, wir haben eine stark projektbasierte Didaktik, die sehr stark kompetenzorientiert ist und sehr stark wirklich dieses problemorientierte Lehren und Lernen in den Vordergrund stellt, und haben auch darin irgendwo unsere Bestimmung gewonnen, dass wir gemerkt haben: Das ist das, was uns eigentlich wirklich als Hochschule ausmacht, was uns fasziniert.

Unsere drei Studiengänge sind Software Engineering, Interaction Design und Produktmanagement. Wir haben in vielen Gesprächen mit Arbeitgebern herausgefunden, dass das die drei Rollen sind, die eigentlich immer wieder in  digitalen Produktentwicklungsteams zum Einsatz kommen. Also, vereinfacht gesagt, der oder die Entwicklerin, der oder die Designerin und der oder die Managerin. Und diese Studiengänge arbeiten bei uns sehr eng zusammen. Also, wenn die Studierenden an den Projekten arbeiten, dann arbeiten sie auch immer gemeinsam an den Projekten, so dass wirklich ganze Produkte entstehen und nicht nur einzelne Teilkomponenten. Und so lernen sie auch schon im Studium wirklich die Zusammenarbeit im Team und können sich gegenseitig dabei unterstützen, diese Projekte zum Erfolg zu bringen.

Unsere Studiengänge sind alle rein englischsprachig. Uns war von Anfang an klar, dass wir wirklich international Leute zusammenbringen wollen, dass wir sehr heterogene Studierendengruppen haben wollen, und glauben, dass daraus auch wirklich viel entstehen kann. Und wir kooperieren hier in Berlin sehr eng mit der Factory. Die Factory ist ein großer Coworking- und Community-Space-Betreiber. Da sind wir wieder so ein bisschen bei diesem Thema New Work, neue Arbeitswelten. Und wir werden wahrscheinlich, ich habe es selbst nicht überprüft, aber ich vermute, wir sind die erste Hochschule weltweit, die in einem Coworking Space beheimatet ist, versuchen also auch da, neu zu denken und diese Übergänge auch zwischen Lehre und Praxis viel fließender zu gestalten. Und ich glaube, das ist in einer Stadt wie Berlin toll möglich.

Unsere Hochschule hat sich sehr stark aus der Start-up- und Internet-Szene gebildet. Also, die ganzen Unterstützer und Geldgeber auch hinter der Hochschule sind alles erfolgreiche deutsche Internetunternehmer. Und auch viele unserer Partnerunternehmen sind große, groß gewachsene deutsche Start-ups, und insofern nicht zuletzt auch mit mir und als Kanzler mit meinem Start-up-Hintergrund liegt natürlich nahe, dass wir uns sehr stark auch an dieser Szene orientieren. Und ich glaube aber, dass letztendlich die Art, wie Start-ups funktionieren, wie junge agile Unternehmen denken und arbeiten, dass das etwas ist, was eigentlich alle Unternehmen lernen müssen und alle Unternehmen in Zukunft adaptieren müssen, so dass, wenn wir Leute ausbilden, eben genau für diese Aufgaben geschaffen sind, dass auch letztendlich große Konzerne genauso davon profitieren. Und das ist auch das, was wir merken, was uns begegnet, dass da so viele Großunternehmen auf uns zukommen und sagen: Wir möchten eben diese, ja, diese neue Art von anders denkenden Mitarbeitern auch für uns gewinnen.