Immer weniger junge Leute studieren, um später Berufsschullehrer zu werden. Das heißt: Die Zukunft der dualen Ausbildung in Deutschland steht auf dem Spiel. Ziel der neuen Berufsschullehrerinitiative des Stifterverbandes ist es, dem zum Teil dramatischen Mangel an Lehrkräften für die gewerblich-technischen Fachrichtungen entgegenzuwirken. Mit einer Kick-off-Veranstaltung am 4. Juli 2016 in Dortmund ging die Initiative in die Öffentlichkeit. Welche Reformideen gibt es?
Mit Statements von:
Jede Woche neu beim Stifterverband:
Die Zukunftsmacher und ihre Visionen für Bildung und Ausbildung, Forschung und Technik
Autorin: Corina Niebuhr
Produktion: Webclip Medien Berlin
für den YouTube-Kanal des Stifterverbandes
(Monika Reusmann)
Wir haben einen extrem hohen Lehrkräftemangel im gewerblich-technischen Bereich. Die Industrie saugt praktisch die akademischen Fachkräfte aus allen Bereichen heraus. Das müssen sie auch, denn wir haben einen enorm hohen Fachkräftebedarf, akademischen Fachkräftebedarf. Und das ist natürlich das Kriterium oder der Hauptgrund, warum wir nicht genügend Lehrkräfte bekommen, weil die Bezahlung in der Industrie um so vieles höher liegt als am Berufskolleg.
(Klaus Jenewein)
In der Nachwendezeit sind relativ wenige Menschen neu eingestellt worden als Lehrkräfte. Und wir haben bei uns ausgerechnet: In den technischen Fachrichtungen scheiden bei uns innerhalb der nächsten 15 Jahre, also bis zum Jahr 2030, zum Teil bis zu drei Vierteln, also mehr als zwei Drittel, bis zu drei Vierteln aller Lehrkräfte aus. Und das wird durch die Ausbildungskapazitäten im Moment bei denjenigen jungen Menschen, die wir ausbilden, nicht einmal zu einem Viertel gedeckt. Das ist eine ähnliche Situation, die wir in Nordrhein-Westfalen schon seit Jahren haben, in allen technischen Fachrichtungen im Grunde genommen, ein gravierender Studierendenmangel. Und das hat etwas zu tun mit der Situation der Studiengänge und mit der Attraktivität des Faches.
(Irmhild Kettschau)
Sie müssen ja auch bedenken, wenn jemand schon ein Studium abgeschlossen hat, der ist ja erwachsen. Der steht vor einem Arbeitsmarkt, der sehr attraktiv ist und der ihm hohes Gehalt bietet, attraktive Beschäftigungsmöglichkeiten. Und wenn wir dann herkommen und sagen: Jetzt studierst du erstmal noch ein zweites Fach nach, dann machst du anderthalb Jahre dein Referendariat. Das sind noch mal dreieinhalb Jahre. Das Spiel kann man nur verlieren.
(Ralph Angermund)
Von der These, dass der Akademisierungswahn die Ursache für den Mangel an Lehrkräften in den gewerblich-technischen Fächern ist, halte ich gar nichts. Ich glaube, was wir in Deutschland lernen müssen, ist, dass man die duale Ausbildung nicht gegen die akademische ausspielen kann. Denn der Berufskollegslehrer ist ein Akademiker. Wenn es uns also gelänge, von der Aussage "Akademische Bildung ist unbedingt höherwertig" und "Duale Ausbildung ist unbedingt schlechter" wegzukommen, wenn wir also sähen, wie die Verbindungen zwischen diesen Bereichen inzwischen gewachsen sind, in den Niederlanden beispielsweise an der Fachhochschule Rotterdam erprobt man jetzt die hybride Ausbildung, dann könnten wir auch in Deutschland ein Stückchen weiter kommen.
(Monika Reusmann)
Wenn man MINT-Initiativen betrachtet, dann richten sie sich fast ausschließlich an Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technikfächer, Lehramtsfächer auch, natürlich auch Fächer in den Schulen selbst, die an den allgemeinbildenden Schulen vermittelt werden oder allgemeinbildende Lehrkräfte ausbilden. MINT bedeutet aber aufgrund der Geschichte, der VDI hat es vor 20 Jahren erfunden, um auf den ingenieurwissenschaftlichen Mangel zu fokussieren, bedeutet eben auch Ingenieurwissenschaften/Technik und damit die MINT-Fächer Maschinentechnik, Fertigungstechnik usw., die an den berufsbildenden Schulen ja gelehrt werden müssen. Wenn wir auf diese Fächer nicht fokussieren, weil unsere Politiker keine berufliche Ausbildung selbst haben oder die Beruflichen Schulen nicht kennen, dann vergessen wir den Bereich, der eigentlich für MINT steht.
(Patrick Niehr)
Also, die Ausbildung an den Berufsbildenden Schulen ist für uns natürlich sehr wichtig, weil sie in Zusammenhang mit der betriebsinternen Ausbildung maßgeblich an dem Erfolgsmodell hier in Deutschland beteiligt ist. Und das wollen wir auch für die Zukunft weiter nach vorne bringen und ausbauen.
(Emanuel Bielski)
Ich finde den Job des Berufsschullehrers eigentlich an der ganz faszinierenden Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Gesellschaft. Also, Berufsschullehrer, wenn ich in die Schule reinkomme, ab da erwartet mich eigentlich immer permanente Abwechslung. Also, es ist kein wirklicher Routinejob, sondern bzw. wenn man das möchte, dann stehen einem alle Türen offen, um halt dann immer zusammen mit den Schülern und zusammen mit den Betrieben dann wirklich das Beste für die Zukunft rauszuarbeiten. Und das ist eigentlich das, was den Job wirklich faszinierend macht.
(Irmhild Kettschau)
Also, dieses Feld ist sehr heterogen und sehr divergent. Es gibt 16 Fachrichtungen, die man für das Berufskolleg studieren kann oder für die Beruflichen Schulen. Und diese Fachrichtungen enthalten immer ca. 20 bis 30 Berufe, auf die sich später der Lehrer beziehen muss. Also, das ist schon eine große Herausforderung. Und wenn wir jetzt den typischen Gymnasiallehrerinteressenten vor uns haben, der vielleicht vom Abitur kommt, der selber keinen Beruf erlernt hat, dann ... ja, wie soll man sagen? Dann macht ihm das unter Umständen ganz schön zu schaffen, also die Aussicht, Leute praktisch zu unterrichten.
(Hans-Jörg Bullinger)
Ich denke, in dieser Initiative, die wir hier gestartet haben, deshalb heißt sie ja auch "Berufsschullehrer: Dringend gesucht!", geht es jetzt einmal darüber, Strategien zu entwickeln, wie man langfristig eine Besserung dieser Situation, dass man zu wenig Lehrer und Lehrerinnen im Berufsschulbereich hat, wie man da besser werden kann.
(Bettina Jorzik)
Es gibt jetzt eine ganze Reihe von verschiedenen Reformmodellen, also zum Beispiel Kooperationen zwischen Fachhochschulen und Universitäten, um den Zugang für Fachhochschulabsolventen zu erleichtern oder um gezielt Studienabbrecher aus ingenieurwissenschaftlichen Fachrichtungen zu gewinnen oder um Masterstudium und Referendariat miteinander zu verknüpfen. Das sind aber alles punktuelle Initiativen. Bisher gibt es mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg keine erkennbare Strategie der Länder, hier gegenzusteuern und solche Reformansätze auszurollen. Und deshalb haben wir gesagt: Wir möchten jetzt mal die Voraussetzungen damit liefern, mit der Berufsschullehrerinitiative, und systematisch gucken, was gibt es denn alles schon. Was funktioniert? Was funktioniert vielleicht weniger gut?
(Klaus Jenewein)
Wir waren uns in der nordrhein-westfälischen Expertenkommission, der sogenannten Nordkommission, alle einig: Das System ist überkomplex. Jedes Bundesland bildet in anderen Strukturen aus, so dass man im Grunde genommen alleine in Nordrhein-Westfalen weit über 100 verschiedene Kombinationsmöglichkeiten in diesem Lehramt hat. Das ist etwas, was das System nicht leisten kann.
(Ralph Angermund)
Also, ich denke, die Vielfalt der Berufskollegs, die sollten wir schon erhalten. Die Berufskollegs sind ja Schultypen, die die Bedürfnisse ihrer jeweiligen Regionen in ihrem Bildungskern widerspiegeln und aufnehmen. Was wir allerdings brauchen bundesweit, ist das, was ich schon gesagt habe: Wir brauchen insgesamt mehr Anerkennung für diesen Schultyp. Wir brauchen Anerkennung dafür, was er leistet. Er trägt ja nicht nur den schulischen Teil der dualen Ausbildung, sondern er ist auch für viele wirklich das Tor zum sozialen Aufstieg.
(Irmhild Kettschau)
Neue Studierendengruppen sollten angesprochen werden. Man wird scheitern, wenn man immer denjenigen anspricht, der mit höchsten Gehaltserwartungen Kraftfahrzeugtechnik studiert und bei Daimler-Benz schon den Praktikantenvertrag hat, der wird nicht ans Berufskolleg wechseln, sondern man muss sich um neue, ganz andere, vielleicht bisher nicht genügend bedachte Studierendengruppen verstärkt bemühen.
(Holger Burckhardt)
Wir sind mit sehr viel Einzelaktivitäten in der Bundesrepublik unterwegs. Und es ist dringend erforderlich, dass wir diese Aktivitäten einmal bündeln, Best-Practice-Modelle suchen und die dann gemeinsam nach vorne stellen und uns sozusagen für diese Modelle erklären, nicht nur als Experiment dann, sondern als Modelle, die zukunftsweisend sind für die gesamte Wertschöpfungskette der beruflichen Bildung.
(Klaus Jenewein)
Unbedingt sollten die Berufsbildenden Schulen sich ihrer eigenen Stärken entsinnen. Sie haben studienqualifizierende Bildungsgänge. Sie können im Grunde genommen den Nachwuchs für das Lehramt für Berufsbildende Schulen auch im eigenen Bereich ausbilden und diesen fördern, entsprechend orientieren. Und es gibt eine ganz interessante Beobachtung: Diejenigen, die am meisten ausbilden im Bereich des Lehramts an Berufsbildenden Schulen, im Moment ist es Baden-Württemberg. Baden-Württemberg ist das Bundesland, wo gleichzeitig der größte Anteil an hochschulqualifizierenden Bildungsabschlüssen an Berufsbildenden Schulen vergeben wird, mehr als an den allgemeinbildenden Gymnasien. Das könnte ein Weg sein, der im Grunde genommen uns auch längerfristig weiterhilft.
(Irmhild Kettschau)
Also, diese Konstruktion mit den zwei gleichberechtigten Fächern und den Bildungswissenschaften ist meiner Meinung nach für das Berufskolleg der Versuch der Quadratur eines Kreises. Wir müssten mehr Konzentration haben, mehr Raum, mehr Leistungspunkte verwenden auf diese anspruchsvollen beruflichen Fachrichtungen, so dass die Studenten da eine genügende Tiefe erreichen in ihrem Studium. Das würde im übrigen auch den Quereinstieg sehr, sehr erleichtern.
(Emanuel Bielski)
Ich würde mich halt freuen, wenn die berufliche Bildung im allgemeinen auch eine stärkere Wahrnehmung erfährt. Also, ich glaube schon, dass in den vergangenen Jahren die berufliche Bildung gegenüber der gymnasialen Bildung schon an Wahrnehmung verloren hat und das meines Erachtens eigentlich zu Unrecht. Alles, was ich mir aus der betrieblichen Realität irgendwo mitgenommen habe, spricht eigentlich das genaue Gegenteil. Und da würde ich mir einfach von einer Initiative wie der Initiative des Stifterverbandes auch wünschen, dass letzten Endes eigentlich vor allem auch in der öffentlichen Wahrnehmung was gemacht würde.
(Holger Burckhardt)
Ich würde mir noch in diesem Jahr eine gekoppelte Initiative wünschen der einschlägigen Ministerien im Bund und Ländern und Hochschulen und Wirtschaft für die berufliche Bildung und die Berufskolleglehrerbildung gleichermaßen, also eine konzertierte Aktion, die jeweils ihre Schwerpunkte hat, aber koordiniert vorgeht und ein bundesweites Projekt ausrollt.
(Hans-Jörg Bullinger)
Passieren muss natürlich sehr stark was auf der Seite des Hochschulverbandes und auf der Seite der Landesministerien. Die sind ja alle hier vertreten. Also, insofern ist schon erstaunlich, dass dann doch alle Player, die in dem Feld was zu sagen haben, hier nach Dortmund gekommen sind und sich einbringen.
(Bettina Jorzik)
Das Interesse und die Bereitschaft auch, da mitzuwirken, ist riesig und viel größer als wir das angenommen haben. Das zeigt aber vielleicht auch, dass es bisher daran gefehlt hat. Also, endlich richtet sich mal die Aufmerksamkeit auf diese Schulform und auf ihre Probleme.