Was macht der Dozent, wenn in seiner Vorlesung die Studierenden zu rascheln anfangen? Im besten Fall nutzt er einen digitalen Rückkanal, um zu erfahren, wieso sein Publikum gerade gedanklich abschaltet. Clemens Cap, Informatik-Professor an der Universität Rostock, erzählt über das von ihm entwickelte Tweedback-Tool. Wie gut funktioniert anonymes Feedback an der Hochschule?
Clemens Cap hat 2013 vom Stifterverband ein Fellowship für Hochschullehre erhalten, um Anmerkungen von Studierenden in ausgedruckten Lehrunterlagen digitalisiert aufzubereiten.
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Die Zukunftsmacher und ihre Visionen für Bildung und Ausbildung, Forschung und Technik
Autorin: Corina Niebuhr
Produktion: Webclip Medien Berlin
für den YouTube-Kanal des Stifterverbandes
Ich habe 300, 500, in manchen Fällen auch 1.000 und mehr Studenten vor mir und merke in dieser anonymen Masse nur: Irgendetwas stimmt nicht.
Ich merke es am Geräuschpegel irgendwo, die Studenten in der dritten und fünften Reihe schalten ab. In der 20. Reihe werden die chinesischen Nudeln ausgepackt oder die Zeitung. Wie gehe ich mit der Situation um? Ich brauche also eine Möglichkeit, einen Informationskanal von den Studenten zu mir zu haben. Wir haben dort ein Projekt mit dem Namen Tweedback ins Leben gerufen. Ich habe die Idee, der Student, der irgendein Problem hat, kann sagen, schreiben: Das und jenes ist mein Problem. Die anderen Studierenden bekommen das mit. Gerade in größeren Hörsälen können Studierende das dann liken, so dass ich als Vortragender sehe: Da sind jetzt 20, 30 Bemerkungen aufgelaufen in der letzten Zeit. Ich kann die ein bisschen filtern für mich, sehe die wichtige, die wichtigen zwei Fragen, die das Publikum momentan beschäftigen, sind dieser Begriff und diese Aussage. Ja natürlich, die habe ich nicht vernünftig eingeführt oder es war mir nicht bewusst, dass es die Studenten nicht kennen. Ich habe vergessen, vielleicht die Beleuchtung adäquat anzupassen. Und über diesen Informationskanal bekomme ich dann wichtige Informationen, die ich so gefiltert in einem großen Hörsaal nie bekäme.
Das System nutzt, das ist der wesentliche Vorteil, keine zusätzlichen Devices, weder der Dozent noch der Student. Ich muss also nicht wie bei anderen Klicker-Systemen die Geräte warten, aufladen, austeilen, auf Funktonsfähigkeit überprüfen, nachher wieder einsammeln, sondern es kann jedes System, das irgendwo eine Internetanbindung hat oder im Hörsaal eine WLAN-, eine Wifi-Verbindung aufnehmen kann, kann verwendet werden, um einzusteigen. Auch für den Dozenten ist es eigentlich eine sehr schlanke Geschichte, er hat ein kleines Tablet, das typischerweise er sich nach vorne aufs Pult legt. Dort sieht er die Interaktion, kann ein bisschen auch filtern und kann verschiedene weitere Elemente auch nutzen, die wir im Moment dabei sind zu entwickeln.
Man würde sonst eigentlich glauben: Na, wir sind doch alle erwachsene Menschen. Man kann doch mit einem kurzen Handzeichen in einem großen Hörsaal die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Zunächst mal passiert das bei 1.000, bei 1.200 Studenten, die ihr Studium beginnen, noch nicht so schnell. Man hat die Sorge: Ich stelle jetzt eine dumme Frage. Das glauben 300 auch. Ich weiß es aber nicht. Der Betreffende weiß es auch nicht, diese Hürde zu überwinden. Dann ist es auch die Frage der Anonymität. Gelegentlich kommt auch mal ein Protest, eine Kritik. Das spielt jetzt auch bei kleineren Auditorien, weil da haben die Studenten vielleicht doch die Sorge: Wenn ich da jetzt querschieße, kritisiere, das merkt er sich vielleicht, das Gesicht, bis zur mündlichen Prüfung. Wenn ich also diesen Kanal eröffne, stelle ich mich selber auch unter einen gewissen Reaktionsdruck. Ich muss die Nachrichten, die kommen, ernstnehmen, und ich kann sie auch ernstnehmen ohne Ansehen der Person. Das ist auch ein wichtiger Punkt, das ist ein anonymer Kanal! Gelegentlich gibt es natürlich auch ein bisschen Spam, ein bisschen Missbrauch, ein bisschen Scherze. Das kann man aber überleben als Dozent, weil man einen wichtigen Zusatzkanal eröffnet, der einem eine andere Gesprächsmöglichkeiten mit den Studenten dann gibt.
In einer kleineren Lehrveranstaltung ist es mir bewusst geworden, ich habe es einfach mal eingesetzt, um auszuprobieren in einer Übungsgruppe mit 20, 30 Studierenden, ein System, das eigentlich für große Hörsäle gedacht ist, und stelle fest, da kommt jetzt eine Bemerkung: Wir haben in dieser Woche zuviele Hausübungen. Und ich nehme diese Frage natürlich nicht ernst. Studenten haben immer zuviele Hausübungen, denke ich mir. Ich sehe im Laufe der Zeit, es wird aber doch von, ja, 80 Prozent der Anwesenden hochgevotet. Ich würde unglaubwürdig werden, wenn ich die Frage nicht ernst nehmen würde. Wäre sie mir so präsentiert worden, hätte ich vielleicht den Studenten doch etwas leichtfertig zu schnell abgefertigt, sage ich mal. Ich nehme also die Frage ernst, frage in die Runde hinein und sage: Was steckt dahinter? Bekomme die Zusatzinformation: Wir haben in dieser Woche ein Projekt zum Abgeben. Wir schaffen das in dieser Woche nicht.
Ich mache das Angebot: Na, ist es denn eine Hilfe, dass wir die Aufgabenstellung dieser Woche verschieben auf die nächste Woche? Das heißt nicht, dass es weniger an Stoff wird insgesamt, aber es ist eine Verschiebung, die kann man ja problemlos machen. Und ich helfe den Studenten damit sehr. In einem anderen Kommunikationskanal wäre diese Interaktion überhaupt nicht abgelaufen, vermute ich.