Gunter Dueck: Neodigitalisierung und Neoneodigitalisierung

"Das wäre so, als würde man den Flughafen Schönefeld auf dem Tegel-Grundstück nochmal bauen."

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Da hat man einmal alle Akten digitalisiert – und das war's? Von wegen! Das merken jetzt Banken und Versicherungen, die ihre Datenbestände schon in den 1970er-Jahren für Großrechner aufbereitet haben. Für eine Technik also, die veraltet. Gunter Dueck, Mathematiker und Ex-IBM-Manager, zeigt eine unangenehme Konsequenz technologischen Fortschritts auf.

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Autor: Timur Diehn
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Transkript des Videos

Und da geht es zum Teil jetzt um Millisekunden oder sowas. Wo man dann wirklich so langsam mal über Ethik oder so reden könnte.

Da sind Banken, die haben dann auch so ein dickes Glasfaserkabel von der Wall Street, am besten in den Keller nebenan, also am besten ist, ich kaufe das Haus neben der Wall Street und bohre dann in den Boden rein und mache da ein Hochhaus unten drunter und mache ein dickes Glasfaserkabel von dem Börsenrechner zu denen. Und dann ist es ja so, dass auf Glasfasern sich mit Lichtgeschwindigkeit fortsetzt, die Signale. Dann hat man irgendwo so 'ne Millisekunde Vorsprung. Oder eine Mikrosekunde. Und das reicht manchmal einfach, um jetzt beim Hochfrequenzhandel Gewinn zu machen. Und das nimmt jetzt irgendwie perverse Formen an. Ich weiß nicht, ob das machbar ist, also jetzt einfach naiv, man könnte einfach jede Transaktion nach einer Sekunde erst, dass man, also wenn irgendetwas bekannt ist am Markt, dass die Leute wenigstens eine Sekunde oder eine Minute Zeit haben.

Nach dem Abitur habe ich kurz gejobbt. Und dann habe ich gedacht: Ich habe zehn BASF-Aktien gekauft. Dann muss man zu einer Bank gehen, ein Depotkonto haben, das hat man gemacht, und dann in drei- bis vierfacher Ausfertigung mit Kohlepapier irgendsoein Formular ausfüllen, und das haben die dann an die Zentrale geschickt und dann an die Börse. Und zwei Tage später oder so ist das überhaupt dann erst an die Börse gekommen. Zwei Tage später. Und dann haben sie den Kurs ausgeführt zu Mittag zum Kassakurs, und dann kriegt man nochmal irgendwann später eine Abrechnung und muss das wieder unterschreiben. Sehr kompliziert. Das ist heute irgendwo so in Nanosekunden. Also, ich habe jetzt auch mal Aktien gekauft in Hongkong. Kein Zeitunterschied. Praktisch, ich gebe das ein. Enter! Dann gucke ich nochmal im Orderbuch, also ein Klick vor Ende, und dann steht schon: Ausgeführt! Das ist völlig egal, wo das auf der Welt war, keine drei Unterschriften usw. Und diese ganze Kette, die dazwischenlag, also die das da hin- und herschicken und nochmal begutachten und gucken, ob ich auch genug auf dem Konto habe. Es muss ja einer gucken: Ist Deckung auf dem Konto vorhanden? Diese ganzen Arbeitsvorgänge werden jetzt einfach von einer Maschine gemacht. Und das nimmt immer mehr Fahrt auf.

Ich habe jetzt ein neues Wort gefunden, das heißt Neodigitalisierung. Also, dass man Dinge, die man schon digitalisiert hat, nochmal digitalisiert, weil es einfach neue Technologien gibt. Und was man so beobachtet, dass in den fortgeschrittensten digitalen Industrien, das sind alle Finanzinstitute und zum Teil Handel, die haben alle Daten schon in den 70er-Jahren digitalisiert auf IBM-Mainframes, auf ganz großen, sehr teuren Computern. Und die haben eine bestimmte Struktur, und dafür hat man die Anwendungen geschrieben. Die mussten damals alle, das sind keine Standardanwendungen wie SAP, sondern quasi mit Tausenden Leuten, mit Hunderten Millionen D-Mark damals konstruierte, große Anwendungen. Das heißt Kernanwendungen. Und die kann man nicht einfach portieren jetzt auf kleine Computer, das geht nicht. Also, man müsste dann wirklich das ganze, sowas wie den Kernapparat von einer Versicherung typischerweise oder von einer Bank nochmal vollkommen neu implementieren dann für diese neue Zeit des Cloud Computing. Und das wird einen ungeheueren Aufwand machen. Man muss dann auch quasi eine Autobahn, also das wäre so, als würde man den Flughafen Schönefeld auf dem Tegel-Grundstück noch baut, also noch eine viel höhere Komplexität. Es geht nicht darum, überhaupt die Bank oder die Versicherung neu zu konzipieren, sondern man muss sie auf dem alten Grundstück noch machen. Weil es läuft ja das Geschäft. Das ist sehr schwierig. Da kann es sein, dass wenn man es echt will, vielleicht zehn Jahre dauert. Wenn man das macht, dann hat man eigentlich neodigitalisiert, also ich habe das Digitale nochmal auf eine ganz neue Plattform gemacht. Und in zehn Jahren kann es gut sein, dass man wieder neoneodigitalisieren muss.