Günter Faltin: Für eine intelligentere Ökonomie
Nicht das Kapital entscheidet heutzutage immer, ob eine Geschäftsidee in die Tat umgesetzt wird. Es sei auch sympathischer, wenn tausend Leute eine Milliarde Umsatz machen als einer alleine.
Alle reden von der Blockchain, aber die wenigsten wissen eigentlich, was das genau ist. Dabei hat die Blockchain das Zeug, unser Wirtschaftssystem zu revolutionieren. Dieses universelle Kontobuch könnte zum Beispiel Banken überflüssig machen. Shermin Voshgmir von der Wiener Wirtschaftsuniversität erklärt erst einmal, was eine Blockchain ist und was das für die Art und Weise, wie wir Daten speichern, bedeutet. Ist die Blockchain eine Blase, die irgendwann bald platzen könnte?
Das Gespräch wurde am Rande der re:publica 2017 in Berlin aufgezeichnet.
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Blockchain hat definitiv das Potenzial, wenn wir es intelligent verwenden, dass es viele Probleme, die wir heute haben, löst. Blockchain hat aber auch das Potenzial, zur universellen Kontrollmaschine zu werden.
Man kann es auch für negative Sachen einsetzen. Blockchain in Kombination mit AI und IoT, also: Wir könnten gerade auch Skynet bauen. Oder die Chinesen könnten Blockchain sehr gut für ihre Citizen Scorecard verwenden, die sie gerade einführen. Auf der Blockchain ist das ein super Use case, sehr effizient, die Bürger, Staatsbürger zu kontrollieren und ihnen Plus- und Minuspunkte zu geben. Das wollen sie schon machen, und auf der Blockchain könnten sie das supereffizient machen. Das heißt, Blockchain, wie alle Technologien, ist neutral. Man kann's fürs Gute einsetzen und auch fürs Schlechte.
Blockchain ist nur eine von vielen Technologien im dezentralen Web. Blockchain ist ein großes Kontobuch von "Wer hat wann was gemacht?". Und eine Kopie dieses Kontobuchs ist auf allen Rechnern abgespeichert. Und die Rechner stimmen in Demokratie, also per Mehrheitsprinzip ab: Ist eine Transaktion valide oder nicht? Deswegen ist es auch so fälschungssicher, weil es reicht nicht, wenn ich sozusagen das Kontobuch nur auf einem Rechner manipuliere, ich muss es eigentlich auf allen Rechnern manipulieren oder auf fast allen Rechnern manipulieren, und das auch in der Transaktionshistorie.
Wir hatten erst den Computer und dann das Internet. Das heißt, zuerst hatten wir alleinstehende Computer. Und auf diesen alleinstehenden Computern waren Daten zentral gespeichert. Obwohl wir jetzt eigentlich seit den 60er-Jahren, aber in der Masse seit den 90er-Jahren, sprich: seit 30 Jahren, das Internet in der Masse haben und immer mehr die meistens auch miteinander verbinden, also zuerste die Computer, dann die Mobiltelefone, und jetzt sind wir bei IoT angelangt. Unsere Datenstrukturen sind nach wie vor, beruhen auf der Logik von Client-Server-Technologien, wo Daten auf einem Rechner zentral gespeichert sind und von einem anderen Rechner abgefragt werden. Wenn man eigentlich heute zurückgeht und Datenstrukturen neu erfindet, beruhend auf der Tatsache, dass es ja eigentlich schon eine vernetzte Welt gibt, würde man sie ganz anders erfinden. Und genau das machen wir jetzt. Blockchain ist nur eine von diesen neuen Technologien. Blockchain ist zu langsam und zu teuer, als dass man jetzt große Datenmengen darauf abspeichert. Blockchain braucht Schwestertechnologien, die eben auch dezentral sind, aber wo man zum Beispiel große Datenmengen speichern kann. IPFS Interplanetary File System ist so ein Protokoll. Eines von vielen, SWARM usw. Das heißt, was wir gerade machen: Wir erfinden nicht nur das Internet neu, sondern wir erfinden auch den Computer neu. Und der Computer der Zukunft ist ein dezentraler Weltcomputer, den keine einzelne Stelle abschaffen kann. Und in der richtigen Kombination dieser dezentralen Technologien kann ich die Datenstrukturen so gestalten, dass sich auch wieder Herr oder Frau meiner eigenen Daten werde. Das heißt, die Daten ... ich erlaube dann, authentifiziere mich ... ich muss dann sozusagen meine persönlichen Daten nicht mehr bei meiner Bank oder bei Facebook oder bei Twitter abspeichern, sondern ich habe die Daten bei mir oder auf meinem privaten Server, auf den nur ich zugreifen kann und authentifiziere mich über Public-Private-Key-Technologie, ohne die Daten jemals dorthin zu schicken. Das heißt, niemand kann auch in Zukunft meine Daten auswerten, es sei denn, ich erlaube es.
Wer in Zukunft in diesem dezentralen Weltcomputer die Macht haben wird, wissen wir noch nicht. Und es ist eine wichtige Frage, weil Blockchain wollte demokratischer sein. Aber in der Realität zeigt es sich, dass State-of-the-Art-Blockchains weniger demokratisch sind, sondern eher oligarchisch organisiert sind, weil es nach wie vor so ist, dass ich mit mehr Geld mehr Tokens kaufen kann, und mit mehr Tokens habe ich mehr Voting-Power. Es ist mehr Plutokratie als Demokratie. Oder ich kann mit mehr Geld mehr Rechnerleistung kaufen. Mit mehr Rechnerleistung habe ich auch mehr Voting-Power im Netzwerk. Das heißt, wenn wir nicht aufpassen, gehen wir eigentlich in eine schlechtere Welt als heute. Aber ich glaube ja, dass es so ist, dass die erste Generation Blockchain nun mal so ist. Aber wenn wir aufpassen und darauf achten, wird die zweite Generation und die nächsten Generationen werden hoffentlich demokratischer sein.
Es gibt das Missverständnis, Blockchain ist Bitcoin oder Blockchain ist Finanzdienstleistung. Blockchain hat mit Bitcoin begonnen, und die Finanzindustrie war die erste, die darauf aufmerksam geworden ist. Aber: Zurzeit haben wir zum Beispiel, die Energiebranche ist sehr stark auf den Zug gesprungen, weil gerade in Deutschland seit der Energiewende ist eigentlich im Erneuerbare-Energien-Bereich die Stromproduktion extrem dezentralisiert in Deutschland, aber der Stromhandel ist nach wie vor zentralisiert. Und technisch ist es heute schon möglich, dass wir Blockchain-basiert Peer-to-Peer-Stromhandel hätten. Die ersten Pilotprojekte gibt es schon zum Beispiel in New York. Da ist so eine Straße in Brooklyn, die so einen Testpiloten gemacht haben. Das Problem sind die Regularien. Es gibt Hunderte Regularien vom Staat sowohl in Deutschland als auch in Amerika, die den Strommarkt regulieren. Das ist einer der hochreguliertesten Märkte. Und es geht eher darum, dass man den Regulator darauf hinweist: Hallo, es gibt hier eine neue Technologie, und mit der könnten wir echt einen Peer-to-Peer-Stromhandel betreiben. Und das würde eigentlich die Stromproduktion weiter auch demokratisieren. Das ist ein Beispiel. Andere Beispiele: Die Musikindustrie, die ist gerade sehr stark auf dem Blockchain-Train, also gerade wenn es um Verwertungsrechte geht und das direkte Abführen von Verwertungslizenzen und die Abrechnung von Verwertungslizenzen. Heutzutage müssen Musiker bis zu zwei, drei Jahre darauf warten, dass sie ihr Geld überhaupt bekommen über sehr intransparente Strukturen ihres Labels. Sie wissen oftmals gar nicht, wieviel das Label bekommen hat. Auf der Blockchain kann das on-the-fly automatisch abgeführt werden, transparent für alle, auch für die Konsumenten.
Warum können wir auf Facebook die Leute nicht bezahlen für ihre Beiträge? Also, das könnten wir mit Blockchain lösen. Das heißt, in dieser Peer-to-Peer-Economy könnten wir jetzt auch diesen Layer einführen, wo Leute auf den sozialen Netzwerken für Aufmerksamkeit sich gegenseitig bezahlen können. Das heißt, das Web 2, das herkömmliche Internet, wie wir es jetzt kennen, ist eigentlich nur ein Zwischenschritt in eine echte Peer-to-Peer-Economy. Blockchain ist dieses Protokoll, das auf eben dem herkömmlichen Internet aufbaut und diesen Value-Exchange-Layer zum ersten Mal bietet. Das bedeutet jetzt nicht nur: Bitcoin war Geld ohne Banken. Aber ich kann mit diesem Protokoll auch Ridesharing ohne Uber machen und Apartmentsharing ohne AirBnB und Bauchverkauf ohne Amazon und ... ja, alles. Und Knowledge-Austausch eigentlich auch ohne Wikipedia.
Wie disruptiv Blockchain ist, hängt davon ab, von welcher Branche wir reden und von welchem Use case wir reden und von welchem Zeithorizont wir reden. Blockchain hat gewisse Use cases, die heute schon technisch möglich sind. Und wenn ich jetzt in den nächsten ein, zwei Jahren, wenn ich jetzt genug Entwicklerleistung reinstecke, haben wir in den nächsten ein, zwei Jahren schon die ersten, ich glaube, dass wir die ersten Killer-Anwendungen in den nächsten drei Jahren haben können. Gewisse Anwendungen bedürfen Netzwerkeffekte, und die werden wir in den nächsten drei Jahren nicht haben. Zum Beispiel alles, was mit der Supply Chain zu tun hat, wo alle entlang der Vertriebskette erstmal auf der Blockchain sein müssen. Das heißt, da brauchen wir noch fünf bis zehn Jahre, und erst dann, wenn eben diese Netzwerkeffekte da sind, werden gewisse Anwendungen, die auf Netzwerkeffekten beruhen, wie eben Supply-Chain-basierte Fragen wie: Ist Bio drin, wo Bio draufsteht? Ist Fair Trade drin, wo Fair Trade draufsteht? Es könnte man super auf der Blockchain abbilden, aber dafür müssen alle eben entlang der Vertriebskette mal auf Blockchain-basierten Systemen sein. Und das wird morgen noch nicht der Fall sein. Und obwohl es ein Use case ist, wird es noch dauern. Aber wir können nächstes Jahr schon oder wir haben jetzt schon Arcade City, man baut daran, eben ein Ridesharing ohne Uber. Wo es echtes Peer-to-Peer-Ridesharing zwischen Fahrer und Fahrgast ohne eine Plattform dazwischen, sondern nur mit dem Smart Contract, mit einer dezentralen Anwendung auf der Blockchain würde dann diese Sachen automatisch abwickeln, zu wesentlich niedrigeren Transaktionskosten, 20, 30 Prozent günstiger, als es heutzutage der Fall ist. Plattformen werden dann in Zukunft ersetzt von automatisch ausführbarem Code. Und die Frage ist natürlich: Wie kann man damit Geld verdienen? Und vielleicht muss ich hier nochmal sagen: Es gibt unterschiedliche Arten von Blockchains. Blockchain ist nicht Blockchain. Erstens einmal gibt es nicht nur eine Blockchain, sondern es gibt mehrere Blockchains. Und je nach dem, von welcher Blockchain wir reden, reden wir auch von unterschiedlichen Geschäftsmodellen. Die klassischen Blockchains wie Bitcoin oder Ethereum sind öffentlich und permissionless. Jeder darf das Protokoll sich herunterladen und Teil des Netzwerks sein. Es gibt keine zentrale Autorität, die sagt: Du darfst hier mitspielen oder nicht mitspielen. Das ist disruptiv, das ist ein Gamechanger. Jetzt sind aber die Banken irgendwann gekommen und haben gesagt: Naja, das mit der öffentlichen Blockchain ist zwar super, so verteilte Datenbanken, aber wir können und wir wollen das nicht. Das ist auch aufgrund von regulatorischen Auflagen. Sie wollen das nicht öffentlich machen, sondern nur Mitglieder des Konsortiums dürfen sozusagen die validierenden Teilnehmer im Netzwerk sein. Die Geschäftsmodelle, die darauf aufbauen, sind eigentlich sehr klar. Das ist radikale Kostenreduktion im Sinne von SAP in den 90er-Jahren. Komplett andere Use cases. Reden wir von ebenso privaten Konsortiumblockchains oder reden wir von öffentlichen Blockchains?
Ja, es ist gerade ein Buzzword. Und es wird gerade sehr viel Geld in die Technologie gesteckt, zum Teil blind, so ähnlich wie in der Dotcom-Ära, wo jedes Start-up, das irgendwie eine Dotcom-Domain angemeldet hat und eine Landingpage hatte, hat plötzlich Millionen bekommen. Und normale Due Dilligence hat man vergessen. Das heißt: Ja, es gibt gerade einen Hype. Das bedeutet aber nicht, dass die Technologie nicht das Potenzial hat. Aber aufgrund des Hypes ist es gerade so, dass sehr viel dummes Geld in den Markt pumpt. Und ich befürchte, dass in dem Blockchain-Bereich etwas Ähnliches passieren könnte wie damals in der Dotcom-Ära, dass die Blase irgendwann platzt, weil dummes Geld die Technologie nicht wirklich versteht und erwartet, dass viel schneller der Payoff da ist, als man glaubt. Oder sie Geld in Projekte investieren, die vielleicht keiner Blockchain bedürfen, oder einfach sie haben es nicht verstanden, dann passiert irgendetwas, dann werden sie genauso hysterisch, wie sie das Geld hereingesteckt haben, ziehen sie es wieder heraus. Und das heißt, insofern glaube ich schon, dass wir in einem Hype Cycle sind. Das heißt aber nicht, dass Blockchain nicht das Potenzial hat, das es hat, nur viele Use cases werden noch viele Jahre dauern, bis die Netzwerkeffekte da sind, dass man sie wirklich auch in der Masse umsetzen kann.