Peter Guse: Radikaler Innovation eine Heimat geben

"Sobald man anfängt, innerhalb klassischer Bürowelten von Großkonzernen mit dem Serienproduktionsdenken, das da normalerweise vorherrscht, große Schritte in Innovation zu machen, wird man schnell an Grenzen stoßen."

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Großkonzerne sind wie Supertanker – sie sind meist nicht so richtig beweglich, um neue Produkt- und Geschäftsideen schnell zu entwickeln und auszuprobieren. Doch Bosch zum Beispiel hat eine eigene Start-up-GmbH in Ludwigsburg gegründet, die Innovationen vorantreiben soll. Wie das funktioniert, erklärt deren CEO Peter Guse. Auf eine Sache kommt es dabei an, und Effizienz oder Qualität sind es nicht.

Peter Guse ist einer der Diskutanten auf dem Forschungsgipfel 2018, bei dem rund 400 Entscheider, Experten, Vordenker und Newcomer aus Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik darüber öffentlich beraten, wie das internationale Innovationssystem weiterentwickelt werden kann.
 

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Autorin: Corina Niebuhr
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Transkript des Videos

Ausgehend von der Stärke der Industrie hier im Süden ist natürlich auch eine Aufgabe für die Industrie da, nämlich da wir einen Großteil der sehr guten Absolventen von der Uni direkt in die Industrie reinbekommen, sollten wir im Gegenzug etwas dafür tun, dass dieses frische Wissen auch dafür genutzt wird, radikale Innovation hervorzubringen.

Die starke Industrie, die wir hier im südlichen Raum Deutschlands haben, ist gleichzeitig natürlich ein großer Vorteil, weil einfach sehr finanzstarke Investoren da sind und große Forschungsetats da sind. Andererseits gehen aber typischerweise die guten Absolventen von den Unis vorzugsweise auch sofort in die Industrie und sind dann nicht mehr auf dem freien Markt verfügbar für kleine Gründungen. Und deswegen, glaube ich, hat die Industrie hier im Süden eine große Aufgabe, da einen gewissen Ausgleich zu schaffen, und ich glaube, das tun wir, indem wir zum Beispiel innerhalb der Großkonzerne diese Inseln schaffen, diese Heimat schaffen für radikale Innovation.

Zu uns können typischerweise Bosch-Mitarbeiter kommen, kleine Teams, die schon sich sehr viele Gedanken über ihre Ideen typischerweise gemacht haben. Und die kommen mit Produkt- oder sogar Geschäftsideen zu uns, und wir helfen denen zunächst erst einmal, diese Ideen noch weiterzuentwickeln, so dass sie entscheidungsfähig werden. Und dann finanzieren wir diese Teams bei uns, und dann bauen die hier weiter aus.

Heimat für radikale Innovation heißt für uns tatsächlich, diese drei Arten von Freiheit zu bieten. Eine sehr zweckmäßige Arbeitsumgebung, den physischen Raum. Eine passende Kultur, die sehr stark auf Innovation, auf Offenheit, auf Risikofreudigkeit, auf Unternehmertum ausgerichtet ist. Und dann gleichzeitig aber eine Organisation, die von einem Teil der Regeln befreit ist.

Sobald man anfängt, innerhalb klassischer Bürowelten von Großkonzernen mit dem Serienproduktionsdenken, das da normalerweise vorherrscht, große Schritte in Innovation zu machen, wird man schnell an Grenzen stoßen. Völlig zu Recht haben wir in den großen Unternehmen sehr viele Regeln, die sicherstellen, dass unser Kerngeschäft sehr stabil und mit hoher Qualität und sehr effizient abläuft. Das trägt aber nicht dazu bei, wirklich große bahnbrechende Innovationen herbeizuführen und diese schnell in die Praxis umzusetzen. Dafür braucht man halt im Gegenzug diese kleinen Inseln, wo diese drei Arten von Freiheit wiederum herrschen.

Umgekehrt ist es so, dass das Kerngeschäft, das sehr stabil läuft, mit sehr vielen Regeln reglementiert ist, damit es hohe Qualität und hohe Effizienz erreicht, das ernährt uns. Das Geld, das wir hier ausgeben, wird in Feuerbach, bei Bosch zumindest, an den Produktionslinien verdient. Und dessen müssen wir uns einfach bewusst sein. Wir haben eine sehr starke Verantwortung, dieses Geld so sinnvoll einzusetzen, dass wir dann die Arbeitsplätze von morgen sichern.

Mit diesem Gedanken, dass wir radikale Innovationen eine Heimat geben wollen, sind wir nicht die einzigen. Also, wir haben inzwischen ein sehr gutes Netzwerk aufgebaut zu anderen Großfirmen, die ganz ähnliche Aktivitäten verfolgen. Und wir tauschen uns mit denen rege aus, und da ist tatsächlich eine Kultur der Öffnung zu spüren, teilweise sogar mit Wettbewerbern. Wir hatten also letzte Woche hier einen Workshop in unseren Räumlichkeiten, wo wir tatsächlich Vertreter von ähnlich gelagerten Aktivitäten ganz anderer Großunternehmen hatten, zum Teil auch von Wettbewerbern, wo wir uns natürlich nicht über die konkreten Inhalte austauschen, aber sehr wohl über die Methodik und über zum Beispiel Fragen, wie Räumlichkeiten oder wie wir Fachkräfte finden. Und da spüre ich tatsächlich, dass die Bereitschaft zur Zusammenarbeit innerhalb der Industrie, zwischen Unternehmen, sehr stark gewachsen ist.

Innovation findet natürlich nicht nur in Deutschland statt, sondern überall auf der Welt, und gerade vieles von der Methodik, die wir heute anwenden im Zusammenhang mit digitalen Geschäftsmodellen und dem Neuaufbau und der Entwicklung von Geschäften, das haben wir durchaus auch in den USA gelernt, also diese Lean-Start-up-Methodik, die aus Stanford gekommen ist, die wenden wir selber auch an. Und um zu verstehen, warum das funktioniert und wie das funktioniert, geht man tatsächlich am besten selber vor Ort. Wir hatten großes Glück, dass wir zwei Teams inzwischen hatten, die wir in den USA gegründet haben. Dort haben wir eine Schwestergesellschaft, die eine ganz ähnliche Struktur hat wie die Organisation hier in Deutschland, und wir sind mit einem Team in Redwood City aktuell und mit einem Team in Pittsburgh und haben dort vor Ort auch hautnah lernen können, wie die Kultur dort sich auf die Innovation auswirkt, welche Methodiken angewendet werden. Und Bosch betreibt schon relativ lange einen Forschungsstandort in Kalifornien, im Silicon Valley, und dort besteht auch ein sehr reger Austausch, ein gutes Netzwerk in die Stanford University hinein, aber auch mit den lokalen Firmen vor Ort. Und das waren gute Impulse, das war sehr inspirierend für die Arbeit hier vor Ort. 

Silicon Valley ist tatsächlich dadurch gekennzeichnet, dass wir auf engem Raum eine große Anzahl sehr kompetenter Leuten haben, die als Ecosystem zusammenarbeiten, die also auch über Firmengrenzen hinaus sehr schnell zusammenarbeiten können. Dort existieren Netzwerke, wo man Zugriff auf nahezu jede Art von Kompetenz hat. Die bekommt man natürlich nicht umsonst, die muss man auch entsprechend bezahlen. Aber sie ist sehr schnell verfügbar, und gerade bei Innovationen geht es vorrangig um Geschwindigkeit. Erst in der Serienproduktion, erst im stabilen Kerngeschäft, geht es nachher um Effizienz und Qualität. Aber am Anfang ist diese Geschwindigkeit wichtig, auch wenn sie teuer ist. Und diese Möglichkeiten findet man dort vor. Und das versuchen wir im Kleinen hier natürlich auch umzusetzen. Das wird ein bisschen dauern, aber wir lernen da.

Wir haben natürlich schon auch in Europa, natürlich auch weltweit, eine gewisse Verteilung der lokalen Kompetenzen. Und wir können das natürlich einerseits als große Firma, die global tätig ist, versuchen zu adressieren und zu nutzen, indem wir zum Beispiel an bestimmten Standorten wie Nordamerika das Thema Robotik und IoT sehr stark fokussieren und in Deutschland uns sehr stark auf die Mobilität zum Beispiel konzentrieren. Aber das gleiche könnte auch auf europäischer Ebene stattfinden, dass man lokale Kompetenzzentren, die teilweise schon da sind, stärker fördert und dann aber miteinander in Austausch bringt, weil gerade aus der Kombination verschiedener Expertisen resultiert in aller Regel neue bahnbrechende Innovation. Und "Horizon 2020" ist ein guter Ansatz, um lokale Kompetenzzentren in den Austausch zu bringen und auch die wissenschaftliche Welt stärker mit der Industrie in gemeinsame Projekte zu bringen. Und das ist sicherlich ein Ansatz, der vielversprechend ist, und der sollte gestärkt werden.

Wenn wir uns heute Smartphones anschauen, die Lithium-Ionen-Batterien drinhaben, die Touchscreens haben, die vielfach verschiedene Konnektivität haben, wir brauchen ein sehr großes Team inzwischen und nicht nur von Menschen, sondern auch von Unternehmen, von Firmen mit ganz verschiedenen technologischen Spezialisierungen, um dieses Produkt zustande zu bringen. Und da ist auch kein Großunternehmen alleine mehr in der Lage, insbesondere dann, wenn sie ein sehr stabiles Kerngeschäft haben, neue Technologien schnell in diese Produkte hineinzubringen. Da sind wir darauf angewiesen, dass wir Technologielieferanten haben. Und das sind vielfach wesentlich kleinere Unternehmen, die dynamischer agieren können, die Innovation schneller umsetzen können, und das ist in Deutschland vielfach Mittelstand. Und diese mittelständischen Unternehmen verfügen aber eben nicht über die finanziellen und menschlichen Ressourcen, um zum Beispiel ganz neue Technologien aus eigener Kraft hervorzubringen.

Und diese Unternehmen sind in der Regel darauf angewiesen, dass neue Technologien auch entsprechend gefördert werden, die Entwicklung neuer Technologien gefördert wird. Und da wäre die Effizienz oder wäre mehr Effizienz erreichbar, wenn diese Förderinitiativen zum Beispiel thematisch oder regional stärker gebündelt und fokussiert wären. Und sie sollten natürlich zwischen der regionalen Ebene und der überregionalen Ebene und dann der europäischen Ebene besser koordiniert sein, als sie es heute sind. Wir sehen, dass sich diese Förderlandschaft sehr gut entwickelt, gerade was die Neugründungen betrifft. Da machen wir auch die Erfahrung, dass dort sehr viel mehr Neugründungen entstehen. Wir kennen das aus München oder auch aus Stuttgart. Was aber dann den weiteren Ausbau, das Wachstum dieser kleinen Gründungen, dieser Start-ups betrifft, da sehen wir zum Beispiel, dass die steuerlichen Bedingungen in den USA sehr viel günstiger sind als hier in Europa. Und da wäre es für die Geschwindigkeit dieser Innovation, für das Wachstum dieser kleinen Firmen sicher sehr dienlich, wenn man die Bedingungen da entsprechend verbessern könnte.