Friederike Welter: Mittelstand und Disruption

"Was sich erst langsam durchsetzt, ist dieses Verständnis, dass Digitalisierung nicht ein technischer Prozess ist, sondern es ist im Grunde genommen auch erfordert, dass man andere Kompetenzen hat."

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Friederike Welter: Mittelstand und Disruption (Video)
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Ist der deutsche Mittelstand Treiber oder Bremser bei Innovationen? Eigentlich beides, wie Friederike Welter, Präsidentin des Bonner Instituts für Mittelstandsforschung, erklärt. Manche Unternehmen haben schon früh die Digitalisierung gelebt, gerade kleineren fehlen aber oft die Ressourcen. Wie groß die Digitalisierungslücke im Mittelstand wirklich ist? Dazu hat Welter eine klare Meinung.
 

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Autor: Timur Diehn
Produktion: Webclip Medien Berlin
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Friederike Welter ist Impulsgeberin beim Forschungsgipfel am 28. März 2017 in Berlin.

 

Transkript des Videos

Der Mittelstand ist etwas, was nicht nur die Volkswirtschaft trägt, also jetzt gerade bei uns in Deutschland, sondern was im Grunde genommen ja auch die Gesellschaft ausmacht.

Geht man beispielsweise nach Südwestfalen, geht man runter ins Badische, geht man in bestimmte Regionen auch in Ostdeutschland, dann sieht man, dass das sehr stark eine Wirtschaft ist, die sehr stark mittelständisch geprägt ist. Wo eben also im Grunde genommen auch Familienunternehmen manchmal in der dritten, vierten, fünften Generation einen großen Anteil haben in der Region. Ich glaube, es kommt immer darauf an, wo man sich bewegt. Berlin wird als die Hauptstadt der Start-ups gesehen, nicht als die Hauptstadt des Mittelstands, obwohl wir vom Institut, wir sehen eigentlich auch, dass die Start-ups ein Stückweit Mittelstand sind.

Ein Unternehmen, was ich ganz extrem spannend finde, das ist wirklich schon ein sehr großer Mittelständler, ist Kirchhoff im Sauerland. Einer der Kirchhoff-Brüder ist auch ein Unternehmer mit Leib und Seele. Der hat mich mal durch sein Unternehmen geführt, was dazu führte, dass ich meinen Zug verpasst habe, weil der kannte jeden mit Namen. Das ist ein hochtechnologisch aufgesetztes Unternehmen. Der hat auch Digitalisierung schon gelebt, bevor das ein Begriff war. Bei dem ist es so, dass die Leute, die dort im Grunde genommen an den verschiedenen Stationen stehen, die haben wie so Ärzte einen kleinen Piepser, so einen Pager. Die können also im Biggesee schwimmen gehen, und wenn die Maschine nicht funktioniert, dann werden sie angepaged, und dann müssen sie ins Unternehmen zurück. Und das ist so ein Unternehmer, gut, vielleicht hat der eine andere Art von Managementkultur, der lebt dieses sehr Persönliche des Mittelstandes, sich Verantwortung bewusst fühlen gegenüber dem neueingestellten Lehrling, den er mit Namen kannte, bis eben zum, der macht tatsächlich auch Forschung und Entwicklung im Unternehmen, bis eben zum FuE-Leiter.

Es verpassen nicht alle Mittelständler den Zug der Digitalisierung. Ich würde sogar die Hidden Champions ein Stückweit ausnehmen wollen, gerade die. Ich habe jetzt so ein paar ganz konkrete Firmen im Auge, vor dem Auge, die im Siegerland, in Südwestfalen ansässig sind, und die sind tatsächlich, was Digitalisierung angeht und auch den Umgang mit digitalen Techniken, sind die wirklich à jour. Faszinierende Unternehmen, wo eben Digitalisierung weit über das hinaus geht: Ich baue da jetzt mal im Unternehmen irgendwas auf, und dann sage ich: Ich bin jetzt digital aufgestellt. Diese Unternehmen sind ja in Wertschöpfungsketten oft eben nicht nur ein kleines Rädchen, sondern manchmal auch die Treiber, das heißt, sie müssen das ganz anders nutzen. Die kleineren Mittelständler haben da eher Probleme. Für sie ist die Digitalisierung eine Herausforderung. Das hat viel mit den Ressourcen zu tun, nicht unbedingt mit den Finanzen, sondern eben auch mit dem Personal. Das hat viel damit zu tun ... Mich erinnert das so ein Stückweit, als damals das Internet aufkam und jeder Handwerksbetrieb meinte, Internet ist damit getan, dass ich eine Internetwebseite habe. Bei der Digitalisierung sieht man manchmal so ein ähnliches Verständnis, gerade bei den kleineren Mittelständlern auch in bestimmten Bereichen, dass man dann denkt: Okay, Digitalisierung bedeutet jetzt Mensch-Maschine-Kommunikation, und wenn ich das eingeführt habe, ist es okay. Oder man sieht auch die Ängste, dass dann eben gesagt wird: Digitalisierung, gerade auch bei der Belegschaft in so einem mittelständischen Unternehmen, bedeutet, dass mein Job flöten geht, um es jetzt mal so zu sagen. Dem ist nicht so, weil die Führungskräfte bei den Mittelständlern erkannt haben, das zeigt ein Projekt, was wir gerade zurzeit abschließen, dass ohne die Mitarbeiter, ohne die Belegschaft im Prinzip die Digitalisierung nicht umgesetzt werden kann. Was sich erst langsam durchsetzt, ist dieses Verständnis, dass Digitalisierung nicht ein technischer Prozess ist, sondern es im Grunde genommen auch erfordert, dass man andere Kompetenzen hat, dass man die Mitarbeiter anders schult, die Führungskräfte anders schult. Dass man im Grunde genommen die Digitalisierung als eine riesige Chance begreift. Auf der anderen Seite, finde ich, da wird manchmal ein ziemliches Bohei darum gemacht, also, so riesig sehe ich die Digitalisierungslücke im deutschen Mittelstand nicht, wie immer wieder gesagt wird. Es ist auf verschiedenen Ebenen, was das angeht, relativ gut aufgestellt, auch im europäischen Vergleich.

Wie erkenne ich als Staat, was eine disruptive Innovation ist und wie kann ich dem Mittelstand verordnen: Seid bitteschön mal disruptiv! Erstens: Jeder Unternehmer ist im Grunde genommen immer wieder auf der Suche. Wie können sie sich neu am Markt aufstellen? Was kann neu gemacht werden? Was muss neu verändert werden? Zweitens: Jede Gründung, die an den Markt kommt, rührt den Markt auf, egal ob das jetzt ein hochinnovatives Geschäftsmodell ist oder ob das eine Imitation von etwas ist, was es am Markt schon gibt, wo eine Kleinigkeit neu gestaltet wird. Das sorgt aber auch dafür, dass die Etablierten am Markt sich nochmal überlegen müssen: Wo sitzen sie eigentlich? Was machen sie? Von daher ... Ich glaube nicht, dass wir unbedingt eine Diskussion um Disruption brauchen. Wir brauchen eher eine Diskussion darum: Warum ist das, was besteht, warum erkennen wir eigentlich nicht, wie gut das ist? Und warum überlegen wir eigentlich nicht, wo müsste das vielleicht nochmal durchlässiger und offener werden?

England zum Beispiel ist sehr viel kleinteiliger schon sehr viel früher gewesen. Also, Margaret Thatcher hat damals mit der Privatisierungskampagne, die sie gefahren hat, diesen eventuellen Mittelstand, der im Entwickeln begriffen ist, sehr stark zerstört. Das sind sehr kleine Unternehmen dort gewesen, immer schon. Interessant ist, dass in den vergangenen Jahren eben Großbritannien sehr stark auf eine "British Mittelstand"-Initiative setzt, und zwar "Mittelstand" wirklich auch das Wort übernommen hat in die englische Sprache. Viel spannender finde ich das, was ich in Osteuropa gesehen habe. Dieses Phänomen beispielsweise, Start-ups, die gründen und dann verkaufen und wieder gründen und wieder verkaufen, das habe ich bereits Anfang 2000 in Ungarn gesehen bei Jungunternehmern, die eben sagten: Wir haben eine tolle Idee, aber warum sollte ich jetzt an dieser Idee zehn Jahre rumarbeiten? Ich schaue, dass ich sie an den Markt bringe, und dann verkaufe ich sie gleich wieder. Also, da war ein ganz anderer Geist, der dahintersteckt, oder so eine ganz andere Mentalität, vielleicht auch dadurch bedingt, dass natürlich die Unternehmensstrukturen in der ehemaligen sozialistischen Wirtschaft ganz anders ausgesehen haben. Wobei Ungarn ist eines der Länder gewesen, das bereits sehr früh Reformexperimente zugelassen hat, vielleicht auch so ein bisschen diesen "Ich frickel da mal jetzt rum, ich probiere mal aus, ich wurschtel mich durch als Unternehmer", das zugelassen hat.