Janina Sundermeier: Wie simulieren Universitäten Start-ups?

"Man muss ja schon ein gewisses Maß an Selbstüberschätzung mitbringen, um tatsächlich davon auszugehen, dass man selbst derjenige ist, der es doch vielleicht schafft."

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Janina Sundermeier: Wie simulieren Universitäten Start-ups? (Video)
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Was braucht jemand, der ein Unternehmen gründen will? Erst einmal ein gewisses Maß an Selbstüberschätzung. Denn rein statistisch stehen die Chancen, mit einem Start-up erfolgreich zu sein, nicht zum Besten. Janina Sundermeier vom Digital Enterpreneurship Hub an der Freien Universität Berlin kennt die Gründerszene und hat schon Hunderte Studierende begleitet, die den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt haben. Interdisziplinäre Teams sind für Start-ups das A und O. Aber wenn zum Beispiel Literaturwissenschafler und Betriebswirte zusammen ein Projekt starten, lässt sich das oft holprig an ...

Janina Sundermeier wurde 2017 mit einem Junior-Lehrfellowship des Stifterverbandes für ihr Projekt "Entrepreneurial Diversity – Edition: Fempreneurship" gefördert. Dabei handelt es sich um ein fächer- und zielgruppenübergreifendes Lehrangebot an der FU und Charité Berlin, das verschiedene Diversitätsaspekte im Gründungskontext thematisiert.
 

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Autor: Timur Diehn
Produktion: Webclip Medien Berlin
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Transkript des Videos

Ich selbst habe ja viel zu extremen Formen von Selbstüberschätzung geforscht, gerade im Gründungskontext, weil ich es sehr, sehr spannend fand, diese vielen verschiedenen Persönlichkeiten, die eben gerade in der Start-up-Welt zusammenkommen. 

Der Begriff, der in diesem Zusammenhang gerade in der wissenschaftlichen Literatur oft fällt, ist Hybris. Also, jemand nimmt sich selbst als gottgleich wahr. Und das ist sehr, sehr interessant zu beobachten, denn in der wissenschaftlichen Literatur sind diese Art von Menschen oftmals dazu verdammt zu scheitern. Allerdings, was ich beobachte, wenn ich mir dieses Start-up-Ecosystem hier anschaue in Berlin, dann sind es ja gerade diese Typen, die man braucht. Oder auch Frauen, die eben sich auch selbst überschätzen und derart präsentieren. Zum einen mal, wenn man sich anguckt, wie hoch die Quote der scheiternden Unternehmen ist. Also, man muss ja schon ein gewisses Maß an Selbstüberschätzung mitbringen, um tatsächlich davon auszugehen, dass man selbst jetzt tatsächlich aber derjenige ist, der das doch vielleicht schafft und diesen nächsten Schritt gehen kann und erfolgreich wird. Und man braucht auch diese Typen, weil sie einfach polarisieren. Also, diese Persönlichkeiten polarisieren auf Bühnen, die können sich gut verkaufen, und das ist sehr, sehr viel wert. Natürlich hat man diese Art von Persönlichkeiten auch in Lehrveranstaltungen und muss eben sehen, wie man damit umgehen kann, wie sich das tatsächlich regulieren kann. 

Gerade hier im Master Wirtschaftsinformatik sind wir mittlerweile so weit, dass die Studierenden innerhalb dieser zwei Jahre ihres Masters tatsächlich an einer Geschäftsidee arbeiten können. Immer aus wissenschaftlicher Sicht, natürlich auch begleitet, aber von der initialen Ausarbeitung der Geschäftsidee hin über die erste Erprobung. Ich nehme an Umfragen teil, ich arbeite auch mal innerhalb des Masteranden-Projekts über einen längeren Zeitraum daran, bis hin zu: Ich schreibe vielleicht auch meine Abschlussarbeit in diesem Rahmen, um noch bestimmte wissenschaftliche Erkenntnisse damit zu verbinden.

In meinen Kursen lege ich sehr, sehr viel Wert darauf, dass sich interdisziplinäre Teams formieren. Und gerade am Anfang ist das oft etwas holprig, weil die Studierenden selten in die Situation kommen, dass sie nicht die Möglichkeit haben, mit der besten Freundin oder dem besten Freund zusammenzuarbeiten. Ich führe das aber sehr bewusst herbei, dass ich sie oftmals tatsächlich nach Zufallsprinzip entweder zusammenwürfele, um eben zu vermeiden, dass bestimmte Fächergruppen zusammenklumpen, oder dass es tatsächlich eine Art Marktplatz gibt, wo, wenn es Ideen von den Studierenden oder auch den Wissenschaftlern gibt, die dann ganz explizit sagen können: Das sind vielleicht bestimmte Kompetenzen oder Fähigkeiten, die mir noch fehlen. Und ich suche jemanden hier in diesem Kurs, der mir da Unterstützung leisten könnte. Und das ist immer ganz spannend zu sehen. Die Studierenden wissen ja nicht, worauf sie sich einlassen. Dann findet innerhalb der ersten Veranstaltung oftmals dieser Teambuildung-Prozess statt. Plötzlich sehen sie sich mit einer komplett neuen Situation konfrontiert. Das heißt, mit Teammitgliedern, die ganz unterschiedliche Hintergründe haben, die unterschiedlich sozialisiert worden sind in ihren Studiengängen, und plötzlich, ja, müssen sie eben zusammenarbeiten. Das kreiert oft noch eine gewisse Spannung gerade zu Beginn, weil irgendwie steht natürlich auch noch im Vordergrund: Oh Gott, ich brauche hier eine gute Note. Kann ich das denn tatsächlich schaffen mit diesem Team, was ich hier habe? Dann gibt es oft eine Phase, wo man sich erstmal kennenlernt, es wird ein bisschen ruhiger, und dann beobachte ich relativ oft: Ein bisschen Konfliktpotenzial gibt es eigentlich dann in jedem Team, gerade in dieser frühen Phase, wenn man viele Entscheidungen treffen muss. Dann reiben sie sich doch aneinander, und dann ist es aber umso positiver, weil plötzlich stellt man fest: Aha, ich möchte hier diese wunderbare, tolle, neue App entwickeln, und plötzlich habe ich auch noch einen Informatiker in meinem Team, der tatsächlich die Kompetenzen und Fähigkeiten in irgendeiner Form mitbringt, das ganze technisch umzusetzen oder zumindest mal Feedback reingibt, wie das ganze technisch machbar ist. Das heißt, hier zu vermitteln auf der einen Seite, es macht ja keinen Sinn, mit drei Betriebswirten oder drei Literaturwissenschaftlern ein Unternehmen zu gründen, sondern eher ein sehr diverses Skill-Set ist natürlich relevant, und später in meinem Beruf kann ich mir ja meine Mitarbeiter oder meine Kollegen auch nicht mehr unbedingt aussuchen. Ist dann schon immer ein bisschen tricky. Da muss man dann tatsächlich da aber auch durch. Und die Erfahrung gibt mir da eigentlich auch Recht. Also, dass es wirklich mal hocheskaliert ist, also, ich glaube, ich habe über die letzten fünf Jahre über 500 derartige Teams betreut, und dass es wirklich mal eskaliert ist, das kann man vielleicht an einer Hand abzählen. Also, das funktioniert eigentlich langfristig dann ganz gut, wenn sich alle da so ein bisschen an dieses neue Setting gewöhnt haben.

Was mir sehr wichtig ist, ist, dass ich nicht als die Person angesehen werde, die jedes noch so kleine Problem sofort löst. Dafür sind auch alle Teilnehmenden wirklich alt genug, sondern ich will erstmal schauen, wie ergibt sich so eine Gruppendynamik und wie kommen sie dann tatsächlich auch miteinander aus. Was ich tatsächlich mache, ist, oftmals sehr kurze Deadlines zu setzen, bis wann bestimmte Ergebnisse abzugeben sind. Das heißt, selbst wenn es passiert, dass sich die Teams vielleicht mal in Einzelheiten verstricken oder über wirklich Kleinigkeiten anfangen zu diskutieren, merken sie dann doch immer wieder diesen Druck von hinten, dass sie eben eine bestimmte Uhrzeit einzuhalten haben, bis wann sie dann ein bestimmtes Ergebnis zu liefern haben. Und diese Vorgehensweise hat sich eigentlich doch bewährt in den letzten Jahren, weil es zeigt immer wieder: Ja, sie streiten sich, sie verbeißen sich dann in Kleinigkeiten, aber sie sehen: OK, wir müssen trotzdem zu einem Ziel kommen und können jetzt nicht heute den Hörsaal oder den Veranstaltungsraum verlassen, ohne das tatsächlich dann auch gezeigt zu haben.

Was uns ganz wichtig ist, ist, dass die Studierenden und auch die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen frühzeitig dieses gewohnte Umfeld verlassen. Ganz, ganz früh sagen wir ihnen: Es ist immer schön, Feedback von Familie und Freunden einzuholen, aber es ist wahrscheinlich nicht die Hauptzielgruppe für die einzelnen Ideen, die ausgearbeitet werden, und es ist wahrscheinlich auch nicht das ungefilterte Feedback, was man tatsächlich braucht. Das heißt, wir versuchen wirklich früh auch, alle Teilnehmenden in den Kursen zu motivieren, ihre Zielgruppen zu identifizieren und dann sehr, sehr früh mit ihnen in Interaktion zu treten, sei es tatsächlich Interviews zu führen, Beobachtungen anzustellen oder in irgendeiner Form eine ganz, ganz einfache Version des Produkts oder der Dienstleistung zu erstellen, mit denen sie dann eben hinaustreten können, um zu testen, ob es tatsächlich einen Markt gibt. Gibt es eine Nachfrage für den Online-Shop, den ich mir vielleicht überlegt habe, für meine Idee?

Die Unternehmen treten tatsächlich an uns heran, bringen diese Geschäftsideen ein in Form eines Pitches eigentlich. Also, man stellt sich das so vor, die allererste Veranstaltung, wie laden die Praxispartner ein, die wir für das jeweilige Semester ausgesucht haben, mit denen wir kooperieren wollen, und sie präsentieren ihre Geschäftsideen. Danach können sich die Studierenden sozusagen bewerben, um an diesen Geschäftsideen weiterzuarbeiten. Auf diese Weise formen sich dann interdisziplinäre Teams, die wir dann von Universitätsseite über den Verlauf des Semesters betreuen, theoretischen Input vor allem geben, ihnen Handwerkszeug an die Hand geben, wie sie sehr systematisch eben jetzt ihre Geschäftsideen weiterentwickeln können. Und dann gibt es über den Verlauf des Semesters immer wieder verschiedene Zeitpunkte, zu denen eben auch Kontakt mit den jeweiligen Unternehmen besteht, wo es Feedback gibt, wo bestimmte Dinge diskutiert werden. Und dann haben wir ganz klassisch eine Zwischen- und Endpräsentation, die normalerweise auch in einer Art Pitch tatsächlich endet. Und die Studierenden müssen dann eine Art Management Summary abgeben. Das heißt tatsächlich ein Papier, auf dessen Basis dann fiktiv ein Vorgesetztenboard oder ein Managementboard entscheiden kann, ob sie diese Idee umsetzen wollen innerhalb des Unternehmens oder nicht.

Ein weiteres Learning aus diesen Gesprächen war, dass auch ein großer Wunsch ist, informelle Gesprächssituationen zu schaffen. Das heißt, vielleicht habe ich in einer großen Gruppe manchmal nicht den Mut, bestimmte Fragen zu stellen, oder habe für mich persönlich den Eindruck, dass bestimmte Fragen eher als naiv wahrgenommen werden. Und dann war sehr, sehr oft der Wunsch, diese informellen Gesprächssituationen zu schaffen. In der Summerschool, die ich dann angeboten habe, für das Womenventures-Modul habe ich das so gelöst, dass es an zwei Tagen ein Frühstück gab mit Gründerinnen, die eingangs ganz kurz zehn, zwölf Minuten über ihre Geschäftsidee berichtet haben und die dann ganz informell zum Frühstück geblieben sind. Man stand zusammen, man hat sich ausgetauscht. Jetzt war es interessanter- und ungeplanterweise so, dass beide dieser Gründerinnen schwanger waren. Und bei diesen Gesprächen, die ich dann so belauscht habe, hat es sowohl die weiblichen, aber auch die männlichen Teilnehmer dann doch interessiert: Wie kann ich eigentlich diese Familiengründung und die Unternehmensgründung zusammenbringen? Das sind oftmals Fragen, die begegnen mir hier im Hörsaal so nicht, die würde man vielleicht nicht so offen ansprechen, nicht so offen kommunizieren.

Mir war es auch wichtig zu verstehen: Warum nehmen vielleicht auch bestimmte Gruppen nicht an derartigen Formaten teil? Und von seiten der Gründerinnen war es ein sehr wichtiger Input zu verstehen: Was haben sie von ihren Universitäten oder aus der universitären Ausbildung für ihre eigenen Gründungsideen mitnehmen können? Es hat eine ganze Reihe verschiedener Erkenntnisse gezeigt. Und die wichtigste war, dass es oftmals doch noch an Rollen und Vorbildern mangelt. Das heißt, auch in den Universitäten wird wahrscheinlich, ohne groß zu reflektieren, oftmals noch auf Gründungsvorhaben von vor allem männlichen Gründern zurückgegriffen, gerade auch was Fallstudien, Fallbeispiele etc. angeht. Das heißt, Frauen stehen bei vielen dieser Formate nicht unmittelbar im Fokus. Genau das gleiche sehen wir auch im Berliner Start-up-Ökosystem, das ist oft eben noch sehr, sehr von Männern dominiert, und viele der Frauen, mit denen ich gesprochen habe, hatten eben den Wunsch geäußert, hier auch Vor- und Rollenbilder einfach näher erfahren zu können.