Thomas Bachem: Eine Hochschule für digitale Pioniere
Im Oktober 2017 ist die CODE University in Berlin an den Start gegangen. Und will eine Alternative zur klassischen IT-Ausbildung an deutschen Hochschulen sein. Was macht sie anders?
Wie lernen Studierende am besten? Nicht dadurch, dass sie fertige Lösungen vorgesetzt bekommen, sondern indem sie sie selbst erarbeiten. Das hat Michael Vogel, Professor für Tourismusmanagement und Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bremerhaven, schon vor Jahren erkannt. Und am 1. Oktober 2018 ist sein neu konzipierter Entrepreneurship-Studiengang an den Start gegangen, der Unternehmer von morgen ausbildet. Was macht diese Start-up-Schmiede so anders?
Michael Vogel wurde 2017 mit einem Senior-Lehrfellowship des Stifterverbandes gefördert, um Deutschlands erste "Team Academy", einen innovativen Entrepreneurship-Studiengang, auf die Beine zu stellen.
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Die Frage muss man sich, glaube ich, schon auch gefallen lassen: Wie passt dieser Studiengang und die Ideen und die Ziele, die dahinter stecken, in unsere Gesellschaft hinein? In welchem Maße sollten sie auch verallgemeinerbar sein?
Ich bin jetzt seit 15 Jahren in Bremerhaven Professor und kannte als Form des Lehrens eigentlich nur Vorlesung und Seminar aus meiner eigenen Studienzeit. Und ich denke mal, den meisten Kollegen geht es genauso. Damals gab es keinerlei hochschuldidaktische Weiterbildung, nichts. Ich habe aber auch sehr früh gemerkt, wie schwierig es ist, in einer frontalen Lehrveranstaltung gerade über 90 Minuten, die ja vorgegeben sind, Studierende bei der Stange zu halten. Und auch mich selbst.
Was für mich zum Beispiel sehr gut funktioniert hat, war das sogenannte problembasierte Lernen, in dem meine Rolle als Lehrender ist, Probleme, komplexe Probleme zu entwickeln und den Studierenden zu bearbeiten zu geben, aber nicht die Lösungen und auch keine Hinweise auf die Lösung zu geben, sondern eher Hinweise auf Methoden und vielleicht auf Ressourcen, die die Studierenden zur Bearbeitung der Probleme nutzen können. Sprich: Die Studierenden lernen aus eigener Kraft. Das habe ich sehr, sehr früh gemerkt, dass das gut funktioniert. Aber, naja, das Schwierige ist halt, wenn ich eine Veranstaltung in einem Studiengang anbiete, der aber ganz anders funktioniert, dann ist meine einzelne problembasierte Veranstaltung ein Fremdkörper. Und die Studierenden sind trotzdem darauf konditioniert, eigentlich Wissen "zu empfangen". Das war dann also insgesamt nur mäßig erfolgreich, weil die Studierenden halt teilweise Strukturhunger hatten oder es nicht ernst genommen haben oder auch mich komisch angeguckt haben und gefragt haben: Was ist denn eigentlich Ihre Rolle? Sie sind doch derjenige, der die Antwort kennt. Liefern Sie doch bitte! Und das sind so ein bisschen die Spannungen, die ich eine Zeitlang aushalten musste. Aber dann wusste ich bereits für mich, dass Hochschullehre zumindest nach meinem Verständnis nicht Antworten liefern sollte, sondern eher einen Raum bieten muss, um ein Ringen um Antworten zu ermöglichen. Und ich weiß nicht, da war ich vielleicht besonders empfänglich für Ideen von anderswo. Jedenfalls, ich glaube, bereits um 2008 herum, 2007, bin ich erstmals zum Beispiel auf die Chaospiloten in Aahus aufmerksam geworden.
Die Idee war, dass Piloten im Sturm trotzdem Kurs halten können, wenn sie entsprechend darauf vorbereitet worden sind. Und dieses Projektmanagement in instabilen Umständen, das hat mich sehr beeindruckt. Diese Art, über Lernen nachzudenken. Ich habe dann die Chaospiloten eine ganze Zeit verfolgt und habe dann auch mitbekommen, dass in Holland Chaospiloten gegründet wurden, in der Schweiz, an verschiedenen anderen Standorten. Aber die holländischen Chaospiloten, die haben sich dann verselbständigt und etwas Eigenes gemacht, das sich dann Knowmads nannte. K-n-o-w-m-a-d-s, also Knowledge, Wissen, und Nomaden, Wissensnomaden. Die gibt es bis heute. Dahinter steckt ein sehr, sehr kreativer Kopf, Pieter Spinder heißt er. Was mir besonders imponiert: Ich habe die letztes Jahr im April besucht. Die beginnen ihren Qualifizierungs- und Lernweg mit einem weißen Blatt Papier als Curriculum. Die haben kein festgelegtes Programm, sondern verwenden die ersten Wochen des gemeinsamen Arbeitens darauf, ihr Curriculum zu entwickeln. Und das Charmante daran ist: Die Teilnehmer, man kann jetzt nicht sagen: Studierende, weil es kein akkreditierter Studiengang ist, aber die Teilnehmer können sich nicht zurücklehnen, wie es an Hochschulen der Fall ist, und sagen: Das Curriculum steht fest, die Inhalte stehen fest, und die Prüfungen stehen fest. Die Prüfungsfragen werden uns auch vorgegeben. Wir müssen uns über nichts anderes Gedanken machen als wie wir über dieses eine festgelegte Stöckchen drüberspringen, sondern sie müssen sich überlegen: Warum sind wir eigentlich hier? Was wollen wir - wir, nicht man, sondern wir speziell aus diesem Programm mitnehmen? Und wie gelangen wir zu einem Kompromiss, damit wir hinterher gemeinsam ein Programm haben, das uns alle interessiert? Und das ist eine Kompetenz, von der ich denke, sie ist megawichtig und wird an Hochschulen nicht gefordert und gefördert.
Viele Unternehmer betrachten die Welt als prinzipiell gestaltbar und gehen sogar davon aus, dass sich die Welt um sie herum organisiert, wenn sie erst einmal selbst mit Gestalten beginnen. Und diese Erfahrung, die war mir wichtig, dass die Studierenden sie machen können.
2014 befand ich mich durch Zufall in Spanien im Baskenland in einem Raum wieder bei einer Studienreise, und dieser Raum war der Coworking Space eines Studiengangs, der sich Team Academy nannte. Alle Leute um mich herum redeten von Team Academy. Ich hatte keine Ahnung, was das ist. Und schließlich traute ich mich zu fragen und erfuhr, dass das ein Studiengangsmodell ist, in dem die Studierenden eigene Unternehmen gründen und über drei oder vier Jahre diese Unternehmen aufbauen mit echten Kunden, echtem Geld, echtem Risiko, allem, was dazugehört, und in dem Prozess lernen und durch diesen Prozess begleitet werden durch Teamcoaches, die speziell qualifiziert sind. Ich dachte: Oh, das klingt ja super. Naja, aber wie bringe ich es meinen Kollegen bei? Dann habe ich Geld eingeworben und bin 2015 mit zwei Mitgliedern des Rektorats und zwei Kollegen nach Finnland, dort, wo der Studiengang herkommt, nach Jyväskylä, haben Sie vielleicht noch nie gehört, inmitten von Seen und Wäldern, eine Stunde nördlich von Tampere in Zentralfinnland. Dort sind wir für drei Tage hin und haben uns das Original dieses Studiengangs angeschaut, den es dort schon seit 25 Jahren gibt. Und, naja, wir waren dann so beschwingt, wir saßen am Flughafen auf dem Rückflug und waren also nicht inspiriert, wir waren infiziert und begannen sofort mit der Planung. Das war 2015, jetzt haben wir 2018. Der Vorlauf war sehr langwierig. Aber dieser Studiengang, der stellt so vieles auf den Kopf von dem, was wir als selbstverständlich annehmen an einer Hochschule, da müssen so viele Menschen überzeugt werden, und wir mussten das auf den deutschen Hochschulkontext anpassen usw. usw. Aber das war eigentlich der Impuls, die Bereitschaft, sich auch echt zu fordern, nicht irgendwelche Lehrkräfte fordern sie, sondern sie fordern sich selbst. Das hat man gemerkt. Wir sind über drei Tage begleitet worden von einem kleinen Team von Teampreneurs. Wir wurden also nicht von Honoratioren der Hochschule oder so begrüßt, sondern das war komplett studentisch organisiert. Und die haben das als Geschäft betrieben. Wir hatten vorher für die drei Tage pro Person einen bestimmten Betrag überwiesen. Das war also für die ein Geschäft, und die haben das hochprofessionell organisiert, haben uns Gespräche ermöglicht mit den Gründern und den Organisatoren und den Menschen im Hintergrund dieses Studiengangs. Wir haben einige Unternehmenn auch live gesehen im Betrieb, und wir haben an deren Teamtrainings teilgenommen, die sehr langwierig sind, also, zweimal vier Stunden im Stuhlkreis sitzen die jede Woche mit ihrem Teamcoach und reflektieren, was da eigentlich gerade passiert, wo die Probleme sind, wo die Konflikte sind, welche Lösungen, welche Pläne. Da kommt vorübergehend alles zur Ruhe. Dort findet eigentlich die Verarbeitung des ganzen Handelns statt, das sonst den Alltag prägt. Das ganze mit einer Selbstverständlichkeit, das hat uns sehr, sehr beeindruckt.
Wenn Teams von sich aus zu höflich sind, um in die Krise selbst hineinzusteuern, müssen wir sie hineinbringen, indem wir das ansprechen, was sich andere nicht trauen anzusprechen. Es muss einen Moment geben der Orientierungslosigkeit, der Hilflosigkeit. Alle Teammitglieder müssen erfahren, wie es ist, nicht mehr weiter zu wissen. Weil dann hat man sozusagen Rockbottom erreicht, das ist der Tiefpunkt. Und die Teamcoaches, unsere Aufgabe ist es, das Gefühl, das da vorherrscht zu konservieren, indem wir darüber sprechen, indem wir es in Worte fassen. Und dann den Teams erläutern, dass jedes Team da durch geht. Es gibt Modelle, die genau diesen Prozess beschreiben, wie es dann weitergeht. Das sind die Momente, in denen Teams oder Menschen ihre Konfliktfähigkeit erlernen. Da ist es wichtig, zum Beispiel Konfliktherde anzusprechen, ohne gleichzeitig damit eine Schuld zuzuweisen. Man beginnt zu lernen, von sich selbst zu sprechen: Ich spüre, ich beobachte, mir geht es so und so. Und nicht zu sagen: Du, du, du! Auf die Weise kann ich Probleme ansprechen, die vielleicht andere auch so empfinden, ohne dass ich von vornherein jemanden dafür verantwortlich mache. Und auf diese Weise wird die Formulierung des Problems viel annehmbarer für alle anderen. Und das ist die Grundlage für eine Problembearbeitung. Und das muss gelernt werden. Erst wenn ein Team das geübt hat, weiß, wie es sich fühlt im Schmerz, in der gemeinsamen Hilflosigkeit, und wie es dann selbst wieder herauskommt, weil es dann schon mal gemacht hat, dann ist eigentlich so ein Team gestählt, um auch ernsthafte, schwierige sachliche Entscheidungen oder auch Auseinandersetzungen konstruktiv eigenständig zu führen. Und das ist ein ganz, ganz wichtiges Element in unserem Teamprozess. Das unterlegen wir mit Literatur. Die Teampreneurs kriegen Literaturempfehlungen, die speziell dafür geeignet sind, sie in ihrem jeweiligen Teamphasen auch zur Reflexion zu bringen.