Innovationssystem

„Sucht nicht nach Hindernissen, sucht nach Lösungen“

Pfeile auf Asphaltstraße, die nach rechts und links zeigen
Foto: iStock/hanhsua
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Eigentlich müsste Deutschland ein Leuchtturm für Deep Tech sein. Deep Tech beschreibt Technologien, die auf tiefgreifenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und komplexen technischen Entwicklungen beruhen. Das passt wunderbar dazu, dass die deutschen Universitäten mit der zweithöchsten Anzahl an Patenten zu den innovativsten in Europa gehören. Auf den ersten Blick sieht es auch für Deep Tech gut aus hierzulande: Deutschland rangiert europaweit auf dem zweiten Platz beim Spinout Value, also dem aus Ausgründungen generierten Unternehmenswert, seiner Deep-Tech-Start-ups. Doch die Investitionen in Deep Tech gehen in jüngster Zeit hierzulande sogar zurück: 2023 schrumpfte die Finanzierung um 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das hat unter anderem viel mit den Rahmenbedingungen in Deutschland zu tun. Inwiefern sich diese verbessern müssen und was sonst noch geschehen muss, damit Deep Tech in Deutschland prosperiert, das fordert der Stifterverband in einem gerade erschienenen Policy Paper

Wie ein Deep-Tech-Gründer die Herausforderungen und Chancen mit einer Perspektive aus der Praxis bewertet, das haben wir Jonas Varga gefragt, Managing Partner des Deep-Tech-Start-ups ecopals.

Herr Varga, Sie haben in Deutschland erfolgreich ein Deep-Tech-Unternehmen gegründet. Bevor wir darüber sprechen, wie das war und auf welche Hindernisse Sie gestoßen sind und welche Unterstützung Sie erfahren haben – was ist Ihre Geschäftsidee? 

Wir stellen Polymere für den Straßenbau her. Kurz der Hintergrund: Seit Jahrzehnten besteht der Asphalt vereinfacht gesagt aus Steinen und Bitumen. Bitumen ist gewissermaßen ein aus Erdöl gewonnener „Kleber“, der den Asphalt bindet. Bei Straßen, die einer hohen Belastung ausgesetzt sind, wird dem Bitumen oftmals noch ein beträchtlicher Teil an Polymeren beigemischt. Das sind Kunststoffe, die dafür sorgen, dass der Asphalt lange hält. Bislang war es so, dass diese Polymere eigens für diesen Zweck hergestellt wurden. Unser Unternehmen bietet nun Polymere an, die nicht neu hergestellt werden, sondern aus Recyclingkunststoffen bestehen. Das hat große Vorteile. Zunächst einmal ersetzen wir Neukunststoffe ...

Jonas Vargas, Gründer ecopals
Foto: Emil Weber
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Der studierte Betriebswirt Jonas Varga ist Managing Partner der EcoPals GmbH.

… in einer Welt, die gefühlt im Plastik untergeht, eine wichtige Maßnahme ... 

... und wir verlangsamen die Alterung des Bitumens enorm. Denn Straßen lassen sich zu 100 Prozent herausbauen, einfräsen und dann wiederverwenden. Entscheidend dabei: Die Qualität des Klebers verschlechtert sich pro Vorgang bei einem mit unseren Polymeren versetzten Asphalt deutlich weniger als bei Asphalt mit neuen Polymeren. Im Gegenteil: In Feldversuchen haben sich EcoFlakes, so nennt sich unsere Produktlinie, als haltbarer und besser erwiesen als der Standard-Straßenbelag mit neuen Kunststoffen.

„In Deutschland kriegen wir viele Vorhaben – wenn überhaupt – nur langsam und unter so großen Einschränkungen durch, dass es ökonomisch fraglich wird.“

Jonas Varga

Die Idee passt auch gut in die heutige Zeit, in der Nachhaltigkeit immer mehr an Bedeutung gewinnt. Wie geht man so etwas an, aus der Idee ein Deep-Tech-Start-up zu schaffen?

Wir hatten das große Glück, dass wir mit unserer Start-up-Idee in das AHEAD-Förderprogramm der Fraunhofer-Gesellschaft gekommen sind. Es ist für Start-ups wie unseres gedacht, vornehmlich aus dem Bereich Deep Tech. Wir hatten im Rahmen des Programms sechs Monate Zeit und 50.000 Euro als Etat zur Verfügung, um unsere Idee zu einem veritablen Geschäftsmodell reifen zu lassen. Da konnten wir auf viel Expertise zurückgreifen, sowohl aus dem Bereich Business als auch aus dem Bereich Technologie. Das war eine enorme Starthilfe für uns.

Das klingt nach einem guten Start.

Ja, für den Anfang sind solche Programme überaus wertvoll, aber auch kein Garant für eine reibungslose Skalierung. Herausforderungen begleiten uns täglich. Besonders vonseiten der Regulatorik. In Deutschland beeinflusst ein eingetragener Verein, die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), durch seine vom Auftraggeber verwendeten Regelwerke den Straßenbau. Die öffentliche Hand – und damit der Großteil aller Straßenbauprojekte im Land – richtet sich danach. Diese Regelwerke sind teilweise stark veraltet und behindern indirekt die Einführung neuer Technologien, die der Markt längst bereithält. 

Impulspapier zur Bundestagswahl

Im Februar 2025 hat der Stifterverband ein Impulspapier zum Thema Deep Tech als Schlüsselfaktor für die wirtschaftliche und technologische Deutschlands veröffentlicht. Es enthält Handlungsempfehlungen an die neue Bundesregierung und zeigt: Für eine Förderung dieser Innovationen braucht es eine klare Definition, eine Datengrundlage für Entwicklungspotenziale und eine gezielte Verankerung in den F&I-Strategien von Bund und Ländern.

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Für uns bedeutet das viel Aufklärungsarbeit bei jedem Projekt und auch viel Ablehnung, besonders zu Beginn. Das aktuelle Regelwerk setzt einen starken Fokus auf die in einer Straße verwendeten Materialien. Ziel ist es, eine hohe Leistungsfähigkeit und Langlebigkeit sicherzustellen. Dabei schließt die bestehende Regulierung jedoch aus, dass auch innovative Technologien und Materialien diese Anforderungen erfüllen könnten. Das ist, als würde man die Qualität eines Kuchens allein anhand des verwendeten Mehls bewerten – ohne ihn je zu probieren.

Wie haben Sie diese Hürde überwunden? 

Nur zu einem Drittel, wenn man so will: Am Ende haben wir drei Produkte auf den Markt gebracht, nur eines davon ist im öffentlichen deutschen Straßenbau zulässig. Diese Polymere haben wir so angepasst, dass wir aus regulatorischer Sicht das richtige Mehl verwenden. Das hatte zur Folge, dass die in Deutschland zugelassene Lösung das teuerste der drei Produkte ist. Es funktioniert zwar immer noch besser und ist kostengünstiger als der bisherige Asphalt, bleibt aber hinsichtlich des CO2-Einsparpotenzials hinter den Möglichkeiten zurück. 

Wir sind jetzt in vielen Anrainerstaaten, in Osteuropa und auch in Zentralasien aktiv. Ich könnte mit einem Dartpfeil auf die Weltkarte werfen, egal wo ich treffe, es herrschen in Bezug auf die Regulatorik überall bessere Bedingungen als in Deutschland. Meine Empfehlung an andere Start-ups ist im Nachhinein: Wenn es große Probleme mit der Zulassung gibt in Deutschland, dann schaut euch auch andere Märkte an. Dort geht es schneller und unkomplizierter. 

Straßebau: Fertiger bringt frischen Asphalt auf der Straße auf
Foto: ecopals
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Straßenbau: Bitumen mit Polymeren aus recyceltem Kunststoff kommt bei dieser Baustelle zum Einsatz.
zwei Fläschen mit Granulat aus recyceltem Kunstoff, sogenannten EcoFlakes, die Bitumen im Straßenbau begemischt werden
Foto: ecopals
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Aus den recycelten Kunststoffen entstehen die sogenannten EcoFlakes, die dem Bitumen beigemischt werden.

Das ist nachvollziehbar, aber auch traurig. 

Leider kenne ich das auch von größeren Chemieunternehmen. Die Kolleginnen und Kollegen dort sagen: Wir sind zunehmend im Ausland unterwegs. In Deutschland kriegen wir viele Vorhaben – wenn überhaupt – nur langsam und unter so großen Einschränkungen durch, dass es ökonomisch fraglich wird.  

Die Regulatorik, die Bürokratie sind also eine ebenso große wie bekannte Hürde. Was sollte sich in Deutschland noch ändern, damit Deep Tech einen besseren Nährboden hat? 

Die Finanzierung ist so eine Sache. Wir sind jetzt gut finanziert, wenngleich mit einer eher ungewöhnlichen Mischung: Wir haben Venturecapital an Bord, einen Private-Equity-Investor und ein großes Bauunternehmen. Das ist jetzt eine gute Mischung. Es war aber mühsam, dort hinzukommen. Grundsätzlich brauchen wir in allen Phasen mehr Förderung hierzulande: für die Frühphase – und auch dann, wenn ein Start-up den aufwendigen und oft auch kapitalintensiven Schritt hin zur Markteinführung geht. Die Förderung soll ja nicht von staatlicher Seite kommen, das kann die Venturecapital- und Private-Equity-Szene schon selbst schaffen. Nur die wenden sich leider zunehmend von Deutschland ab. Warum? Weil es schwierig ist, hier in den Markt zu kommen. Europa und vor allem Deutschland müssen beweisen, dass Deep Tech hier eine Zukunft hat. Und dass sich die Regulatorik auch so wie in einem Wachstumsmarkt verhält, nämlich dass sie nach vorne denkt.

„Was es vor allem braucht in Deutschland – besonders in Verwaltungsapparaten –, das ist eine andere Mentalität: Sucht nicht nach Hindernissen, sucht nach Lösungen!“

Jonas Varga

Regulatorische Hürden abbauen, mehr Investitionen, das fordert der Stifterverband auch in seinem neuen Papier. Was ist mit Digitalisierung? 

Enorm wichtig natürlich. Aber nicht nur für Start-ups, die im digitalen Bereich aktiv sind. Auch Unternehmen wie ecopals profitieren von der Digitalisierung: Wege werden kürzer, Prozesse schneller und effizienter. Die Kommunikation ist schneller und direkter. Hier kommt es vor allem auf die Interoperabilität an, also die reibungslose Zusammenarbeit verschiedener Systeme, sodass Daten problemlos ausgetauscht und zusammengeführt werden können. Es stehen dann also mehr nützliche Daten zur Verfügung. Aber was es vor allem braucht in Deutschland – besonders in Verwaltungsapparaten –, das ist eine andere Mentalität: Sucht nicht nach Hindernissen, sucht nach Lösungen! Seht nicht die Probleme bei der Zulassung, seht die Chancen einer Zulassung!

Titeltafel des Videos zum Forum Innovation im Januar 2025
Foto: Screenshot Stifterverband
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Stimmen zum Forum „Innovation zur Richtungswahl 2025“. Initiatoren der Veranstaltung waren der Stifterverband gemeinsam mit der Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der VolkswagenStiftung

Zukunft durch Forschung und Innovation

Auf dem Forum „Innovation zur Richtungswahl 2025“ sind Wissenschaft, Wirtschaft und aus der Politik zusammengekommen, um zu diskutieren, welche innovationspolitischen Weichen in der kommenden Legislaturperiode gestellt werden müssen. 

Mehr zur Veranstaltung
Impulspapier „Standort Deutschland“
Die Positionen der Parteien
Impulspapier „Innovationen beschleunigen“

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