„Ah, sind Sie auch mal wieder zu Hause?“ Diese Frage der Nachbarn kennt Gerold Wefer schon, sie kommt immer dann, wenn er im Garten seines alten Bremer Klinkerhauses das Laub recht oder den Rasen mäht. Und schon ist Gerold Wefer mittendrin in einer Unterhaltung über seine letzte Expedition, über versteckte Bodenschätze und darüber, ob es in jüngster Zeit auch wirklich genug Regen gegeben habe in unseren Breiten. „Der Wissensdurst der Leute ist wirklich gewaltig“, sagt Gerold Wefer. Einer seiner Nachbarn wirft ihm sogar regelmäßig Zeitungsausschnitte in den Briefkasten, die ihn, den berühmten Meeresforscher, doch bestimmt interessierten.
Wissenschaftskommunikation
In der Kühlkammer

Dass er heute hier stehen würde als Gründer und früherer Direktor des renommierten Meeresforschungszentrums MARUM, das war noch vor einigen Jahrzehnten undenkbar. Als er 14 Jahre alt war, begann Gerold Wefer eine Lehre bei der Bahn („ich war 1,58 Meter groß damals!“), Karriereziel: mittlere Beamtenlaufbahn. Jaderberg heißt sein Heimatort, gelegen am Jadebusen zwischen Oldenburg und Wilhelmshaven, und dort gab es einen kleinen Bahnhof. Wefer fertigte Güterzüge ab, verkaufte Fahrkarten, war als Zugbegleiter unterwegs, arbeitete beim technischen Gleisbau und bei der Reparatur von Dampfloks mit. Um in den gehobenen Dienst zu kommen, machte er schließlich sein Abitur nach, da war er 22 Jahre alt, und entschied sich zu einem Studium in Kiel.
„Ich wollte viel draußen sein. Nur im Labor zu stehen, wäre nichts für mich gewesen.“

Über Forschung reden - auch am Gartenzaun
Genau an dieser Stelle schließt sich der Kreis zu seinen Gartenzaungesprächen mit den Nachbarn: „In meiner Familie war ich der erste Akademiker, bei der Bahn war ich ständig im Kundenkontakt – die Gespräche mit den Leuten schätze ich deshalb vielleicht mehr als andere“, sagt Gerold Wefer. Und so redete er über seine Forschung, schon lange bevor der Begriff der Wissenschaftskommunikation überhaupt geläufig war. Unter dem Titel „MeerErleben“ gestaltete er eine Ausstellung, die jahrelang auf Tournee durch Einkaufszentren ging. Darin waren Tauchroboter zu bedienen und Ammoniten zu sehen und es gab Erklärungen für die Entwicklung der Küsten und des Meeresspiegels. „Das interessiert die Leute ungemein“, bilanziert er seine damalige Erfahrung, „aber viele wagen es gar nicht, genauer hinzuschauen, weil sie glauben, sie verstünden es ohnehin nicht.“ Und auch Wefer selbst und seine Mitarbeiter machten eine Lernkurve durch: Bei der ersten Ausstellung, erinnert sich der Geologe schmunzelnd, habe man noch wissenschaftliche Poster an die Wand gehängt voller Grafiken und Formeln. Inzwischen weiß er, was als Blickfänger taugt, er kennt die Bedeutung des ersten Satzes bei Vorträgen und Präsentationen und er hat externe Experten an Bord geholt, die Videos über die Forschung des Instituts anfertigen und im Schülerlabor mit Klassen und ihren Lehrern in die Meeresforschung eintauchen.
„Die Leute wollen sich mit Forschern unterhalten. Es liegt ganz an uns, was wir daraus machen.“

Seinen größten Coup dachte sich Gerold Wefer im Jahr 1999 aus: Zusammen mit anderen Professoren der Bremer Universität entwickelte er ein Science-Center, wie es damals in Deutschland noch kein zweites gab. Wissenschaft zum Anfassen sollte es bieten, es sollte faszinieren und auf unterhaltsame Art informieren. Gerold Wefer übernahm die wissenschaftliche Betreuung – mit der Vermittlung seiner Forschung hatte er schließlich schon jede Menge Erfahrungen gesammelt. Als Beitrag Bremens zur Expo 2000 wurde das Zentrum mit dem Namen „Universum“ bald darauf fertig. Spektakulär ist es allein schon von außen: Wie ein riesiger silbrig glänzender Wal spannt sich die Haupthalle in den Himmel, 27 Meter hoch und 70 Meter lang. Viele Millionen Besucher waren inzwischen zu Gast, und für Bremen ist das Universum ein Wahrzeichen geworden mit einer ähnlichen Strahlkraft wie die legendären Stadtmusikanten.
An die Neugier seiner Nachbarn am Gartenzaun hat sich Gerold Wefer längst gewöhnt und an die freudige Frage: „Na, sind Sie auch mal wieder zu Hause?“ Wefer blickt ernst durch seine goldene Brille. „Die Leute wollen sich mit Forschern unterhalten. Es liegt ganz an uns, was wir daraus machen.“
Wie viel man für die Wissenschaft erreichen kann, wenn man sich auf diese Neugier einlässt – das hat Gerold Wefer in den vergangenen Jahrzehnten eindrucksvoll bewiesen.
Über diese Serie
20 Jahre Communicator-Preis - Grund genug für MERTON, die bisherigen 20 Preisträger in einer besonderen Bild- und Artikelserie zu würdigen. Nicht nur der Fotograf Christian Bohnenkamp setzt die Protagonisten in stimmungsvolles Licht, auch der Autor Kilian Kirchgeßner bringt sie in seinen Texten zum Leuchten. Wer die ausdrucksstarke Bilder einmal aus der Nähe sehen will: Das Wissenschaftszentrum Bonn präsentiert die Werke voraussichtich im Sommer 2021 in einer kleinen Retrospektive.
