Uwe Cantner, der Vorsitzende der Expertenkommission Forschung und Innovation, die die Bundesregierung berät, blickt auf das Gesundheitswesen und stellt fest: Es gab in der Vergangenheit viele Initiativen, aber so richtig nach vorne gekommen ist die Digitalisierung dort noch nicht. Ein wesentlicher Grund sind mangelnde Governance-Strukturen: Es braucht klar definierte Verantwortlichkeit, um zentrale Projekte zum Erfolg zu führen. Jemanden, der die verschiedenen Akteure zusammenbringt und sie auch wirklich mitnimmt. Das Momentum aus der Corona-Pandemie und der Reaktion auf den Krieg gegen die Ukraine drohe gerade wieder zu schwinden. Doch berherztes Handeln sei wichtig, um auch künftige Krisen meistern zu können und Zukunftsmissionen wie die Digitalisierung zu gestalten.
Das Recht von Bürgerinnen und Bürger, ein Veto gegen die Nutzung ihrer Daten einzulegen, sieht Uwe Cantner an sich nicht kritisch. Deutschland habe eben ein System, in dem Daten per se privat sind. Man müsse eine Balance zwischen den verschiedenen Interessen finden, um sie etwa für die Forschung nutzbar zu machen.
Das Video entstand am Rande des Forschungsgipfels 2023 in Berlin.
Sagen wir mal so: Die Digitalisierung des Gesundheitswesens, der Gesundheitswirtschaft in den vergangenen 10, 15 Jahren ist erfolgt bzw. nicht erfolgt, so muss man's ja eigentlich sagen, dadurch, dass man mal hier eine Initiative gestartet hat zur Telematik-Struktur, dann haben wir da mal 'ne EVA gemacht, wir haben ein E-Rezept gemacht, hat das immer wieder versprochen in Strategien, dass man das machen möchte, hat das aufgesetzt, und es ist aber nie wirklich richtig vorangebracht worden.
Das kann daran liegen, dass es keine Themenowner gab, die sich das wirklich zum eigenen Ziel gemacht haben: Ich möchte das umsetzen! Das kann damit auch zu tun haben, dass nicht so ganz klar war, für was man das eigentlich braucht. Also, der Nutzen der ganzen Aktivität: Warum brauche ich eine Vernetzung der Akteure? Warum brauche ich eine EPA? Warum brauche ich ein E-Rezept? Das kam heute bei der Diskussion auch mal ab und zu zum Tragen, dass der Nutzen noch nicht so jedem offensichtlich war, wo das letztendlich liegt.
Das andere kann aber auch sein, dass man eben die konzertierte Aktion braucht, dass die Politik sagt: Es gibt fünf, sechs, sieben Maßnahmen, die wir jetzt hintereinander in einer geschickten Reihenfolge entwickeln müssen, um dann die Digitalisierung voranzutreiben. Und das dann auch relativ zügig zu machen, denn das wissen Sie auch: Wenn Projekte ewig lang dauern, versauern die auch irgendwann mal. Und das muss jetzt letztendlich gemacht werden. Und wir hoffen, dass dieser neue Anlauf auf Basis der Strategie des Gesundheitsministeriums, dass man da versucht, das in den Griff zu bekommen und das dann vielleicht relativ flott über die Bühne bringt. Denn, sagen wir mal so, die Belastung für das Gesundheitssystem aufgrund der demografischen Alterung, die wird in den nächsten Jahren enorm zunehmen. Und wenn was in so einer Situation, wenn der Druck ganz hoch ist, bis dahin es nicht geschafft haben, es zu digitalisieren, dann kriegen wir es auch nicht mehr hin. Und die Konsequenz ist relativ einfach: Die Konsequenz ist, dass die medizinische Versorgung, die Medikamentenversorgung einfach nach unten gehen wird. Also, das Versorgungsniveau wird einfach nach unten gefahren, es wird schlechter werden. Und das sollten wir eigentlich nicht offenen Auges eingehen.
In der Zukunftsstrategie Forschung und Innovation hat die Bundesregierung sechs große Felder aufgemacht. Dazu gehört das Feld Gesundheit. Ob man das Mission nennen möchte oder nicht, sei jetzt mal dahingestellt. Nennen wir es einfach Mission. Aber das ist natürlich ein ganz, ganz breites Feld. Und da ist dann auch aufgeschrieben worden, was man machen möchte. Das ist alles nicht falsch, was da steht. Man muss es strukturieren. Man muss quasi Unterziele herausarbeiten, der Datenraum, die Applikationen, was weiß ich, die Forschung im Gesundheitsbereich, also man muss das nochmal aufteilen in bestimmte Teilziele, die sich auch besser verfolgen lassen, konkreter erreichen lassen, das dann auch besser bemessbar letztendlich machen, denn man möchte das auch evaluieren, was rauskommt. Hat das was gebracht oder hat das nichts gebracht? Das muss als erstes gemacht werden, und das zweite ist, und das fehlt dann in der Zukunftsstrategie komplett: Man muss eine Struktur darunterlegen. Auf welcher Basis von Entscheidungen von wem mit Verantwortung von wem die ganzen Maßnahmen auf den Weg gebracht werden. Und dann kommt man zu Governance-Strukturen, die ressortübergreifend, ministeriumsübergreifend sind. Und dann brauchen Sie ein Format, wo die quasi zusammenarbeiten und zu einer gemeinsamen Lösung für das Problem kommen. Wo die dann auch letztendlich aus der Lösung nicht mehr rauskommen, sondern das dann auch so strukturiert ist und fast vertraglich eingegangen wird, dass man sich auf diesen Lösungsweg einlässt.
Es ist der Gestaltungswille der Politik über verschiedene Akteure, die Politik machen, hinweg. Es ist die Einbindung der Akteure, die ja digitalisiert werden sollen, deren Lebensumfeld digitalisiert werden soll, die miteinzubeziehen. Denen wird das quasi nicht übergestülpt, nach dem Motto "Jetzt nimm's!", sondern die werden aktiv beteiligt an der Implementierung. Ich habe immer mal wieder Anrufe bekommen von Ärzten, die gesagt haben: Wissen Sie, wie das bei uns gelaufen ist? Die haben uns einfach die Kiste mit der Telematik-Infrastruktur da hingestellt und gesagt: Mach halt! Ja, die wussten nicht wie und warum und haben dann auch nicht die Lust gehabt. Also, so kann man es nicht machen, sondern man muss die Leute einfach mitnehmen, dass sie quasi aktiv, fast kreativ da mitmachen können. Dann ist es ihr eigenes Ding, und dann wollen sie es auch machen, und dann wird es auch gut.
In forschenden Krankenhäusern, habe ich mir sagen lassen, wenn die jungen Ärztinnen und Ärzte dann mit bei der Visite sind, die ja dann die Daten aufnehmen von den Patienten, wenn die wissen, dass ich genau diese Daten am nächsten Tag, ich übertreibe jetzt gerade ein bisschen, in meiner eigenen Forschung verwenden kann und muss, und dann kommt etwas Gutes wahrscheinlich dabei heraus, dann werden die ganz akribisch sein, diese Daten möglichst hochwertig aufzunehmen, dann in das System einzugeben usw. Wenn die das nicht sehen, dass es Ihnen an anderer Stelle nochmal hilft, dann ist einfach der Bezug weg. Das ist dieses Integrieren der Person in den Prozess, dass sie dann auch merken: Ich mache das gut, und dann hilft mir das an anderer Stelle gut wieder weiter. Und so ein System muss man quasi entwickeln und dann würde so eine Digitalisierung wahrscheinlich vergleichsweise schnell, jetzt sind wir ja im Gesundheitssektor, würde es vergleichsweise schnell noch gehen.
Also, wir reden jetzt von der elektronischen Bürgerakte, nicht von der Patientenakte. Die Patientenakte nimmt nur Krankheitsdaten auf. Die Bürgerakte würde aufnehmen auch Daten im Gesundheitszustand, also, dann wird da aufgenommen, ob sie joggen gehen, ob sie schwimmen gehen oder ob sie faulenzen usw. usw. Und das kann natürlich nachher, später, wenn irgendwann mal ein Krankheitsvorfall ist, schon helfen für die Ärzte herauszufinden, was sie zu tun haben. Sie haben das gemacht oder nicht gemacht. Dagegen haben Sie natürlich kein Interesse daran, was weiß ich, dass die Krankenkasse das dann einsieht, weil daraus könnten höhere Tarife entstehen und und und. Deswegen es muss sehr selektiv damit umgegangen werden, und auch die Bürgerinnen und Bürger müssen die Chance haben, genau zu sagen, wer darf es verwenden. Also: meine Ärzte ja, meine Krankenversicherungen nein, meine Apotheke auch nein meinetwegen, wenn es dafür einen Grund gibt und und und. Und auch bei den Forschungsdaten muss man letztendlich auch akzeptieren, dass die mal nein sagen können, und das finde ich auch in letzter Konsequenz in Ordnung.
In anderen Ländern, in Dänemark, ist das nicht möglich, sondern da werden einfach alle Daten verwendet. Das ist aber von vornherein so, da wird auch gar nicht darüber diskutiert, aber wir kommen ja von einem anderen System her, wo die Daten eigentlich alle noch sehr, sehr privat sind. Und dann muss man eben diese Balance finden, die ich aber letzten Endes aus übergeordneten Motiven her richtig finde, dass man das so macht.
Sagen wir mal so, wir haben jetzt zwei Krisen gehabt in jüngerer Zeit, die Covid-19-Krise und die Ukraine-Krise, beide sind noch nicht wirklich rum, aber da waren sie ganz heftig, wo ja die Politik bestimmte Maßnahmen in kurzer Frist ergreifen musste. Das hat sie auch gemacht, und ich denke, das hat sie auch relativ erfolgreich gemacht, in ganz wenig Zeit solche entscheidenden Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Es hat auch über die Häuser hinweg gut funktioniert, das hat vom Finanzvolumen funktioniert, also, es war ja doch durchaus überraschend, wie das geht. Aber warum? Weil die Not wirklich hoch war. Wir wollten nicht, dass viele Leute krank werden im Covid-Fall. In der Ukraine-Krise wollten wir den Winter energiemäßig überstehen, da nicht irgendwelche Einschränkungen haben, weil das hätte ja soziale Verwerfungen gegeben. Und das musste man einfach verhindern, deswegen musste man jetzt sofort reagieren, nicht in zwei Sekunden, sondern jetzt gleich. Und da können wir auch stolz darauf sein, um vielleicht das nochmal zu sagen, und wir können sagen: Wenn in Zukunft solche Schocks, also etwas, das unvorhergesehen war, etwas Negatives eintritt, sind wir wahrscheinlich auch ganz gut in der Lage, damit umzugehen. Das mag andersartig sein, weil die Schocks andersartig sind, aber da können wir, glaube ich, gut mit umgehen. Aber wir haben ja so ein paar Krisen vor uns, die Klimakrise, die Nachhaltigkeitskrise, die Krise auch teilweise, die mit neuesten und Zukunftstechnologien, die auf uns zukommen, wenn wir nicht rechtzeitig reagieren. Wir müssen quasi dieses Momentum, dass wir ganz schnell reagieren können, was machen können, das müssen wir versuchen, da rüber zu transportieren und nicht bei den anderen Krisen, die wir jetzt eigentlich schon sehen, zu warten, bis es kurz vor 12 ist, und dann zu sagen: Jetzt müssen wir wieder ganz hektisch was machen. Man kann es etwas präventiver machen, man kann es etwas adaptiver dann machen, was aber nicht heißt, dass es keine entscheidenden Maßnahmen sind. Es ist nicht aus der Not geboren, sondern aus der Überlegung geboren. Und das würde wahrscheinlich sehr helfen. Aber ich habe so das Gefühl, in den letzten Monaten, sage ich mal, hat so ein bisschen diese Bereitschaft, wieder zu schnelleren, konsensualen Lösungen zu kommen, um die Probleme in den Griff zu bekommen, diese Bereitschaft scheint sich wieder zu verflüchtigen, scheint nachzulassen.