Für den Präsidenten des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) ist die Sache klar: Selbstverständlich muss Deutschland ein technologieoffenes Land sein, gerade auch bei der Energiewende. Da dürfe es keinen Flaschenhals durch eingeengtes Denken und Forschen geben. Holger Hanselka nimmt im Video-Interview auch die deutsche Eigenart aufs Korn, Ziele bis in kleinste Detail zu definieren – und dann bei der Umsetzung den eigenen hohen Ansprüchen nicht zu genügen. Die Amerikaner gehen das pragmatischer an. Das KIT biete mit seinem Energy Lab 2.0 eine Plattform, um das Energiesystem der Zukunft im Pilotmaßstab zu entwickeln – wegweisende Forschung sei eine große Chance für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Das Video entstand am Rande des Forschungsgipfels 2023 in Berlin.
Für mich ist es absurd, die Diskussion zu führen, ob wir in einem Hochtechnologieland wie Deutschland, einem Wissenschaftsland wie Deutschland die Frage diskutieren, ob wir technologieoffen sein wollen oder nicht. Die Frage kann es gar nicht geben. Natürlich sind wir eine technologieoffene Gesellschaft, was denn sonst? Ja, das ärgert mich.
Nur jetzt diese Verbindung, zu sagen, die Gasheizung wird verboten, halte ich für falsch. Zu sagen, eine Heizung, die CO2 ausstößt, wird verboten, halte ich für richtig. Und das ist dieser Flaschenhals, also, zu sagen, würde es gelingen, und das geht heute nicht, aber würde es gelingen, in 20 Jahren oder in zehn Jahren eine Gasheizung mit einem komplett sauber, also grün erzeugten Gas zu befüllen und zu heizen und damit CO2-Neutralität herzustellen, dann würde ich erstmal sagen: Na, super, wo ist das Problem? Und da prallen diese Welten aufeinander, wo ich eben ganz, ganz bewusst für Technologieoffenheit werbe. Das Gleiche ist, das ganze Thema Holz- und Pelletheizungen und ähnliches mehr, sie wurden ja mal gefördert, im Moment werden sie nicht mehr gefördert, das sind auch für einen Normalbürger nicht nachvollziehbare Abläufe. Und wir verlieren riesiges Vertrauen in die Politik, wenn vor zwei Jahren noch was gut war und beworben wurde, zwei Jahre später es plötzlich nicht mehr gut ist und man sich dafür schämen muss, wenn man noch so etwas hat. Aus dieser Nummer des gegenseitigen Mit-dem-Finger-aufeinander-Zeigens müssen wir unbedingt wieder rauskommen, müssen einen gesellschaftlichen Konsens herbeiführen, vielleicht auch einen bestimmten Stolz herbeiführen, dass wir sagen: Es ist diesem Land immer gelungen, tolle Ideen zu entwickeln, diese tollen Ideen dann auch in den Markt hinein zu bringen. Sie müssen nur unter irgendeiner, ich sag mal, Mission laufen. Und früher war vielleicht die Mission "Schneller, höher, weiter". Das war mal etwas, was die Gesellschaft geprägt hat. Die zukünftige Mission ist eben "Sauberer, ökologischer, nachhaltiger". Das kann genauso ein Dreiklang sein. Dann kann man auch unter dieser Mission supertolle Produkte positionieren, und die Wirtschaft ist ja nicht dumm. Die entwickelt genau das, was der Markt auch braucht, und sie entwickelt doch nicht gegen den Markt. Und dieses sozusagen offener hin zu bekommen und nicht in diese einzelnen Flaschenhälse reinzugehen.
Was aus meiner Sicht die USA von uns deutlich unterscheidet oder umgekehrt, ist, dass wir wirkliche Experten sind und Expertinnen im Definieren von Zielen. Also, wir können super Ziele definieren, und dann werden wir schwach, wenn es um die Umsetzung in Maßnahmen geht. Und die USA geht über die Maßnahmen und sagt: Wir machen das jetzt. Und die Ziele sind etwas nebulöser. Sie sind globaler formuliert. Das globale Ziel, also, beim Inflation Act heißt es schlicht und ergreifend: Inflation gefährdet die Industrie, also müssen wir der Industrie helfen, dass sie sozusagen neue Produkte entwickelt, um sich am Weltmarkt positionieren zu können. Die USA haben auch Klimaziele. Die sind aber sehr viel einfacher formuliert. Da wird einfach die Summe des CO2-Ausstoßes genommen. Wir gehen dann ins Detail, in die Sektoren und gucken in jedem Sektor noch im Detail, wie ist das Auto versus Lkw versus Eisenbahn. Das ist unser Ansatz, wie wir definieren über Ziele, was wir gerne hätten. Und wir hüsteln ein bisschen auf der Seite der Maßnahmen und der Umsetzung. Und da werden wir sehr schnell, ich sag mal so, so absolutistisch, dass wir sagen: Und das machen wir jetzt mit diesem einen Weg, und den machen wir jetzt ganz konsequent. Das ist ein Flaschenhals, und der müsste eigentlich wie ein Trichter funktionieren, und zwar einer, der auseinandergeht, und nicht einer, der zusammenfließt. Wir müssen sagen: Da kommen Ideen raus, und die müssen in alle Richtungen, wir müssen in die Wärme hineingehen, wir müssen in die Mobilität hineingehen, wir müssen in die Industrieprozesse hineingehen. Wir müssen das Thema Haushalte uns sehr genau angucken. Und da sind überall Technologiefragen dahinter. Und diese Technologiefragen an einem Standort wie Deutschland, wenn wir das nicht als Chance begreifen, dann ist Hopfen und Malz verloren, wenn ich das mal so sagen darf.
Wir alle, Sie und ich genauso, sind Teil der Gesellschaft und tragen damit auch Mitverantwortung, also müssen wir uns einbringen. Wir müssen uns mit Inhalten einbringen, wir müssen uns in die Diskussionsprozesse einbringen. Und was ich im Moment mit großem Optimismus und auch mit Begeisterung in unserem Lande wahrnehme: Es scheint zu sein, als ob man mal wieder mehr Meinungsvielfalt zulässt. Da waren für mich die letzte Jahre, muss ich wirklich sagen, frustrierend, so dass man irgendwann sagt: Ich brauche nicht mal mehr einen Fernseher, da kommt immer die gleiche Mühle und immer die gleichen Leute, das kann man einfach nicht mehr hören. Und da kommt jetzt irgendwie wieder frischer Wind rein, also man lässt auch mal sozusagen erweitertes Denken zu, also technologisch erweitertes Denken. Das finde ich große Klasse, das macht mir Mut. Aber das Denken alleine reicht nicht, sondern wir müssen es natürlich mit Maßnahmen, wir müssen es mit Beispielen, wir müssen es mit Produkten, mit offenen Produkten, damit mit Technologieoffenheit beweisen. Und auch bei der Technologieoffenheit muss man dann auch den Mut haben zu sagen: Mit einer bestimmten Route versage ich einfach. Also, ich nehme wieder gerne ein schönes altes Beispiel. Einige von uns erinnern sich noch an die Einführung der Videorecorder. Da gab es damals zwei konkurrierende Systeme, Betamax und VHS. Technologieoffen! Und am Ende hat nicht die Politik entschieden und hat gesagt: Das ist jetzt die richtige Technologie und jeder muss die kaufen! Sondern der Markt hat das entschieden. Und ich bin jetzt kein Experte, aber ich glaube sogar, der Markt hat sich nicht für die bessere Technologie entschieden, sondern für die verfügbarere Technologie entschieden. Und dann war das eben so.
Also, als KIT haben wir, sagen wir, den großen Wert, dass wir einerseits eine technische Universität sind, historisch, und als technische Universität alle diese Disziplinen in den einzelnen Lehrstühlen bedienen, die letztendlich unseren Wirtschaftsstandort Deutschland ausmachen. Und alle Technologien heißt natürlich: Wärmeerzeugung, Wärmeversorgung, industrielle Prozesse, Mobilitätskonzepte, jegliche Form von, ich sag mal, Strombasiertem bis hin zu Unterhaltungselektronik, also, alles das ist da auf der einen Seite. Auf der anderen Seite sind wir ein nationales Zentrum der Helmholtz-Gemeinschaft, wo wir gesellschaftlich große, relevante Fragestellungen beackern. Ich sage bewusst beackern, weil es wirklich eine harte Arbeit ist. Und da haben wir zwei Themen, die uns in besonderer Weise im Moment beschäftigen. Das eine ist das ganze Thema "Das Energiesystem der Zukunft". Und das andere ist Klima, Klimawissenschaften und wie entwickelt sich unser Klima. Und die sind so unmittelbar miteinander gekoppelt, also, das eine oder das andere kann man gar nicht denken. Und das, was wir aufgebaut haben, ist eine, dafür steht die Helmholtz-Welt, Forschungsinfrastruktur. Große Forschungsinfrastrukturen, an denen Netzwerke von Menschen international zusammenarbeiten können, um verschiedene größere systemische Fragestellungen beantworten zu können. Und unser, ich sag mal, Arbeitspferd, was wir haben, ist unser sogenanntes Energy Lab 2.0. Das ist ein typisch deutscher, schnöder Begriff. Aber dieses Energy Lab 2.0 ist eine Plattform, wo die verschiedensten Technologien der Energieerzeugung dargestellt sind, und zwar dargestellt im Pilotmaßstab in Form von Containern, wie man sie auch aus dem Transportwesen kennt. Und in jedem dieser Container ist eine bestimmte Route drin, eine Route, die beispielsweise, was weiß ich, synthetische Fuels herstellt, eine Route, die aus der Luft heraus sozusagen den Kohlenstoff herauszieht und dann Kohlenstoff als Material erzeugt. Eine Route, die die Methanisierung macht. Also, jede dieser Routen dargestellt. Wir haben ein großes Solarfeld dort stehen. Wir haben Batteriespeicher verschiedenster Art stehen. Und wir haben ein Herzstück. Dieses Herzstück ist eine Steuerungs- und Regelungseinrichtung, wo alle diese Ströme, die Stoffströme und die Informationsströme, zusammenfließen und wo wir Energiesysteme simulieren können.
Das ist eine riesige Plattform auch für die Industrie, die natürlich niemals ganze Systeme baut, sondern einzelne Komponenten baut. Und diese Komponenten, die jetzt von einer Firma A gebaut werden, müssen ja bei einem Betreiber B integriert werden, und jemand drittes muss das ganze dann systemisch handhaben. Das muss ja irgendwie passen. Die kommen zu uns, und wir sagen als erstes: Machen wir mal eine Simulation. Dann gucken wir, wie sich das im Gesamtsystem anguckt. Dann wird mal ein Prototyp gebaut, und dann geht das sozusagen raus ins Feld und wird entsprechend getestet. Das ist sozusagen unser Energy Lab, und aus meiner Sicht dafür eine riesentolle Chance für den Standort Deutschland und auch Europa, wir haben viele europäische Projekte, wo genau dieses Energiesystemdesign entwickelt, gestaltet und bewertet wird.