Jan Philipp Albrecht: Politik braucht bessere Tech-Bildung

"Was es braucht, sind vor allem Leute, die der Politik und der Öffentlichkeit, uns allen im Grunde genommen, die Technik nochmal viel besser erklären, so, dass wir sie verstehen können."

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Jan Philipp Albrecht: Politik braucht Tech-Bildung (Video)
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Datenschutzregeln, die vor 20, 30 Jahren gemacht wurden, hat der technologische Fortschritt überrollt. Wieso dauert es so lange, bis die Politik reagiert? Jan Philipp Albrecht, der für die Grünen im EU-Parlament sitzt und dessen Verhandlungsführer für die europaweite Datenschutz-Grundverordnung gewesen ist, liefert Innenansichten aus der politischen Arbeit. Was war die größere Herausforderung – die vielen Datenschutzgesetze der Mitgliedsländer auf einen Nenner zu bringen oder die Details von Profiling und Data Mining anderen Politikern zu erklären, für die das alles noch Neuland ist?

Das Gespräch wurde am Rande der re:publica 2017 in Berlin aufgezeichnet.
 

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Autorin: Corina Niebuhr
Produktion: Webclip Medien Berlin
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Transkript des Videos

Mir bereitet das jetzt noch keine schlaflosen Nächte, wie wir sozusagen in diese technologische Zukunft reinstolpern. Aber ich habe da schon großen Respekt vor.

Das ist eine große Herausforderung, dass viele Politiker noch immer nicht wirklich verstehen, was die digitale Transformation eigentlich für sie bedeutet und für uns alle, weil viele das immer noch so ein bisschen in den Bereich "So, naja, das ist irgendwie für Technik-Freaks oder für Internet-Nerds" schieben und sie sich quasi um die großen Themen Finanzpolitik, Wirtschaftspolitik, Innenpolitik kümmern. Dass das aber alles davon natürlich massiv betroffen ist und dass wir keine Wirtschaftspolitik mehr ohne Digitalisierung denken können, dass wir keine Politik mehr der inneren Sicherheit zum Beispiel ohne die Digitalisierung und das Netz diskutieren können, das haben die wenigsten erkannt, und da gilt es eben, gemeinsam daran zu arbeiten, das zu ändern.

Die Arbeit an der Datenschutz-Grundverordnung, wo ich als Berichterstatter sozusagen die Meinungen des Europäischen Parlaments zusammenbringen musste und dann gegenüber den Ministern auch verhandeln musste, die ist schon so  beispielhaft für das, was eigentlich an Herausforderungen der Digitalisierung auf uns zurollt. Wir müssen erstens deutlich mehr gemeinsam europäisch handeln, denn nationale Standards werden im Internet-Zeitalter und im globalisierten Markt nicht mehr durchsetzbar sein. Wir können den gemeinsamen Markt der Europäischen Union nutzen, um Standards zu setzen. Und wir müssen zweitens dafür sorgen, dass die Regeln, die wir bisher hatten, an die neue Zeit technologischer Entwicklung angepasst werden. Denn die Datenschutzgesetze zum Beispiel, die wir bisher haben in den Mitgliedsländern der EU, die stammen alle aus den 80er- und 90er-Jahren, zu ganz wenigen Teilen vielleicht aus den 2000er-Jahren, aber trotzdem haben sie alles das noch nicht mitverfolgt, was eigentlich in den letzten zehn Jahren an massivem technologischen Fortschritt stattgefunden hat, an Profiling und Data Mining, an Big Data und Vernetzung aller Lebensbereiche, Internet der Dinge, dass sozusagen selbst wahrscheinlich meine Jacke irgendwann Daten aussenden wird oder mein Auto selbst fahren wird. Sozusagen das alles ist noch nicht berücksichtigt in dieser Gesetzgebung. Das heißt, wir müssen auch dafür sorgen, dass bei diesen Verhandlungen nicht nur Kompromisse zwischen den unterschiedlichen Gesetzen aller EU-Länder gefunden werden, sondern auch das Beste an Meinungen und Argumenten zusammengetragen wird über diese neue technologische Entwicklung. Und das ist ein Riesenprozess. Da kommen Tausende von Gedanken und Sichtweisen zusammen. Das zu moderieren, ist sehr, sehr aufwändig. Man muss sich sehr tief einarbeiten. Man braucht viele Leute, die daran mitwirken, und gleichzeitig die Öffentlichkeit nicht abzuhängen, sondern mitzunehmen, weil es ja auch eine Demokratie ist, die wir hier gestalten, das ist wirklich eine große Herausforderung. Und das ist auch sehr, sehr viel Arbeit, die da zu leisten ist. Im Falle der Datenschutzverordnung haben wir da also drei, vier Jahre wirklich intensiv daran gearbeitet, bis es dann endlich zu einem Ergebnis kam.

Demokratische Gesetzgebung oder demokratische Prozesse werden natürlich umso komplizierter, je komplexer technologisch oder auch von der Institutionalisierung, also dass wir quasi supranationale, internationale Gesetze verabschieden, je mehr das voranschreitet, und wir haben also jetzt beim Datenschutz gesehen, dass es natürlich sehr, sehr schwierig wird, weil die technischen Details eben mitberücksichtigt werden müssen in den Gesetzen und nicht alle Politikerinnen und Politiker von vornherein irgendwie eine Ahnung davon haben. Und das ist vergleichbar wie mit der Bankenregulierung zum Beispiel, wo wir den internationalen Finanzmarkt regulieren müssen und die Verfahren, die da stattfinden, so technisch sind, so detailgenau geregelt werden müssen, dass Politik fast gar nicht mehr in der Lage ist, das wirklich zu diskutieren. Und das zusammenzubringen, sowohl eine politische Debatte, die natürlich eine Entscheidung treffen will, sollen wir eher mehr Bürgerrechte oder eher weniger Bürgerrechte haben, sollen wir eher mehr Flexibilität für die Unternehmen oder eher weniger haben, sollen wir mutig internationale Standards setzen oder weiterhin eher auf nationale Standards setzen, auf der anderen Seite aber eben technische Details regeln müssen, und das zusammenzubringen, das ist eine Riesenherausforderung. Da muss man sehr, sehr viel reden, viel wiederholen, viel Information vermitteln, versuchen, Bilder zu finden für das, was sehr technisch stattfindet und Dinge vereinfachen natürlich, aber trotzdem den Gehalt dabei nicht verlieren. Das ist eine Bildungsaufgabe auch, die wir da in der Politik leisten müssen.

Was es braucht, sind vor allen Dingen Leute, die der Politik und der Öffentlichkeit, uns allen im Grunde genommen, die Technik nochmal viel besser erklären, so, dass wir sie verstehen können. Die sich also nicht zurückziehen in sozusagen ihr kleines Kämmerchen, wo sie dann mit Technikbegriffen um sich werfen können, sondern die rausgehen in die Gesellschaft, die den Leuten erklären, was auf sie zukommt, was die Technologie mit sich bringt und welche Fragen damit ungelöst sind, damit die Gesellschaft sich damit auseinandersetzen kann und damit eben auch der Politik deutlich machen kann: Das ist für uns eine relevante Sache, und auch deswegen werden wir euch wählen oder eben auch nicht wählen.