Elisabeth Hoffmann: Wissenschaft hat nicht nur Fans

"Was heißt ehrlicher, aufrichtiger kommunizieren? Das heißt: Finanzquellen offenlegen."

Video abspielen
Elisabeth Hoffmann: Wissenschaft hat nicht nur Fans (Video)
Youtube

Genschere, Autonomes Fahren, Impfen, Big Data, Tierversuche: Wissenschaftliche Themen bieten eine Menge Konfliktstoff. Doch Forscher sollten sich nicht scheuen, den kritischen Dialog mit der Öffentlichkeit zu führen, meint Elisabeth Hoffmann, die Kommunikationschefin der Technischen Universität Braunschweig. Und man solle sich nicht beirren lassen, wenn die Diskussion emotional hochkocht. Denn am Ende kommt es weniger auf die an, die besonders laut sind, sondern auf eine ganz andere Gruppe.
 

Das Gespräch wurde am Rande der Veranstaltung "Wissenschaft braucht Gesellschaft – Wie geht es weiter nach dem March for Science?" in Hannover aufgezeichnet.
 

Jede Woche neu beim Stifterverband: 
Die Zukunftsmacher und ihre Visionen für Bildung und Ausbildung, Forschung und Technik

Autor: Timur Diehn
Produktion: Webclip Medien Berlin
für den YouTube-Kanal des Stifterverbandes

 

Transkript des Videos

Wir sind noch nicht auf dem Level, jedenfalls für die Wissenschaftskommunikation, dass wir populistischen Attacken wirklich gewappnet sind.

Die Diskussionen werden sensibler, tatsächlich empfindlicher, emotionaler. Ich erkläre mir das so, dass die Menschen schon das Gefühl haben, da passiert irgendwas Wichtiges so. Also, da sind Leute, die was entwickeln, oder es entstehen von außerhalb Fragen, also beispielsweise Infektionen. Also, da kommt jetzt wieder eine große Welle von Infektionen, und wir sind angewiesen auf Leute, die sich damit auskennen, die uns jetzt sagen: Soll ich jetzt impfen oder nicht? Ab wann, in welchem Alter, wie ist es mit meinen Kindern? Sind wir immer auf andere angewiesen. Und, naja, also, ich wüsste lieber selber, ich habe aber keine Chance, es selber zu wissen, weil das Wissen darüber so hochspezialisiert ist. Und das macht einen vielleicht unsicher. Und das bewirkt, dass Menschen dann mit sehr unterschiedlichen Befindlichkeiten in die Veranstaltungen kommen und manchmal hochemotional werden, also auch aggressiv, laut Fragen stellen und die Wissenschaft dann an der Stelle implizit, vielleicht ohne es zu wollen, in Frage stellen. Weil die Wissenschaft sagt dann: Wir haben die und die Evidenz. Wir wissen das und das im Augenblick. Es braucht noch vielleicht zwei, drei Jahre, bis es aus der klinischen Phase in die Anwendung kommt usw. usf. Das sind aber Dinge, mit denen können die meisten Menschen gar nicht so viel anfangen. Und dann passiert, dass sich viele Menschen so fühlen, dass man ihnen nicht zuhört. Also, ich kann selber zum Beispiel schwer damit umgehen, wenn öffentliche Veranstaltungen emotional werden oder aggressiv oder so was. Und dann merke ich: Bei mir geht sowieso dann selber schon irgendwie ein Lämpchen an. Ich fange an, nicht mehr cool zu sein und nicht mehr zuzuhören und gehe in die Verteidigungshaltung. Das passiert gerade bei kritischen Themen.

Wir haben mehr kritische Diskurse als früher, glaube ich, auf dem Campus. Die Schwierigkeit ist nur, wie gesagt, dass diese Diskurse sehr schnell emotional werden, und davor haben wir eigentlich alle Angst. Also, das ist sowas, was wir nicht geübt sind, selbst die Wissenschaftskommunikation, ich will jetzt gar nicht von der Wissenschaft selber reden, wir sind es eigentlich gewohnt, mit Informationen zu handeln, ja? Wir haben etwas herausgefunden, dann informieren wir darüber. Der neueste Trend ist Storytelling. Dann erzählen wir halt schöne, erfolgreiche Geschichten von coolen, jungen Leuten, die superneugierig sind und ihren Weg durch die Wissenschaft ... Das ist toll, aber das ist natürlich alles safe, weil das sind natürlich die tollen Geschichten, die wir selber auf unserem Campus haben. Die Fragen von draußen sind manchmal viel kritischer, und die sind viel unsachlicher. Woher soll auch die Sachlichkeit kommen da, wenn man selber betroffen ist?

Wir werden viel mehr gemessen an dem, was wir sagen, als noch vor zehn oder 20 Jahren, weil es viel mehr Möglichkeiten gibt, weil es viel mehr Leute gibt, die kritisch auf uns schauen, auch zurecht, das ist ja auch in Ordnung. Also, was heißt ehrlicher, aufrichtiger kommunizieren? Das heißt: Finanzquellen offenlegen. Es ist ja eigentlich nichts Verwerfliches daran, wenn wir mit der Wirtschaft zusammenarbeiten, im Gegenteil, ist toll. Soll ja bald auf die Schiene, soll ja was werden auch, soll ja in die Welt kommen. Aber wenn wir das nicht sagen, dann klingt es gleich wieder so, als hätten wir was zu verbergen. Haben wir in aller Regel überhaupt nicht. Also warum nicht reinschreiben? Es ist durchaus zu vertreten, wenn wir mit Tierversuchen arbeiten. Meinen wir, können wir darüber diskutieren. Müssen wir es auch reinschreiben eigentlich.

Ich habe jetzt gerade einen Science Slam gehört zum Thema CRISPR-Cas und was wir damit machen können in einem bestimmten Bereich. Das sind Einzelfenster, die dann aufgemacht werden in die Wissenschaft rein. Man hat vielleicht schon mal gehört das Thema Genschere, was das kann, ein bisschen wie das funktioniert. Die Gesamtauswirkungen dann vielleicht noch nicht, aber beim nächsten Mal weiß man es schon wieder einzuordnen. Also, da passiert schon ganz viel. Das Problem ist aber immer noch, dass wir nur die erreichen, die eh schon offen sind. Wenn wir mit der Politik sprechen, ist da die Aufmerksamkeitsspanne naturgemäß jetzt auch nicht so wie bei jemandem, der wirklich in der Sache drin ist auf der Seite der Wissenschaft. Das heißt, wir müssen auch da üben, nochmal die Dringlichkeit deutlich zu machen, die ethischen Konsequenzen, den politischen Regelungsbedarf für die Technologien, die da jetzt gerade entstehen. Das gilt für Genome Editing, das gilt für Autonomes Fahren, für ganz viele Technologien, Big Data, die wir jetzt kommen sehen und wo einfach Gesprächsbedarf ist, weil die sich massiv konkret auf unsere Gesellschaft auswirken und Regelungsbedarf benötigen.

Dieses Closed-Shop-Denken, wir machen lieber zu, wir machen lieber eine dicke Mauer darum, dann sieht man's nicht, das ist heute absolut nicht mehr denkbar. Es gibt da einfach so viel Transparenz, ob man die will oder nicht, im System. Es gibt so viele Möglichkeiten zu berichten, ein Foto zu machen oder so. Warum auch? Warum die Mauer? Wir haben uns das ja gut überlegt, wenn wir das machen. Also, wir müssen aber eben mit viel Mut auch darüber reden. Und auch bereit sein, im Zweifel zuzuhören und zu sagen: Okay, also, es findet echt gar keine Akzeptanz, dann müssen wir vielleicht nochmal nachdenken. Ist es wirklich alternativlos?

Wir brauchen aber auch ganz viel Aufmerksamkeit für diejenigen, die jetzt im Augenblick unentschieden sind. Also, nach Wissenschaftsbarometer, gibt es ja nicht nur Fans, die Wissenschaft super finden und ihr voll und ganz vertrauen und ihr mehrheitlich vertrauen, sondern 50 Prozent sagen so: Weiß nicht. Das kann eben heißen: Habe ich mich noch nie mit beschäftigt. Wenn Sie mich jetzt fragen und nochmal fragen, sage ich vielleicht auch Ja. Es kann aber heißen: Ich weiß es nicht, ich bin aber grundsätzlich empfänglich für Thesen. Und es gibt viele, viele Thesen, auch viele unsinnige Thesen und viele schädliche Thesen im Augenblick in der Welt. Die kann man sich überall herholen, die sind einfach da. Und die Leute, die jetzt unentschieden sind, können, das ist so mein Gefühl, wenn richtig heftige populistische Themen durchgetrieben werden, die können wirklich dann auch zu heftigen Wissenschaftsskeptikern werden, bloß weil wir vielleicht nicht gut genug zugehört haben, weil wir mal in einer Veranstaltung ein bisschen überheblich aufgetreten sind, weil wir nicht erreichbar sind, weil wir die sind, die in diesen komischen Gebäuden auf irgendeinem Campus sind, wo vielleicht noch ein Zaun drum ist. Man weiß es nicht. Die einfach nicht vertraut sind, die nicht in meiner Welt, in meinem Alltag sind.

Vertrauen entsteht auch durch Vertrautheit, also indem man Leute kennt, die in der Wissenschaft sind und die auch darüber reden. Oder indem man Nähe produziert in den Formaten, zum Beispiel Tag der offenen Tür im Vergleich zu einer Broschüre oder einem Imagevideo. Oder ein Video, was einfach mal zuhört und die Leute reden lässt, ein Podcast zum Beispiel ist ein tolles Format dafür. Also, wir brauchen auch eine Reflexion darüber, was eigentlich von Wissenschaft erwartet wird, nämlich nicht dasselbe wie das, was von der Industrie erwartet wird oder vom Produkte verkaufen. Da sind die Leute, glaube ich, eher bereit, Hochglanzwerbung zu akzeptieren und können abstrahieren, so eine, ich sag mal, Verlagsbeilage, so eine tolle über Produkte, da weiß ich halt: Ja gut, die wollen da was verkaufen. Wenn die Wissenschaft das macht, das ist ein bisschen kritischer, weil wir verkaufen eigentlich nicht, das ist nicht unsere Rolle. Unsere Rolle ist, glaubwürdig Erkenntnisse anbieten. Und versuchen herauszufinden, was passiert.