Andreas Zick: Wissenschaft contra Populismus
Woher kommen die ganzen Fake News, die in den sozialen Netzwerken unkritische Naturen verunsichern? Dafür gibt es eine frappierende psychologische Erklärung.
Wie konnte das nur passieren, dass so viele Deutsche der Wissenschaft misstrauen? Dass sie obskuren Ideen mehr Glauben schenken als fundierter Forschung? Das hat mit Integrität und Transparenz zu tun, meint Carsten Könneker, der Chefredakteur der Magazingruppe "Spektrum der Wissenschaft". Aber nicht nur: Es hängt auch viel mit der menschlichen Psychologie zusammen – und mit den Eigenheiten sozialer Netzwerke.
Das Gespräch wurde am Rande der Veranstaltung "Wissenschaft braucht Gesellschaft – Wie geht es weiter nach dem March for Science?" in Hannover aufgezeichnet.
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Wir sehen zum Bestürzen und zur großen Überraschung von allen möglichen Eilten, ob das jetzt Politik ist oder Wissenschaft oder Medien selber, Stichwort Lügenpresse, dass also signifikante Anteile in der Bevölkerung jemanden plötzlich zum Feindbild wirklich erklären.
Man braucht da tatsächlich mehr Transparenz. Es gibt ganz klare Zahlen, bevölkerungsrepräsentativ aus dem Wissenschaftsbarometer auch jetzt im Jahr 2017 wieder, wo man sieht, dass Vertrauen seitens der Bevölkerung in die Wissenschaft vor allem dort nicht hergestellt werden kann, wo die Menschen den Eindruck haben, und der kann durchaus auch falsch sein, vielleicht ist er auch richtig: Da macht sich jemand aus der Wissenschaft abhängig von irgendeinem Geldgeber dahinter. Das heißt, das ist das größte Problem in puncto Vertrauen in die Wissenschaft, viel größer als mangelnde Expertise, ja, so nach dem Motto: Der Wissenschaftler kann das gar nicht, was er da irgendwie erforscht. Das ist kein großes Problem. Integrität ist schon ein etwas größeres Problem, also halten die sich wirklich an ihre Standards, an ihre Regeln, fälschen die nicht Daten oder so, aber das ist sozusagen im Mittelfeld. Das große Problem sind die guten Absichten oder sind da nicht noch verborgene Absichten von irgendwem? Das ist sowieso da, also diese Unterstellung ist in der Bevölkerung da, und deswegen glaube ich, ist das das beste Argument dafür zu sagen: Ja, OK, dann hat man halt eine Ernährungsstudie, und die ist von Nestlé oder wem auch immer gefördert. Das macht es viel glaubwürdiger, auch wenn das vielleicht dann Leute beklagen würden, aber es macht es viel glaubwürdiger als wenn man das nicht benennt und es dann hinterher doch rauskommt. Weil man dann natürlich sagt: Die wollten es sogar noch unter den Tisch kehren. Und dann verstärkt sich natürlich das Glaubwürdigkeitsproblem. Also, der Umgang mit Transparenz: Wer fördert das? Und was ist das für eine Institution, mit welchen Interessen, das kann man dann zur Not auch selber nachschlagen oder irgendwie im Netz herausfinden. Das ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt heutzutage.
Das ist einfach so, dass man heute zu allen möglichen Themen sich problemlos über räumliche, auch über zeitliche Grenzen zusammenfinden kann und sich in seiner eigenen Klientel, mit den eigenen Vorurteilen, mit dem eigenen Weltbild gegenseitig sich immer weiter verstärken kann, in Klammern: Das gilt auch für die Medien selber und auch für die Wissenschaftler selber. Da sind wir alle nicht außen vor, aber es betrifft eben auch Kräfte, die früher keine Stimme hatten oder sozusagen verteilt einer in jedem Dorf sitzt, und heute rotten sie sich zusammen.
Die Kondensstreifen am Himmel sind in Wirklichkeit Versuche, die Bevölkerung regierungsseits sozusagen zu vergiften. Eine völlig abstruse Idee, aber eine entsprechende Webseite auf Facebook hat weit über zehntausend Follower. Und das ist ein signifikanter Faktor mehr als die Deutsche Nationalakademie Leopoldina hat auf Facebook oder so. Also, da gibt es verschiedene psychologische Mechanismen, die das wunderbar erklären können. Also, man kennt aus Offline-Diskussionen aus der vordigitalen Welt oder wenn wir uns jetzt hier unterhalten, ganz klar, es gibt so etwas wie den confirmation bias, wenn da jemand sozusagen dasselbe sagt, was ich sowieso schon angenommen habe, dann stimme ich natürlich zu. Es gibt den partisan bias. Wenn jemand aus diesem anderen Lager kommt, dann glaube ich ihm sowieso nicht, völlig egal, was dann kommt. Es gibt Gefühlsansteckung, also wenn schon in einer gewissen Diskussionsrunde sehr viel Wut herrscht, dann werde ich davon angesteckt, dann werde ich selber wütend auf irgendetwas. Es gibt Gruppenpolarisierung, das heißt also, wenn die Diskussion in einer bestimmten Diskussionsrunde, das kann offline sein, da gibt es denselben Effekt wie online, wenn das in eine bestimmte Richtung geht, dann sagt der Erste: Ja, das sehe ich aber kritisch. Der Zweite sagt: Das ist doch glatt gelogen. Und der Dritte sagt: Diese Arschlöcher! Immer eins draufsetzen, um noch mehr Aufmerksamkeit ... Und das ganze erhitzt sich sozusagen in dem kleinen Mikrokosmos. Und es gibt sehr viel Evidenz dafür, dass diese ganzen psychologischen Effekte in einer digitalen Welt, die teilweise auch anonym sein kann, weil man sich da jetzt gar nicht zeigen muss, dass die einfach wirkmächtiger sind als in den Offline-Diskussionen, zusammen mit dem Punkt, dass man sich überhaupt erstmal in solchen Gruppen zusammenfinden kann, dass man in solche Diskurse reingeraten kann, wo man sagt: Hey, das habe ich doch auch immer geglaubt! Und sich dann gegenseitig verstärkt. Das führt einfach dazu, dass sozusagen sehr, sehr viele kleine oder größere Inseln von Gleichgesinnten sich da irgendwie zusammentun im Netz, die sich immer weiter in ihren Vorurteilen und Ansichten zementieren, vielleicht auch radikalisieren, mobilisieren können. Und das ist natürlich etwas, was anti-aufklärerische Kräfte, wollen wir es mal so nennen, sehr, sehr gut auch schon zu nutzen wissen. Da haben sie jetzt auch ein Sprachrohr gefunden. Und wo sich jetzt sozusagen Wissenschaft als gesellschaftliches System massiv schwertut, da zu sagen: Ja, gut, dann müssen wir vielleicht selber da auch aktiver werden, Stichwort Social Media. Das wird natürlich, so ein bisschen sitzt man da wie das Kaninchen vor der Schlange und denkt: Ogottogott, und der Tonfall dort usw. Da will man gar nichts mit zu tun haben. Ich glaube nur, dass man überhaupt nicht die Wahl hat, weil sozusagen die Waffen des "Gegners", die hat der Gegner schon bestimmt. Und man kann jetzt nicht sagen: Oh, dann kämpfe ich halt nicht! Oder ich kämpfe woanders oder so. Das ist einfach zu, da kommt sozusagen die Konstitution der menschlichen Beschaffenheit, der Psyche zusammen mit technologischen Entwicklungen und zu einem nicht gerade guten Effekt. Wobei ich überhaupt nicht in Abrede stellen möchte, dass es natürlich einfach super Möglichkeiten gibt, auch heute in der digitalen Welt dem einzelnen Bürger eine Stimme zu verleihen, die er vorher vielleicht gar nicht zum Ausdruck bringen konnte. Es hat sozusagen beides. Es hat diese Ambivalenz. Aber es gibt doch signifikant auch spürbare Effekte, die die Gesellschaft als solches und den gesellschaftlichen Zusammenhalt massiv herausfordern.
So tun, als wäre Wissenschaft eine Produktionsmaschinerie ewiger Wahrheiten, ist grundfalsch. Und dieser Falle unterliegt vielleicht auch schon mal der Wissenschaftsjournalismus, obwohl da eigentlich das Bewusstsein von den Protagonisten sehr stark ausgeprägt ist, dass das eben nicht so ist. Aber schon mal verkauft man Wissenschaft auch über diese faszinierende Seite: Boah, Wissenschaftler haben herausgefunden, dass ... Und dann kommt irgendeine neue Erkenntnis. Aber Wissenschaft ist eben per se durch Diskurse, durch innerwissenschaftliche Kommunikation entsteht sie überhaupt erst. Sie hat Sackgassen. Es gibt ganz klar auch Probleme. Es gibt Replikationskrisen in Bereichen der Lebenswissenschaften, in der Sozialpsychologie usw. Wir hatten Plagiatsaffären und und und. Also, es ist nicht alles Gold, was glänzt. Und damit umzugehen und das auch transparent zu machen, erhöht logischerweise die Glaubwürdigkeit bei Otto Normalverbraucher. Das fühlt sich sehr, sehr schwer an. Da ist auch in den Institutionen das Bewusstsein dafür, dass man das also probiert, eben nicht innerhalb der Institution zu behandeln, ansonsten nichts nach draußen zu lassen, sondern dass man damit aktiver umgehen muss, gerade auch um die eigene Integrität und die Vertrauenswürdigkeit nach außen zu kehren, das ist noch nicht so stark ausgeprägt wie es sein sollte. Also, das ist eine große Falle für Wissenschaftskommunikation, ganz klar, und ist kontraproduktiv in puncto Vertrauen, wenn man also immer sagt: Jawoll, hier ist was Neues toll, da ist was Neues toll, da ist was Neues toll.
Wir haben da Daten aus einer Studie, an der ich selber beteiligt war, dass das also selbst bei digital natives unter den Wissenschaftlern, also Jahrgang 1981 oder jünger, die permanent online sind sozusagen, dass die das nur zu vielleicht 20 oder sogar nur 15 Prozent auf einer halbwegs regelmäßigen Basis machen. Die sind alle online, aber sie nutzen es nicht für ihre Wissenschaftskommunikation, das ist der Befund. Wenn es da mehr gäbe, das glaube ich schon, dass das ein Vorteil wäre. Ich würde mir davon aber auch nicht die alleinige Lösung dieses eben beschriebenen Problems erhoffen. Da wäre ich zu skeptisch, weil die eben auch in diese Blasen der anderen und in die Kammern der anderen ja erstmal automatisch gar nicht vordringen, sondern vielleicht erstmal nur sich selber vielleicht ein bisschen gegenseitig stärken, was aber auch schon mal nicht verkehrt wäre. Aber da passiert im Bereich Wissenschaftskommunikation noch zu wenig. Da fehlt es auch an Anreizen oder wenigstens auch an Akzeptanz seitens des Wissenschaftssystems, dass man sagt: OK, du Doktorand, du machst das da, das ist anscheinend dein Ding! Und dann ist das auch OK. Es ist sogar vielleicht ein Lob wert. Da tut sich die Wissenschaft als Organisation nach wie vor sehr, sehr, sehr schwer. Und ich würde niemals von einem Wissenschaftler verlangen: Du musst irgendwie Social Media machen oder so. Das wäre völlig verquer. Das hat auch sehr viel, glaube ich, mit Persönlichkeit zu tun. Manche Leute schreiben lieber ein Buch, und dann ist es auch gut so. Oder andere Leute gehen auf eine Bühne und machen Science Slam oder keine Ahnung was, es gibt so viele Formate mittlerweile. Ich finde nur persönlich, und das sage ich jetzt wiederum als Bürger: Ich würde mir wünschen, dass man auf den verschiedensten Formaten und speziell im Bereich digitale Medien mehr Wissenschaftler wahrnehmen könnte, dass sie ihr Wissen dort auch fruchtbar machen für die Dialoge, dass sie auch zuhören, was da überhaupt für Diskussionen sind und vielleicht auch einfach mal sich dann daran eben dann beteiligen. Die Chancen liegen auf der Hand. Das große Problem ist zum einen die Zeit, das ist völlig evident. Wann soll man das noch machen? Die Leute sind sowieso schon überlastet in den Instituten. Und das andere Problem ist eben: Wird es irgendwie wenigstens toleriert, wenn nicht sogar gefördert durch die Art und Weise, wie die Organisationen mit ihrem wissenschaftlichen Nachwuchs umgehen.