Wir haben alle irgendwie langsam gefressen: Giving science away ist eine gute Sache. Aber das geht nicht so einfach.
Wir leben ja in Gesellschaften, wo wir Phänomene haben, die die Wissenschaft unter Druck setzt. Das eine ist der Populismus. Der Populismus, der mit alternativen Fakten, aber das ist nicht alles, sondern mit parallelen Wissenschaftsgemeinschaften operiert. Die alternativen Fakten im Populismus, die kommen, sind nicht einfach nur irgendwie frei erfunden, sondern sie entstehen in Gruppen von Menschen, die für sich behaupten, dass sie wahre Forschung betreiben, Wahrheiten haben, die eigentlich richtigen Daten haben, und sie produzieren dann die sogenannten Fake News. Ein Teil davon ist Kampagne und wird in die Wissenschaft hineingespült, um die Wissenschaft zu irritieren.
Dann leben wir natürlich in einer Gesellschaft, die organisiert ist nach dem Prinzip der Expertise. Das heißt, für bestimmte Probleme wollen wir Expertinnen und Experten. Das wird jetzt angegriffen vom Populismus, enorm, weil diese Experten auf einmal als Eliten betrachtet werden. Da gibt es einen massiven Druck, dass die Expertinnen und Experten gar keine Experten sind, sondern es sind Eliten, die für irgendwie eigene Interessen von Staaten arbeiten. Da gerät jetzt Wissenschaft in diese Falle hinein.
Und wenn man sich anguckt: Warum gibt es im Bereich Populismus so ein unheimliches Bedürfnis, Fake News in die Welt zu setzen? Also, warum haben wir einen amerikanischen Präsidenten, der Daten in Frage stellt, der selber eigene Daten einfach mal so in den Raum stellt? Letztendlich würde ich sagen, weil er genau eigentlich diese Anerkennung von Expertise haben möchte, die er nicht bekommt, weil er es einfach nicht kann.
Aber man merkt eben halt, man gerät dort hinein, weil wir weite Teile unserer Lebensgestaltung auf Expertise gestellt haben. Mittlerweile ist es ja sogar so, dass Medien heute auf einmal Forschung in Auftrag geben, um einen Bericht zu erstellen. Das heißt, wir haben in vielen öffentlichen Kommunikationsbereichen, haben wir das Expertentum und die Expertise groß werden lassen. Und in dem Moment, wo gesellschaftliche Konflikte entstehen, die scheinbar nicht mehr regulierbar sind, gerät Wissenschaft genau da hinein. Und muss dann eigentlich reagieren können, aber dabei muss man eben auch wissen, was man ist und wer man ist innerhalb einer Gesellschaft und kann sich nicht mehr zurückziehen auf die Annahme: Aber wir machen doch nur Grundlagenwissenschaft, und was Gesellschaft mit diesen Befunden macht, ist doch eine nachrangige Sache.
Die Geschwindigkeit der öffentlichen Kommunikation, die Geschwindigkeit aber auch der wissenschaftlichen Kommunikation erzeugt, dass ich bei bestimmten Phänomenen vollkommen andere Förderformate brauche. Im Bereich der Gewalt wissen wir eigentlich die Lösung, aber wir haben nicht die Systeme. Und ich bin zuwenig Politiker, dass ich sie durchsetzen kann. Die Lösung bei der Gewalt liegt zum Beispiel, dass wir eigentlich soweit sind in unseren Kompetenzen, dass, wenn Gewalt passiert, wir einen bestimmten Fall haben, wir eigentlich sofort Fallanalysen machen könnten. Dieses schieben wir in die Sicherheitsbehörden ab, die da Sicherheitsforschung machen. Vollkommen falsch. Im Bereich der Fußballgewalt, alle Menschen empören sich, also selbst meine Kollegen aus der Wissenschaft lieben den Fußball, empören sich über diese Gewalt in dem Fußball. Aber sie helfen uns nicht dabei zu sagen: Wenn es so hoch regulär bestimmte Formen von Gewalt gibt, dann braucht man Formate, wie man Wissenschaft ermöglicht, in speed Analysen zu machen.
Es gibt heute die Annahme, die Welt wird komplexer. Wird sie komplexer oder haben wir einfach nur viel mehr Daten, die wir miteinander verbinden und verknüpfen müssen? Wir haben heute in Bereichen, in denen ich bin, in der Konflikt- und Gewaltforschung, nicht mehr die zehn großen Theorien, mit denen wir alles erklären können, sondern die Theorien haben zig kleinere Mikrotheorien erzeugt. Und die Komplexität der Daten und der Theorien ist relativ hoch, aber dadurch wird das empirische Phänomen nicht auch gleichzeitig komplexer, Gewalt ist Gewalt. Sexuelle Gewalt gegen Frauen ist das gleiche wie vor 20 Jahren. Nur, heute haben wir eine Perspektivenvielfalt, und wir haben bei der Betrachtung des Phänomens nicht eine Studie zu beachten, sondern am Tag werden zehn Studien publiziert und erzeugen kleinere Bruchstücke von Wissen. Also bedeutet eigentlich die Komplexität, die Vielfalt der Perspektiven und die Notwendigkeit, richtige Daten zu selektieren, das nimmt zu. Das bürden wir aber den einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf, also selbst unsere jungen Wissenschaftler denken noch genauso wie ich früher: Wenn sie ein Phänomen erkennen wollen, ich muss meine eigene Studie machen. Wo ich mittlerweile aus dieser Komplexität heraus immer mehr denke: Nein, was wir brauchen, ist intelligente Vernetzung, intelligente Wege, Wissen zusammenzulegen. Ich kann das ganz praktisch machen: Wir haben irgendwann angefangen, uns zu interessieren für den Phänomenbereich islamistische Gewalt. Warum radikalisieren sich junge Menschen mitten in unserer Gesellschaft, die nicht zugewandert sind, aus Mittelschichten kommen, warum werden sie zu Dschihadisten, reisen irgendwann mal aus nach Syrien, das sie überhaupt nicht kennen? Ist das, weil sie Online-Medien konsumieren, die sie manipulieren, ist da vor Ort irgendetwas usw.? Und in dem Bereich waren relativ viele unterwegs. Und da das ein seltenes Phänomen ist, konnte es passieren, dass wir eine radikale Gruppe hatten, die bestand aus fünf Menschen, und drumherum waren 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Und in dem Moment kommt es darauf an, die Perspektiven miteinander zu verknüpfen. Wenn ich aus dem Bereich der Soziologie gucke auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, dann brauche ich das und muss es intelligent verknüpfen mit einer psychologischen Perspektive, die fragt: Sind da kognitive, emotionale Prozesse? Also ist diese Verknüpfung von Wissenschaft enorm wichtig. Das bedeutet: Ich tausche Daten aus. Das bedeutet: Ich tausche Wissen aus. Und ich habe mir nie vorstellen können, wie kompliziert das ist, Netzwerke von Forschenden tatsächlich so zusammenzubringen, dass man in einem geschützten Raum, und Wissenschaft ist fast noch der einzige geschützte Raum, den wir haben in der Gesellschaft. Es gibt ganz wenig Räume, die geschützt sind. Es ist noch ein privater Bereich. Und Wissenschaft hat enorme Freiheiten, die Politik nicht hat, die Bildung und Erziehung nicht hat, die Medien nicht hat, weil da andere Logiken gelten. Und in dem Moment muss man das miteinander vernetzen, und dann kommt man zu viel besseren Lösungen. Das heißt: Erst brauche ich eine Vernetzung, und dann ist die Komplexität gar nicht mehr so furchtbar erschreckend. Jetzt sagen wir immer Komplexität und sind total verunsichert, weil wir denken: Hach ... Also, komplex ist das doch sowieso. Und ich mache das meinen Studenten immer deutlich, weil wir haben das Phänomen der sogenannten Wechselwirkungen. Es gibt Personenfaktoren. Eine radikalisierte Person hat bestimmte Kognition, bestimmte Emotion, sie zeigt bestimmte Verhaltensweisen, hat Beziehungspartner im Elternhaus, vielleicht in der Schule. Wenn wir radikalisierte Personen in der Schule haben, diese Systeme alle interagieren, die Lehrerinnen und Lehrer sind wieder in anderen Systemen, das sind furchtbar große komplexe Wechselwirkungen. Also komplex ist das schon sowieso. Was gibt es Schöneres, als wenn ich dann in diesem Raum zig Experten, Expertinnen haben, die forschen können, um ihre Erkenntnisse zusammenzulegen, um zu einem Bild zu kommen? Und das ist immer sehr einleuchtend, bis dann alle an einem Tisch sitzen und dann darüber reden, dass nach ihren Logiken ja andere Dinge notwendig sind. Aber ich glaube, es öffnet sich, und ich glaube, dass die Zukunft der Wissenschaft genau darin liegen wird, dass gerade in dem Ausmaß, wie Gesellschaften zerfallen, müsste Wissenschaft die Gesellschaft ernst nehmen, auf den Punkt kommen und sagen: Ja, dann brauchen wir so etwas wie eine wissenschaftliche Zivilgesellschaft. Auch Wissenschaft ist eine Forschungsgemeinschaft, es heißt Deutsche Forschungsgemeinschaft und nicht anders. Und dann braucht Gemeinschaft so etwas wie Werte und Normen. Zu denen gehört dann Austausch, zu denen dann gehört Kommunikation, zu denen auch gehört Kreditierung von öffentlicher Kommunikation.