Gerrit Schumann: Zeitung digital denken

"Der Grund, warum Leute nicht mehr lesen oder sie dann auch ein Abonnement kündigen, ist nicht, dass sie meinen, der Preis wäre zu hoch, sondern das ist eigentlich: Ich habe keine Zeit!"

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Gerrit Schumann: Zeitung digital denken (Video)
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Der Druck steht unter Druck: Die klassischen Zeitungsverlage wollen weg vom Papier und investieren durchaus in digitale Innovationen. Sie setzen auf Apps zur Personalisierung von Inhalten und probieren, seriöse Information mit Games zu verbinden, erzählt Gerrit Schumann, Chief Digital Officer bei der Verlagsgruppe Handelsblatt. Bliebe nur noch die Frage: Wie verdient man mit Qualitätsjournalismus im digitalen Zeitalter Geld?
 

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Autorin: Corina Niebuhr
Produktion: Webclip Medien Berlin
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Gerrit Schumann war Gast beim Forschungsgipfel am 28. März 2017 in Berlin.

 

Transkript des Videos

Die Medienindustrie heute ist in sich stark genug, um das Thema Innovation auch wirklich massiv vorantreiben zu können.

Es ist halt ein bisschen fragmentiert, das ist das eine, auch mit Partikularinteressen, ganz klar. Aber grundsätzlich ist die Medienlandschaft aufgestellt, auch wirklich große Dinge angehen zu können. Von daher gesehen bin ich da sehr optimistisch, auch deswegen bin ich auch gerne in der Medienbranche heute, weil eigentlich ist es so, dass es die wirklich spannende Zeit ist, wo wir von der ersten technologischen Disruption, also dass wir sagen: Wir transportieren Inhalte nicht mehr auf Papier, sondern wir transportieren sie digital, jetzt eigentlich hinkommen, neue Businessmodelle, neue Nutzerkonzepte und wirklich Mehrwerte zu schaffen digital, auch da uns kreativ ein bisschen austoben zu können, weil so ein bisschen die letzten zehn Jahre, die Konsolidierung hat stattgefunden. Wir wachsen wieder und sehen da auch eben viele, viele positive Impulse im Markt, und das ist eigentlich genau die richtige Zeit, um zu sagen: So, jetzt legen wir noch so einen Brandbeschleuniger mit rein!

In der Musikindustrie hat man, man nennt es "the lost decade", zehn verlorene Jahre. Die hat man hier, glaube ich, auch, zum Teil sind einfach Weichen gestellt worden, wo man vielleicht den einen oder anderen Leser, auch jüngere Zielgruppen, nicht abgeholt hat. Und, ich glaube, das müssen wir mal wiedergutmachen und auch wirklich über den Tellerrand gucken: Was passiert in anderen Ländern zum Beispiel?

Das Gute ist, dass die Medienbranche sich sehr stark austauscht. Dennoch machen viele einfach so ihr eigenes Ding. Und ich glaube, das ist so da, wo wir hin müssen, und das ist auch eine Chance zu sagen, vielleicht nicht gerade bei den Inhalten, bei den Inhalten und über die Marken wollen wir auch differenzieren und auch spezielle Zielgruppen ansprechen. Aber es gibt viele, viele Technologien und Innovationen, die kann man sicherlich auch plattformübergreifend und auch markenübergreifend gemeinsam besser stemmen. Und ich glaube, diese Innovationskultur und diese Offenheit und auch, diese gedanklichen Freiräume zu schaffen, das ist für mich ein ganz wichtiges Ziel, und ich glaube, da merke ich, da ist auch so eine Strömung.

Journalismus erlebbar machen, heißt nicht immer nur, jetzt den richtigen Inhalt zu liefern, sondern auch auf die richtige Weise wirklich zu servieren und schmackhaft zu machen, so dass ich Lust habe, unabhängig von den Inhalten, einfach weil es so gut mir gebracht wird und gezeigt wird und es toll einfach auch in der App dargestellt ist auf dem Handy, nutze ich alle Funktionen, dass es sich auch gut anfühlt. Dann macht es ja wirklich Spaß, so ein bisschen das Thema Gamification und Entertainment mit reinzubringen, auch wenn es um seriöse Nachrichten geht. Das ist einfach der Anspruch, den wir heutzutage erfüllen müssen.

Dennoch heißt es für mich nicht, dass ich flacher werde, sondern ich erhöhe, ich reduziere einfach, die Barriere zu den Inhalten wird flacher, die Inhalte selber nicht. Und die Darreichungsform, also, auch wenn man sagt, heute liest man einen Artikel über zwei, drei Seiten als recherchierten Themenbericht, dann kommen noch Kommentare dazu, vielleicht macht man das eher mehr in Serienform, dass man auch über den Tag hinweg, je nachdem, wo ich mich gerade befinde, ich kann im Auto heutzutage schlecht eine Zeitung lesen, auch eine App, das ist ohne autonomes Fahren noch schwer möglich, kann ich das so unterstützen, dass ich einen Teil von dem, was wir eigentlich kuratiert auch mitteilen wollen, eben so darreichen, dass man sagt: Ja, es macht mir Spaß zuzuhören, weil ich mich gerade im Kontext befinde, wo es mir leicht fällt, da Zugang zu finden. Das ist eigentlich so der Punkt. Und heißt nicht, dass wir an Tiefe verlieren wollen, auf keinen Fall.

Personalisierung und Chatbot, warum ist das eigentlich wichtig? Wir merken halt, dass die Gründe, warum Leute nicht mehr lesen oder weil sie dann auch ein Abonnement kündigen, ist nicht, weil sie meinen, dass das nicht wert oder der Preis wäre zu hoch, sondern das ist eigentlich: Ich habe keine Zeit! Und genau dieses Zeit schaffen, das geht halt sehr stark auch mit Personalisierung, mit Chatbot, also: Wie komme ich eigentlich an die für mich relevanten Inhalte möglichst einfach? Und ob jetzt Film oder Musik schon seit Jahren, Verarbeitung von Big Data, Clustern von Informationen, so dass es eben ein für mich zugeschnittenes Angebot ist. Und das funktioniert sehr, sehr gut. Wir sehen aber auch, Beipiel jetzt Facebook und Fake News und Filterbubbles, also dass ich in meiner eigenen Blase stecken bleibe, es gibt natürlich auch Grenzen und muss eine Balance sein. Also, das ist ein extrem spannendes Feld, auch, ich würde mal sagen, ergebnisoffen, wie weit mal jetzt das Pendel in die eine oder in die andere Richtung bewegen wird.

Das Thema Monetarisierung und Erlösmodell ist natürlich ein ganz wichtiges beim Thema Digitale Transformation. Also, was wir bisher sehr erfolgreich gemacht haben, ist, auch schon eigentlich von dem Ursprungsgedanken wegzugehen, und unser Herausgeber Gabor Steingart hat neulich gesagt im Haus: Wir denken immer, Print ist das eigentlich Tradierte und Alte. Aber wenn man mal ganz zurückgeht, ist das eigentlich das Storytelling. Es ist eigentlich die mündliche Überlieferung. Und das heißt, wir hatten eine sehr lange Zeit, wo eigentlich das gedruckte Wort sozusagen der effizienteste und meistgenutzte Weg war, um Inhalte und Information, Nachrichten zu transportieren. Und das hat sich aber radikal verändert. Und das ist eigentlich das Entscheidende, dass wir wieder zurück zu diesem Storytelling kommen, und dass wir da das Storytelling eben nicht nur sagen, das ist jetzt eine digitale Ausgabe oder E-Paper oder oder oder, sondern das ist eigentlich das Gesamtbild von dieser Story. Und wir machen sehr viele Veranstaltungen heutzutage, die wir zusammen mit Partnern machen, die wir zu bestimmten Themenbereichen machen, das sind über 200 im Jahr, wo der Qualitätsjournalismus im Mittelpunkt steht und natürlich auch das gedruckte Wort und das geschriebene Wort einen ganz wichtigen Bestandteil hat, aber wir monetarisieren im ersten Schritt nicht unbedingt das geschriebene Wort, sondern eigentlich über ganz andere Facetten, die um dieses Thema kreisen. Und genauso ist das digital. Das ist so ein bisschen das Ziel zu sagen, auch die digitale Community um ein Thema heraus, ich suche ja auch so ein bisschen, wenn ich mich für Inhalte interessiere, auch eine Rückspiegelung von meiner Meinung und auch eine Rückkopplung und einen Austausch. Und genau das, diesen Gedanken zu erzeugen, und da kann man natürlich, das ist für mich der Ausgangspunkt, und dann daran angekoppelt kann ich natürlich sehr viel auch an Monetarisierungsmöglichkeiten andocken, wenn ich dieses, ich sag mal, Engagement, also diese Bindung habe, und viele Erlösmodelle kennen wir heute noch gar nicht, die kommen werden, aber der Ausgangspunkt eigentlich, dieser Kern, sind halt die Inhalte und die Auseinandersetzung mit den Inhalten, die Community drumherum. Und das ist, glaube ich, das, was für uns als Medium das Entscheidende ist. Und wo dann die Wertschöpfung oder mit wem daran angedockt stattfindet, das wird dann genau so ein Teil des Innovationsprozesses sein, wo wir einfach auch offen rangehen müssen.

Also, meine Start-up-Zeit hat mehrere Phasen erlebt, also, es war der erste Dotcom-Boom Mitte der Neunziger, da war im Verhältnis zu dem, was an Unternehmen und Start-ups und Ideen vorhanden war, eigentlich auch eigentlich genügend Kapital am Markt, zumindest für die Anfangsfinanzierung. Das war, klar, ja auch eine sehr wilde Zeit. Es hat sich dann über die  letzten 20 Jahre eigentlich dahin entwickelt, dass man doch etwas risikoärmer wurde wieder auch im Venture-Capital-Bereich. Also, man findet eigentlich hier gut so die Late-, die Spätphasenfinanzierung und wenn schon mal ein Modell validiert ist. Das Gründerproblem heute ist eigentlich viel mehr: Wie kriege ich eine Idee erstmal aus der Garage raus, aus dem Kopf raus und den ersten Prototypen entwickelt? Es gibt immer mehr Inkubatoren, Acceleratoren auch, das finde ich auch gut aus Corporate-Sicht. Nur für die großen, großen Ideen, die wirklich auch zum Teil ein bisschen brauchen, fehlt uns da noch ein bisschen was. Und das habe ich jetzt einmal erlebt. Bei meinen ersten Unternehmensgründungen hat das genau gepasst. Da haben wir eher das Problem gehabt, dass wir zu viel Kapital angeboten bekommen haben und gesagt haben: Nee, wir wollen eigentlich die Kontrolle behalten, wir wollen das eigentlich eher stetig wachsen lassen. Das war jetzt auch ein B2B-Modell, das hat da gut funktioniert. Im anderen Fall, das war ein B2C, da ging es um eine Plattform, um Skalierung, es war eigentlich immer so der Spruch: "Get big or get out!". Nur genau an so ein Thema haben sich sehr wenige Investoren herangewagt. Und das zeigt so ein bisschen auch, für die ganz großen, auch wirklich kapitalintensiven Projekte fehlt dann manchmal dann auch wirklich so die Investment-Community und die Bereitschaft, da mal wirklich in so ein Thema ganz, ganz groß zu denken.