Wilhelm Krull: Mehr Mitsprache und Mut in der Forschung
Woher rührt die Angst vieler Deutschen, dass neue Technologien ihren Arbeitsplatz vernichten? Das kommt wohl auch daher, dass sie nicht rechtzeitig in neue Entwicklungen eingebunden sind.
Technischer Fortschritt findet nicht im luftleeren Raum statt. Er hat stets auch gesellschaftliche Folgen, meint Birgitta Wolff, Präsidentin der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Da wäre es hilfreich, wenn Natur- und Sozialwissenschaftler direkt enger zusammenarbeiten. Doch davor gibt es noch eine große Hürde.
Jede Woche neu beim Stifterverband:
Die Zukunftsmacher und ihre Visionen für Bildung und Ausbildung, Forschung und Technik
Autorin: Corina Niebuhr
Produktion: Webclip Medien Berlin
für den YouTube-Kanal des Stifterverbandes
Birgitta Wolff war Gast beim Forschungsgipfel am 28. März 2017 in Berlin.
Das eigentlich Spannende ist ja gar nicht die Technik, sondern das richtig Spannende ist die Frage: Wie verändert sich Leben, wie verändert sich Gesellschaft?
Ich glaube, das Bild von Innovation verändert sich, gerade weil eben viele Menschen sehen: Es geht nicht nur um die Technik, und wir machen das gleiche wie vorher, nur eben nicht mehr mit einem Rührlöffel, sondern mit einem Mixer. Sondern Technik hat einen solchen Umfang und auch eine solche Wirkungstiefe und Wirkungsbreite erreicht, dass sie tatsächlich fundamental Leben verändert. Und das merken Menschen zunehmend, und das führt natürlich auch zu einem Bedarf an breiterer Forschung, und das soziale Mitdenken der Forschung. Und genau da können eben Universitäten durch ihre fachliche Breite, durch die disziplinäre Breite unglaublich gut helfen, weil eben die internen Kommunikationsstrukturen zwischen den unterschiedlichen Disziplinen in der Regel schon vorhanden sind.
Geistes- und Sozialwissenschaftler können dann eben von Anfang an mit Ingenieuren, mit Naturwissenschaftlern zusammenarbeiten. Die können die soziale Innovationsdimension parallel zur technologischen zusammendenken. Und ich glaube, das ist das, was wir in einer zunehmend komplexen Welt eigentlich auch zunehmend brauchen, und nicht umsonst sehen Sie in vielen großen Projekten immer auch Projekte, Teilprojekte von Sozialwissenschaftlern, die sich beispielsweise Gedanken machen, wie Technik, wie Innovation im engeren Sinne, dann in einem weiteren Sinne auch die Welt verändert.
Im Hightech-Forum hat sich ja erfreulicherweise der Fokus etwas geweitet von einem sehr technikorientierten Innovationsbegriff auf einen auch mehr menschenorientierten Innovationsbegriff. Und letztlich ist es ja klar: Innovationen, gute Ideen gehen von Köpfen aus, und Innovation ist insofern nicht nur was für Techniker, sondern überhaupt für Köpfe und auch für Herzen. Und insofern haben wir sehr stark auch über menschenorientierte Innovationsförderung gesprochen. Schon die Besetzung des Innovationsforums war ja anders als in der Vergangenheit. Da waren nicht die Wissenschaftler, die Unternehmer und die Technologie-Experten unter sich, sondern es waren sehr stark auch Vertreter der verfassten Zivilgesellschaft eingeladen, die in der Tat auch einen anderen Fokus reingebracht haben.
Die Frage ist ja auch immer: Wer gibt den Anstoß für Innovationen? Und da gibt es zwei Möglichkeiten im wesentlichen. Das eine ist nachfragegetrieben. Unternehmen merken: Ich könnte da was verkaufen. Und dann wird bewusst geforscht und entwickelt. Und solche Unternehmer kommen auch manchmal auf Hochschulen zu und sagen dann: Entwickel mal dieses oder jenes für mich! Das machen Fachhochschulen tendenziell sehr gerne, Universitäten häufig nicht, denen ist das schon wieder zu marktnah. Und dann gibt es aber auch eine andere Art von Innovation, die ist angebotsgetrieben. Da denkt sich irgendjemand was aus, entwickelt was, und vielleicht hat irgendwer anders dann eine Idee, was man damit machen kann. Und ich glaube, von dieser letzteren Art von Innovation schlummern auch in Universitäten noch relativ viele. Unglaublich viele Profs sitzen im Grunde auf patentierfähigem Wissen oder auf anderen möglichen anwendungsnahen Ideen, haben aber selber nicht so unbedingt das Gespür dafür und auch nicht unbedingt die Motivation, nach Anwendungspotenzial zu suchen. Und das ist genau diese Schnittstelle, wo eben Scouting notwendig wäre, wo ein Dialog auf Augenhöhe zwischen Unternehmern und Erfindern notwendig wäre, und ich glaube, an der Stelle kann man tatsächlich noch viel, viel mehr machen.
Personalmobilität ist ein wichtiges Stichwort, gerade auch bei solchen Transferaufgaben, weil idealerweise haben Sie auf solchen Stellen Leute sitzen, die beispielsweise mal in der Wirtschaft gearbeitet haben. Die sind aber relativ selten, die kommen nämlich häufig, weil sie in der Wirtschaft viel besser bezahlt werden, dann nicht so gerne an die Universitäten zurück. Umgekehrt wäre es auch gut, wenn in forschungsorientierten Unternehmen mehr Leute sitzen würden, die sozusagen auch auf Post-doc, also wirklich auf fortgeschrittener Wissenschaftsebene mal in so einem Universitätslabor gearbeitet haben. Das könnte das Verständigungspotenzial zwischen beiden Seiten immens fördern. Und das funktioniert beispielsweise noch nicht so reibungslos, wie ich mir das wünschen würde. Aber auch in anderen Bereichen haben wir das. Wir denken sehr stark jetzt gerade an Naturwissenschaftler, an Techniker, aber auch im Bereich von Geistes- und Sozialwissenschaft wird ja relevant geforscht, beispielsweise in unserem Cluster "Herausbildung normativer Ordnung" haben wir Leute, die neu über Toleranz nachdenken. Das hört sich jetzt so ein bisschen altbacken an, aber wenn man auf so Fragen stößt wie: Sollten türkische Politiker in unserem Land, das sich als freiheitliches begreift, Wahlkampf machen dürfen? merkt man schon, dass so eine Frage auch ganz neue Relevanz gewinnt. Und da sind eben auch Geistes- und Sozialwissenschaftler gefragt, die aber dann auch ihre Überlegung so verpacken müssen, dass nachher Politiker, die letztlich entscheiden, was damit anfangen können. Und das gelingt auch nicht immer so. Wenn Sie Wissenschaftler und Abgeordnete zusammenbringen, und das machen wir durchaus, kommt manchmal nachher auch durchaus die Resonanz: Ein bisschen abgehoben sind eure Forscher da aber schon! Und das sind eben so Sachen, da müssen wir dran arbeiten, und ich glaube, da hilft Personalmobilität. Und an der Stelle setzt ja beispielsweise auch das Science-Policy-Fellowship an, das die Mercator-Stiftung mit uns, den RMU, den Rhein-Main-Universitäten, also Darmstadt, Mainz und uns, gemacht hat. Da war ja die Grundidee, Leute aus unterschiedlichen Sphären zusammenzubringen, High Potentials aus Verwaltung, aus Politik mit Wissenschaftlern, Wissenschaftlerinnen. Und die Erfahrung zeigt, dass es schon zu wechselseitigen Aha-Erlebnissen führt, dann aber auch zu einer wachsenden Vertrautheit, weil man sich eben besser eindenken kann in die Position des jeweiligen Gegenübers.
Aus den Rhein-Main-Universitäten haben insgesamt etwa 130 Professorinnen und Profs teilgenommen, und das waren immerhin fast zehn Prozent der Professoren und Professorinnen, die wir haben. Und da gab es eine ganze Reihe interessante Follow-up-Projekte: Beispielsweise haben sich die Frankfurter Wirtschaftswissenschaftler hier mit Berliner Ministerien nochmal verabredet, um über neue Möglichkeiten der Gestaltung von Alterssicherungssystemen nachzudenken. Und das finde ich schon klasse. Ich habe mich schon immer gefragt, warum sich keiner für das interessiert, was die da häufig sehr mathematisch alles so entwickeln, und dadurch, dass sich auf einmal Akteure aus diesen beiden Sphären getroffen haben, ist da schlagartig wechselseitiges Interesse mit entsprechenden Follow-up-Veranstaltungen entstanden. Und das, finde ich, ist ein schönes Beispiel dafür, wie eben dieses Matchmaking dann auch funktionieren kann.
Ich beobachte, dass die Leute, die aus der Wirtschaft in die Wissenschaft wechseln, um beispielsweise dann Scoutingaufgaben zu übernehmen, Transferaufgaben zu übernehmen, häufig einen sehr, sehr großen Idealismus mitbringen. Die nehmen Einkommenseinbußen in Kauf, sagen aber: Ich will das jetzt einfach mal wissen, ob das geht, und ich bin sicher, da kann man mehr machen. Und das habe ich an verschiedenen Universitäten erlebt, dass es solche Typen auch gibt, die im Grunde als Unternehmer sich bewiesen haben und dann aber einfach auch aus Spaß an der Freude uns Universitäten da ein bisschen auf die Sprünge helfen wollen. Aber das ist natürlich traurig, dass wir sozusagen auf diese wenigen Idealisten angewiesen sind. Ich glaube, das müsste man noch mehr systematisieren. Und das geht auch. Andererseits darf man diesen Aspekt des Technologietransfers für Universitäten jetzt auch nicht völlig überbewerten, weil unsere normale Art des Technologietransfers ist nicht der Transfer über Blaupause, sondern unsere Art des Technologietransfers ist der Transfer über Köpfe. Also, wir platzieren unsere Absolventen in der Wirtschaft, und wir kooperieren eben auch über Gemeinschaftsprojekte mit Doktoranden, Doktorandinnen. Und insofern muss man jetzt nicht in Verzweiflung ausbrechen, wenn eine Hochschule keinen funktionierendes Transfersystem im Sinne von Transfer von Blaupausen hat. Das ist nicht das primäre Geschäft von Universitäten. Wichtig ist es vor allem, Absolventen, gut ausgebildete Absolventen dann tatsächlich auch an den richtigen Stellen zu platzieren, und die nehmen ja all die Blaupausen im Kopf mit. Das ist mindestens genauso wirkungsvoll, und das ist eigentlich das, was Universitäten auszeichnet.
Vielleicht ist das auch ein Teil von Wagniskultur, dass Unternehmer sich daran gewöhnen müssen, mit diesen etwas verspielt und manchmal wenig termintreu daherkommenden Studierenden und Uni-Leuten zu reden und sich auf so etwas einzulassen. Also, wenn ich mit einem Professor, einer Professorin gemeinsam ein Seminar mache, um ein Problem zu beleuchten, ist das eben anders als ein Beratungsauftrag, wo ich sagen kann: Bis dann brauche ich das und das. So funktioniert Universität eben nicht. Die Chance dieser freiheitlicheren und verspielteren Herangehensweise ist allerdings, dass ich auf dem Weg vielleicht noch Dinge entdecke, an die ich vorher noch gar nicht gedacht habe oder dass ich vielleicht auch lerne, dass meine Problemdefinition noch gar nicht akkurat war. Und ich habe dann, wenn ich die Frage noch einmal etwas anders stelle, und damit fängt Forschung ja häufig an, die Chance, Prozesse nochmal ganz anders zu durchdenken und dann wirklich auf Antworten zu stoßen, nach denen ich am Anfang noch gar nicht gefragt habe, weil vielleicht meine Fragestellung noch gar nicht richtig war. Und das ist eben der Vorteil von etwas freierer - oder wenn Sie so wollen - auch verspielterer Herangehensweise an Fragestellungen. Und das ist das, was universitäre Wissenschaft eben auch auszeichnet. Das finde manche manchmal lästig. Aber ich glaube, das ist ein ganz, ganz wichtiger Teil im großen und ausdifferenzierten Wissenschaftssystem, das wir ja in Deutschland haben.
Um ein Beispiel zu nennen: Ich bin selber Betriebswirtin. Und da ist der Klassiker, dass Sie beispielsweise mit Unternehmern ins Gespräch kommen, die international expandieren wollen, aber glauben, ihr Produkt sei noch nicht in Ordnung. Und da kann es rauskommen, dass wenn Sie ein Projekt mit Studierenden machen, die sich genau den Markt angucken, die sich genau das Produkt anschauen, dass vielleicht das Problem gar nicht im Produkt liegt, sondern in der Vertriebsstrategie. Und das sind so Beispiele dafür, dass Unternehmer manchmal die falsche Frage stellen. Die fragen: Wie muss ich mein Produkt adaptieren? statt zu fragen: Wie muss ich in China meinen Vertrieb aufbauen? Und das kriegen aber Studierende, das kriegen Uni-Leute raus, weil sie eben breiter an die Dinge rangehen, von allen Seiten nochmal fragen. Und solche Beispiele gibt es in vielen Themenfeldern, nicht nur in der BWL.