Als das Coronavirus im Frühjahr 2020 den gesamten Hochschullehrbetrieb lahmlegte, hat das Lehrende wie Studierende eiskalt erwischt. Eine Praktikumsveranstaltung für Physikstudierende online durchführen? Unmöglich! Nicht unmöglich für Micol Alemani, die an der Universität Potsdam am Institut für Physik und Astronomie die Leitung des Grundpraktikums innehat.
Die 42-jährige Festkörperphysikerin machte sich ans Werk und füllte an die 50 große Umschläge mit dem Material, das die Studierenden für ihre Messexperimente brauchten, und schickte sie ihnen kurzerhand per Post zu. Die Veranstaltung fand dann per Zoom statt, die Zimmer der Studierenden wurden kurzfristig zum Labor. Sie lacht, wenn sie das erzählt. Und man merkt der gebürtigen Italienerin an: Die Lehre macht ihr Spaß, dafür ist ihr keine Mühe zu groß.
Lehre
Hochschullehre: „Ich will Studierende für das unerschrockene Experimentieren begeistern“

„Ich vermittle meinen Studierenden, auch Fehler als Erfolge zu sehen, denn aus Fehlern kann man etwas lernen, das einem beim nächsten Experiment weiterhilft.“

Auch deshalb hat sie das Grundpraktikum, das Physikstudierende im Haupt- oder Nebenfach während der ersten vier Bachelorsemester absolvieren, komplett umgekrempelt: „Ich möchte meine Studierenden mit forschendem Lernen für die Wissenschaft und das unerschrockene Experimentieren begeistern.“ Dieses Grundpraktikum im Physiklabor sei essenziell für das spätere wissenschaftliche Arbeiten. „Deshalb definiere ich den Lernerfolg anders, als die meisten Studierenden es vielleicht bislang gewohnt sind. Ich vermittle ihnen, auch Fehler als Erfolge zu sehen, denn aus Fehlern kann man etwas lernen, das einem beim nächsten Experiment weiterhilft“, erläutert Alemani ihr Lehrkonzept und fügt hinzu: „Iteration ist ein so wichtiges Prinzip in der Forschung.“
In den USA, wo die Wissenschaftlerin mehrere Jahre an der University of California in Berkeley, in Stanford und an der California State University lehrte und forschte, lernen Studierende das schon früh – anders als in Deutschland und in Italien. „Es ist nicht primär wichtig, die Werte aus der Fachliteratur zu reproduzieren. Die Studierenden sollen vor allem Lust darauf bekommen, etwas systematisch auszuprobieren.“
Der Mensch ist ein spielfreudiges Wesen und Experimente wie diese verknüpfen den Spieltrieb mit einem konkreten Nutzen – Skills, die es später auch für die Forschung braucht: Was bedeutet Messen? Wie dokumentiere ich korrekt meine Experimente, wie führe ich ein Laborbuch? Und wie kommuniziere ich mit anderen über meine Experimente und Ergebnisse? Wie schreibt man einen Forschungsantrag und wie plant man ein Projekt? Im Praktikum lernen die Studierenden dies.
Normalerweise sehen die Physikgrundpraktika so aus: Mit rezeptartig beschriebenen einzelnen Arbeitsschritten werden schon bekannte, in der Fachliteratur dokumentierte Versuche „nachgebaut“ und die Ergebnisse verglichen. Das gibt es bei Alemani nicht.
„Von solchen Strukturen sind viele Studierende frustriert, wenn etwas nicht funktioniert, oder verunsichert, wenn etwas Neues auftaucht, das sie noch nicht kennen, oder wenn das Resultat nicht mit dem erwarteten übereinstimmt“, sagt Alemani. Es gehe aber vielmehr darum, etwas über Prozesse zu lernen – und Messunsicherheiten gehörten nun einmal dazu.
Die Studierenden werden vom ersten bis zum vierten Semester Schritt für Schritt auf die eigenen Projekte vorbereitet: „Sie nutzen dafür ihr theoretisches Wissen aus der Vorlesung. Ganz am Anfang gebe ich die Fragestellungen noch vor, lasse jedoch Freiheit bei der Art der Durchführung und den Analysemethoden. Später entwickeln die Studierenden ihre eigenen Fragestellungen.“
„Es macht großen Spaß, sich mit internationalen Kolleginnen und Kollegen auszutauschen und sich von deren Ideen für die eigene Lehre inspirieren zu lassen – und wiederum andere mit den eigenen Ideen zu beeinflussen.“

Neuer Forschungsfokus auf Physikdidaktik
Für Micol Alemani hat sich durch die starke Konzentration auf die Lehre auch der Fokus ihrer eigenen Forschung verändert. Ihr Forschungsfeld ist nun die Physikdidaktik. Sie untersucht beispielsweise, wie sich Konzepte des forschenden Lernens auf den Studienerfolg auswirken. Daraus ziehe sie ebenso große Befriedigung wie früher aus ihrer Forschung über Nanotechnologie, betont die Physikerin. Es mache großen Spaß, sich mit internationalen Kolleginnen und Kollegen auszutauschen und sich von deren Ideen für die eigene Lehre inspirieren zu lassen – und wiederum andere mit den eigenen Ideen zu beeinflussen.
Deshalb auch bedeuten ihr die regelmäßigen Fellowtreffen, die Teil der Förderung des Stifterverbandes sind, so viel: „Als Neuling in Deutschland konnte ich mir dort beim Austausch mit den anderen Fellows ein sehr gutes Bild davon machen, wie sich Lehre an deutschen Hochschulen gerade weiterentwickelt – und wo die Lehrenden noch an Grenzen stoßen.“ Für Alemani sind solche Grenzen dazu da, überwunden zu werden.
