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Lehre

Kulturwandel in der Lehre?

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Klaus Diepold mit seinen Studierenden. (Foto: Michael Herdlein)

Jutta Abulawi ist Überzeugungstäterin. „Konstruktion Maschinenelemente“ lautet der etwas sperrige Titel einer ihrer Lehrveranstaltungen, die den Bachelorstudierenden nicht nur das Fachwissen, sondern zugleich auch den praktischen Nutzen vermitteln soll. Gute, die Studierenden motivierende Lehre ist der Professorin für Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, wichtig. Sie hat dafür eine normale Vorlesung in ein integratives Projekt umgewandelt, damit die Studierenden nicht nur Stoff für die Prüfungen in sich hineinschaufeln und wieder ausspucken, sondern dabei lernen, wie man ein Projekt plant: von der Idee über die Umsetzungsplanung und Konstruktion bis hin zur Präsentation. Damit erwerben sie ihre Leistungspunkte. „Es ist schön zu sehen, wie man aus einer bei den Studierenden nicht sehr beliebten Lehrveranstaltung etwas sehr Lebendiges und Anwendungsbezogenes machen kann“, sagt die Professorin.

Airbus, ein Kooperationspartner der HAW Hamburg, stellt den Studierenden dafür konkrete Projektaufgaben, zum Beispiel Cockpitzugänge besser abzusichern. Oder wie die Beladung von Flugzeugfrachträumen optimiert werden kann. Eine Studierendengruppe kam mit ihrer Idee, eine Art Inlineskates anstelle des schwereren Rollensystems für Container zu verwenden, bei der Präsentation so gut an, dass sie jetzt ein Patent anmelden konnte.

Auf neuen Lehrpfaden

Die vertrauten Trampelpfade der Lehre verlassen, sich auf neue Konzepte einlassen. Die Studierenden motivieren, Durchfall- und Studienabbruchquoten senken und eigene Ideen an Kollegen weitergeben: Wie Jutta Abulawi haben sich viele Hochschulprofessoren auf diesen Weg gemacht. Dafür geben Bund und Länder seit 2011 und noch bis 2020 im Qualitätspakt Lehre (QPL) insgesamt zwei Milliarden Euro aus. 156 Hochschulen werden derzeit noch darüber gefördert. Auch andere Initiativen und Wettbewerbe unterstützen ambitionierte Lehre: Der Stifterverband hat mit dem Wettbewerb Exzellente Lehre (2009 bis 2013 gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz) oder mit Einzelförderungen wie Fellowships für Innovationen in der Lehre, mit dem Programm Lehren oder dem Ars legendi-Preis vielen Projekten Anschubhilfe geleistet. Die Philosophie hinter den langfristig erfolgreichen Projekten lautet: Gute Lehre muss an der Hochschule zur Chefsache erklärt werden, die Hochschulleitung muss hundertprozentige Rückendeckung geben.

Wie Abulawis Hochschule: Sie unterstützt ihre Lehrenden mit Coachingangeboten. Die HAW Hamburg ist eine der zehn Hochschulen, die im Wettbewerb Exzellente Lehre mit bis zu einer Million Euro gefördert wurden. Deutschlands drittgrößte Fachhochschule hat mit den Mitteln ein umfassendes Coachingsystem implementiert, das vor allem Neuberufene auf ihre Rolle als Lehrende vorbereitet und sie ermutigen soll, neue Lehrkonzepte zu entwickeln. Dafür wurden externe professionelle Coaches engagiert. „Durch die Coachings möchten wir auch curriculare Prozesse anstoßen. Unter anderem dadurch, dass wir die Lehrenden zu gegenseitigen Hospitationen in ihren Lehrveranstaltungen ermuntern“, sagt Monika Bessenrodt-Weberpals, die für die Lehre zuständige Vizepräsidentin der HAW Hamburg.

Für alle neuen Professoren ist das Einzelcoaching verpflichtend über die Dienstvereinbarungen festgelegt. Bessenrodt-Weberpals’ Fazit: „Viele der Neuberufenen kommen direkt aus der Industrie an die HAW Hamburg, haben deshalb oft wenig Lehrerfahrung und nehmen das Coaching dankbar an. Doch auch viele der dienstälteren Lehrenden zeigen Interesse oder ließen sich nach anfänglicher Skepsis von den Vorzügen des Coachings überzeugen.“ Sie fügt hinzu: „Für diese Gruppe sind Teamcoachings vorgesehen – das fördert zugleich den Austausch der erfahrenen Lehrenden untereinander.“ Und: „Damit ein Kulturwandel in der Lehre gelingt, müssen wir mit dem Coachingprogramm ein Innovationsquorum von mindestens 34 Prozent der Lehrenden und langfristig noch mehr erreichen.“ 

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Manfred Prenzel (Foto: Damian Gorczany)

Lehre muss Chefsache werden

Interview mit Manfred Prenzel, Bildungsforscher und Vorsitzender des Wissenschaftsrates
Zum Beitrag

Auch Jutta Abulawi absolvierte vor vier Jahren, bei Antritt ihrer Professur, ein Coaching. Gerade der individuelle Aspekt dieser Maßnahme sei sehr wichtig, findet sie, weil dahinter auch eine Wertschätzung des einzelnen Lehrenden durch die Hochschulleitung stehe. Denn jeder müsse die Lehrform finden, mit der er sich wohlfühle. Nicht für jeden seien Projektlehrveranstaltungen, wie sie selbst sie durchführe, das Richtige, denn, so fasst sie das Erfolgsrezept für gute Lehre zusammen: „Man muss deutlich mehr Zeit als üblich investieren. Man muss sich auf Messen und Konferenzen nach deutschen und ausländischen Kooperationspartnern umschauen und auch mal Misserfolge hinnehmen, wenn ein Konzept nicht gleich funktioniert.“

Lehre als Bremsklotz?

Das sieht Klaus Diepold, Professor für Datenverarbeitung an der Technischen Universität München, der mit einem Lehre-Fellowship gefördert wird, ähnlich und weist noch auf einen anderen Punkt hin: „Gute Lehre ist auch ein bisschen Selbstausbeutung. Deshalb hängt sie in einer Fakultät nach wie vor meistens an engagierten Einzelpersonen – und das sind dann überwiegend ältere Kollegen wie ich, die sich und anderen in der Forschung nichts mehr beweisen müssen.“ Diepold setzt ähnlich wie Jutta Abulawi auf Projektseminare, die zeitaufwändig vorbereitet werden müssen. „Juniorprofessoren stehen so sehr unter Druck, sich mit Forschungsleistungen für eine unbefristete Professur zu empfehlen, dass sie persönliches Engagement für die Lehre als Bremsklotz wahrnehmen.“

„Gute Lehre ist auch ein bisschen Selbstausbeutung. Deshalb hängt sie in einer Fakultät nach wie vor meistens an engagierten Einzelpersonen – und das sind dann überwiegend ältere Kollegen wie ich, die sich und anderen in der Forschung nichts mehr beweisen müssen.“

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Klaus Diepold (Foto: Stifterverband)
Klaus Diepold
Professor für Datenverarbeitung an der TU München, erhielt 2012 vom Stifterverband ein Fellowship für Innovation in der Hochschullehre des Stifterverbandes

Dieses Dilemmas, das sich im deutschen Wissenschaftssystem bislang nicht auflösen lässt, ist sich auch die Universität Freiburg bewusst, eine weitere durch den Wettbewerb Exzellente Lehre geförderte Hochschule. 2010 hat das Prorektorat für Lehre gemeinsam mit der Stabsstelle Lehrentwicklung den Instructional Development Award (IDA) aufgelegt. Diese hochschuleigene Förderung für gute Lehre bekommen Professoren – Einzelpersonen oder auch Teams – für die Weiterentwicklung und Implementierung von innovativen Ideen. Daraus sind in den vergangenen Jahren konkret Lehrfilme über Palliativmedizin für Medizinstudierende, Fortbildungen von Tutoren, Maßnahmen gegen die unter Studierenden weitverbreitete „Aufschieberitis“ oder Konzepte für E-Prüfungen am Computer geworden. Interessenten müssen sich einem Auswahlverfahren stellen, pro Jahr bekommen bis zu fünf Projekte Mittel in Höhe von je 70.000 Euro.

„IDA ist ausdrücklich dafür konzipiert, die Aufmerksamkeit auf Good-Practice-Beispiele im Professorenkollegium zu lenken. Denn es spricht sich schnell in der Fakultät herum, wenn ein Kollege eine derartige Belohnung für gute Leistungen in der Lehre erhält“, sagt Juliane Besters-Dilger, Prorektorin für Lehre. Dies, hofft sie, soll einen Kulturwandel in der Lehre beschleunigen. Tatsächlich gebe es seit 2010 Jahr für Jahr mehr IDA-Bewerbungen. „Der Wert von Lehre ist allgemein enorm gestiegen. Jeder Bewerber, der sich bei uns für eine Professur vorstellt, muss ein Lehrportfolio vorlegen, außerdem müssen die Bewerber im Gespräch ihre Ideen und Ziele in der Lehre skizzieren. Viele der Bewerber haben bei Antritt der Professur bereits ein Zertifikat für Hochschuldidaktik in der Tasche. Und unsere hochschuleigenen Didaktikkurse sind überbucht, weil das Interesse so groß ist.“

Holger Burckhart, der für Lehre und Studium zuständige Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz, bestätigt: „Gute Lehre hat heute einen viel höheren Stellenwert als noch in den Neunzigerjahren. Einer der Gründe dafür ist meines Erachtens der Bologna-Prozess, der vielen Kritikern als Synonym für den universitären Untergang dient. Aber erst durch die Einführung der gestuften Studiengänge, die ja vor allem die Mobilität der Studierenden fördern sollten, begannen in ganz Europa Diskussionen über die Vergleichbarkeit und damit die Qualität dessen, was gelehrt und studiert wird.“

Auch Bettina Jorzik, die beim Stifterverband den Bereich Lehre und akademischer Nachwuchs leitet, kann diesen Trend bestätigen: „Ähnlich wie bei der Exzellenzinitiative ist etwas in Bewegung geraten, auch bei jenen Hochschulen, die letztlich keine Förderung bekommen haben: Dass Hochschulen gezielt und in nicht unerheblichem Ausmaß Drittmittel für die Lehre einwerben können und es auch tun, ist eine neue Entwicklung – ebenso wie das wachsende Bewusstsein dafür, dass sich aus exzellenter Forschung nicht automatisch auch exzellente Lehre ableiten lässt.“ Am Wettbewerb Exzellente Lehre beispielsweise habe gut die Hälfte der deutschen Hochschulen teilgenommen. Und auch die Einzelförderungen des Stifterverbandes fanden und finden großen Zuspruch. 

„Es wächst das Bewusstsein dafür, dass sich aus exzellenter Forschung nicht automatisch auch exzellente Lehre ableiten lässt.“

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Bettina Jorzik (Foto: Bussenius/Reinicke)
Bettina Jorzik
leitet im Stifterverband den Programmbereich „Lehre und akademischer Nachwuchs“

Netzwerk für gute Lehre

Ein weiteres Beispiel ist die Initiative Lehren: Hier bekommen einzelne Hochschulvertreter – aus Hochschulleitung, -verwaltung oder Professorenschaft – in mehreren Workshops Gelegenheit, sich gemeinsam mit den Geförderten anderer Hochschulen über ihre Ideen von guter Lehre auszutauschen und der Frage nachzugehen, wie diese konzeptionell an der gesamten Hochschule verbreitet werden können. Auch HAW-Vizepräsidentin Monika Bessenrodt-Weberpals hat am Programm teilgenommen und schwärmt von dem „großartigen Netzwerk“, das daraus entstanden ist. „Wir treffen uns noch immer in regelmäßigen Abständen.“

Für die Bildungswissenschaftlerin Anke Hanft, Professorin an der Universität Oldenburg, ist dieser von Bessenrodt-Weberpals beschriebene Know-how-Transfer ein entscheidender Faktor für eine nachhaltige Wirkung. Hanft wurde mit der Koordination der Begleitforschung des QPL beauftragt. „In der jetzt laufenden zweiten Förderphase muss genau dieser Austausch von praktischem Wissen zwischen den Hochschulen forciert werden“, sagt die Wissenschaftlerin. In dieser Phase zeige sich, wie ernst es den Hochschulen sei. Hanft ist weniger optimistisch, als manche Hochschulleitung sich nach außen hin gibt. Denn, so Hanfts erster Eindruck: „Sehr viele der QPL-Projekte beziehen sich auf die Studieneingangsphase. Das ist zwar gut, denn gerade dort hakt es ja oft. Allerdings ist die Nachhaltigkeit der Maßnahmen nach Auslaufen der Finanzierung nicht gesichert. Zudem fließen sehr viele Mittel in Angebote, um kurzfristig den Studierendenansturm bis 2020 zu bewältigen – und nicht, um wirklich langfristig und nachhaltig einen Kulturwandel in Sachen Lehre herbeizuführen.“

„Es fließen sehr viele Mittel in Angebote, um kurzfristig den Studierendenansturm bis 2020 zu bewältigen – und nicht, um wirklich langfristig und nachhaltig einen Kultur-wandel in Sachen Lehre herbeizuführen.“

Anke Hanft
Bildungswissenschaftlerin an der Universität Oldenburg

Asymetrie ausgleichen

Als größte Herausforderung gilt also, den „Spirit“, der aus den Lehre-Projekten erwachsen ist, institutionell und nachhaltig zu verankern und so die immer noch bestehende Asymmetrie zwischen Forschung und Lehre auszugleichen. Gelingen werde dies wohl vor allem jenen Hochschulen, die gute Lehre nicht erst seit dem QPL pflegen, meint Anke Hanft.

Die Universität Freiburg und die HAW Hamburg jedenfalls haben vorgesorgt, um IDA beziehungsweise das Coachingprogramm für Professoren zur Dauerinstitution zu machen: Die HAW Hamburg hat bereits damit begonnen, einige ihrer eigenen Professoren zu Lehr-Lern-Coaches fortzubilden, denn teure externe Coaches zu engagieren, ist langfristig nicht finanzierbar. Viele Professoren hätten Interesse an einer solchen Ausbildung und würden für ihren Einsatz als Coach entsprechend von der Lehre freigestellt, sagt Monika Bessenrodt-Weberpals. Die Universität Freiburg wiederum hat für die Weiterführung von IDA neue Fördermittel aus verschiedenen anderen Quellen akquiriert.

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