Lehrermangel · Zukunftsmission Bildung

StreitBAR: HAWs in der Lehrkräftebildung

Illustration Diskussion/ Köpfe
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Im Rahmen der Zukunftsmission Bildung veranstaltet der Stifterverband mit der „StreitBAR“ eine digitale Gesprächsreihe zu besonders kontroversen Themen der Lehrkräftebildung. In diesem für den deutschsprachigen Kulturraum eher ungewöhnlichen Format werden – ausgehend von einer zugespitzten These – die Argumente pointiert herausgearbeitet. Das Publikum kann sich mit Fragen und Kommentaren einbringen.

In der dritten Ausgabe dieses Formats ging es um die Frage, welche Rolle Hochschulen für angewandte Wissenschaften in der Lehrkräftebildung spielen können. Die These lautete: 

Diskussionsthese:

Nur durch eine (federführende) Einbindung von HAWs in die Lehrkräfteausbildung kann eine breit angelegte Offensive für Berufsschullehrkräftebildung gelingen.

Es diskutierten:

PRO: Bernd Kriegesmann
Vorsitzender des Vorstandes, Landesrektor_innenkonferenz (LRK) der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften e. V.

CONTRA: Birgit Ziegler
Arbeitsbereich Berufspädagogik und Berufsbildungsforschung, Technische Universität Darmstadt
Mitglied der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz (KMK)

 

Wir haben die zentralen Diskussionspunkte der beiden Diskutanten zusammengefasst. Den Mitschnitt der gesamten Veranstaltung dokumentieren wir am Ende dieses Beitrags. 

Pro – Bernd Kriegesmann: HAWs können den Lehrkräftemangel an Berufsschulen effektiv bekämpfen

Porträt Bernd Kriegesmann
Bernd Kriegesmann (Foto: privat)
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Bernd Kriegesmann (Foto: privat)

Seit vielen Jahren gibt es einen großen Mangel an Lehrerinnen und Lehrern für berufsbildende Schulen, besonders im technischen Bereich. Dieser Mangel wird noch größer, wenn die Babyboomer-Generation in den Ruhestand geht. Gleichzeitig sinkt die Anzahl der Studierenden in technischen Fächern wie Maschinenbau oder Elektrotechnik und die Konkurrenz um diese Fachkräfte mit der Wirtschaft steigt. Eine immer wieder elaboriert vorgetragene Diagnostik dieser Problemsituation führt aber nicht zur Lösung.

Wir glauben, dass Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAWs) eine wichtige Rolle in der Lehrkräfteausbildung spielen können, um echte Lösungsbeiträge zu leisten. Wir wollen dabei eine eigenständige Rolle übernehmen, ohne die Zusammenarbeit mit Universitäten aufzugeben. HAWs haben viele Studierende, die von Berufskollegs kommen. Wir können neue Zielgruppen erschließen, wie Fachabiturientinnen und Fachabiturienten, die an Universitäten nicht direkt studieren können.

Es ist wichtig, neue Wege zu gehen, um den Lehrerinnen- und Lehrermangel zu bekämpfen, ohne dabei die Qualität der Ausbildung infrage zu stellen. Das setzt natürlich auch den Aufbau neuer Kompetenzen etwa in Fachdidaktik und Bildungswissenschaften bei uns voraus. Wir müssen aber aus der Defensive in die Offensive gehen und mutig Neuland betreten. Faktisch passiert das ohnehin. Ich habe kürzlich mit Lehrerinnen und Lehrern von Berufskollegs gesprochen, die einen großartigen Job machen. Der überwiegende Teil von ihnen kam über den Seiteneinstieg. Das war auch ein dem Druck des Faktischen folgender neuer Weg.

Unser Hochschultyp hat ein großes Interesse daran, dass der schulische Teil in der dualen Ausbildung über die Berufskollegs mit gut qualifizierten Lehrerinnen und Lehrern gesichert wird. Ein Großteil unserer Studierenden kommt zudem von Berufskollegs, sodass wir auch ein originäres Eigeninteresse an gut ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern haben. Es geht uns nicht um Eitelkeiten, sondern um gesellschaftliche Verantwortung. Wir müssen aufhören, nur über die Lücke zu klagen, und endlich Wege finden, sie zu schließen.

Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dass die HAWs eine eigenständige Rolle in der Lehrkräfteausbildung übernehmen sollen. Das ist besonders wichtig im gewerblich-technischen Bereich, der eine unserer Stärken ist. Mehr als die Hälfte aller ingenieurwissenschaftlichen Studierenden in Deutschland studiert an unseren Hochschulen.

Wir sind davon überzeugt, dass wir durch eine eigenständige Rolle in der Lehramtsausbildung junge Menschen gewinnen können, die sonst nicht ins Lehramt gehen würden. Dabei geht es nicht um ein neues Modell, sondern um eine zusätzliche Option auf dem Weg ins Lehramt. In gesellschaftlicher Verantwortung sollten wir uns weniger in normativen Setzungen verlieren, sondern konstruktiv an Lösungsbeiträgen arbeiten.

Contra – Birgit Ziegler: Neue Modelle schaffen mehr Probleme, als dass sie Probleme lösen

Porträt Birgit Ziegler
Birgit Ziegler (Foto:privat)
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Birgit Ziegler (Foto: privat)

Ich finde die These, dass der Lehrkräftemangel an Berufsschulen nur durch eine federführende Einbindung der HAWs gelöst werden kann, nicht gut formuliert. Durch die Klammer weiß man nicht, worüber überhaupt abgestimmt werden soll. Es gibt doch bereits viele Kooperationsmodelle zwischen HAWs und Universitäten. Was fehlt, sind belastbare Daten, um den Erfolg dieser Modelle zu bewerten. Der Fokus sollte nicht nur auf der Quantität, sondern auch auf der Qualität der Lehrkräfteausbildung liegen.

Neue Modelle, die die HAWs eigenständig in die Lehrkräftebildung einbinden, führen lediglich zu einer größeren Unübersichtlichkeit. Es gibt jetzt schon 52 Standorte, an 34 davon werden zwei, drei oder vier unterschiedliche Modelle in Kooperation mit HAWs angeboten. Die Angebotssituation ist für Studieninteressierte schon jetzt schwer zu überblicken. Neue Modelle würden nur noch mehr Verwirrung stiften.

Ob sich die Mangelsituation durch Federführung der HAWs beheben lässt, ist angesichts des immensen Einbruchs der Studierendenzahlen in den letzten zehn Jahren bei den Ingenieurwissenschaften sehr fraglich. Die HAWs haben genau in den Mangelfächern Maschinenbau und Elektrotechnik noch mehr Studierende verloren als die Universitäten. Warum dann über neue Modelle an den HAWs mehr Studierende zu gewinnen sein sollen, diese Logik erschließt sich mir nicht.

Auch die Argumentation, dass die HAWs sozial näher an den Berufsschulen dran sind, ist nicht stichhaltig. Die aktuelle Sozialstruktur der Studierenden in den Lehramtsstudiengängen für berufsbildende Schulen ist bereits jetzt näher an den Schülerinnen und Schülern dran als die an den HAWs. Über 60 Prozent der Studierenden in den Lehramtsstudiengängen haben eine Berufsausbildung und genauso viele wie an den HAWs haben kein klassisches Abitur, was zeigt, dass wir die anvisierten Zielgruppen bereits jetzt erschließen.

Neue Modelle sind auch für die Berufswahlneigung irrelevant. Aktuelle Forschungsbefunde zeigen, dass sich Schülerinnen und Schüler viel mehr für den Beruf interessieren als für Studiengangmodelle. Zudem hängt die Berufswahlneigung nicht von den Studiengangmodellen ab, sondern von der Identifikation mit dem Beruf.

Sich auf Erfahrungen mit praxisnaher Ausbildung und im Umgang mit Schülerinnen und Schülern aus Berufsschulen zu berufen, reicht nicht aus, um Lehrkräfte auszubilden. Dahinter steht ein völlig veraltetes Mindset von Lehrkräftebildung.

Zudem haben die HAWs nicht die nötigen Ressourcen, um die Fachdidaktik, die Bildungswissenschaften inklusive der Berufspädagogik angemessen abzudecken und die Ausbildung bezogen auf die aktuellen Problemlagen weiterzuentwickeln. Der Aufbau von parallelen Strukturen wäre enorm kostenintensiv. Stattdessen sollten die bestehenden Kooperationsmodelle gestärkt und weiter ausgebaut werden.

Ich bin überzeugt, dass neue Modelle nicht helfen werden. Sie würden die Situation nur verschlimmern und dem Ansehen des Lehramts gegebenenfalls schaden. Wir sollten die bestehenden Strukturen stärken und die Qualität der Lehrkräfteausbildung verbessern, anstatt neue Modelle zu schaffen, die nur mehr Probleme verursachen.

Mitschnitt der StreitBAR vom 28. Januar 2025

Zukunftsmission Bildung

Mit der Zukunftsmission Bildung will der Stifterverband ein Bildungssystem für eine Welt im Wandel gestalten, das schnell mehr Menschen mit den notwendigen Kompetenzen aus- und weiterbildet. Dazu bringt er relevante Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in einer Gemeinschaftsinitiative zusammen und entwickelt gemeinsam mit ihnen Aktivitäten in vier starken Allianzen. Denn um die großen Herausforderungen im Bildungssystem zu lösen, braucht es wirkungsvolle Umsetzungspartnerschaften – die gegenüber der Politik mit einer Stimme sprechen, gemeinsame Ziele verfolgen und die Rahmenbedingungen so förderlich gestalten, dass langfristige Verbesserungen im Bildungssystem wirksam werden.

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