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Meinung

Innovationssystem

Europas Weg zu mehr digitaler Eigenständigkeit

Sicht aus dem Weltraum auf Europa: Visualisierung eines Satellitennetzwerkes
Foto: iStock/mesh cube

Geopolitische Spannungen, sich verschärfende Handelskonflikte – Europa steht vor wachsenden Herausforderungen. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, wie verletzlich der internationale Austausch von Waren und Wissen ist. In einer Welt, in der digitale Technologien und Prozesse Wirtschaft und Gesellschaft immer stärker prägen, gewinnt digitale Souveränität rasant an Bedeutung. Das heißt, Europa muss die Fähigkeit ausbauen, digitale Infrastrukturen, Technologien, Dienste und Daten selbstbestimmt zu kontrollieren als Schutz vor einseitigen Abhängigkeiten.

Europa wird im globalen Technologiewettbewerb nur mitreden können, wenn es kritische Technologien selbst in der Hand hält und digitale Geschäftsmodelle zum Erfolg führt. Die Erfahrung zeigt: Digitale Taktgeber erzielen monopolartige Gewinne und ziehen industrielle Wertschöpfung aus digitalisierten industriellen Prozessen ab. Daraus folgt: Die wirtschaftlichen Kosten „digitaler Unsouveränität“ sind immens.

Michael Kaschke (Foto: David Ausserhofer)
Michael Kaschke (Foto: David Ausserhofer)

„Europa wird im globalen Technologiewettbewerb nur mitreden können, wenn es kritische Technologien selbst in der Hand hält.“

Michael Kaschke
ist Präsident des Stifterverbandes

Die rasche Verbreitung Künstlicher Intelligenz (KI) zeigt, welche Wirkung digitale Technologie in kürzester Zeit entwickeln kann. Zwar ist Deutschland bei KI im europäischen Vergleich mit exzellenter Forschung, Patenten und Open-Source-Beiträgen noch gut aufgestellt. Doch auf globaler Ebene dominieren wenige Unternehmen die Entwicklung.

Der Ausbau digitaler Infrastrukturen – Breitband, 5G, Rechenzentren – stockt, ebenso wie die Digitalisierung der Verwaltung. Auch bei digitalen Geschäftsmodellen und Softwareentwicklungen fehlt es an Dynamik. Europäische Leuchtturmprojekte, wie die europäische Cloud Gaia-X, sind rar oder erfüllen nicht die Erwartungen.

Die öffentliche Debatte ist zudem oft von einer Risikoperspektive geprägt – Datenschutzbedenken, Sorge vor Arbeitslosigkeit durch KI, bis hin zur Angst vor Strahlenbelastung. Chancenbasierte Narrative sind selten und der politische Fokus fehlt. Die Regulierungslandschaft ist zersplittert: Unterschiedliche Auslegungen auf europäischer, nationaler und föderaler Ebene versperren in Deutschland digitalen Geschäftsmodellen häufig den Weg.

Schlüsseltechnologien strategisch entwickeln

 
Europa muss sich fragen, wie es sich zukünftig im globalen Wettbewerb differenzieren kann. Dabei gilt es, sich auf vorhandene Stärken zu besinnen, beispielsweise auf die Halbleiterindustrie. Europäische Unternehmen sind führend bei Leistungshalbleitern, Mikrocontrollern und Sensoren. Innovationen in diesen Technologien bilden die Grundlage für eine Vielzahl moderner Systeme, vom intelligenten Auto bis zur zuverlässigen erneuerbaren Energieversorgung auch für KI-Rechenzentren. Darüber hinaus muss Forschung und Entwicklung in strategischen Feldern – neben KI etwa in Quantentechnologien oder Cybersicherheit – intensiviert und entlang der gesamten Innovationskette von der Grundlagenforschung bis zur Kommerzialisierung gestärkt werden, auch in Zusammenarbeit mit Start-ups sowie kleinen und mittelständischen Unternehmen.

Strategische Förderprogramme wie die Important Projects of Common European Interest (IPCEI) und der European Chips Act sind wichtig, um insbesondere im Wettbewerb mit den USA und China den Anschluss zu halten. Sie müssen aber unbürokratischer und effektiver umgesetzt und durch eine stärkere Nachfrage aus dem europäischen Markt flankiert werden.

Porträtbild Jochen Hanebeck
Foto: Infinion AG

„In Deutschland muss allen klar sein: Wir können digitale Souveränität nicht im nationalen Alleingang erreichen.“

Jochen Hanebeck
ist Vorstandsvorsitzender der Infineon Technologies AG

Roadmapping und innovationsfreundliche Regulierung

 
In Deutschland muss allen klar sein: Wir können digitale Souveränität nicht im nationalen Alleingang erreichen. Nur als Europa erreichen wir eine kritische Masse, etwa durch den Aufbau schlagkräftiger Innovations-Ökosysteme. Das Halbleiter-Ökosystem kann hier Vorbild sein.

Öffentlich geförderte Infrastrukturen und Plattformen wie die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) oder die European Open Science Cloud (EOSC) müssen weiter ausgebaut werden. Zugleich sollten Wissenschaftseinrichtungen ihre Kooperation mit der Industrie vertiefen und dafür auch eigene digitale Kompetenzen und digitale Sicherheit stärken.

Europa braucht einen neuen Politikansatz mit einer klaren Strategie, wie Innovationen schnell umgesetzt werden können. Wir brauchen einen Regulierungsrahmen für neue Technologien, der Rechtssicherheit schafft, den Unternehmen aber Raum lässt, um digitale Geschäftsmodelle zu entfalten, zu erproben und zu skalieren.

Digitale Souveränität braucht europäischen Gestaltungswillen

 
Europa muss einen eigenen, einen europäischen Weg zu mehr digitaler Eigenständigkeit finden. Auch wenn es viele Baustellen gibt: Wir starten nicht bei null. Regionen wie Heilbronn, München oder Tübingen zeigen, wie digitale Transformation gelingen kann. Solche Erfolgsmodelle gilt es systematisch auszubauen.

In Dresden entsteht mit der „European Semiconductor Manufacturing Company“ (ESMC) ein zentraler Baustein für Europas technologische Souveränität und Versorgungssicherheit. Innovationsökosysteme wie im „Silicon Saxony“ machen Mut.

Damit Europa dauerhaft digital souverän bleibt, müssen Politik, Unternehmen und Wissenschaft aber noch mehr dafür tun. Wir haben dafür alle notwendigen Voraussetzungen. Nutzen wir sie.

 

Prof. Dr. Michael Kaschke ist Präsident des Stifterverbandes.
Jochen Hanebeck ist Vorstandsvorsitzender der Infineon Technologies AG und Vizepräsident des Stifterverbandes.

Der Artikel ist auch im Newsletter Berlin.Table erschienen. 
 

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