Vakuumtechnologien sind ihr Kerngeschäftsfeld. Wie lässt sich mit „Nichts“ Geld verdienen?
Oerlikon Leybold Vacuum ist das erste und damit älteste Unternehmen weltweit, das industriell Vakuumlösungen entwickelt und produziert. Vakuumtechnologien werden inzwischen in fast allen Produktions- und Analyseverfahren eingesetzt – sei es bei der Beschichtung von Brillengläsern oder Displays für Smartphones, beim Gefriertrocknen von Kräutern, beim Befüllen von Bierflaschen oder bei der Verpackung von Kaffeedosen und frischen Lebensmitteln oder bei der Herstellung von Spezialstahl.
Innovationssystem
Professoren des Vakuums

Wie entstehen Innovationen in Ihrem Unternehmen?
Hier unterscheiden wir wieder zwischen Innovationen für unser Unternehmen und Innovationen für unsere Kunden. Wenn wir aus uns selbst heraus innovieren, identifizieren wir zuerst zukünftige Anwendungsbedarfe unserer Kunden und entwickeln dann Lösungen, die sowohl technisch als auch ökonomisch machbar sind. Konkret bestimmen wir in einer speziellen Abteilung zuerst das Marktsegment und dessen Subsegment, zum Beispiel Gebäudeglas oder Smartphones. In einem zweiten Schritt suchen wir in diesem Subsegment nach den führenden und zahlungskräftigen, also nach den für uns relevanten Kunden. Mit diesen führen wir Gespräche zu ihren eigenen zukünftigen Bedarfen in fünf oder zehn Jahren und zu den zukünftigen Bedarfen ihrer Kunden, unter Berücksichtigung ihrer Entscheidungskriterien Machbarkeit, Preis und Qualität. Dann stellen wir ein diverses Team aus technischen und marktnahen Mitarbeitern zusammen, etwa aus Forschung und Entwicklung (FuE), Fertigung, Service, Einkauf sowie natürlich dem Vertrieb, Marketing und Business Development. Dieses Team prüft die Bedarfe dann auf Machbarkeit, Zukunftsfähigkeit und Geschäftspotenzial und sucht Lösungen: Was gibt es bei uns und im Wettbewerb, wie leicht können wir Bestehendes verbessern, braucht es vielleicht etwas ganz Neues?
Neben diesem sehr strukturierten Innovationsprozess betreiben wir außerdem Grundlagenforschung: Hier beschäftigen wir uns mit neuen Technologien, die das Potenzial haben, später in unsere Produkte einzufließen, beispielsweise Software und Elektronik, 3-D-Druck oder Simulationstechnologien. Aber auch unsere eigenen Mitarbeiter können ihre guten Ideen für Verbesserungen einbringen.
Besitzt Ihr Unternehmen eine eigene FuE-Abteilung?
Ja. Wir sind sehr stark technologiegetrieben. Man nennt uns aufgrund unserer Erfahrung und Expertise im Vakuumbereich oft auch die „Professoren des Vakuums“. Eine hohe Dichte an promovierten Ingenieuren in unserem Team unterstützt diesen Ruf. Ende 2015 hatten wir 115 Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung. Die meiste FuE findet in Deutschland statt. In Köln ist unsere Grundlagenforschung. Die anderen FuE-Mitarbeiter sind in sogenannten Centers of Competence den Produktlinien zugeordnet und auf die vier Standorte verteilt, an denen wir auch produzieren, also Köln und Dresden in Deutschland, Valence in Frankreich und Tianjin in China.
Unterstützen Sie Ihre Auftraggeber bei deren FuE-Vorhaben?
Absolut. Wie schon gesagt: Das ist für uns maßgebend.
Welches sind die wichtigsten Entwicklungshemmnisse für Ihre FuE-Aktivitäten?
An Ideen mangelt es uns glücklicherweise nicht. Fast in jedem Entwicklungs- und Herstellungsprozess braucht man Vakuum. Bei uns geht es eher um den richtigen Mix aus Fokus, Geschwindigkeit und Ressourcen – wie treffen wir die richtigen Entscheidungen, sodass unsere Prioritäten mit der technischen und ökonomischen Machbarkeit eines Projektes und der zur Verfügung stehenden Zeit im Einklang sind? Wie fokussieren wir auf die global wichtigen Felder mit den höchsten Potenzialen, wo wir Einfluss nehmen können? Wie können wir einen möglichst breiten Bedarf decken und wie entwickeln wir nicht am Markt vorbei? Wie schnell schaffen wir es, unsere Ideen in Maßnahmen umzusetzen? Und wie verteilen wir die notwendigen Ressourcen? Bei größeren Forschungsprojekten wie dem CERN oder dem GCT braucht man manchmal auch einen langen Atem – da vergehen schon mal zehn Jahre zwischen Idee und Umsetzung. Und schließlich werden große Ideen wie der Hyperloop auch durch Regularien gehemmt – überall dort, wo neue Ideen großen Einfluss auf uns Menschen haben können, dieser Bereich jedoch noch nicht reguliert ist, trifft man manchmal auch auf politische Hemmnisse.
„Es ist niemandem damit geholfen, wenn sich mein technisch ausgeklügeltes Produkt niemand am Markt leisten kann oder wenn es zum falschen Zeitpunkt auf dem Markt eingeführt wurde.“
Wie halten Sie Ihre Mitarbeiter und wie finden Sie neue?
Der Unternehmenssitz Köln ist für neue, junge Mitarbeiter sehr attraktiv. Doch auch international haben wir eine geringe Fluktuation. Beispielsweise sind sogar an unserem Standort in China, wo üblicherweise eine hohe Fluktuation herrscht, viele Mitarbeiter seit ihrem Betritt im Unternehmen. Mitarbeiter Nummer eins, zwei und drei, die uns 1996 in China beim Aufbau unserer Fabrik unterstützt haben, sind auch heute noch bei uns. Aber auch an den anderen Standorten sind viele Mitarbeiter sogar länger als 25 Jahre dabei und manche sogar schon in der zweiten oder dritten Generation im Betrieb. Wir führen dies darauf zurück, dass wir ein profitables Unternehmen sind mit einem hohen Markenwert, an interessanten, zukunftsträchtigen Themen und Technologien arbeiten und traditionelle Werte und Ziele leben, mit denen sich unsere Mitarbeiter identifizieren können.
Wie finanzieren Sie sich und Ihre FuE-Aktivitäten?
Aus einer Mischung aus Eigenmitteln und den Finanzierungslinien des Konzerns. Wir geben jährlich etwa 7 Prozent unseres Umsatzes für FuE aus.
Was sind Ihrer Meinung nach im Moment die spannendsten Innovationstrends?
Branchenübergreifend sicherlich die Digitalisierung unserer Geschäftsprozesse und der unserer Kunden. Damit meine ich nicht nur Industrie 4.0, sondern allgemein die zunehmende Vernetzung von Produkten und Prozessen und neue Geschäftsmodelle, die daraus resultieren. Unsere Vakuumpumpen zum Beispiel werden immer intelligenter. Die „dumme“ Pumpe früher kannte nur zwei Zustände: „an“ – pumpen, „aus“ – nicht pumpen. Heute kann sich die Pumpe über multiple Sensoren selbst analysieren und steuern. Technisch kann die Pumpe uns auch – wenn es der Kunde möchte – informieren, wenn etwas nicht stimmt, beispielsweise wenn bald ein Ersatzteil benötigt wird. Wir können heute eingreifen, bevor ein Schaden entstanden ist. Aus den daraus resultierenden Daten entstehen für uns neue Möglichkeiten zur Verbesserung unserer Produkte und für neue Geschäftsmodelle – möchten unsere Kunden in Zukunft zum Beispiel unsere Vakuumpumpen überhaupt noch kaufen und nicht stattdessen einfach nur noch das gepumpte Volumen als Dienstleistung bezahlen? Das ist natürlich nur eine Idee von vielen, an denen wir arbeiten. Und schließlich könnte durch das Arbeiten am Hyperloop etwas sehr Innovatives entstehen – vielleicht das Transportmittel der Zukunft – der fünfte neue Transportmodus neben Auto, See, Luft und Zug.
Zum Schluss: Was ist Ihr Erfolgsrezept für eine gelungene Innovation?
Die richtige Balance zu finden zwischen technischer und wirtschaftlicher Machbarkeit und dem Zeitgeist, Innovationen also marktnah umzusetzen. Es ist niemandem damit geholfen, wenn sich mein technisch ausgeklügeltes Produkt niemand am Markt leisten kann oder wenn es zum falschen Zeitpunkt auf dem Markt eingeführt wurde.
