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Innovationssystem

„Wenn wir stehen bleiben, fährt der Zug ab“

Internationaler Flughafen Peking
Internationaler Flughafen Peking (Foto:iStock/inzy)

Günther Dissertori beschreibt im Video-Interview mit Insights die derzeitige Situation als einen besonderen Wendepunkt, der durch geopolitische Veränderungen und eine exponentiell schnelle technologische Entwicklung geprägt ist. Dissertori ist renommierter Physiker und seit 2022 Rektor der ETH Zürich. 2025 war er einer der zentralen Redner auf dem University:Future Festival, das der Stifterverband einmal im Jahr veranstaltet. 

Die größte Herausforderung sieht er in der enormen Geschwindigkeit der Entwicklung, die die Gesellschaft und politische Akteure zunehmend überfordere. Diese Beschleunigung mache es extrem schwierig, einen notwendigen Kompromiss zwischen Regulierung und schneller, offener Innovation zu finden, da die zu regulierende Welt sich ständig verändert.

Dissertori warnt eindringlich davor, dass Europa Gefahr läuft, den Anschluss zu verlieren  und einen dauerhaften Standortnachteil zu erleiden, wenn es jetzt nicht agil handele. Er betont, dass Stillstand in einer derart beschleunigten Situation keine Option ist und appelliert an Europa, „mitzulaufen, mitgehen und mitmachen“, um die Zukunft mitzugestalten.

Screenshot aus dem Interview mit Dissertori
Günther Dissertori (Foto: Stifterverband)

„Also Europa, bitte, lasst uns mitlaufen, mitgehen und mitmachen und, wenn möglich, mitbestimmen, wo es hingehen kann.“

Günther Dissertori
Rektor der ETH Zürich

Drei wichtige Schritte

Um in diesem „Wettrennen“ zu bestehen, sind aus seiner Sicht folgende Schritte entscheidend: 

  • Massive Investitionen in Hardware, Infrastrukturen und vor allem in die Ausbildung und Anwerbung der „besten Köpfe“.
  • Die Schaffung exzellenter Rahmenbedingungen, damit Grundlagenwissen erfolgreich in die Industrie transferiert wird und Firmen sowie Start-ups sich entwickeln können – ein Bereich, in dem Europa den USA systematisch hinterherhinkt.
  • Ein vereinteres und schnelleres Auftreten Europas, um weniger Zeit in zwischenstaatlichen Diskussionen zu verlieren.

Trotz der Herausforderungen sieht er in den neuen, komplexen technologischen Werkzeugen auch ein enormes Potenzial für große wissenschaftliche Entdeckungen, da sie die Analyse großer Datenmengen auf bisher unmögliche Weise erlauben.

Günther Dissertori war zu Gast auf dem University:Future Festival, das der Stifterverbandes in Kooperation mit dem Hochschulforum Digitalisierung und der Stiftung Innovation in der Hochschullehre organisiert. Auf der AI Edu Stage in Zürich ging es vor allem um das Verhältnis von Bildung und KI. Das Video-Interview für das Insights-Magazin entstand am Rande des Festivals. 

Mehr Videos auf dem YouTube-Kanal des Stifterverbandes.

WARUM ES WICHTIG IST

Die Welt befindet sich in einem technologischen Wandel von exponentieller Geschwindigkeit, der Gesellschaften und politische Prozesse überfordert. Für Europa ist dies ein entscheidender Moment: Langwierige Diskussionen und die schwierige Balance zwischen Regulierung und Innovation drohen, den Kontinent ins Hintertreffen geraten zu lassen. Günther Dissertori macht klar, dass Stillstand keine Option ist und direkt in einen dauerhaften Standortnachteil führt. Sein Appell ist ein Weckruf: Nur durch sofortiges, vereintes Handeln und massive Investitionen in Infrastruktur, Forschung und Talente kann Europa in diesem globalen Wettrennen bestehen und seine Zukunft selbst bestimmen, anstatt abgehängt zu werden.

(Hinweis der Redaktion: Das Transkript wurde automatisiert erzeugt und nicht nachträglich gegengelesen. Es kann also Fehler enthalten. Im Zweifel gilt das gesprochene Wort im Interview.)

Mein ganz persönlicher Eindruck ist, dass wir, ich werde jetzt nicht das Wort Zeitenwende verwenden, aber schon an einem speziellen Punkt gerade sind. Dieses Bewusstsein, dass sich da was Gravierendes tut, über die geopolitischen Veränderungen, über das, was in Amerika passiert, das Bewusstsein, dass man sich jetzt bewegen muss, finde ich, ist zurzeit stärker. Und man sieht es als Außenstehender. sehe ich das zum Beispiel, habe ich den Eindruck, der ist auch in Deutschland zu sehen. Die neue Regierung hat jetzt ein Digitalisierungsministerium auf die Beine gestellt. ist auch ein Zeichen, was damit dann passiert, oder was der Impact sein wird, müssen wir noch sehen. Aber es ist ein Zeichen, dass vielleicht der Weckruf jetzt doch da ist.

Und ich frage mich, ob, klar, die Vorstände werden weiterhin eine wichtige Rolle haben. aber ich frage mich, ob eben nicht die wichtigere Rolle jetzt gerade auch, gerade an den staatlichen Akteuren liegt, um eben diese Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Investitionen wirklich zu machen, um Europa weiterzubringen und eben große Schritte zu wagen. Diese neuen Tools sind keine einfachen Schraubenzieher, sondern sehr komplexe Tools. Ind es ist, glaube ich, eine große Herausforderung, wirklich zu verstehen, was das Tool macht. und intrinsisch glaube ich, dass uns diese neue Welt noch große Überraschungen bereithalten wird, jetzt ein bisschen konkreter: Ich denke, dass durchaus auch große Entdeckungen möglich sein werden und passieren werden, weil eben wiederum mit demselben Argument, wir haben ein sehr, sehr potentes Tool jetzt, das zum Beispiel ermöglicht, Korrelationen oder Details aus großen Datenmengen herauszufischen, die wir sonst vielleicht nicht oder nie in der Lage gewesen wären. Vielleicht für lange Zeit nie in der Lage gewesen wären. Und das ist ja gerade die Voraussetzung für große Entdeckungen, wenn man plötzlich etwas sehen kann, sehen unter Anführungszeichen, was bisher nicht möglich war.

Die letzten Nobelpreise waren ein Beispiel dafür, dass es in die Richtung geht. Plötzlich sind Dinge möglich zu berechnen, die vorher einfach beyond reach waren. Dann wiederum, es geht eine Tür auf und ich stehe vor einem weiten Feld. Das ist natürlich eine wunderbare Situation für Forscher. Als Forschender, der es gewohnt ist, maximal international zu arbeiten, könnte man es ein bisschen als Dilemma ansehen. Einerseits möchte man offen sein für die ganze Welt und man ist gleichzeitig, aufgrund der geopolitischen Entwicklungen, diese gegenläufige Tendenz. Aber eben versuchen wir es positiv zu sehen.

Ich glaube, das Potenzial in Europa ist enorm. Wir haben sehr, sehr viele fantastische Köpfe, wenn dann nicht jetzt dieses Potenzial ausspielen. Und es besteht auch, ich würde sagen, ein Druck. Alle reden davon, wir haben eine exponentiell schnelle Entwicklung. Wenn man nicht agil ist, wenn man sich jetzt nicht bewegt, wird man oder riskiert man im Abseits zu landen. Diese Entwicklung kann noch so massive Auswirkungen haben auf alles und nicht nur auf Forschung und Bildung, sodass man auch ein Risiko, wirklich ein Risiko eingeht, wenn man nicht mitmacht in diesem Wettrennen. wenn man das überlässt, dass man dann irgendwann tatsächlich einen Nachteil hat, einen Standortnachteil in vielerlei Hinsicht.

Also finde ich, die Tendenz, die es jetzt gibt, die Anstrengungen, die es jetzt gibt in Europa, sich wirklich auf die Hinterbeine zu stellen und loszulaufen, sehr gut. Ob sie erreichen werden, werden wir sehen. Ich glaube, ein großes Dilemma, das in Europa einfach zu lösen ist, ist dieser Dualismus zwischen Regulierung und totaler Offenheit und schneller Entwicklung. Ich denke, der Weg sollte sein, einen guten Kompromiss darin zu finden. Das ist das große Challenge. Und damit komme ich jetzt auch, glaube ich, vielleicht zur grundlegenden Problematik überhaupt. Und das ist die Geschwindigkeit der Entwicklung.

Die Geschwindigkeit der Entwicklung überfordert uns, und uns meine ich eigentlich alle, zusehends. Und in der Geschwindigkeit der Entwicklung ist diese Suche nach dem Kompromiss auch zwischen Regulierung und Weiterentwicklung schwerer als je zuvor. In dem Moment, wo ich einigermaßen einen klaren Kopf kriege zur Regulierung, ist die Welt, die ich zu regulieren habe, schon wieder ganz anders. Und das ist, glaube ich, vermutlich letztendlich die grundlegende Frage. Wie geht die Gesellschaft mit dieser Geschwindigkeit, mit dieser Beschleunigung um? Klar ist aber, in einer beschleunigten Situation, wenn ich stehen bleibe, dann fährt der Zug ab. Also Europa, bitte, lasst uns mitlaufen, mitgehen und mitmachen und, wenn möglich, mitbestimmen, wo es hingehen kann.

Also es braucht sicher massive Investitionen. Wir müssen dafür weiter sorgen, dass wir die besten Köpfe ausbilden, dass wir die besten Köpfe weiterhin anziehen und nach Europa auch ziehen, aber eben selbst auch ausbilden. Wie gesagt, das Potenzial meiner Meinung nach ist groß, weil historisch gesehen Europa auch ein gutes Bildungssystem hat. Wir sollten das Beste daraus machen. Aber es braucht natürlich auch Investitionen in Hardware, also in Infrastrukturen, und es braucht, glaube ich, sehr, sehr gute Rahmenbedingungen, dass das Grundlagenwissen, die Forschung, die gemacht wird, möglichst gut umgesetzt wird in die Industrie. Also gute Voraussetzungen, dass Firmen, dass Startups, kleine, große Firmen sich bestens entwickeln können. Letztendlich wird es auch sehr, sehr stark davon abhängen, wie Europa am Ende darstellt, diese Entwicklungsmöglichkeit der Firmen.

Das ist ja gerade das Gebiet, wo Europa eigentlich systematisch Amerika hinterher hinkt. Also diese ganzen Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden. Ich hoffe, Europa schafft es, in diesem Kontext noch vereinter aufzutreten und weniger Zeit zu verlieren in den interstaatlichen Diskussionen, die ja generell ja nicht schlecht sind, dass man die Dinge ausdiskutiert, aber man hat sehr wenig Zeit zum Diskutieren.

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