Carsten Könneker: Die Wissenschaft und ihr Glaubwürdigkeitsproblem
Wie konnte das nur passieren, dass so viele Deutsche der Wissenschaft misstrauen? Dass sie obskuren Ideen mehr Glauben schenken als fundierter Forschung?
Wissenschaft interessiert junge Leute nicht? Ganz im Gegenteil! Aber wenn Forscher und Journalisten sie erreichen wollen, müssen sie ein paar Dinge beachten. Welche, das verrät hier ZDF-Reporter und Videomacher Mirko Drotschmann. Und: Ist es sinnvoll, Anhänger der Chemtrails-Theorien als Spinner abzutun?
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Ich würde aber schon sagen, dass Wissenschaft an sich für junge Menschen schon interessant ist, ohne dass sie wissen, dass das Wissenschaft ist. Das ist ganz wichtig. Wissenschaft, wenn man sagt: Ich erzähle euch jetzt etwas Wissenschaftliches, dann schreckt es eher viele ab.
Ich würde nicht sagen, dass Wissenschaftsjournalismus generell zu unkritisch ist, aber es vielleicht zu spezifisch und auch zu sehr in einer Bubble gefangen und für eine bestimmte elitäre Gruppe gemacht. Wissenschaftsjournalismus sollte aber auch rausgehen und auch Leute erreichen, die vielleicht sonst nichts mit Journalismus bzw. mit Wissenschaft zu tun haben. Und das ist natürlich eine große Herausforderung, jemanden, der, wie man immer sagt: bildungsfern ist, mit wissenschaftlichen Themen zu erreichen. Aber es lohnt sich. Und wenn man das einmal geschafft hat, dann ist es auch was, von dem man profitieren und was man für seine Arbeit weiter nutzen kann.
Es geht in viele Bereiche, wo wir jetzt gerade die Weichen für die Zukunft legen, ob es die Umwelt ist, ob es das ist, dass wir bestimmte gesellschaftliche Gruppen komplett abhängen und die gar nicht mehr integrieren in die Gesellschaft, ob es die Zukunft der Energie ist und vieles mehr. Und da sind wir jetzt gerade an einem entscheidenden Punkt, und da muss man natürlich aufpassen, dass man auf der einen Seite nicht Leute abhängt, auf der anderen Seite nicht unsere Welt in eine Richtung drängt, aus der wir sie nicht mehr zurück bekommen.
Es sind auch die Themen, die gerade junge Menschen umtreiben, weil die haben ja noch eine lange Zukunft vor sich im Gegensatz zu Menschen, die vielleicht noch zehn, 20 Jahre zu leben haben. Und natürlich fragen sich auch junge Menschen: Ja, was passiert denn jetzt in 30, 40 Jahren, wenn wir so weiterleben wie bisher?
Man sollte immer den Fühler an der Gesellschaft sozusagen haben und an dem, was die Gesellschaft umtreibt. Und wenn man eben sieht: Okay, im Internet gibt es Videos über Chemtrails, die Millionen von Klicks haben, und Leute glauben diesen Theorien, dann sollte man darauf eingehen und versuchen, diese Theorien zu entkräften. Und nicht die als Spinner abzutun und zu sagen: Ach, was wollen die denn? Damit beschäftigen wir uns gar nicht! Das ist unter unserem Niveau! Sondern tatsächlich dann direkt darauf eingehen, weil das zeigt eben: Da ist durchaus ein großes Interesse da. Und das ist generell das Wichtige, sich an dem Interesse des Publikums zu orientieren, indem man die Leute fragt: Was interessiert euch? Indem man schaut, in welchen Umfeldern bewegen die sich, und was wird da so gepostet aus der Filterblase heraus, in deren Filterblase rein? Weil nur so kann man die Menschen erreichen, und nur so kann man auch Dinge vermitteln, von denen man überzeugt ist, dass sie richtig sind, und kann andere Dinge auch entkräften.
Auch aus dem historischen Bereich, und da ist so das klassische Thema, über das man sehr gut auch mit Jugendlichen diskutieren kann, der Kalte Krieg. In der Schule lernt man: Die Bösen waren die Sowjets, die Guten waren der Westen oder die Amerikaner. Und natürlich ist es nicht so. Also, da gibt es auch Grauzonen dazwischen. Und ich merke schon, dass viele junge Leute das inzwischen auch hinterfragen, und da mit denen ins Gespräch zu kommen und darüber zu diskutieren, das ist auf jeden Fall sehr spannend. Ein anderes spannendes Thema ist der Rechtspopulismus. Was man in den Medien da immer mal wieder sieht, ist so eine pauschale Verurteilung bestimmter Parteien, bestimmter Gruppierungen, und die werden dann in eine Ecke geschoben, und das wurde jetzt eine ganze Weile gemacht. Und wozu das geführt hat, hat man bei der Wahl gesehen. Und ich finde, das ist ein großes Problem. Und da merke ich auch, dass junge Menschen eine Abwehrhaltung dagegen haben und sagen: Nein, ich habe da vielleicht bestimmte Gedanken oder Gefühle, aber lasse mich da nicht einordnen. Und wenn man denen die Möglichkeit gibt, zu sagen, nein, das ist eine Position, die kann man differenziert sehen, und da kann man darüber diskutieren, dann lassen sie sich vielleicht auch von einer Haltung abbringen, die vielleicht erstmal tendenziell in eine Richtung geht, die bedenklich ist, und sagen dann: Ach so, so kann man es auch sehen. Und das ist eigentlich ein sehr spannendes Feld, und das entwickelt sich auch weiter, und ich glaube, das kann man nicht nur auf Jugendliche beziehen, aber da erlebe ich das eben auch.
Das Wichtige ist immer, die Leute zum Diskurs einzuladen und zu sagen: Man kann nicht sagen, es ist so oder es ist so, sondern man kann da differenziert zu stehen. Und wie seht ihr das denn? Und dann lasst uns doch mal miteinander diskutieren, um den Leuten einfach zu zeigen: Es ist nicht einfach alles schwarz oder weiß, sondern die Wahrheit liegt irgendwo auch dazwischen. Und das hilft auch gerade so Leuten, die auf irgendwas Bestimmtes fokussiert sind, dazu zu bringen, ein bisschen darüber nachzudenken und sich zu hinterfragen.
Ich würde der Wissenschaft raten, diskursfähig zu sein, noch diskursfähiger zu sein. Natürlich, wenn man dann lange an etwas geforscht hat, ist man völlig davon überzeugt, dass es stimmt. Und meistens ist es ja auch so, dass es stimmt. Aber trotzdem offen dafür zu sein, darüber zu diskutieren und sich auch einer Diskussion zu stellen, das ist das eine. Und das andere ist, ja, das berühmte „Raus aus der Filterblase“. Nicht jeder denkt in wissenschaftlichen Strukturen, und Leute interessieren sich vielleicht auch für die Themen, für die man sich beschäftigt, nur auf einer niederschwelligen Art. Ich erlebe das immer wieder in meinem journalistischen Beruf, dass ich mit Professoren zum Beispiel Interviews führe, und dann sprechen die unglaublich kompliziert und geben auf eine Frage eine fünfminütige Antwort. Dann sage ich: Ja, können Sie das vielleicht ein bisschen knapper zusammenfassen? Dann sagen die: Nee, dann haben meine Kollegen, die beschweren sich dann, dass ich was Falsches gesagt habe. Und diese Angst davor, wenn man es vereinfacht, dass es dann falsch wird oder dass dann die Kollegen irgendwas über einen denken, die lähmt, glaube ich, vieles, und die hindert auch viele daran, einfacher zu kommunizieren. Und ich finde: Das ist die Kunst, komplexe Zusammenhänge einfach rüberzubringen. Das Forschen, da habe ich Riesenrespekt vor den Wissenschaftlern, das ist auf jeden Fall deren Kerngebiet, aber deren Kerngebiet sollte es auch sein, die Forschung dann so herüberzubringen, dass sie auch Otto Normalverbraucher versteht und nicht nur jemand, der auch studiert hat.
Ich würde auch raten, einfach authentisch zu bleiben in der Vermittlung. Wir arbeiten zum Beispiel zusammen mit Harald Lesch, Astrophysiker, der auch viel im ZDF zu sehen ist. Wir produzieren zusammen mit ihm und dem ZDF einen YouTube-Kanal. Und es wäre völlig der falsche Ansatz gewesen, zu sagen: So, Harald, jetzt sprich mal so wie die jungen Leute sprechen! Weil das ist er nicht. Und durch seine Art, die er hat, und seine Art, Dinge zu erklären, folgt man ihm sehr gerne. Man hört ihm sehr gerne zu, und wenn er sich verbogen hätte, dann hätte man das nicht mehr gemacht. Und das würde ich auch anderen Forschern empfehlen: Zwar einfach zu sein, auf den Punkt zu sein, aber trotzdem man selbst noch zu sein. Weil sobald man sich verbiegt oder anbiedert vielleicht sogar, dann geht es in eine schwierige Richtung.