MINT-Fachkräfte · Zukunftsmission Bildung

„Ohne ausländische MINT-Bewerberinnen und -Bewerber wären wir aufgeschmissen“

Multiethnische Personengruppe auf Stühlen sitzend
Foto: Getty Images für Unsplash
©

Herr Baumann, bei welchen Stellen, die Sie besetzen müssen, bekommen Sie als Personalchef besonders tiefe Sorgenfalten?
Richtig schwer ist es, Stellen im Bereich der IT und im Ingenieurwesen zu besetzen. Aber wir stellen generell fest, dass die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber zurückgeht – und zwar extrem. Ich bin seit 2007 bei Linde in der Personalabteilung, und am Anfang konnten wir für eine freie Stelle aus 100 Bewerbungen auswählen. Heute sind wir teilweise froh, wenn wir 20 oder 30 Bewerbungen auf eine MINT-Stelle bekommen. Und von denen sind fast durchgängig 80 Prozent aus dem Ausland. Um es ganz klar zu sagen: Ohne diese ausländischen MINT-Bewerberinnen und -Bewerber wären wir aufgeschmissen.

Moment: Reden wir da von Bewerberinnen und Bewerbern aus dem Ausland oder von Ausländerinnen und Ausländern, die gerade in Deutschland ihr Studium beendet haben?
Bei uns gibt es beides, was sicherlich an der weltweiten Strahlkraft unserer Marke liegt. Deutschland hat bei den Ingenieurwissenschaften einen guten Ruf, Linde ist im Bereich Verfahrenstechnik weltweit bekannt – das ist natürlich einer der Vorteile, die wir bei der Suche nach Mitarbeitenden haben. 

Was sind die anderen Vorteile?
In unserer Hauptniederlassung in Pullach in der Nähe von München wird in allen Abteilungen fast ausschließlich Englisch gesprochen, weil die Kunden überwiegend aus dem Ausland stammen. Da ist ein Berufseinstieg für jemanden, dessen Muttersprache nicht Deutsch ist, natürlich einfacher. Und eine Großstadt wie München hat zusätzlich den Vorteil, dass es da mit der Integration einfacher ist als an ländlicheren Standorten. Ganz unabhängig davon unterstützen wir unsere neuen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nach Kräften beim Einleben.

Womit?
Ich erinnere mich an einen Fall, in dem wir eine überzeugende Bewerberin aus Südamerika hatten – und zwar für unseren Standort im Chiemgau, wo es sehr bayerisch zugeht. Um sie zu gewinnen, haben wir für ihren ebenfalls sehr gut ausgebildeten Mann auch eine Stelle bei uns im Haus gefunden. Das ist ein Beispiel von vielen. 
Generell sind wir sehr aktiv bei der Suche nach ausländischen MINT-Absolventinnen und -Absolventen von deutschen Hochschulen. Das fängt schon damit an, dass wir auf dem Karriereportal LinkedIn sehr aktiv sind. Und alle unsere Stellenanzeigen schreiben wir auf Englisch aus, wenn es nicht gerade eine der wenigen Stellen ist, für die deutsche Sprachkenntnisse die Voraussetzung sind. Wir haben Stände auf Karrieremessen an großen technischen Universitäten überall in Deutschland, um direkt ins Gespräch zu kommen und erste Fragen zu beantworten. Wir helfen beim Onboarding, vermitteln den Kontakt zu Mitarbeitenden aus dem gleichen Kulturkreis und bieten interkulturelle Trainings an – ganz nach dem Bedarf der jeweiligen Bewerberinnen und Bewerber.

 

Porträt Fabian Baumann - Linde
Fabian Baumann (Foto: privat)
©

Zur Person

Fabian Baumann ist Personalleiter bei Linde Engineering am Standort im bayerischen Schalchen. Er ist studierter Philosoph und seit 2007 in der Personalabteilung des Unternehmens tätig, das weltweit mehr als 70.000 Beschäftigte hat. Linde gehört zu den Unternehmen, die Anfang 2024 gemeinsam mit dem Stifterverband die Zukunftsmission Bildung gestartet haben und diese aktiv unterstützen.

„Ich erinnere mich an eine überzeugende Bewerberin aus Südamerika. Um sie zu gewinnen, haben wir für ihren ebenfalls sehr gut ausgebildeten Mann auch eine Stelle bei uns im Haus gefunden.“

Porträt Fabian Baumann - Linde
Fabian Baumann (Foto: privat)
©
Fabian Baumann
Linde Engineering

Visa-Beschaffung ist ein großes Thema

Womit konkurrieren Sie denn bei den ausländischen MINT-Absolventinnen und -Absolventen: mit anderen Unternehmen in Deutschland oder mit der Überlegung, wieder ins Heimatland zurückzukehren?
Alle, die bei uns in den Bewerbungsgesprächen sitzen, sagen ganz deutlich, dass sie ihre Zukunft in Deutschland sehen. Aber natürlich gibt es auch die Absolventinnen und -Absolventen, die wir gar nicht erst einladen, weil es ihnen offenkundig an Integrationswillen fehlt. Grundsätzlich sind wir davon überzeugt, dass Diversity und Inclusion – zwei Begriffe, die wir uns auf die Fahne geschrieben haben – uns als Firma weiterbringen. Und beide Begriffe gehören zusammen: Wir wollen nicht nur ein möglichst vielfältiges Team haben, sondern wollen alle Beteiligten auch einbinden und ihre Meinung hören.

Wie viele freie Stellen im MINT-Bereich haben Sie denn in Ihrem Unternehmen?
Im Moment reden wir von einer mittleren zweistelligen Zahl an freien Stellen – das ist für so ein großes Unternehmen wie unseres nicht viel, aber es ist trotzdem nicht einfach, sie zu besetzen.

Linde unterhält Standorte überall auf der Welt. Sind die Probleme mit MINT-Fachkräften anderswo ähnlich groß wie in Deutschland?
Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel aus Indien, wo wir einen größeren Standort unterhalten. Dort haben wir gerade erst in einem Schwung 50 weibliche Trainees eingestellt. Und ganz ehrlich: Ich wüsste nicht, was ich in Deutschland anstellen könnte, um so viele Stellen auf einmal zu besetzen.

Was würden Sie sich wünschen, damit der Eintritt von ausländischen MINT-Absolventinnen und -Absolventen in den Arbeitsmarkt besser gelingt?
Die Visa-Beschaffung ist immer wieder ein großes Thema. Selbst bei uns, wo allen Bewerberinnen und Bewerbern professionelle Hilfe zur Seite gestellt wird und ein guter Draht zur Agentur für Arbeit und zum Kreisverwaltungsreferat in München besteht, ist es unheimlich kompliziert und zeitaufwendig. Wenn jemand diese Unterstützung nicht hat, kann ich mir durchaus vorstellen, dass diese Person ab einem gewissen Punkt aufgibt und lieber in einem anderen Land arbeitet, wo es schlicht formal einfacher ist.

Logo der Zukunftsmission Bildung
Stifterverband
©

Allianz für MINT-Fachkräfte

Das Ziel: Ein Bildungssystem für eine Welt im Wandel zu gestalten, das schnell mehr Menschen mit den notwendigen Kompetenzen ausstattet. Dazu hat die Zukunftsmission im Sommer 2024 die Allianz für MINT-Fachkräfte ins Leben gerufen, die Linde als Förderpartner und mit Expertise unterstützt. Hier arbeiten Akteurinnen und Akteure aus Hochschulen, Unternehmen und der Zivilgesellschaft gemeinsam an einer zeitgemäßen MINT-Hochschulbildung, die mehr Studierende – auch Frauen und internationale Studierende – gewinnt und bis zum Arbeitsmarkteinstieg erfolgreich begleitet.

Für mehr Informationen bitte hier klicken
Tauchen Sie tiefer in unsere Insights-Themen ein.
Zu den Insights