Michael Kaschke, Präsident des Stifterverbandes, spricht mit Franz Fehrenbach, vormals Aufsichtsratsvorsitzender der Robert Bosch GmbH, über die Anstrengungen, die das Deutschland als Technologienation im Bereich der MINT-Bildung unternehmen muss. Die im Jahr 2005 gegründete Wissensfabrik leistet ihren Beitrag, indem sie bei Kindern und Jugendliche das Interesse für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik weckt und sie fördert. Inzwischen beteiligen sich 130 Unternehmen an der Initiative.
Ein Gespräch aus der Reihe "Die Gestalter"
Herr Fehrenbach, Sie haben ja schon als CEO von Bosch, später als Aufsichtsratsvorsitzender, ich kenne Sie auch noch aus der Zeit, als Sie in der Wissensfabrik im Lenkungskreis den Vorsitz hatten, Sie haben sich aus meiner Wahrnehmung immer mit dem Thema Bildung beschäftigt. Warum? Warum ist Ihnen das so ein persönliches Anliegen?
Ja, also, ich betrachte Bildung grundsätzlich als eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die wir haben als Gesellschaft, ohne dabei die Politik aus der Verantwortung zu entlassen. Aber ich denke beim Thema Bildung müssen viele Akteure zusammenwirken und an einem Strang ziehen. Und das war der Grund, warum ich mich eigentlich immer für Bildung engagiert habe. Dann kam zusätzlich natürlich noch als CEO und später Aufsichtsratsvorsitzender von einem Technologieunternehmen, da kommt der Schwerpunkt automatisch Richtung MINT-Bildung natürlich. Weil ohne eine gut ausgebildete Belegschaft haben Sie keine Chance als Technologieunternehmen, besonders in Deutschland nicht im Wettbewerb vorne zu stehen. Und deshalb war es ganz zwangsläufig, dass es ein erstes Thema war, Bildung und insbesondere die MINT-Bildung.
Was muss man in der jetzigen Situation aus Ihrer Sicht tun? Was wären so die Top-3-Prioritäten Ihrer Ansicht?
Also, wir müssen das Thema Lehrkräftemangel ganz oben auf die Agenda setzen. Und da müssen wir auch auf die Politik zugehen. Da müssen wir uns in der Wirtschaft, aber auch mit den Verbänden und mit den ganzen Aktivitäten, die es gibt, zusammenschließen und da gezielt nochmal auf die Politik zugehen und da nach neuen Lösungsansätzen suchen. Wir verlangen bei den Lehrkräften sogenanntes Zweifach. Wenn es so brennt in Informatik, dann müssen wir auf mehr Einfach-Zulassung gehen.
Und vielleicht muss man auch öffnen, dass man sagt, Leute aus der Industrie ...
Dass Quereinsteiger leicht reinkommen oder Ausländer, die diese Informatiklücke helfen zu schließen. Das ist das eine, also, Lehrkräftemangel ganz vorne. Das zweite ist: Wir haben ja nach wie vor ein Problem mit unseren Bildungsausgaben. Wir liegen unverändert unter dem OECD-Schnitt, unter 4,3 Prozent vom BIP.
Und das für ein Technologieland!
Ja, also auch da müssen wir viel lauter werden und sagen: Das geht doch nicht! Wir haben Militärausgaben, die wir nachholen müssen, aber wenn ich an die Zukunft denke, dann muss ich sagen, sind die Bildungsausgaben mit Sicherheit genauso wichtig. Im Gegenteil, wichtiger.
Benjamin Franklin zitiert: Was bringt die höchsten Zinsen? Bildung!
Das ist so, genau. Also, das wäre für mich der zweite Punkt. Wir haben einen Investitionsstau, der liegt ja nicht nur an der Ausrüstung der Schulen. Ich habe eine Statistik gelesen, dass noch im September 21, obwohl durch Corona ja ein Schub gekommen ist an Hardware in die Schulen, hatten 38 Prozent der Lehrkräfte noch keine vernünftige Internetanbindung. Und über 50 Prozent der Lehrer hatten noch keine Dienstgeräte. Das heißt, da ist nach wie vor großer, großer Mangel. Das wäre das zweite, und das dritte, der dritte Punkt ist: Wir müssen, das, was ich eingangs gesagt habe, viel klarer rüberbringen: Bildung ist ein gesamtgesellschaftliches Anliegen. Und wir brauchen da alle Akteure, die mitziehen und an einem Strang ziehen. Und da müssen wir auch nochmal eine richtige Kampagne lostreten, um dieses Bewusstsein stärker zu machen.
Muss da noch auch die Politik offener werden und sagen: Wenn wir alle Akteure brauchen, anders geht's ja gar nicht, anders sind die Themen gar nicht kurzfristig zu lösen, muss man sich da nicht auch öffnen, flexibler werden im Denken? Wenn ich mir überlege: Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Schulpolitik das Experimentierfeld von 16 Bundesländern ist, und jeder experimentiert da so ein bisschen. Muss man da nicht einfach von der Politik sagen: Wir brauchen ein bestimmtes Ziel, so wie wir jetzt Klimaziele vorgeben, brauchen wir auch klare Ziele für die Bildung. Das sehe ich aber nicht!
Wissen Sie, im Koalitionsvertrag, da steht ja drin, das sogenannte Kooperationsgebot. Das ist wunderbar formuliert. Aber ich habe keine Wirkung gesehen.
In der Realität sieht man nichts.
Das heißt, wir müssen zwingen, dass da was passiert. Es gibt ja viele Stiftungen und auch Verbände, Sie als Stifterverband sind ja extrem aktiv, die immer wieder fordern, dass was passiert. Ob's einen Bildungsgipfel, ob es einen Nationalen Bildungsrat gibt, das wird in der Regel so lange diskutiert und kleingeredet, bis es verschwindet.
Im Kleinklein der einzelnen Länder ...
Und dann passiert wieder nichts. Wir dürfen das nicht mehr zulassen.
Man hat ja manchmal so den Eindruck, dass, jetzt bin ich ein bisschen spitz, Bildungspolitik ist nicht unbedingt ein Gebiet, womit man sich als Politiker profilieren kann. Das ist eher ein Gebiet, wo man vielleicht Federn lässt. Sie haben ja dafür plädiert, wir müssen das Ganze noch etwas nach oben eskalieren in der Wahrnehmung.
Also, da würde ich voll mitgehen, wobei ich manchmal zögere, man kann nicht alles zur Chefsache machen.
Deswegen sage ich ja auch: Man kann nicht alles zur Chefsache machen.
Sie waren auch mal CEO, und innerhalb des Betriebs heißt es auch: Muss der CEO sich kümmern. Geht nicht. Aber was ich mir wünschen würde beispielsweise: Deutschland, in den Sozialausgaben sind wir seit 1990, ich glaube, von 24 Prozent vom BIP jetzt auf 33 gestiegen ...
Deutlich gestiegen, ja.
Und wir haben einen so agilen und aktiven und engagierten Arbeitsminister, dem fallen noch immer wieder weitere Sachen ein. Sowas Ähnliches wünsche ich mir auf dem Gebiet der Bildung. Oder wenn ich sehe, wie die Politiker, die Parlamentarier das Thema Fachkräftezuwanderungsgesetz und Zuwanderung diskutieren, da wünschte ich mir wirklich so eine heftige Diskussion in der Bildung. Und das fehlt uns. Wir brauchen Zugpferde da an der Stelle.
Das war aber mein Punkt.
Ich sehe die auf der politischen Seite gerade nicht.
Das war mein Punkt.
Ich bedauere das Fehlen einer Anstrengungskultur, dass wir uns wirklich anstrengen, in Bildung besser zu werden. Wenn man in asiatische Länder schaut, in skandinavische Länder, da gehen die Kinder am Samstag nochmal in besondere Förderfächer, am Nachmittag in besondere Förderkurse. Ich vermisse diese Anstrengungskultur bei uns. Sehen Sie das auch so oder ist das meine persönliche Wahrnehmung?
Nee, nee, ich mag diesen Begriff sehr, Anstrengungskultur, aber gleichzeitig müssen wir uns bewusst sein, ein hochsensibles Thema.
Absolut.
Also, da werden Sie ganz schnell in eine Ecke gestellt. Sie kennen das bestimmt vom KIT. Weil auf der anderen Seite haben wir so viele junge, engagierte Mitarbeiter und auch Sie Studenten, die hervorragend sind und die sich einbringen. Aber es gelingt uns nicht, die Breite in die Bewegung zu bringen.
Wenn man da im IT-Bereich, was Sie erwähnt hatten, die OECD-Erhebung anschaut, dann sieht man, dass sie in den letzten Jahren, ich will gar nicht von Singapur oder Korea reden, wo es ja auch Auswüchse gibt, aber gerade im europäischen Raum belegen wir ja jetzt einen hinteren Platz. Und ich finde, dieses sich Anstrengen, dass wir unseren Platz als deutsche Nation, als deutsche Industrienation, als Technologienation behalten, das ist doch eine Anstrengung wert.
Also, ich bin voll bei Ihnen, Herr Kaschke, aber mein Eindruck ist, dass diese Anstrengung bei der Politik gar nicht ankommt. Haben Sie irgendwelche politischen Stimmen gehört, die entsetzt sind über unser Ranking, wo wir stehen? Dass Finnland und Estland weit voraus sind. Reden wir mal gar nicht von den vier chinesischen Provinzen, die die Rangreihe anführen. Aber wir können Singapur nehmen, wir können so viele Länder nehmen, aber es führt zu keiner Reaktion. Da bin ich wirklich manchmal baff.
Warum haben wir damals 2005 die Wissensfabrik gegründet? Sie kam ja aus der Mitte der Wirtschaft. Und wir in der Industrie, ein paar Kollegen, haben gesagt: Wir können nur nicht immer sagen, was gemacht werden sollte von der Politik, sondern wir müssen eigeninitiativ werden. Und deshalb haben wir dann 2005 mit neun Unternehmen diese Wissensfabrik gegründet. Gleichzeitig gab es eine Boston-Consulting-Studie, die zum ersten Mal ganz deutlich machte, wie wichtig die frühkindliche Bildung ist. Und das haben wir beides aufgegriffen und haben dann gesagt: Wir müssen schon in der Kita anfangen, bei den Kindern Interesse zu wecken, Orientierung zu geben. Und dann sukzessive von der Kita eigentlich über die ganzen Schulstufen hinweg das Interessen an Technik, Naturwissenschaften und Mathematik und Informatik wach halten. Das war der Grund für die Wissensfabrik. Mit neun Unternehmen sind wir gestartet, heute sind wir rund 130.