Volker Meyer-Guckel, Generalsekretär des Stifterverbandes, spricht mit Sabine Doff, stellvertretende Direktorin am Zentrum für Lehrer/-innenbildung und Bildungsforschung der Universität Bremen, über die Perspektiven der Lehrkräftebildung in Deutschland. Dem eklatanten Mangel an Lehrpersonal müsse politisch entgegengesteuert werden. Digitalisierung biete eine Chance, Bildungsprozesse zu modernisieren - aber dabei sei es wichtig, dass nur die profitieren, die sowieso schon Gewinner im System sind. Mit der Zukunftswerkstatt Lehrkräftebildung setzt der Stifterverband einen Impuls, um alle Akteure zusammenzubringen und an den Herausforderungen zu arbeiten.
Ein Gespräch aus der Reihe "Die Gestalter"
Sie haben ja einen tollen Job, Frau Doff. Sie sind Anglistin, Sie sind Bildungsforscherin, Sie sind Fachdidaktikerin, und Sie bilden Lehrkräfte aus. Sie waren lange Zeit Direktorin des Zentrums für Lehrkräftebildung in Bremen. Was machen Sie lieber, über Bildung zu forschen oder Lehrer und Lehrerinnen auszubilden?
Ich würde sagen: Beides zusammen.
Hat sich da was verändert in Quantität, in Qualität der Kandidaten und Kandidatinnen? Was können Sie da beschreiben?
Wir haben auf jeden Fall zu wenig, das kann man festhalten. Also, das sieht man ja an allen Ecken und Enden. Das war zum Beispiel vor 10, 15 Jahren noch nicht so massiv. Jetzt ist es eklatant, in allen Feldern, muss man nicht genauer ausführen.
Bleiben wir mal bei den Zahlen: Glauben Sie, das ist ein vorübergehendes Phänomen oder können wir das wieder steigern?
Das eine Frage bildungspolitischer Steuerung, also Governance. Wie wird das eingesteuert? Und es ist für mich, ehrlich gesagt, ein Mysterium: Wir wissen ja heute, wieviele Kinder in sechs Jahren eingeschult werden. Dann kann man was obendrauf legen prozentual, wenn wir noch Migrationsbewegungen haben sollten. Wissen wir ja auch aus den letzten Jahrzehnten, wie hoch die ungefähr sind. Die legt man obendrauf. Und dann weiß man, wieviele Kinder eingeschult werden. Man könnte das einsteuern, wenn man dem eine entsprechende Priorität einräumt.
Vielleicht müssten wir lernen, auch andere Menschen in dieses System Schule so zu integrieren, dass nicht eine Lehrkraft alle Jobs macht, sondern wir genauer hinschauen bei diesen großen Paletten sozusagen von Bedarfen: Wer macht eigentlich was? Also, muss die Lehrkraft die Englisch-Gruppe betreuen, die sich auf den Bundeswettbewerb Fremdsprachen vorbereitet? Nein, das kann auch jemand anderes!
Also, Stichwort Multiprofessionalität.
Genau, ja, und das können unsere Studierenden zum Beispiel heute, das können die super. Da würde ich sagen, das ist ein großer Paradigmenwechsel in der Klientel, das sind Teamplayer.
Was würden Sie vielleicht einschätzen, was fehlt vielleicht noch an der heutigen Lehrkräfteausbildung, wo man in Zukunft vielleicht ein bisschen nachlegen müsste, auch inhaltlich?
Ich glaube, das es gerade in Zeiten wie der, in der wir leben, sehr darauf ankommt, was für eine Haltung Lehrkräfte mitbringen. Das heißt, auch Haltung zu Herausforderungen, die wir heute noch gar nicht kennen. Also, die Idee: Wir bereiten sie vor, wir geben ihnen so ein Kochbuch mit und sagen: Hier, guck mal! Und jedesmal, wenn du ein Rezept brauchst, guckst du rein, ja? Das hat meines Erachtens noch nie gestimmt, aber noch nie so wenig wie jetzt.
Stichwort Modell: Sie haben ja ein besonderes Modell entwickelt, wo sozusagen der Schulalltag in eine Promotionsphase integriert wird, also die Bildungsforschung, die Sie ja auch verkörpern, und die Ausbildung selbst sozusagen integriert sind. Mit Unterstützung des Stifterverbandes, soweit ich mich erinnere. Was ist das Besondere an diesem Modell gewesen? Es ist ja immer noch einzigartig in Deutschland.
Es wird jetzt kopiert. In diesen Forschungsarbeiten, fachdidaktische Arbeiten sind es, haben wir uns sehr stark orientiert daran, was Schule braucht. Also, das ist Forschung, die löst ein Problem, idealerweise, oder eine Herausforderung. Das wird nicht von allen gleich gesehen, dass das wirklich hochwertigste Forschung ist, weil die ist sehr abnehmerorientiert. Und um abnehmerorientiert zu sein, muss man ja am Abnehmer dran sein. Wann sind das junge, aufstrebende Lehrkräfte? Im Referendariat das erste Mal, das heißt, wir haben diese zweite Phase der Ausbildung in so einem Sandwich-Verfahren integriert in zwei Forschungsphasen. In der ersten Forschungsphase wird die Arbeit vorbereitet. Im Referendariat werden die Daten erhoben. Und in der dritten Phase wird die Forschungsarbeit idealerweise abgeschlossen.
Also, man könnte praktisch sagen, es ist eine Art duale Promotion mit einem Praxisteil und einem Forschungsteil, der integriert ist.
Ja, genau. In Bremen ist das ungeheuer wirksam, weil Bremen so klein ist. Also, da können Sie mit Kohortengrößen von acht schon viel mehr bewirken als in einem Flächenland zum Beispiel. Uns wird immer gesagt: Ja, wirkt das? Ja! Weil acht Lehrkräfte mal zwei mal drei ist viel in so einem kleinen Bundesland.
Wir haben jetzt gerade die IGLU-Studie gesehen. Ein Viertel der Grundschulabsolventinnen und -absolventen können nicht mal die basalen Fähigkeiten beim Rechnen, Lesen und Schreiben.
Ja, das ist ein Viertel im Durchschnitt. Das heißt, wir müssen uns nichts vormachen. Es gibt Klassenzimmer, und in Bremen sind die häufiger als an anderen Orten, vor allem in Stadtstaaten sind sie häufiger ...
Mit hohem Migrationsanteil.
Jawohl. Das heißt, wir wissen es schon. Also, einen Ansatzpunkt haben wir schon. Ich vermisse immer noch den Aufschrei dazu.
Welche Chancen hat man eigentlich in einem Ganztagsschulmodell? Und die zweite Frage: Nutzen wir diese Chancen schon hinreichend?
Nein. Also, an vielen Stellen ist es faktisch immer noch gar nicht möglich, ein Ganztag, immer noch nicht. Und wenn, dann kann von einem Konzept dahinter kaum die Rede sein. Dann werden nämlich weiterhin Kinder bevorteilt, die auf schlechte Ganztagsangebote verzichten können. Und welche Kinder sind das?
Weil sie zuhause Förderung bekommen.
Ja genau.
Jetzt machen wir mal ein Ende, sonst kommen wir gar nicht mehr da rein ...
Wir sind hier in einem Druckgrafikatelier. Apropos Lernen und Raum. Welche Rolle spielen Räume im Lehrerdasein, im Lehrerinnendasein?
Natürlich wie wahrscheinlich in jedem professionellen Dasein eine sehr wichtige, in unserem Fall, das wissen wir spätestens seit Corona für die Jetztzeit, ist Schule natürlich ein ganz maßgeblicher Raum, in dem nicht nur gelernt und gelehrt wird, sondern eben auch soziale Interaktion wesentlich stattfindet.
Stichwort Digitalisierung. Welche Rolle spielt die in Bildungsprozessen und konkret auch in der Schule?
Man kann sicher sagen: Es wird nicht unwichtiger, die Digitalisierung, auch für Schule, für Lernen und Bildungsprozesse. Ich nehme das so wahr, dass durch Corona ein großer Schub entstanden ist in einem System, das sehr bewahrend ist ansonsten. Also, da hat sich sehr schnell, also verhältnismäßig schnell viel getan. Hinter diesen Stand wird es nicht zurückfallen. Wenn von der Digitalisierung nur die profitieren, die sowieso schon Gewinner sind im System, dann wird es gefährlich. Wenn man es schafft, dadurch Bildungschancen einander anzunähern, sagen wir es mal so, dann hat man sehr viel, also, das meiste aus der Digitalisierung gewonnen für Bildungsprozesse, würde ich sagen.
Sie haben, glaube ich, sich selber einmal angeschaut, welche Bilder so vermittelt werden auch in Filmen, im Fernsehen. Wie würden Sie das einschätzen?
Jetzt zuletzt, ah, habe ich nochmal nachgeguckt: "Frau Müller muss weg". Der Titel ist Programm. Frau Müller muss weg! Jetzt zuletzt: "Das Lehrerzimmer". Da scheitert eine sehr junge, hochmotivierte Mathematik- und Sportlehrerin nicht an den Schülern dieses Mal und auch nicht an den Eltern, sondern am Lehrerzimmer. Der denkwürdige Satz in diesem Film ist - also, der beschäftigt mich, seitdem ich ihn gehört habe: "Was im Lehrerzimmer passiert, bleibt im Lehrerzimmer." Das letzte wirklich positive Bild und auch das einzige, was in der medialen Darstellung zu Lehrkräften mich nachhaltig geprägt hat, aber das ist, glaube ich, 80er Jahre, ist: "Der Club der toten Dichter". "Dead Poets Society". Kein deutscher Film. Warum nicht? Also, ich hätte total Lust, zum Beispiel mit dem Stifterverband zusammen mal ein Filmprojekt zu machen: Die Lehrerin, die mein Leben veränderte. Welchen positiven Unterschied hat eine Lehrkraft für dich gemacht in deinem Leben? Das würde ich gerne mal machen. So ein Film fehlt noch.
Wir haben jetzt eine Zukunftswerkstatt Lehrerbildung, wo wir alle, die irgendwie beteiligt sind in der Lehrerausbildung, im Referendariat, die Lehrerprofession selbst und die Politik zusammenholen wollen, um darüber nachzudenken, wie wir die Probleme und die Herausforderungen lösen. Was kann man als Förderorganisation, als Organisation, die Menschen zusammenbringt, noch machen?
Ich glaube tatsächlich, dass man gerade in solchen Formaten wie der Zukunftswerkstatt, die so angelegt ist, wie Sie es beschrieben haben, einen großen Gewinn erzielen würde, wenn man sich Modelle anguckt, die schon funktionieren. Und dass man den Fokus darauf legt, wie man das und was davon in die Breite bringen kann. Aber ich glaube schon, dass man lernen kann aus Projekten, aus Initiativen in der Lehrkräftebildung, die schon positiv wirken. Und das, glaube ich, könnte man sich gerade in so Formaten wie dem, was Sie jetzt beschreiben, das neu ist im Stifterverband, angucken und darüber gemeinsam nachdenken, wie so etwas phasenübergreifend und zum Beispiel auch gerade in der Fort- und Weiterbildung bei Lehrkräften, in dieser langen dritten Phase, 35 Jahre, wie das dorthin sozusagen auch gelangt.
Vielen Dank für die Anregung. Ich glaube, wir werden im nächsten Jahr einiges aufgreifen von dem, was Sie angedeutet haben. Wir werden weniger jetzt in die Projektförderung selbst als Kleinstprojektförderer reingehen, sondern zu der Frage: Wie kann man eigentlich Transfer, wie kann man Skalierung betreiben?