Ulf-Daniel Ehlers: An den Bruchstellen der Hochschullehre
Sollen Studierende in einer Lehrveranstaltung die Smartphones ausschalten? Fragen wie diese werden zurzeit an vielen Hochschulen kontrovers diskutiert.
Hochschullehre weist regelmäßig blinde Flecken, tote Winkel und Leerstellen auf, die Lernende sich selbst erarbeiten – oder auch nicht. Zugleich wird vieles nicht gelehrt und gelernt, wofür in unserer (zukünftigen) Welt jedoch (großer) Bedarf besteht. Um die Frage, wie Lehrinnovationen dieses Manko beseitigen können, ging es bei der 8. Lehr-/Lernkonferenz am 24. Oktober 2019 in Berlin. Die Baden-Württemberg Stiftung und der Stifterverband hatten dazu im Rahmen des Programms "Fellowships für Innovationen in der Hochschullehre" eingeladen.
Mit Statements von:
Mandy Singer-Brodowski, Institut Futur, Freie Universität Berlin
André Baier, Fachgebiet Konstruktion von Maschinensystemen, Blue Engineering, TU Berlin
Tobias Raupach, Oberarzt, Leiter des Bereichs Medizindidaktik und Ausbildungsforschung, Universitätsmedizin Göttingen
Claudia Bornemeyer, Prorektorin Qualität in der Lehre, IUBH Internationale Hochschule Bad Honnef
Peter Riegler, Ars legendi-Preisträger 2019, Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften
Mehr Info zur Lehr-/Lernkonferenz
Der YouTube-Kanal des Stifterverbandes:
Die Zukunftsmacher und ihre Visionen für Bildung und Ausbildung, Forschung und Technik
Autor: Timur Diehn
Produktion: Webclip Medien Berlin
für den YouTube-Kanal des Stifterverbandes
(André Baier)
Wie möchte ich Lehre quasi jetzt nochmal auf der grünen Wiese anfangen neu zu gestalten?
(Claudia Bornemeyer)
Die Zufriedenheit mit dem, was man tut, treibt einen an und natürlich die Verantwortung für die Studenten, die vor einem sitzen, dass man ihnen das mitgibt, was für das spätere Berufsleben wichtig ist.
(Mandy Singer-Brodowski)
Der Druck steigt auf die Studierenden, auch der gefühlte Erwartungsdruck, aber auch das, finde ich, kann in der Lehre thematisiert werden. Und ich finde, da ist eine hohe Kompetenz zur Selbstreflexion bei den Lehrenden auch notwendig.
(Peter Riegler)
Wir können jetzt nicht nur sagen: Macht nur Lehrinnovationen, damit das Bewährte sich durchsetzt, weil die Experimente schaffen sozusagen neue Mutationen und bringen neue Erkenntnisse ins System. Aber wir müssen aufpassen, dass nicht nur alles ein Lehrexperiment ist.
(Mandy Singer-Brodowski)
Die Studierenden müssen sich selber auf den Weg machen, eigenständig Probleme zu lösen, und damit werden sie auch die Rolle der Lehrenden ganz stark verändern. Die sind nämlich nicht nur Fachexpertinnen, sondern sie sind auch Lernbegleiterinnen, Coaches für ein eher problembasiertes, selbstorganisiertes Lernen der Studierenden, die sich selbst auf den Weg machen.
(André Baier)
Welche Wünsche bringen sie mit ein? Welche Themen bringen sie mit ein? Welche Inhalte interessieren sie und dann sie dann zu bestärken? Ich teile diese Skepsis von Lehrenden, die sagen: Ja, man weiß nicht, was am Ende dabei herauskommt. Ich sehe das auch, aber wir wollen ja Studierende dazu befähigen, wirklich gesellschaftlich auch handeln zu können. Und dadurch muss ich denen ja die Möglichkeit geben, sich einfach mal auszuprobieren. Und auch gar nicht direkt mit so einer Bewertungsperspektive - ah, ich brauche jetzt eine 1,0, sondern auch wirklich mal die Chance haben: Ich probiere jetzt einfach mal aus, auf was ich Bock habe.
(Tobias Raupach)
Wenn ich am Ende eines Kurses eine summative, also benotete Prüfung abhalte, dann werden die Studierenden vor allem das lernen, von dem sie wissen, dass es hier geprüft wird. Ich habe also als Lehrender einerseits eine gewisse Macht, weil ich über die Prüfung entscheiden kann, was die Studierenden präferenziell lernen. Ich kann aber auch viele Fehler machen, wenn ich nämlich Fehlanreize setze durch die Prüfung, durch das Format der Prüfung, durch die Inhalte der Prüfung. Dann "dressiere" ich die Studierenden auf etwas, was vielleicht gar nicht gut ist. Und sich das bewusst zu machen, halte ich für eine ganz wichtige Aufgabe für Lehrende.
(Mandy Singer-Brodowski)
Es ist ganz wichtig, die verschiedenen Formate von Lehre gut zu differenzieren. Ich kann forschungsorientiertes, forschendes Lehren anbieten. Ich kann aber auch projektorientiertes Lernen anbieten, indem Studierende stärker in gesellschaftliche Problemfelder hineingehen und sich aktiv engagieren. Ich glaube, wichtig für eine Erwartungshaltung der Studierenden und auch für eine Klärung der eigenen Lehrendenrolle ist es, genau zu differenzieren, welches Konzept verwende ich eigentlich. Und wenn ich das sozusagen mit verschiedenen anderen Formaten wie virtuelles Lernen, Online-Formate, MOOCs usw. koppele, auch da ist es wichtig zu differenzieren und zu spezifizieren: Was ist eigentlich das Ziel der Lehrveranstaltung?
(Claudia Bornemeyer)
Im Prinzip müsste man es umdrehen, die Wissensvermittlung soweit möglich auslagern eben im Hinblick auf: Guckt euch MOOC XY an oder durchaus auch eigenproduziertes Material, dass man sagt: Es gibt hier verfilmt im Sinne von Videos folgende Inhalte, guckt euch das an, kommt zur Vorlesung! Und dann ist die Vorlesung eben wirklich erst einmal Frage-Antwort-Session im Sinne von: Was habt ihr verstanden? Was habt ihr nicht verstanden? Dass man es dann nochmal erklärt, und dann im nächsten Schritt die Anwendung.
(André Baier)
Was Teilnehmende bei mir machen, ist, dass wir wirklich rausgehen, Sachen machen, dass sie intervenieren in Gesellschaft, dass sie den Campus aktiv verändern. Und immer wieder bilden sich dann auch Gruppen, die dauerhaft auch zusammenbleiben, und das sind halt Netzwerke, die sich bilden, weil die Leute, glaube ich, das erste Mal in ihrem Leben gesehen haben, dass sie handelnde Personen sind. Und das ist halt, was wir an Universitäten nie irgendwie direkt vermitteln. Wenn ich in ein Labor reingehe, dann ist es halt eine absolut kontrollierte Umgebung, wo gesagt wird: Mach das das das das das, und dann kommt am besten noch das raus, und dann musst du noch das Protokoll schreiben, und dann kriegst du eine 1,0. Aber was ich ja biete, ist gar nicht diese Laborbedingungen, sondern: Hier, guckt aus dem Fenster raus, guckt in den Klassenraum rein, was passiert da und was willst du eigentlich anders machen? Wo siehst du Sachen, die du gerne ändern wollen würdest? Und dann probier dich mal aus, wie es ist, halt mal gesellschaftlich zu handeln!
(Peter Riegler)
Es gibt eine Handvoll oder vielleicht auch zehn solcher Lehrinnovationen, die sich unabhängig vom Ort, unabhängig vom kulturellen Kontext, unabhängig von, ob das jetzt Bachelorstudium oder Masterstudium ist, als äußerst wirksam erwiesen haben. Abstrakt ist denen vieles gemeinsam, nämlich immer wieder dass in der Lehre geschaut wird: Wo sind Schwierigkeiten der Studierenden? Leerstellen im gewissen Sinne. Wo haben Studierende Schwierigkeiten, den Stoff zu verstehen? Und dann gibt es einige Methoden, die das umsetzen, also im MINT-Bereich ist das Peer Instruction, Just-in-time Teaching, Teambased Learning, Scale up, you name it! Also, da gibt es wirklich einige, die global auf dem Weg sind, sich durchzusetzen im Sinne auch von einer Innovation.