Meinung

außerschulisches Lernen · Zukunftsmission Bildung

Kooperation statt Überforderung

Junge Menschen in einer Workshop-Situation
Foto: unsplash+
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Disziplin, Toleranz, Selbstbewusstsein, gesunde Ernährung, gutes Benehmen, Umgang mit Geld: Das ist eine ganz unvollständige Liste der Dinge, die deutsche Schulen laut deutschen Eltern ganz oben auf den Lehrplan setzen sollten. Man könnte vieles davon zusammenfassen unter der Überschrift: allgemeine Lebensbewältigungskompetenzen. Und tatsächlich soll Schule heute die Verantwortung für vieles übernehmen, was früher in der Familie vermittelt wurde oder in einem weiteren Sinne von Kirchen, Vereinen und Jugendorganisationen. 

Diese Erwartungshaltung ist ein Problem. Denn Schule kann kein Reparaturbetrieb sein. Sie kann allein nicht heilen, was in der Gesellschaft kaputt gemacht oder versäumt wird.

Zum Beispiel die Bildungsgerechtigkeit: Sozialer Hintergrund und Bildungserfolg sind in Deutschland so deutlich miteinander verknüpft wie in kaum einem anderen Land. Die Ursachen dafür liegen weit vor der Schule. Ein Indiz dafür, wie stabil dieser Zusammenhang ist: Je höher der allgemeinbildende oder berufliche Abschluss der Eltern, desto geringer ist der Anteil ihrer Kinder an Hauptschulen – und desto höher der Anteil an Gymnasien.

Für viele Kinder sind die entscheidenden Weichen schon vor der Grundschule gestellt, weil sie mit massiv ungleichen Startvoraussetzungen ins Bildungssystem eintreten. Denn auch bei der Förderung junger Menschen greift das Grundprinzip der Ungerechtigkeit: Wer hat, dem wird gegeben. Das inakzeptable Ergebnis: In Deutschland sind die Talente über alle Schichten gleich verteilt, aber ganz sicher nicht die Chancen.

Mit anderen Worten: Bildungsungleichheit entsteht zuallererst nicht im Klassenraum, sondern vorher und nebenher, im Kontext von Familie und sozialem Umfeld. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings groß, dass sie sich zu Ungunsten von Kindern aus Familien mit geringerem Ausbildungsniveau während der Schulzeit intensiviert. Das bedeutet: In Bildungssystem werden Ungleichheiten nicht beseitigt, sondern im Wesentlichen fortgeschrieben.

Elke Völmicke (Foto: Nina Senger-Mertens/Bildung & Begabung)

„Schule kann kein Reparaturbetrieb sein. Sie kann allein nicht heilen, was in der Gesellschaft kaputt gemacht oder versäumt wird.“

Elke Völmicke
Allianz-Verantwortliche des Stifterverbandes

Bildungsstudien zeigen, dass Schule in Kernfächern wie Mathematik und Deutsch immer weniger jungen Menschen die Mindestkompetenzen vermittelt, um die festgelegten Bildungsstandards zu erreichen. Ebenso scheint die gezielte Förderung der Leistungsspitze nicht zu wirken, zumindest bleiben Zuwächse in den höheren Kompetenzstufen dauerhaft aus.

Das Schulsystem kann auf die unweigerliche Bildungsungleichheit unter den Schülerinnen und Schülern also erkennbar nicht mit dem Maß an individueller Förderung reagieren, das nötig wäre, um herkunftsbedingte Bildungsarmut zu verringern. Aber das eigentliche Problem liegt nicht in diesem Unvermögen oder einem irgendwie defizitären Schulbetrieb, sondern in einer fehlgeleiteten Erwartungshaltung.

Denn schon die Grundannahme ist falsch, dass Schulen ganz allein die Verantwortung dafür tragen könnten – oder sollten! –, unseren Kindern eine optimale Entwicklung auf Basis ihrer jeweiligen Möglichkeiten zu ermöglichen. Das Gegenteil ist der Fall: Sie dürfen damit nicht länger allein gelassen werden. Um Kompetenzarmut zu verringern, individuelle Bildungspotenziale zu fördern und das Leistungsniveau insgesamt anzuheben, ist eine intensive und systemisch angelegte Kooperation von Schule und außerschulischen Bildungsanbietern unerlässlich. 

Förderangebote von Unternehmen und Zivilgesellschaft setzen gezielt an zentralen Herausforderungen an, bei denen Schulen allein scheitern müssen: bei der Chancengerechtigkeit und der Persönlichkeitsförderung, bei der Berufsvorbereitung und der Demokratiebildung, bei der Vermittlung von Zukunftskompetenzen – und insbesondere auch im MINT-Bereich. Die Wirksamkeit dieser Angebote und ist vielfach belegt.

Bislang basiert die Einbindung außerschulischer Förderung in den Lernprozess von Schülerinnen und Schülern in aller Regel primär auf dem Engagement einzelner Lehrender. Eine institutionelle Verankerung des Kooperationsgeschehens in der Schule gibt es schon seltener. Insofern ist es oft schlicht ein Zufallsprodukt, ob und mit welchem Ziel eine Schule kooperiert und ob ein Kind überhaupt ein Angebot erhält, ein vertiefendes oder ergänzendes Förderangebot wahrzunehmen.

Um die lernförderlichen Möglichkeiten außerschulischer Bildungsangebote verlässlich für alle Jugendlichen zu erschließen, muss die Kooperation von Schulen mit außerschulischen Bildungsakteuren künftig in allen Bildungsbereichen von der Grundschule bis zum Übergang in Ausbildung oder Studium systemisch verzahnt und durch stabile Rahmenbedingungen miteinander verbunden werden. Darum geht es in der Allianz für Schule Plus. 

Dafür muss eine ganze Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein, darunter beispielhaft:

  • Etablierung von Kooperation als zentralen Baustein der Qualitätsentwicklung von Schulen,
  • Qualifizierung von Kooperationsberaterinnen und Kooperationsberatern in Schule und Schulaufsichtsbehörden,
  • Aufbau einer nachhaltigen Vernetzungsstruktur zwischen Schulen und qualitätsgesicherten außerschulischen Bildungsanbietern,
  • Regelmäßiges, wissenschaftlich fundiertes Monitoring, um zu untersuchen, unter welchen Bedingungen Kooperationen erfolgreich und wirkungsvoll sind.
Logo der Zukunftsmission Bildung
Stifterverband
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Allianz für Schule plus

Deutschlands Schülerinnen und Schüler fallen im internationalen Vergleich zurück. Ein wichtiger Baustein, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, sind außerschulische Initiativen. Sie bieten die Chance, die Leistungsspitze zu fördern, die Bildungsgerechtigkeit zu verbessern, bei der Berufsorientierung zu unterstützen und MINT-Kompetenzen und Demokratie­verständnis zu stärken. Ziel der Allianz ist es deshalb, sie nachhaltig und flächendeckend im Schulsystem wirksam werden zu lassen - als zentralen Bestandteil eines übergreifenden Bildungsraums: von der Schule zu Schule Plus. 

Die Allianz startet am 11. Februar 2025.

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Der Stifterverband und seine Allianzpartner setzen sich dafür ein, die notwendigen Rahmenbedingungen für erfolgreiche Kooperationen zu schaffen, um Schulen einen einfachen Zugang zu passenden Angeboten zu ermöglichen und innovative Förderformate skalieren zu können – damit noch mehr Schülerinnen und Schüler bestmöglich gefördert werden. Gemeinsam holen wir den Bildungsauftrag für unsere Kinder aus der Alleinverantwortung der Schulen dorthin zurück, wo er hingehört: in die Mitte der Gesellschaft.

Die Autoren

Elke Völmicke ist Geschäftsführerin von Bildung & Begabung, der zentralen Anlaufstelle für Talentförderung in Deutschland, und ist beim Stifterverband verantwortlich für die Allianz für Schule Plus. 

Moritz Kralemann leitet den Bereich Kommunikation und Strategie bei Bildung & Begabung.

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