Disziplin, Toleranz, Selbstbewusstsein, gesunde Ernährung, gutes Benehmen, Umgang mit Geld: Das ist eine ganz unvollständige Liste der Dinge, die deutsche Schulen laut deutschen Eltern ganz oben auf den Lehrplan setzen sollten. Man könnte vieles davon zusammenfassen unter der Überschrift: allgemeine Lebensbewältigungskompetenzen. Und tatsächlich soll Schule heute die Verantwortung für vieles übernehmen, was früher in der Familie vermittelt wurde oder in einem weiteren Sinne von Kirchen, Vereinen und Jugendorganisationen.
Diese Erwartungshaltung ist ein Problem. Denn Schule kann kein Reparaturbetrieb sein. Sie kann allein nicht heilen, was in der Gesellschaft kaputt gemacht oder versäumt wird.
Zum Beispiel die Bildungsgerechtigkeit: Sozialer Hintergrund und Bildungserfolg sind in Deutschland so deutlich miteinander verknüpft wie in kaum einem anderen Land. Die Ursachen dafür liegen weit vor der Schule. Ein Indiz dafür, wie stabil dieser Zusammenhang ist: Je höher der allgemeinbildende oder berufliche Abschluss der Eltern, desto geringer ist der Anteil ihrer Kinder an Hauptschulen – und desto höher der Anteil an Gymnasien.
Für viele Kinder sind die entscheidenden Weichen schon vor der Grundschule gestellt, weil sie mit massiv ungleichen Startvoraussetzungen ins Bildungssystem eintreten. Denn auch bei der Förderung junger Menschen greift das Grundprinzip der Ungerechtigkeit: Wer hat, dem wird gegeben. Das inakzeptable Ergebnis: In Deutschland sind die Talente über alle Schichten gleich verteilt, aber ganz sicher nicht die Chancen.
Mit anderen Worten: Bildungsungleichheit entsteht zuallererst nicht im Klassenraum, sondern vorher und nebenher, im Kontext von Familie und sozialem Umfeld. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings groß, dass sie sich zu Ungunsten von Kindern aus Familien mit geringerem Ausbildungsniveau während der Schulzeit intensiviert. Das bedeutet: In Bildungssystem werden Ungleichheiten nicht beseitigt, sondern im Wesentlichen fortgeschrieben.