Innovationssystem

Wege aus der Bürokratiefalle

Bürokratie (Symbolbild)
Bürokratie (Symbolbild) - Foto: Grok AI
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Deutschland steht vor einem Regierungswechsel. Erwartet werden neue Agenden und neuer Schwung, die unserem Land in einer sich stark verändernden Wettbewerbsumgebung neue Chancen eröffnen. Die Gesamtstimmung in der Gesellschaft ist getrübt, wobei der Themenkomplex Wirtschaft laut dem Portal Statista das Thema Migration als das in der Bevölkerung meistgenannte Problem abgelöst hat. Dabei bereitet nicht nur eine konjunkturelle Schwäche Sorgen; vielmehr gehen vor allem Innovationsfähigkeit und -dynamik seit längerem spürbar zurück, was alarmieren muss. Wenn es daher um eine tragfähige politische Programmatik für die Zukunft geht, sind die Rahmenbedingungen für Forschung und Innovation vorrangig in den Blick zu nehmen.

Für 2025 haben die führenden Forschungsinstitute ihre Konjunkturprognose nach unten korrigiert. Nach einem Rückgang im vergangenen Jahr wird das Bruttoinlandsprodukt wohl auch 2025 nur marginal wachsen. Zunehmend bedenklich stimmt der Befund, dass die Bundesrepublik im globalen Vergleich der Wettbewerbsfähigkeit noch im Jahr 2014 auf Platz sechs rangierte, zehn Jahre später im IMD-Competitiveness Ranking 2024 jedoch nur noch auf Platz 24 von 67 zu finden ist.

Einen wesentlichen Anteil an der Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft hat deren Innovationskraft. Dieser Zusammenhang gilt heute umso mehr, da angesichts der großen globalen gesellschaftlichen Herausforderungen in Sachen Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Gesundheit und alternde Gesellschaft sowie allgemeiner Resilienz und Verteidigungsfähigkeit international konkurrenzfähige Lösungen mehr denn je benötigt werden. Doch Deutschlands Innovationssystem weist nicht mehr die Dynamik früherer Jahre auf. Dafür gibt es mehrere Ursachen. So leiden nicht nur Unternehmen, sondern auch Universitäten und Forschungseinrichtungen, die besonders an der so wichtigen Umsetzung neuen Wissens beteiligt sind, unter den Lasten von Bürokratie und Überregulierung. Das Auflagendickicht, langwierige Genehmigungs- und Prüfverfahren, komplexe arbeitsrechtliche Vorgaben sowie mangelnder Wille zur wirtschaftlichen Skalierung von Forschungsergebnissen führen dazu, dass gute Ideen auf ihrem Weg zu wirtschaftlichen Erfolgen stecken bleiben. Die Folge ist, dass Deutschland in Sachen Innovationskraft zurückfällt, mit entsprechenden negativen Folgen für Arbeitsplätze und damit Wohlstand. Obendrein diagnostiziert der DIHK-Innovationsreport eine schleichende Verlagerung von Forschung und Entwicklung ins Ausland. 

„Unser Wissenschaftsstandort wird unattraktiver, wenn immer mehr Zeit für die Bewältigung bürokratischer Anforderungen draufgeht.“

Wir betrachten die Bürokratie und Überregulierung als primären Ursachen für diese Entwicklungen. Politische Versprechungen der Vergangenheit, für Abhilfe zu sorgen, haben sich nicht erfüllt. Obwohl gerade die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (F&E) in den letzten Jahren durchaus gestiegen sind, bleiben sichtbar positive Wirkungen vor allem in Richtung der Stärkung unserer Innovationskraft als Volkswirtschaft weitgehend aus. Noch bedenklicher stimmt, dass negative Auswirkungen typischerweise erst mit gehörigem Zeitverzug so richtig spürbar werden. Dabei verlängern die unübersichtlichen Detailregulierungen nicht nur die „time to market“ von Erfindungen, sondern unser Wissenschaftsstandort wird auch für Spitzenforscherinnen und -forscher unattraktiver, wenn immer mehr Zeit für die Bewältigung bürokratischer Anforderungen draufgeht. Kehren sie Deutschland mehr und mehr den Rücken, reduziert dies über kurz oder lang die wissenschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und damit die gesamtgesellschaftliche Innovationskraft weiter. Hinzu kommt schwindende Motivation bei jungen Talenten, sich eine berufliche Zukunft im Bereich der (naturwissenschaftlich-technischen) Forschung und Innovation zu suchen. Wenn aber mittel- und langfristig immer weniger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereitstehen, aus der akademischen in die industrielle Forschung zu wechseln, wird auch das nicht ohne gravierende Folgen für den Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland bleiben.

Maurer bei der Arbeit
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Die Infrastruktur beim Hochschulbau leidet unter rechtlichen Vorgaben

Vom Vergaberecht bis zum Datenschutz: einige Beispiele

Politische Programme, die diesen Trends entgegenwirken, müssen insofern fokussiert an der Attraktivität des F&E-Standorts Deutschland ansetzen. Dabei muss Ermöglichung wieder vor Detailkontrolle und Vertrauen vor Generalverdacht stehen. Doch was heißt das im Einzelnen? Einige Beispiele.

Ein ausuferndes öffentliches Vergaberecht, das auch jedes noch so kleine Schlupfloch für Unregelmäßigkeiten stopfen will, bestraft die Motivierten und verzögert Prozesse. Der Aufwand sowohl für Angebotserstellung und Auftragsvergabe ist mittlerweile so hoch, dass man auf beiden Seiten der Geschäftsbeziehung immer mehr davor zurückschreckt. Bauinfrastrukturelle Maßnahmen für Hochschulen und Forschungsbauten dauern häufig bis zu zehn Jahren und sind im Allgemeinen 30 bis 50 Prozent teurer als entsprechende Bauten im privaten Bereich. Zusätzlich wirken abweichende, teils sogar inkompatible Regelwerke einzelner Fördergeber lähmend und ressourcenvernichtend. So unterbleiben notwendige Investitionen für die Erhaltung infrastruktureller und technologischer Leistungsfähigkeit der Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Ähnlich verhält es sich mit dem Antrags-, Begutachtungs- und Berichtsaufwand im Rahmen grundsätzlich reichlich vorhandener Förderprogramme. Er ist gerade für kleinere Einheiten, wie einzelne Professuren, kaum mehr zu stemmen und hält Leistungsträger von ihren eigentlichen Aufgaben ab. Ein weiterer Bereich dieser um sich greifenden, in wachsendem Maße hemmenden Überregulierung ist das inflexible Arbeitsrecht, wodurch das deutsche Wissenschaftssystem im Wettbewerb um die Gewinnung und -haltung von Spitzenkräften zunehmend ins Hintertreffen gerät. Als letztes Beispiel sei der überbordende Datenschutz genannt, der gerade die empirische Forschung massiv behindert.

„Wir brauchen ein Bürokratieabbau-Programm mit einem grundlegenden Prinzipienwandel.“

Sieben Forderungen

Angesichts all dessen sollte ein Bürokratieabbau-Programm mit einem grundlegenden Prinzipienwandel von der Verfahrens- zur Ergebnis-Kontrolle verbunden werden. Dieser muss begleitet werden durch: Reduzierung, Digitalisierung und Standardisierung von Antrags-, Vergabe-, Begutachtungs- und Berichtsvorgängen, erhöhte Transparenz und leichtere Verständlichkeit zu Grunde liegender Regeln sowie der Reduzierung von Mehrfachzuständigkeiten. Auf Basis dieser Prinzipien richten wir sieben konkrete Forderungen an eine neue Bundesregierung für eine neue Forschungs- und Innovationspolitik:

  1. Die Autonomie der Hochschulen und Forschungseinrichtungen muss gestärkt werden, indem sie mehr Entscheidungskompetenz in Verwaltungsangelegenheiten erhalten und weniger Genehmigungen bei Ministerien einholen müssen. So können sie schneller auf Veränderungen reagieren und Innovationen und neue Modelle entwickeln und umsetzen. Die Kontrolle kann direkt vor Ort durch Organe und Gremien der Wissenschaftseinrichtungen ausgeübt werden. Eine wichtige Rolle kommt dabei den Aufsichts- und Hochschulräten zu, deren Kompetenz durch entsprechende Zusammensetzung gewährleistet werden muss.

  2. Die erhebliche Belastung der Hochschulen durch zahlreiche, teils redundante Berichts- und Dokumentationspflichten, die hauptsächlich einer Überprüfung der Einhaltung detaillierter gesetzlicher Vorgaben dienen, muss signifikant reduziert werden. Es ist notwendig, diese Anforderungen zu vereinfachen, zusammenzufassen oder ganz abzuschaffen. Hierzu ist mehr Vertrauen in die Hochschulen erforderlich, die dadurch ihrerseits mehr Ressourcen für die Kernaufgaben Forschung, Lehre und Transfer zur Verfügung hätten. 

  3. Hochschulen in ihrer Doppelrolle als staatliche Einrichtungen, die zugleich mit wirtschaftlichen Aktivitäten befasst sind, unterliegen kaufmännisch sowie steuer- und wettbewerbsrechtlich häufig doppelten und teilweise sich widersprechenden Vorgaben. Gerade für die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen sind hier flexiblere und angepasste Regelungen nötig, die den spezifischen Bedürfnissen der Wissenschaftsorganisation gerecht werden. Auch ohne eine Öffnung zu Public Private Partnership-Modellen werden die Aufgaben der Wissenschaft angesichts der angespannten Finanzlage von Bund und Ländern nicht zu stemmen sein.

  4. Verwaltungsprozesse müssen durchgängig digitalisiert werden: an den Hochschulen und in den Ministerien gleichermaßen. Dazu sind die Mitarbeiter der Verwaltung in den Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit ihrem oft tiefen Einblick in überflüssige Vorschriften und bürokratische Barrieren stärker einzubeziehen. 

  5. Ein Abbau vieler spezifisch deutscher Bürokratiebestimmungen und konsequente Digitalisierung müssen die Attraktivität der Hochschulen auch für internationale Forschende und Studierende steigern, indem für diese komplizierte Verfahren und Regelungen signifikant vereinfacht werden. Hierzu sollte man sich konsequent an Benchmarks international führender Einrichtungen der EU orientieren.

  6. Notwendig erscheint zudem die Überprüfung des Verhältnisses von Grund- und Drittmittelfinanzierung in Forschung und Lehre. Hier muss der Staat belegen, dass für neue Programme die Vorteile der wettbewerblichen Mittelvergabe die Nachteile des damit verbundenen Aufwands übersteigen. Außerdem sollte gelten: nicht nur neu und immer mehr, sondern vor allem in die richtige Richtung wirksam.

  7. Und schließlich ließe sich beim Thema Datenschutz für die Generierung und Verwendung von Forschungsdaten in vielen Fällen mit Opt-Out- statt mit Opt-In-Regelungen arbeiten und damit erheblich Geschwindigkeit gewinnen.

 

Bei alldem ist zu betonen, dass die geforderte Entbürokratisierung nicht nur auf der politischen oder ministeriellen Ebene erfolgen muss, sondern auch in den Hochschulen und Forschungseinrichtungen selbst. Zusätzliche Autonomie verlangt noch mehr Übernahme von Verantwortung und Transparenz im eigenen Handeln. So oder so, die Herausforderungen für alle Beteiligten sind immens. Doch wir sind überzeugt, dass eine exzellente, international führende Wissenschaft das Fundament eines global wettbewerbsfähigen Innovationssystems darstellt, das selbst wieder Garant für künftigen Wohlstand in unserem Land ist. Um im Bild zu bleiben: Schadstellen am Fundament eines Bauwerks sind häufig zunächst nicht erkennbar. Doch wenn sich dann erste Risse an den Außenmauern zeigen, kann es schon zu spät für das ganze Gebäude sein. Wissenschaft und Wirtschaft hoffen daher auf eine vorausschauende Politik, mit der sich bleibende Schäden vermeiden lassen.

 

Die Autoren

Michael Kaschke ist Präsident des Stifterverbandes

Lambert T. Koch ist Präsident des Deutschen Hochschulverbandes

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